Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2008, Az. XII ZR 182/06

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2008, 473

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/06 Verkündet am: 3. Dezember 2008 Breskic, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1 a) Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt voraus, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte. b) Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht ge-genüber minderjährigen Kindern können dem Unterhaltspflichtigen fiktive [X.] aus einer Nebentätigkeit nur insoweit zugerechnet werden, als ihm eine solche Tätigkeit im Einzelfall zumutbar ist. [X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 - [X.]/06 - [X.] - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 3. Dezember 2008 durch [X.], die Richterinnen [X.] und [X.] und die Rich-ter Dose und [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision des [X.]n wird das Urteil des 4. Zivilsenats - Familiensenat - des [X.] vom 26. Oktober 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die [X.] bis 31. Juli 2008 betrifft, nachdem der Rechtsstreit für die [X.] ab dem 1. August 2008 übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen
Tatbestand: Die Parteien streiten um die Höhe des vom [X.]n geschuldeten [X.]. 1 Der [X.] ist der Vater des am 6. April 1990 geborenen [X.]. Er ist außerdem seinem am 16. Mai 1992 geborenen weiteren Kind unterhaltspflich-tig. Aus einer Vollzeittätigkeit erzielt er monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 2 - 3 - 1.157,69 •. In der [X.] bis zum 14. November 2005 lebte der [X.] in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und musste Wohnkosten in Höhe von mo-natlich 266,94 • aufwenden. Seit dem 15. November 2005 wohnt er allein und muss für die Wohnkosten incl. Stellplatz/Garage monatlich 318,45 • zahlen. 3 Mit Jugendamtsurkunde vom 5. Juni 1990 hatte sich der [X.] ver-pflichtet, an den Kläger monatlichen Unterhalt in Höhe von 155 DM zu zahlen. Nachdem das Jugendamt ihn aufgefordert hatte, ab Mai 2004 für den Kläger monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 147 • zu zahlen, zahlte der [X.] diesen Betrag und verpflichtete sich mit Jugendamtsurkunde vom 3. August 2004 zur Zahlung dieses Monatsbetrags. Zuvor hatte der Kläger den [X.]n mit Schriftsatz vom 20. Juli 2004 aufgefordert, Auskunft über seine Einkommensverhältnisse und Wohnkosten zu erteilen und den sich daraus ergebenden Unterhalt zu zahlen. Im Rahmen der Stufenklage verlangt der Kläger nach Erledigung der Auskunftsstufe von dem [X.]n über den mit der Jugendamtsurkunde anerkannten Unterhalt hinaus weiteren Unterhalt, nämlich insgesamt in Höhe von 100 % des [X.] der 3. Altersstufe gemäß § 2 der früheren [X.]. 4 Das Amtsgericht hat den [X.]n antragsgemäß verurteilt. Das Ober-landesgericht hat die Berufung des [X.]n zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die - vom [X.] zugelassene - Revision des [X.]n, mit der er sein Klagabweisungsbegehren weiter verfolgt. 5 In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien den Rechtsstreit für die [X.] ab dem 1. August 2008 übereinstimmend für erledigt erklärt. 6 - 4 - Entscheidungsgründe: [X.] 7 Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung bei [X.] ([X.] - 4 UF 33/06) veröffentlicht ist, hat die Klage für zulässig und begründet erach-tet. Der im [X.]punkt seiner Entscheidung 16-jährige Kläger sei bedürftig, weil er sich nicht selbst unterhalten könne und auch nicht über Vermögen verfüge. Der [X.] könne sich gegenüber dem Anspruch auf Kindesunterhalt nicht auf eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit berufen. Er habe nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleich-mäßig zu verwenden. Von