Bundesgerichtshof, Zwischenurteil vom 25.07.2023, Az. X ZR 51/23

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 5717

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Gegenstand

Ersatzeinreichung bei Störung der elektronischen Übermittlung - EGVP-Störung


Leitsatz

EGVP-Störung

1. Die nach § 130d Satz 3 ZPO erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung ist rechtzeitig, wenn sie am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingeht (Ergänzung zu BGH, Beschluss vom 17. November 2022 - IX ZB 17/22, NJW 2023, 456 Rn. 11; Beschluss vom 26. Januar 2023 - V ZB 11/22, WRP 2023, 833 Rn. 11).

2. Eine vorübergehende Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird.

Tenor

Die Einreichung der Berufungsschrift per Telefax am 20. April 2023 war zulässig.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 ZPO.

2

Die Beklagte wendet sich gegen die teilweise Nichtigerklärung eines Patents. Das Urteil des Patentgerichts ist ihr am 20. März 2023 zugestellt worden.

3

Die von einem Rechtsanwalt unterschriebene Berufungsschrift ist am 20. April 2023 um 15:15 Uhr per Telefax beim [X.] eingegangen. In einem am gleichen Tag um 20:09 Uhr per Telefax eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte dargelegt, weshalb ihre Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach [X.]) eingereicht haben.

4

Die Klägerin hält das Rechtsmittel für unzulässig, weil die Begründung für die Ersatzeinreichung nicht zusammen mit der Berufungsschrift übermittelt worden ist.

Entscheidungsgründe

5

Die Berufungsschrift ist form- und fristgerecht eingereicht worden.

6

1. Nach der gemäß § 125a Abs. 2 Satz 2 [X.] im Patentnichtigkeitsverfahren entsprechend anwendbaren Regelung in § 130d Satz 1 ZPO war die von einem Rechtsanwalt eingereichte Berufungsschrift grundsätzlich als elektronisches Dokument zu übermitteln.

7

2. Im Streitfall war die Übermittlung per Telefax gemäß § 130d Satz 2 ZPO ausnahmsweise ausreichend.

8

Die [X.] hat hinreichend und rechtzeitig glaubhaft gemacht, dass eine elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.

9

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Glaubhaftmachung rechtzeitig erfolgt.

aa) Gemäß § 130d Satz 3 ZPO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen.

Nach der Rechtsprechung des [X.] hat die Glaubhaftmachung danach möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen. Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt ([X.], Beschluss vom 17. November 2022 - [X.], NJW 2023, 456 Rn. 11; Beschluss vom 26. Januar 2023 - [X.], [X.], 833 Rn. 11).

bb) Eine noch am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingegangene Darlegung und Glaubhaftmachung ist als gleichzeitig im Sinne dieser Grundsätze anzusehen.

Der Regelung in § 130d Satz 3 ZPO ist allerdings zu entnehmen, dass die Gründe für die Ersatzeinreichung so schnell wie möglich darzulegen und glaubhaft zu machen sind. Bei Anlegung dieses Maßstabes darf jedoch nicht außer [X.] gelassen werden, dass eine Frist für die Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels grundsätzlich bis zum Ende des betreffenden Tages ausgenutzt werden darf. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn die Ersatzeinreichung und die Darlegung und Glaubhaftmachung am gleichen Tag mit zwei getrennten Schriftsätzen übermittelt werden.

Die Darlegung und Glaubhaftmachung wäre auch vom Rechtsstandpunkt der Klägerin aus rechtzeitig erfolgt, wenn die [X.] die Berufungsschrift zusammen mit diesem Schriftsatz erneut per Telefax übermittelt hätte. Ein solches Ansinnen liefe aber auf eine leere [X.] hinaus, weil die Berufungsschrift in dieser Form dem Gericht bereits vorlag.

b) Die [X.] hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die in § 130d Satz 2 ZPO normierten Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung vorgelegen haben.

aa) Nach der Rechtsprechung des [X.] sind zur Glaubhaftmachung eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände und eine eidesstattliche oder anwaltliche Versicherung erforderlich ([X.], Beschluss vom 21. September 2022 - [X.] 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 15).

Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der [X.]n gerecht.

Die [X.] hat dargelegt und anwaltlich versichert, dass zwei ihrer Prozessbevollmächtigten am 20. April 2023 zwischen 12:56 Uhr und 18:34 Uhr insgesamt zwölfmal versucht haben, die Berufungsschrift aus ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach zu übermitteln, und dass alle [X.] mit der Meldung geendet haben, die Nachricht habe nicht an den [X.] des Empfängers übermittelt werden können. Sie haben ferner dargelegt, dass am 20. April 2023 auf den [X.]seiten des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs ([X.]) eine mit dem Status "aktuell" gekennzeichnete Meldung veröffentlicht war, wonach (unter anderem) die Bundesgerichte seit dem 19. April 2023 um 14:12 Uhr "vorläufig nicht erreichbar" seien.

