Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.04.2010, Az. V ZB 224/09

5. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 7776

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Gegenstand

Wohnungseigentumsverfahren: Verschuldete Versäumung der Berufungsfrist wegen Berufungseinlegung bei dem sachlich unzuständigen Landgericht


Leitsatz

1. Die Berufung in einer Wohnungseigentumssache kann auch dann nur bei dem sachlich zuständigen Landgericht fristwahrend eingelegt werden, wenn in dem betreffenden Oberlandesgerichtsbezirk auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 72 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GVG nicht das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht, sondern ein anderes Landgericht für diese Berufungen zuständig ist .

2. Die Versäumung der Berufungsfrist ist nicht unverschuldet, wenn sie darauf beruht, dass das Vorhandensein einer abweichenden Zuständigkeitsregelung und ihr Inhalt nicht geprüft wurden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 27. Oktober 2009 (4 [X.]/09) wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 1.306,28 €.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat die Beklagte durch ein ihren Prozessbevollmächtigten erster Instanz am 25. Mai 2009 zugestelltes Urteil verurteilt, an die Klägerin 1.306,28 € rückständiges Hausgeld nebst Zinsen zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte zunächst mit einem am 25. Juni 2009 eingegangenen Schriftsatz bei dem unzuständigen [X.] und sodann mit einem am 10. Juli 2009 eingegangenen Schriftsatz bei dem zuständigen [X.] Berufung eingelegt. Sie hat die zweite Berufung mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist verbunden und dazu vorgetragen, ihre Prozessbevollmächtigten hätten von der abweichenden Regelung der Berufungszuständigkeit in den [X.] für den [X.] nichts gewusst und auch nichts wissen müssen. Das [X.] hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

3

1. Sie ist zwar nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO von Gesetzes wegen statthaft. Zulässig ist sie aber nach § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das ist nicht der Fall.

4

2. Die Sache hat keine gru[X.]ätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Eine Entscheidung des [X.] ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), und zwar auch nicht deshalb (dazu: [X.], [X.], 221, 227; [X.]. v. 23. Oktober 2003, [X.], [X.], 367, 368; [X.]. v. 13. Mai 2004, [X.], NJW-RR 2004, 1217), weil die Anforderungen, die das Berufungsgericht stellt, überzogen wären und der Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwerten (vgl. dazu: [X.] 40, 88, 91; 67, 208, 212 f.; [X.] NJW 1996, 2857; 2000, 1636; 2001, 1566; FamRZ 2002, 533; [X.], [X.]. v. 23. Oktober 2003, [X.], [X.], 367, 368).

5

a) Die Beklagte hat die Berufungsfrist versäumt, weil ihre Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift am Abend des letzten Tags der Frist und damit zu einem Zeitpunkt bei dem unzuständigen [X.] eingereicht haben, zu dem mit einer fristgerechten Weiterleitung an das zuständige [X.] im normalen Geschäftsgang (zu diesem Erfordernis: [X.], [X.]. v. 27. Juli 2000, [X.], NJW-RR 2000, 1730, 1731) nicht mehr zu rechnen war. Die Zulässigkeit der Berufung hing deshalb entscheidend davon ab, ob die Berufungsfrist durch fristgerechte Einreichung bei dem unzuständigen [X.] gewahrt werden konnte und verneinendenfalls, ob der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren war. Beides hat das Berufungsgericht verneint.

6

b) Das entspricht in der Sache der Rechtsprechung des [X.], die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist und auch die Anforderungen an die Einlegung von Rechtsmitteln nicht überspannt.

7

aa) Die Entscheidung des Berufungsgerichts enthält zwar keine Darstellung des Sachverhalts, die sie allerdings, was der Rechtsbeschwerde zuzugeben ist, enthalten muss. Ohne eine solche Darstellung ist das Rechtsbeschwerdegericht, das gru[X.]ätzlich von dem durch das Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt auszugehen hat (§ 577 Abs. 2 Satz 1 u. 4, § 559 ZPO), nämlich zu einer rechtlichen Überprüfung des angefochtenen [X.]usses regelmäßig nicht in der Lage ([X.], [X.]. v. 7. Mai 2009, [X.]/08, [X.] 2009, 442, insoweit nur bei juris; [X.]. v. 10. Dezember 2009, [X.], [X.], 187, 188). Hier hindert das Fehlen einer Sachdarstellung aber eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (nur deshalb) nicht, weil den Gründen der angefochtenen Entscheidung mit gerade noch ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass es sich um eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit handelt und die Beklagte die Berufung innerhalb der Frist nicht bei dem nach § 2a [X.]. [X.] 1998 (jetzt: § 10 [X.]. [X.] 2009) zuständigen [X.] eingereicht hat.