ihm seien alle zumutbaren Anstrengungen zu erwar-ten, um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten bzw. herzustellen. Um den Regel-unterhalt sicherzustellen, sei der Unterhaltspflichtige grundsätzlich auch zur Übernahme einer Nebentätigkeit verpflichtet. Diese Pflicht entfalle nur bei [X.] besonderer Umstände im Einzelfall. Zwar schränke die Unterhaltspflicht den Unterhaltsschuldner in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Hand-lungsfreiheit ein. Diese sei jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung geschützt, zu der auch das Unterhaltsrecht gehöre, soweit dies mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang stehe. Zu einer Nebentätigkeit sei der [X.] nur verpflichtet, wenn und soweit ihm die Aufnahme dieser zusätzli-chen Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar sei und ihn nicht unverhältnismäßig belaste. Diese Grenze sei [X.] nicht erreicht. Dem [X.]n sei neben seiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit das Austragen von [X.]ungen, [X.]schriften oder Werbematerial an den [X.] zumutbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er seinen Arbeitsplatz am Wohnort habe und an den Wochenenden nicht arbeite. Zwar sei neben der [X.] - 5 - lichen und gesundheitlichen Belastung durch eine solche Nebentätigkeit im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung auch zu berücksichtigen, ob eine [X.] überhaupt vorhanden sei. Dafür, dass keine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit bestehe, sei allerdings der [X.] darlegungs- und beweisbelastet. Weil es an Vortrag hierzu fehle, sei das Familiengericht zu Recht von einer zumutbaren Nebentätigkeit ausgegangen und habe das [X.] erzielbare monatliche Nettoeinkommen zutreffend gemäß § 287 Abs. 2 ZPO auf 150 • geschätzt. Zusammen mit dem vorhandenen Erwerbseinkom-men sei deswegen von einem fiktiven monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 1.307,69 • auszugehen. Anhaltspunkte für berufsbedingte Aufwendungen seien vom [X.]n nicht vorgetragen. Für die [X.] bis Juni 2005 sei ein notwendiger monatlicher Selbstbehalt in Höhe von 775 • und für die [X.] ab Juli 2005 ein solcher in Höhe von 820 • zugrunde zu legen. Dieser Selbstbehalt sei allerdings wegen der darin [X.] und vom [X.]n nicht ausgeschöpften Wohnkosten zu kürzen. Zwar habe der [X.] ausgeführt, dass es grundsätzlich der freien [X.] des Unterhaltspflichtigen unterliege, wie er die ihm zu belassenden Mit-tel nutze. Diese Rechtsprechung betreffe allerdings den Elternunterhalt und nicht den notwendigen Selbstbehalt gegenüber einem minderjährigen Kind. Darin liege ein zu beachtender Unterschied. Denjenigen [X.]en, die die Rechtsprechung des [X.] auch auf den notwendigen Selbstbehalt übertrügen, sei nicht zu folgen. Für die [X.] des Zusammenlebens mit seiner Lebensgefährtin sei nach dem Vortrag des [X.]n zu unterstellen, dass er die geschuldete Miete allein gezahlt habe. Die Miete habe aber schon in dieser [X.] deutlich unter dem im notwendigen Selbstbehalt enthaltenen Be-trag gelegen. Soweit der [X.] jetzt eine Zweizimmerwohnung mit einer Kaltmiete von 5 [X.] bewohne, sei darin keine Einschränkung des sonst übli-chen angemessenen Wohnkomforts zu erblicken. Der notwendige Selbstbehalt 9 - 6 - sei deswegen für die [X.] bis zum 14. November 2005 um monatlich 93 • und für die [X.] ab dem 15. November 2005 um monatlich 62 • zu kürzen. 