Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.04.2013, Az. VI ZB 50/12

6. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6627

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Gegenstand

Anforderungen an die Begründung von der Rechtsbeschwerde unterliegenden Beschlüssen; Berücksichtigung ergänzenden Parteivortrags bei  Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes der Berufung


Leitsatz

1. Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben.

2. Bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen (Bestätigung des Senatsbeschlusses vom 26. Oktober 2010, VI ZB 74/08, VersR 2011, 646).

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 24. Juli 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

[X.]: 603,77 €

Gründe

I.

1

Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 21. Dezember 2011 als unzulässig verworfen. Der Wert des [X.] übersteige 600 € nicht und das Gericht des ersten [X.] habe die Berufung nicht zugelassen. Der Streitwert für den Berufungsantrag Ziff. 1 betrage 353,77 €, der Streitwert für den Berufungsantrag Ziff. 2 (Feststellungsantrag) lediglich 155,49 €. Ausweislich der Klagebegründung sei der Feststellungsantrag mit möglichen Ersatzansprüchen bezüglich der Mehrwertsteuer auf Reparaturkosten und wegen Nutzungsausfalls begründet worden, was unter Berücksichtigung der nach ständiger Rechtsprechung der Berufungskammer anzuwendenden Tabelle, des Feststellungsabschlags von 20 Prozent und Berücksichtigung der Tatsache, dass lediglich 50 Prozent dieser Beträge eingeklagt seien, zu einem Streitwert von 155,49 € für den Feststellungsantrag führe. Eine höhere Beschwer aufgrund des Umstands, dass der Kläger möglicherweise auf einen Mietwagen angewiesen sei, könne nicht berücksichtigt werden, da mögliche Mietwagenkosten bis zum Schriftsatz vom 24. Mai 2012 kein Thema gewesen seien. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

3

1. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.

4

a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 19. März 2013 - [X.]/12, zur [X.] bestimmt; vom 6. November 2012 - [X.], juris Rn. 4; vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.] 2/11, [X.], 1272 Rn. 3; vom 12. April 2011 - [X.] 31/10, [X.], 1199 Rn. 8; vom 17. November 2009 - [X.] 58/08, [X.], 687 Rn. 4; jeweils mwN). Das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO). Enthält der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht zu einer rechtlichen Prüfung in der Lage. Dies gilt gerade auch dann, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verwirft, weil die [X.] nicht erreicht sei. Denn eine [X.] kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf hin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die angekündigten Anträge zur Kenntnis genommen und zutreffend bewertet und die Grenzen eines ihm gegebenenfalls durch § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19. März 2013 - [X.]/12, z.[X.].; vom 12. April 2011 - [X.] 31/10, aaO; [X.], Beschlüsse vom 14. Juni 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1582 Rn. 5; vom 28. April 2008 - [X.], NJW-RR 2008, 1455 Rn. 4). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts nach sich zieht (vgl. Senatsurteil vom 30. September 2003 - [X.], [X.]Z 156, 216, 220; Senatsbeschluss vom 6. November 2012 - [X.], juris; [X.], Beschlüsse vom 7. April 2011 - [X.] 301/10, [X.], 377 Rn. 3; vom 31. März 2011 - [X.] 160/10, Grundeigentum 2011, 686 Rn. 3; vom 16. September 2010 - [X.] 95/10, juris Rn. 3; vom 11. Mai 2006 - [X.] 70/05, [X.], 1030; vom 9. März 2006 - [X.], [X.], 481; vom 7. April 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 916; vom 5. Februar 2004 - [X.], [X.], 288).

5

b) Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (Senat, Beschlüsse vom 19. März 2013 - [X.]/12, z.[X.].; vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.] 2/11, aaO; vom 22. Januar 2008 - [X.] 46/07, aaO; vom 8. Mai 2007 - [X.] 74/06, aaO; vom 25. April 2007 - [X.] 66/06, aaO).

6

c) Diesen Maßstäben wird die Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. In diesem Beschluss wird der maßgebliche Sachverhalt, über den entschieden werden soll, nicht wiedergegeben. Gleiches gilt für die Anträge beider Instanzen. Der Beschluss enthält auch keine Bezugnahmen, etwa auf das erstinstanzliche Urteil. Alleine die [X.] enthalten keine ausreichenden Informationen über den festgestellten Sachverhalt und das Begehren der Parteien in den beiden Tatsacheninstanzen. Der Verwerfungsbeschluss enthält mithin nicht die für eine Sachprüfung des [X.] erforderlichen Feststellungen.

7

2. Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO), welches über die [X.] erneut zu befinden haben wird.

8

Im Hinblick auf das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

9

Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die - aus welchem Grund auch immer - nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des [X.] konkretisiert werden. Selbst wenn der Kläger nach Abschluss der ersten Instanz erst im Berufungsverfahren vorträgt, dass Schäden in weiterem Umfang entstanden seien bzw. entstehen könnten, als sie in erster Instanz vorgetragen wurden, darf dieser Vortrag bei der [X.] durch das Berufungsgericht nach § 3 ZPO nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ein entsprechender Vortrag in erster Instanz oder bis zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung nicht erfolgte. Der Wert der Beschwer ist vielmehr nach dem Umfang des gesamten Schadens zu bemessen, wie er sich dem Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2010 - [X.] 74/08, [X.], 646 Rn. 8). Anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO, wonach für die Wertberechnung der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend ist. Hierdurch wird nur der für die Wertverhältnisse maßgebliche Zeitpunkt geregelt. Neue Tatsachen zur Wertbestimmung können indes in der Berufungsinstanz vorgetragen werden (vgl. MüKoZPO/[X.], 4. Aufl., § 4 Rn. 9; MüKoZPO/[X.], 4. Aufl., § 511 Rn. 55 f.; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 4 Rn. 9). Bei der Bestimmung des Werts des [X.] gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht daher ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen. Hat das Erstgericht die auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall gerichtete Klage - wie hier auch - hinsichtlich eines [X.] abgewiesen, kann der Wert des [X.] auch durch ausreichend konkret dargelegte Schadenspositionen bestimmt sein, die erstinstanzlich nicht in Ansatz gebracht wurden oder im Raum standen, sofern im Fall einer Verurteilung die Haftung der [X.] auch für diese Positionen festgestellt würde (Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2010 - [X.] 74/08, aaO).

III.

Die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Galke                         Zoll                            [X.]

              Pauge                      von [X.]

Meta

VI ZB 50/12

16.04.2013

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Offenburg, 24. Juli 2012, Az: 1 S 21/12

§ 511 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 547 Nr 6 ZPO, § 576 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.04.2013, Az. VI ZB 50/12 (REWIS RS 2013, 6627)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6627

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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