8

bb) In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.]s nimmt das Berufungsgericht an, dass die Berufung der Beklagten fristwahrend nur durch rechtzeitige Einreichung der Berufungsschrift bei dem sachlich zuständigen [X.] eingelegt werden konnte.

9

(1) Der [X.] hat entschieden, dass die Berufung in einer Streitigkeit nach § 43 Nr. 2 [X.] fristwahrend nur bei dem nach § 72 Abs. 2 [X.] zuständigen Berufungsgericht eingelegt werden kann ([X.]. v. 10. Dezember 2009, [X.], [X.], 187, 188; vgl. auch [X.], [X.]. v. 19. Februar 2009, [X.]/08, [X.], 1282 f.). Entschieden hat er ferner, dass eine bei einem danach unzuständigen Berufungsgericht eingelegte Berufung nicht nach näherer Maßgabe von § 281 ZPO an das zuständige Berufungsgericht verwiesen werden kann, sondern als unzulässig zu verwerfen ist, wenn sie dort verspätet eingeht ([X.], [X.]. v. 10. Juli 1996, [X.], NJW-RR 1997, 55 f.; [X.]. v. 19. Juni 2007, [X.] 3/07, NJW-RR 2007, 1436, 1437; [X.], [X.]. v. 10. Dezember 2009, [X.], [X.], 187, 188). Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des [X.]s nur, wenn die Frage, ob eine Streitigkeit im Sinne der genannten Regelungen vorliegt, für bestimmte Fallgruppen noch nicht höchstrichterlich geklärt ist und man über deren Beantwortung mit guten Gründen unterschiedlicher Auffassung sein kann ([X.]. v. 10. Dezember 2009, [X.], [X.], 187, 188). Der [X.] hat seine Auslegung der Vorschrift schließlich auch unter dem von der Rechtsbeschwerde im vorliegenden Verfahren noch einmal problematisierten Gesichtspunkt einer mit Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren Zugangshürde überprüft und sie für unbedenklich gehalten. Ausschlaggebend ist dabei die Überlegung, dass sich die Parteien in der Berufungsinstanz durch Rechtsanwälte vertreten lassen müssen, die mit den Erfordernissen des Berufungsverfahrens vertraut sind und die anhand der Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und der dieses ergänzenden landesrechtlichen Bestimmungen in der Regel unschwer das richtige Rechtsmittelgericht feststellen können ([X.]. v. 10. Dezember 2009, [X.], aaO). Gesichtspunkte, die eine andere Beurteilung erfordern oder nahe legen, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

(2) An die Vorgaben der Rechtsprechung des [X.]s hat sich das Berufungsgericht gehalten. Die Streitigkeit zwischen der Klägerin als Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und der Beklagten als Eigentümer einer Eigentumswohnung in der Wohnanlage über das Hausgeld ist eine wohnungseigentumsrechtliche Streitigkeit nach § 43 Nr. 2 [X.]. Darüber kann ernsthaft nicht gestritten werden. Die Beklagte hat dies in dem bisherigen Verfahren nicht in Zweifel gezogen und ist auch in der Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags von einer wohnungseigentumsrechtlichen Streitigkeit ausgegangen. Zuständiges Berufungsgericht ist damit, was auch die Beklagte angenommen hat, das für den Sitz des [X.] zuständige [X.], es sei denn, dass auf Grund der Ermächtigung in § 72 Abs. 2 Sätze 2 und 3 [X.] (bis zum 31. August 2009: § 72 Abs. 2 Sätze 3 und 4 [X.]) eine abweichende Zuständigkeitsregelung getroffen worden ist. Das ist in [X.] für den Bezirk des [X.] der Fall. Nach dem hier noch maßgeblichen § 2a [X.] ist im Bezirk des [X.] seit dem 1. August 2007 (vgl. Art. 2 der Verordnung vom 20. Juli 2007, [X.]. GVBl. [X.]) nicht das [X.], sondern das [X.] für Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte in [X.] zuständig. Die Ausnutzung der Ermächtigung in § 72 Abs. 2 Sätze 2 und 3 [X.] durch das Land [X.] und der Inhalt der getroffenen Regelung waren unschwer festzustellen. In der [X.] erschienenen 10. Auflage des bekanntesten Kommentar zum Wohnungseigentumsgesetz von [X.] wird auf diese Änderungsmöglichkeit und auf die in der [X.] [X.] veröffentlichte [X.] in [X.]-Sachen (NJW 2008, 1790) hingewiesen ([X.] in [X.], [X.], 10. Aufl., § 43 Rdn. 17), in welcher die abweichende Regelung für den [X.] angeführt wird. Die Regelung selbst ist über die Datenbank Juris oder die kostenfrei nutzbare Vorschriftendatenbank des Landes [X.] ( www.[X.]-voris.de ), die in die Internetseiten des Landes [X.] und des niedersächsischen Justizministeriums eingebunden ist, mit wenigen Handgriffen aufzufinden.