Diese Schilderung ist aus sich heraus verständlich und in sich geschlossen. Sie wird bestätigt durch die anwaltliche Versicherung und durch die vorgelegten Screenshots des [X.] der beiden besonderen elektronischen [X.] und den Screenshot der Fehlermeldung bezüglich des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs.

bb) Aus dem glaubhaft gemachten Vorbringen ergibt sich, dass die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war.

Durch die dokumentierten Fehlermeldungen ist glaubhaft gemacht, dass das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des [X.] seit 19. April 2023 nicht erreichbar war, dass dieser Zustand am 20. April 2023 angedauert hat und dass nicht abzusehen war, wann die Störung behoben sein würde. Danach ist der Tatbestand des § 130d Satz 2 ZPO verwirklicht.

In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob bereits jede noch so kurzfristige Störung die Möglichkeit der Ersatzeinreichung eröffnet und ob eine elektronische Übermittlung im Zeitraum zwischen dem letzten Sendeversuch um 18:34 Uhr und Mitternacht möglich gewesen wäre. Eine vorübergehende Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird.

Eine solche Situation liegt insbesondere dann vor, wenn sich aus einer Meldung auf den [X.]-Seiten des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs oder einer anderen zuverlässigen Quelle ergibt, dass der betreffende Empfangsserver nicht zu erreichen ist, und nicht angegeben ist, bis wann die Störung behoben sein wird. Eine vergleichbare Situation liegt dann vor, wenn zwar keine Störungsmeldung veröffentlicht ist, aber mehrere Sendeversuche trotz ordnungsgemäßer Bedienung des Systems erfolglos geblieben sind.

Im Streitfall waren nach dem glaubhaft gemachten Vortrag beide dieser Voraussetzungen erfüllt. Aus der im [X.] veröffentlichten Störungsmeldung war nicht ersichtlich, wann die Störung behoben sein wird. Unabhängig davon ergab sich aus den wiederholt erfolglos gebliebenen Sendeversuchen und den auf eine Störung beim Empfänger-[X.] hindeutenden Fehlermeldungen, dass eine technische Störung vorlag.

c) Aus der Rechtsprechung zu den Sorgfaltspflichten bei dem früher zulässigen Einreichen fristgebundener Schriftsätze per Telefax ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

Nach der Rechtsprechung des [X.] darf die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nicht vorschnell abgebrochen werden, wenn eine Übersendung zunächst - insbesondere wegen einer Belegung des Empfangsgeräts mit anderweitigen Sendungen - nicht gelingt. Danach ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann zu versagen, wenn schon um 20 Uhr von weiteren Sendeversuchen abgesehen worden ist ([X.], Beschluss vom 20. August 2019 - [X.], NJW 2019, 3310 Rn. 17).

Diese Rechtsprechung ist auf § 130d Satz 2 ZPO nicht übertragbar.

Wie der [X.] bereits entschieden hat, ist ein Rechtsanwalt, der aus technischen Gründen gehindert ist, einen fristwahrenden Schriftsatz elektronisch einzureichen, und deshalb eine zulässige Ersatzeinreichung veranlasst hat, nicht gehalten, sich vor Fristablauf weiter um eine elektronische Übermittlung zu bemühen ([X.], Beschluss vom 25. Mai 2023 - [X.]/22 Rn. 10).

Diese Unterscheidung ist konsequent, weil § 130d Satz 2 ZPO nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumen einer Frist betrifft, sondern die Möglichkeit zur Einhaltung einer Frist in einer von der Vorgabe aus § 130d Satz 1 ZPO abweichenden Form vorsieht. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass ein Telefaxgerät wegen Belegung mit anderweitigen Sendungen vorübergehend nicht erreichbar ist, auch bei ordnungsgemäßer Funktion aller Komponenten. § 130d Satz 2 ZPO betrifft demgegenüber Fälle, in denen die zur Übermittlung eingesetzten Systeme eine Störung aufweisen.

[X.]     

  

Hoffmann     

  

Kober-Dehm

  

Rombach     

  

Rensen     

  

Meta

X ZR 51/23

25.07.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Zwischenurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 24. Oktober 2022, Az: 7 Ni 19/20 (EP), Urteil

§ 125a Abs 2 S 2 PatG, § 130d S 1 ZPO, § 130d S 2 ZPO, § 130d S 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Zwischenurteil vom 25.07.2023, Az. X ZR 51/23 (REWIS RS 2023, 5717)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5717


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 7 Ni 19/20 (EP)

Bundespatentgericht, 7 Ni 19/20 (EP), 24.10.2022.


Az. X ZR 51/23

Bundesgerichtshof, X ZR 51/23, 25.07.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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