10 Die vom [X.]n geltend gemachten Kreditkosten von monatlich 35 • für den Kauf einer Küche seien nicht zu berücksichtigen. Zwar könne die [X.] eines Unterhaltspflichtigen durch die Tilgung von [X.] in beachtlicher Weise eingeschränkt sein. Dies gelte aber grundsätzlich nicht, soweit es sich um Kosten der privaten Lebensführung handele. Nur wenn und soweit eine Anschaffung für eine normale Haushaltsführung dringend er-forderlich sei und nicht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln finanziert wer-den könne, komme ein Abzug in Betracht. Dies setze aber voraus, dass die Aufnahme der Verbindlichkeit unvermeidbar gewesen sei, was der [X.] im Einzelnen darzulegen habe. Der [X.] habe zwar vorgetragen, dass mit dem Darlehen eine Küche angeschafft worden sei, weil er sich von seiner Lebensgefährtin getrennt und für seine neue Wohnung eine Küche benö-tigt habe. Im Hinblick auf seine gesteigerte Unterhaltspflicht aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB sei es ihm aber zumutbar gewesen, eine kostengünstigere [X.] Küche anzuschaffen. Für die [X.] ab Juli 2004 sei der [X.] deswegen auch neben der [X.] für sein weiteres Kind in der Lage, dem Kläger Unterhalt in Höhe von 100 % gemäß § 2 der [X.] zu zahlen. 11 I[X.] Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Re-vision nicht in allen Punkten stand. 12 - 7 - 1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klage auf weiteren Kindesun-terhalt nach § 323 Abs. 1 und 4 ZPO als Klage auf Abänderung der vom [X.] errichteten Jugendamtsurkunde für zulässig erachtet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist eine neue Leistungsklage auf Unterhalt nur dann zulässig, wenn keine Abänderungsklage zu erheben ist. Eine Nachforde-rung im Wege der Leistungsklage ist danach nur dann möglich, wenn sich der schon vorliegende Unterhaltstitel eindeutig nur auf einen Teilbetrag des [X.] Unterhalts beschränkt (Senatsurteil [X.] 94, 145, 146 ff. = [X.], 690 f.). Dabei spricht im Zweifel eine Vermutung dafür, dass in einem Vorprozess der Unterhalt in voller Höhe geltend gemacht worden ist (Senatsur-teil [X.] 98, 353, 357 f. = FamRZ 1987, 259, 262; vgl. auch [X.]/[X.] Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rdn. 151 f.). Das gilt auch, wenn der geschuldete Kindesunterhalt in einer [X.] nach den §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 60 [X.] festgelegt worden ist. [X.] hat der [X.] in der Jugendamtsurkunde vom 3. August 2004 unter Abänderung der früheren Jugendamtsurkunde den aus seiner Sicht vollen [X.] Kindesunterhalt titulieren lassen. Höherer Unterhalt kann deswegen nur im Wege der Abänderungsklage geltend gemacht werden (vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 2003 - [X.] ZR 115/01 - FamRZ 2004, 24). 13 Daraus folgt aber noch nicht, welchen materiellen Voraussetzungen die Abänderungsklage unterliegt. Denn bei einer nach den §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 60 [X.] errichteten Jugendamtsurkunde handelt es sich um einen Vollstre-ckungstitel im Sinne des § 323 Abs. 4 ZPO, dessen Abänderung mangels Rechtskraft nicht den Beschränkungen des § 323 Abs. 2 und 3 ZPO unterliegt ([X.] [X.], 64, 73 ff; Senatsurteile vom 11. April 1990 - [X.] ZR 42/89 - FamRZ 1990, 989 und vom 27. Juni 1984 - [X.] - FamRZ 1984, 997 f.). Der Umfang der Abänderung richtet sich deshalb allein nach materiel-lem Recht. Liegt der Jugendamtsurkunde allerdings eine Vereinbarung der [X.] - 8 - teien zugrunde, können diese sich davon nicht frei lösen, sondern sind im Rahmen der Abänderung auf die Grundsätze des Wegfalls der [X.] (§ 313 BGB) verwiesen (Senatsurteil vom 2. Oktober 2002 - [X.] ZR 346/00 - FamRZ 2003, 304, 306). Fehlt es an einer solchen Vereinbarung bei der Errichtung der Jugendamtsurkunde, kommt eine materiell-rechtliche Bin-dung allenfalls für den Unterhaltspflichtigen in Betracht, der die Urkunde einsei-tig erstellt hat. Ob eine solche Bindung als Folge eines Anerkenntnisses dazu führt, dass der Unterhaltspflichtige sich nicht frei, sondern nur bei Änderung der Verhältnisse von der Unterhaltspflicht aus der Jugendamtsurkunde lösen kann, kann hier dahinstehen. Der Unterhaltsberechtigte, der an der Errichtung der Urkunde nicht mitgewirkt und deren Inhalt auch nicht zugestimmt hat, ist mate-riell-rechtlich nicht daran gebunden und kann deshalb uneingeschränkt Abände-rung auf der Grundlage der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse verlangen (Senatsurteil vom 29. Oktober 2003 - [X.] ZR 115/01 - FamRZ 2004, 24; vgl. auch [X.]