Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.05.2023, Az. B 5 R 30/23 B

5. Senat | REWIS RS 2023, 3172

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - erneute Klärungsbedürftigkeit einer höchstrichterlich bereits geklärten Rechtsfrage - Bewertung beitragsfreier Zeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung - Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 74 S 4 iVm § 263 Abs 3 SGB 6)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Streitig ist eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten für eine Fachhochschulausbildung sowie Anerkennung einer von der [X.] als Beitragszeit.

2

Der Kläger bezieht seit dem 1.11.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten (Bescheid vom [X.]). Mit Überprüfungsanträgen vom 23.3.2020 und 18.9.2020 beantragte er eine höhere Erwerbsminderungsrente unter Bewertung von Fachhochschulzeiten in der [X.] vom 1.10.1983 bis 30.9.1986 sowie Anerkennung einer Beitragszeit für eine von der [X.] in der [X.] vom [X.] bis 16.6.1988 finanzierte Weiterbildung. Die Beklagte lehnte die Anträge ab (Bescheide vom [X.] und 5.10.2020). Die Widersprüche und Klagen des [X.] blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 1.7.2020 und 19.11.2020, Gerichtsbescheide vom [X.] und 26.5.2021).

3

Das [X.] hat die Berufungen des [X.] zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (Beschluss vom 8.10.2021) und die Entscheidung der Berichterstatterin gemäß § 153 Abs 4 S[X.] übertragen (Beschluss vom [X.]). Mit Urteil vom 2.12.2022 hat das [X.] die Berufungen des [X.] zurückgewiesen. Die Beklagte habe bei Erlass des Rentenbescheids weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Zu Recht habe sie die [X.]en der Fachhochschulausbildung des [X.] nicht bewertet. Dies folge aus § 74 Satz 4 [X.]. Die Regelung begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Senat schließe sich insoweit der Rechtsprechung des BSG an. Es sei weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 [X.] noch gegen sozial- und bildungsbezogene Rechtsgrundsätze der [X.], insbesondere Artikel 163 und 166 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] erkennbar. Auch eine Anerkennung der von der [X.]smaßnahme als Beitragszeit komme nicht in Betracht. Die nach § 247 Abs 1 [X.] erforderliche Voraussetzung hierfür, dass der Versicherte die Beiträge ganz oder zum Teil getragen habe, sei nicht erfüllt. Die Vorschrift verletze den Kläger ebenfalls nicht in seinen Grundrechten.

4

Der Kläger hat gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] Beschwerde zum BSG erhoben. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

5

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte Grund für die Zulassung der Revision wird nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 S[X.] dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 S[X.] zu verwerfen.

6

Der Kläger legt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht anforderungsgerecht dar. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. In der Beschwerdebegründung ist daher zunächst aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten revisiblen Norm iS des § 162 S[X.] stellt. Sodann ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darzutun, weshalb deren Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist aufzuzeigen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (s etwa Senatsbeschluss vom [X.] - juris Rd[X.]2 mwN).

7

Der Kläger formuliert als Fragen von grundsätzlicher Bedeutung:

a)    

"Ob die Regelung nach § 74 Satz 4 [X.] verfassungskonform ist" und

                 
        

"ob die graduelle Gleichsetzung der Abschlüsse der [X.] aus den neuen Bundesländern mit den Abschlüssen der westdeutschen Fachhochschulabschlüssen bei rentenrechtlicher Degradierung gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 Abs. 1 [X.] sowie die sozialen- und bildungsbezogenen Rechtsgrundsätzen der [X.], Artikel 163 und 166 des [X.]-Vertrages verstößt und ob die nachträgliche und rückwirkende Erzeugung von Altersarmut durch den Gesetzgeber mit dem Sozialstaatprinzip zu vereinbaren ist."

8

Es kann offenbleiben, ob der Kläger damit und mit den weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage iS des § 160 Abs 2 [X.] S[X.] bezeichnet. Eine solche Rechtsfrage muss eine vom Einzelfall losgelöste (abstrakt-generelle) Frage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Vorschrift (vgl § 162 S[X.]) mit höherrangigem Recht aufwerfen (stRspr; zB BSG Beschluss vom [X.] R 83/22 B - juris Rd[X.]1). Der Kläger legt jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragen nicht anforderungsgerecht dar.

9

Das BSG hat sich insbesondere in mehreren Entscheidungen vom [X.] (B 13 R 27-29/10 R; B 13 R 55/10 R; B 13 R 8/11 R) mit der Nichtbewertung ua von [X.]en der Hochschulausbildung auseinandergesetzt. Es hat befunden, die Regelungen in § 74 Satz 4 iVm § 263 Abs 3 [X.] würden weder gegen Art 14 Abs 1 [X.] noch gegen Art 3 Abs 1 [X.], Art 3 Abs 3 Satz 2 [X.] oder das Sozialstaatsprinzip verstoßen (BSG Urteil vom [X.] - B 13 R 27/10 R - [X.], 126 = [X.]-2600 § 74 [X.], RdNr 26). Das [X.] hat die dagegen erhobenen [X.] nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 18.5.2016 - 1 BvR 2217/11 ua - juris). Die Klärungsbedürftigkeit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 74 Abs 4 [X.] kommt mithin einzig unter dem Gesichtspunkt einer erneuten Klärungsbedürftigkeit in Betracht (s auch BSG Beschluss vom 6.7.2022 - [X.] R 40/22 B - juris RdNr 9). Den insoweit bestehenden Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