cc) Zutreffend hat das Berufungsgericht der Beklagten schließlich auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist versagt. An der Einhaltung dieser Frist war die Beklagte nämlich nicht, wie es § 233 ZPO verlangt, ohne ihr Verschulden gehindert. Sie beruht vielmehr auf einem Versäumnis ihrer Prozessbevollmächtigten, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

(1) In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass der Rechtsanwalt die Berufungsschrift auf ihre Richtigkeit überprüfen muss ([X.], [X.]. v. 13. Juli 1988, [X.], NJW-RR 1988, 1528, 1529; [X.]. v. 4. November 1992, [X.], NJW-RR 1993, 254, 255; [X.], [X.]. v. 5. März 2009, [X.], [X.], 1750, 1751; Musielak/[X.], ZPO, 6. Aufl., § 233 Rdn. 45). Dazu gehört neben der Bezeichnung der Parteien ([X.], [X.]. v. 24. November 1981, [X.] 11/81, [X.], 191) auch die Bezeichnung des zuständigen Gerichts ([X.], [X.]. v. 7. Oktober 1987, [X.], [X.], 251; [X.]. v. 8. Dezember 1992, [X.] 33/92, [X.], 1381 f.; [X.], [X.]. v. 5. März 2009, [X.], [X.], 1750, 1751). Die dafür erforderliche rechtliche Prüfung der Zuständigkeit ist ein - zudem nicht delegierbarer - Kernbestandteil der Berufungsschrift, die der Rechtsanwalt in jedem Fall vor Einreichung der Berufungsschrift und auch selbst vornehmen muss ([X.], [X.]. v. 5. März 2009, [X.], aaO). Dazu gehört bei einer bundesrechtlichen Zuständigkeitsregelung, die abweichende Regelungen durch das Landesrecht zulässt, auch die Prüfung, ob das betreffende Land hiervon Gebrauch gemacht hat ([X.], [X.]. v. 13. Januar 2009, 5 [X.]/08, juris).

(2) Diese Prüfung haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht, jedenfalls nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen. Sie haben ihre Prüfung bei § 72 Abs. 2 Satz 1 [X.] abgebrochen und es versäumt zu prüfen, ob die Landesregierung oder die Landesjustizverwaltung des Landes [X.] von ihrer Kompetenz nach § 72 Abs. 2 Sätze 2 und 3 [X.] Gebrauch gemacht hat, die Zuständigkeit für die Berufung in [X.] auf ein anderes [X.] im Bezirk des [X.] zu übertragen. Diese Prüfung drängte sich schon nach dem Text der Vorschrift auf (zu diesem Gesichtspunkt: [X.], [X.]. v. 20. April 1979, [X.], NJW 1979, 1414). Sie war, wie aufgezeigt, auch ohne weiteres möglich. Eine fristgerechte Weiterleitung der Berufungsschrift durch das zunächst angerufene unzuständige [X.] schied aus, weil die Berufungsschrift dort erst am Abend des letzten Tages der Frist in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Krüger                                         Klein                              Lemke

                 [X.][X.]

Meta

V ZB 224/09

12.04.2010

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Aurich, 27. Oktober 2009, Az: 4 S 177/09, Beschluss

§ 72 Abs 2 S 2 GVG, § 72 Abs 2 S 3 GVG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 43 Nr 2 WoEigG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.04.2010, Az. V ZB 224/09 (REWIS RS 2010, 7776)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7776

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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