/[X.] Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 10 Rdn. 168). Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] die Begründetheit der Abänderungsklage zu Recht ohne Bindung an den Inhalt der [X.] allein nach den gegenwärtigen Einkommens- und Vermögensverhält-nissen des [X.]n beurteilt. Der Kläger hatte dem Inhalt der [X.] vom 3. August 2004 nicht zugestimmt und den [X.]n schon zuvor mit Schreiben vom 20. Juli 2004 zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert. Das steht einer einvernehmlichen Errich-tung der Jugendamtsurkunde entgegen, da der Kläger Auskunft mit dem Ziel eines höheren Unterhalts verlangt hatte. 15 2. Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Unterhaltsbedarf des seinerzeit noch minderjährigen [X.] jedenfalls den 16 - 9 - mit der Klage begehrten Regelbetrag nach § 2 der früheren [X.] erreichte (vgl. [X.]/[X.] Das Unterhaltsrecht in der familien-richterlichen Praxis 6. Aufl. § 2 Rdn. 127 d). Seit Januar 2008 beläuft sich der Unterhaltsbedarf für die Dauer der Minderjährigkeit jedenfalls auf die Höhe des [X.] nach § 1612 a BGB i.V.m. § 36 Nr. 4 c EGZPO. 17 3. Soweit das Berufungsgericht dem [X.]n ein unterhaltsrelevantes Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.307,69 • zugerechnet und ihn in [X.] des begehrten Unterhalts für leistungsfähig gehalten hat, hält dies den An-griffen der Revision allerdings nicht stand. a) Unstreitig erzielte der [X.] lediglich ein monatliches Nettoein-kommen in Höhe von 1.157,69 •. In diesem Nettoeinkommen sind Zuschläge enthalten, die sich für die zugrunde liegende [X.] von Juli 2004 bis Juni 2005 aus insgesamt 135 Überstunden ergeben. 18 b) Soweit das Berufungsgericht dem [X.]n weitere fiktive Nettoein-künfte in Höhe von 150 • monatlich zugerechnet hat, trägt die Begründung [X.] nicht. 19 aa) Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei [X.] seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügba-ren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Darin liegt eine Ausprägung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Unterhaltsrecht. Aus diesen Vorschriften und aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt auch die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Ar-beitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare 20 - 10 - Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden. Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht gegen-über minderjährigen Kindern muss die Anrechnung fiktiver Einkünfte aber stets die Grenze des [X.] beachten. Übersteigt die Gesamtbelastung des [X.] diese Grenze, ist die Beschränkung seiner Dispositions-freiheit als Folge der Unterhaltsansprüche des Bedürftigen nicht mehr Bestand-teil der verfassungsgemäßen Ordnung und kann vor dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG nicht bestehen ([X.] FamRZ 2007, 273 f., 2006, 469 f. und 2003, 661 f.). [X.]) Voraussetzung einer Zurechnung fiktiver Einkünfte ist mithin, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und dass bei genügenden Bemühungen eine reale [X.] hätte. 