Eine höchstrichterlich bereits geklärte Rechtsfrage zum Anwendungsbereich einer Vorschrift des Bundesrechts kann iS des § 160 Abs 2 [X.] S[X.] erneut klärungsbedürftig werden, wenn den bisherigen Entscheidungen in nicht geringem Umfang in Rechtsprechung oder Schrifttum widersprochen wird und keineswegs von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG Beschluss vom [X.] - [X.] 1500 § 160a [X.]3 S 19; BSG Beschluss vom [X.] KR 63/13 B - juris RdNr 6 mwN). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist in der Beschwerdebegründung näher darzulegen. Hierzu muss substantiiert aufgezeigt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und mit welcher Begründung der bisherigen Rechtsprechung widersprochen wird bzw inwiefern die Beantwortung der Rechtsfrage weiterhin umstritten ist oder welche neuen erheblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind, die zu einer Neubetrachtung der bereits entschiedenen Rechtsfrage führen könnten und eine anderweitige Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (zB BSG Beschluss vom 6.7.2022 - [X.] R 40/22 B - juris Rd[X.]0 mwN). Hieran richtet der Kläger sein Vorbringen nicht aus.

Er trägt im Wesentlichen vor, die - von ihm nicht näher bezeichneten - Entscheidungen des [X.] (gemeint sein dürften wohl die vom [X.] zitierten Entscheidungen des BSG vom [X.], aaO) berücksichtigten nicht, "dass der [X.] sowie das Berufsausbildungsgesetz von 1990 (…) den [X.] aus den neuen Bundesländern die Gleichsetzung ihrer Abschlüsse mit westdeutschen Fachhochschulabschlüssen ermöglicht und diese dann im Gegensatz zu den westdeutschen Fachhochschulabschlüssen sogar noch Rentenpunkte für ihre Ausbildung erhalten, selbst wenn sie nie in dem studierten Beruf gearbeitet haben". Zudem habe das [X.] in seinen Entscheidungen nicht berücksichtigt, dass derjenige, der einen höheren Abschluss erreichen möchte, länger zur Schule gehen müsse.

Der Kläger benennt damit weder (instanzgerichtliche) Entscheidungen noch (wissenschaftliches) Schrifttum, in denen der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 74 iVm § 263 Abs 3 Satz 4 [X.] widersprochen wird. Seine Ausführungen in Bezug auf eine Differenzierung nach [X.] aus den alten oder neuen Bundesländern sind bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar, weil § 74 Satz 4 iVm § 263 Abs 3 [X.] - wie auch das [X.] zu Recht ausgeführt hat - [X.] unabhängig davon, ob der Abschluss in den alten oder neuen Bundesländern erworben wurde, von der begrenzten [X.] ausnimmt. Der Kläger stellt letztlich seine eigene Auffassung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegen. Allein die Darstellung einer bestimmten (eigenen) Gesetzesinterpretation reicht zur Darlegung einer weiteren Klärungsbedürftigkeit einer vom BSG bereits entschiedenen Rechtsfrage nicht aus (vgl BSG Beschluss vom [X.] - juris Rd[X.]6 mwN).

Soweit der Kläger durch die gesetzliche Regelung auch "die sozialen- und bildungsbezogenen Rechtsgrundsätze der [X.], Artikel 163 und 166 des [X.]-Vertrages" als verletzt ansieht, fehlt es an jeglichen näheren Ausführungen.

Der Kläger formuliert als weitere Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung:

b)    

"Ob die Regelung nach § 247 Abs. 1 [X.] verfassungskonform ist."

Auch hier fehlt es jedenfalls an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage.

Leitet eine Beschwerde einen Revisionszulassungsgrund aus einer Verletzung von Normen des [X.] ab, muss sie unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] und des BSG zu den (konkret) gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substanzieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr; zB bereits BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - [X.], 158 = [X.] 1500 § 160a [X.]1 S 14; aus jüngerer [X.] zB BSG Beschluss vom 15.9.2022 - [X.] R 127/22 B - juris RdNr 9 mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht ansatzweise gerecht.

Der Kläger stellt - ohne eine höchstrichterliche Entscheidung zu benennen oder sich mit einer solchen inhaltlich auseinanderzusetzen - lediglich dar, warum aus seiner Sicht in seinem konkreten Einzelfall, die Regelung des § 247 Abs 1 [X.] zu einem nicht nachvollziehbaren Ergebnis führe. Auch mit den vom [X.] angeführten Entscheidungen des BSG, der Gesetzesbegründung oder der Kommentarliteratur setzt er sich nicht im Geringsten auseinander. Der Kläger wendet sich damit letztlich gegen eine vermeintliche Fehlerhaftigkeit der Berufungsentscheidung. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl [X.] [X.] R 230/21 B - juris RdNr 6 mwN). Das gilt auch, soweit er die [X.]-Entscheidung aus sozial- oder rechtspolitischen Gründen für falsch hält (vgl BSG Beschluss vom [X.] - [X.] R 291/21 B - juris Rd[X.]3; BSG Beschluss vom [X.] - juris Rd[X.]7).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 S[X.]).

2. [X.] beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 S[X.].

        

Düring

Hannes

Hahn   

Meta

B 5 R 30/23 B

04.05.2023

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Berlin, 28. Januar 2021, Az: S 12 R 1361/20, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 74 S 4 SGB 6, § 263 Abs 3 SGB 6, Art 3 Abs 1 GG, Art 3 Abs 3 S 2 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.05.2023, Az. B 5 R 30/23 B (REWIS RS 2023, 3172)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3172

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