21 (1) Im Rahmen der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit sind zunächst die objektiven Grenzen einer Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung des Umfangs der schon ausgeübten Vollzeittätigkeit zu berücksichtigen. Übt der [X.] eine Berufstätigkeit aus, die 40 Stunden wöchentlich unterschreitet, kann grundsätzlich eine Nebentätigkeit von ihm verlangt werden. Denn wegen der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB muss der Unterhaltspflichtige sich mindestens an der Höchstgrenze der regelmäßigen Erwerbstätigkeit orientieren, die gegenwärtig noch 40 Stunden wöchentlich be-trägt. Allerdings sind im Rahmen der objektiven Zumutbarkeit auch die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes zu beachten. Nach § 3 [X.] darf die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stunden nicht überschreiten. Ausnahmen 22 - 11 - kommen nur in engen Grenzen in Betracht. Nach § 9 Abs. 1 [X.] dürfen Ar-beitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht beschäf-tigt werden. Damit ist die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig auf (6 Tage x 8 Stunden =) 48 Stunden begrenzt, wobei nach § 2 [X.] die Arbeitszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zusammenzurechnen sind. Lediglich in mehr-schichtigen Betrieben kann der Beginn und das Ende der Sonn- und [X.] verschoben werden. Darüber hinaus sieht § 10 [X.] Ausnahmen für [X.] Arbeiten vor, die nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Mit diesen Vorschriften ist aus objektiver Sicht die Obergrenze der zumutbaren Erwerbstätigkeit auch für die Fälle vorgegeben, in denen der [X.] nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist (vgl. Senatsurteil vom 20. Februar 2008 - [X.] ZR 101/05 - [X.], 872, 875 und [X.] FamRZ 2003, 661, 662). Das Berufungsgericht hat schon nicht hinreichend festgestellt, ob und in welchem Umfang die Vollzeittätigkeit des [X.]n die regelmäßige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden erreicht oder gar übersteigt. Die vorliegenden Monats-journale für die [X.] von Januar bis Mai 2006 legen die Annahme nahe, dass die regelmäßige Arbeitszeit des [X.]n 40 Wochenstunden beträgt. Das unter-haltsrelevante Einkommen haben die Instanzgerichte aber auf der Grundlage der Einkommensnachweise für die [X.] von Juli 2004 bis Juni 2005 ermittelt, die neben dem Festgehalt und sonstigen Zulagen sogar Vergütungen für insgesamt 135 Überstunden enthalten. 23 (2) Im Rahmen der Zurechnung fiktiver Nebenverdienste ist weiterhin zu prüfen, ob und in welchem Umfang es dem Unterhaltspflichtigen unter Abwä-gung seiner von ihm [X.] besonderen Lebens- und Arbeitssituation einerseits und der Bedarfslage des Unterhaltsberechtigten andererseits zuge-mutet werden kann, eine Nebentätigkeit auszuüben (vgl. [X.] FamRZ 2003, 24 - 12 - 661, 662). Auch die insoweit relevanten weiteren subjektiven und objektiven Voraussetzungen der Zurechnung fiktiver Einkünfte hat das [X.] nicht hinreichend gewürdigt. 25 Zwar hat es in zutreffender Weise in seine Entscheidung einbezogen, dass der [X.] an den Wochenenden nicht berufstätig und deswegen grund-sätzlich samstags nicht an einer Nebentätigkeit gehindert ist. Soweit es weiter darauf abstellt, dass sich der Arbeitsplatz des [X.]n an seinem Wohnort befindet, spricht auch dieser Umstand gegen eine übermäßige Belastung durch die in Vollzeit ausgeübte Berufstätigkeit. Für die Zumutbarkeit einer Nebentätig-keit sagt dies allerdings noch nichts aus, solange ungeklärt ist, ob auch die Ne-bentätigkeit am Wohnort des [X.]n möglich wäre. Völlig unberücksichtigt hat das Berufungsgericht gelassen, dass der [X.] der Vater des [X.] und eines weiteren Kindes ist und Art. 6 Abs. 2 GG ihm nicht nur das Recht zum Umgang einräumt, sondern auch eine entsprechende Pflicht auferlegt (vgl. [X.] [X.], 845, 847 ff. und Senatsbeschluss vom 14. Mai 2008 - [X.] ZB 225/06 - [X.], 1334 f.). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der [X.] seit dem 15. November 2005 wieder allein lebt und auch seinen Haushalt allein führen muss, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Das [X.] hat deswegen nicht unter Würdigung aller maß-geblichen Umstände geprüft, ob dem [X.]n neben seiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit, eventuellen Überstunden, der Kontaktpflege mit seinen Kin-dern und der Belastung durch die Haushaltsführung überhaupt genügend [X.] für eine Nebentätigkeit an Samstagen verbleibt. 26 (3) Schließlich halten auch die Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach der [X.] eine zumutbare Nebentätigkeit finden und daraus monat-lich 150 • netto erzielen könnte, den Angriffen der Revision nicht stand. 27 - 13 - Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance voraus. Die Gerichte müssen deswegen prüfen, ob es Nebentätigkeiten entsprechender Art für den Unterhaltspflichtigen überhaupt gibt und der Aufnahme einer solchen Tätigkeit keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, für die der Unterhaltspflichtige darlegungs- und beweispflichtig ist (Senatsurteil vom 22. Oktober 1997 - [X.] ZR 278/95 - FamRZ 1998, 357, 359; [X.]E 68, 256, 270 = [X.], 143, 146). 28 Auch die Höhe der fiktiv berücksichtigten Einkünfte hält einer rechtlichen Kontrolle nicht stand. Denn das [X.] hat dem [X.]n [X.] in Höhe von 150 • monatlich angerechnet, ohne im Einzelnen darzu-legen, wie diese sich errechnen. Weil das Berufungsgericht weder den vom [X.] durch eine Nebentätigkeit erzielbaren Stundensatz noch den Umfang der ihm zugemuteten Nebenerwerbstätigkeit genau bemessen hat, kann die Entscheidung nach dem auch verfassungsrechtlich gebotenen Maßstab der Zumutbarkeit nicht überprüft werden. Die Begründung des [X.]s trägt deswegen die Zurechnung der angesetzten fiktiven Einkünfte nicht. 29 4. Soweit das Berufungsgericht eine Berücksichtigung der Kreditver-pflichtung des [X.]n abgelehnt hat, hält dies im Ergebnis der revisions-rechtlichen Prüfung stand. Allerdings kann die Begründung des [X.] nicht überzeugen. Denn der aufgenommene Kredit beläuft sich ohnehin nur auf knapp 900 • und die monatliche Rate beträgt lediglich 35 •. Wenn das [X.] meint, den [X.]n treffe aus unterhaltsrechtlicher Sicht eine Obliegenheit, eine kostengünstigere gebrauchte Küche anzuschaffen, [X.] es folgerichtig Kreditraten für deren Kosten berücksichtigen müssen. 30 - 14 - Im Ergebnis können die Kreditraten aber deswegen unberücksichtigt bleiben, weil es sich wegen der geringen Höhe um Kosten der privaten [X.] handelt (vgl. auch Senatsurteil vom 30. August 2006 - [X.] ZR 98/04 - [X.], 1511, 1514 f.). Diese sind von dem verbleibenden Einkommen zu tragen und können unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigt werden. 31 32 5. Soweit das Berufungsgericht den [X.]n wegen eines im Einzelfall herabzusetzenden Selbstbehalts für voll leistungsfähig erachtet hat, hält dies den Angriffen der Revision nicht stand. a) Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass bei der Bemessung der Leistungsfähigkeit des [X.]n wegen seiner gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Kläger nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB lediglich der notwendige Selbstbehalt zu wahren ist (Senatsurteil vom 9. Januar 2008 - [X.] ZR 170/05 - [X.], 594, 596 f.). Dieser betrug nach den Leitlinien des [X.]s für erwerbstätige [X.]ige zunächst monatlich 775 •, ab Juli 2005 monatlich 820 • und beläuft sich für die [X.] ab Januar 2008 auf monatlich 900 • (vgl. FamRZ 2003, 1722, 1725, 2005, 1361, 1362 und 2008, 359, 363 jeweils unter Ziff. 21.2). 33 b) Zwar ist im Selbstbehalt ein jeweils konkret aufgeführter Anteil für Wohnkosten enthalten. Soweit das [X.] den Selbstbehalt des [X.]n wegen der tatsächlich geringeren Wohnkosten herabgesetzt hat, [X.] dies aber der Rechtsprechung des Senats. Danach ist dem [X.] gegenüber seinen minderjährigen Kindern der notwendige Selbstbehalt zu belassen, auch wenn die Wohnkosten den insoweit im Selbst-behalt berücksichtigten Betrag unterschreiten (Senatsurteil vom 23. August 2006 - [X.] ZR 26/04 - [X.], 1664, 1666). Es unterliegt grundsätzlich der freien Disposition des Unterhaltspflichtigen, wie er die ihm zu belassenden, [X.] - 15 - nehin knappen Mittel nutzt. Ihm ist es deswegen nicht verwehrt, seine Bedürf-nisse anders als in den [X.] vorgesehen zu gewichten und sich z.B. mit einer preiswerteren Wohnung zu begnügen, um zusätzliche Mittel für andere Zwecke, etwa für Bekleidung, Urlaubsreisen oder kulturelle Interessen, einsetzen zu können. Diese Lebensgestaltungsautonomie kann dem [X.] auch gegenüber Unterhaltsansprüchen für ein minderjähriges Kind nicht verwehrt werden. c) Eine Absenkung des Selbstbehalts käme danach allenfalls für die [X.] bis zum 14. November 2005 in Betracht, in der der [X.] in einer Haushalts-gemeinschaft mit seiner früheren Lebensgefährtin wohnte. Denn nach der Rechtsprechung des Senats kann der Selbstbehalt eines Unterhaltspflichtigen wegen einer infolge gemeinsamer Haushaltsführung tatsächlich eintretenden Ersparnis herabgesetzt werden, höchstens jedoch bis auf sein Existenzmini-mum nach sozialhilferechtlichen Grundsätzen (Senatsurteil vom 9. Januar 2008 - [X.] ZR 170/05 - [X.], 594, 598). Eine solche Herabsetzung kommt in Betracht, wenn der Unterhaltspflichtige in einer neuen [X.] wohnt, dadurch Kosten für die Wohnung oder die allgemeine Lebensführung erspart und sich deswegen auch sozialhilferechtlich auf einen - im Rahmen [X.] - geringeren Bedarf verweisen lassen müsste. Selbst wenn der [X.] die relativ geringen Kosten der Wohnung hier allein getra-gen haben sollte, schließt dies eine gewisse Ersparnis durch die gemeinsame Haushaltsführung nicht aus. Ob und in welchem Umfang eine solche Ersparnis eingetreten ist, bedarf der tatrichterlichen Feststellung. 35 6. Das Berufungsurteil kann deswegen keinen Bestand haben. 36 Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Zurechnung fiktiver [X.] weder dem Grunde noch der Höhe nach. Im Rahmen der [X.] - 16 - higkeit des [X.]n hat das Berufungsgericht dem [X.]n abweichend von der Rechtsprechung des Senats jedenfalls für den [X.]raum seines Alleinlebens einen zu geringen Selbstbehalt belassen. 38 7. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: 39 Das Berufungsgericht muss bei der Prüfung der Zumutbarkeit eines [X.] alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen und die Höhe eines eventuell erzielbaren weiteren Einkommens in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise ermitteln. Sollte es dem [X.]n nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles ein Einkommen aus einer fiktiven Nebentätigkeit zurechnen, wird es insoweit auch pauschale berufsbedingte Kosten [X.] müssen, weil ein konkreter Vortrag hinsichtlich fiktiver Einkünfte nicht [X.] werden kann. Auf einen erhöhten Unterhaltsbedarf des [X.] ab Eintritt der [X.] am 6. April 2008 bis zum Ende des [X.] am 31. Juli 2008 wird nach § 1612 b Abs. 1 Nr. 2 BGB das volle Kindergeld anzurechnen sein. Im Rahmen der Leistungsfähigkeit wird auch ein Nachrang gegenüber dem am 40 - 17 - 16. Mai 1992 geborenen weiteren Kind des [X.]n zu prüfen sein (§ 1609 Nr. 4 BGB). [X.] [X.] Vézina Dose Klinkhammer
Vorinstanzen: AG [X.]z, Entscheidung vom 28.06.2006 - 6 F 342/04 - [X.], Entscheidung vom 26.10.2006 - 4 UF 33/06 -

Meta

XII ZR 182/06

03.12.2008

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2008, Az. XII ZR 182/06 (REWIS RS 2008, 473)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 473

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