Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.06.2010, Az. V ZB 9/10

5. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5759

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Gegenstand

Freiheitsentziehungsverfahren: Persönliche Anhörung des Betroffenen vor Anordnung der Sicherungshaft; Anhörung durch beauftragten Richter im Beschwerdeverfahren; Sicherungshaft gegen Familien mit minderjährigen Kindern


Leitsatz

1. Die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 420 Abs. 1 FamFG muss vor der Anordnung der Sicherungshaft erfolgen. Ein Verstoß gegen dieses Gebot ist nicht heilbar .

2. Die von dem Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 FamFG durchzuführende Anhörung des Betroffenen kann unter den Voraussetzungen des § 375 Abs. 1a ZPO auch durch ein Mitglied des Beschwerdegerichts als beauftragten Richter erfolgen .

3. Die Sicherungshaft gegen eine Familie mit minderjährigen Kindern darf nur angeordnet werden, wenn die Abschiebung mit größtmöglicher Beschleunigung betrieben wird (vgl. auch Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008, ABl. L 348/98) .

Tenor

Der Betroffenen wird Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin Dr. A. beigeordnet.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 16. Dezember 2009 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 10. Dezember 2009 und der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 16. Dezember 2009 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben, soweit die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 15. Dezember 2009 angeordnet worden ist.

Im Übrigen wird die Sache zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Betroffene ist [X.] Staatsangehörige. Sie reiste am 7. Dezember 2009 gemeinsam mit ihrem im Jahre 1993 geborenen [X.] und mit [X.], den die Betroffene nach ihren Angaben in [X.] kirchlich geheiratet hat, mit dem Zug von den [X.] über [X.] kommend nach [X.] ein und meldete sich bei der [X.] in [X.]. Diese beantragte die Anordnung der [X.] und ihrer Begleiter in die [X.], die von dem Amtsgericht am 8. Dezember 2009 angeordnet und von dem [X.] am 9. Dezember 2009 aufgehoben wurde.

2

Auf den von der Beteiligten zu 2 gestellten Antrag vom 10. Dezember 2009 hat das Amtsgericht mit [X.]uss vom gleichen Tag gegen die Betroffene [X.] bis längstens 9. März 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet und diesen [X.]uss der Betroffenen in der sich anschließenden Anhörung eröffnet. Der Beschwerde der Betroffenen hat es nicht abgeholfen. Das [X.] hat die Betroffene durch ein Mitglied der Kammer als beauftragten [X.] persönlich angehört und die Beschwerde mit [X.]uss vom 16. Dezember 2009 zurückgewiesen. Dagegen hat die Betroffene am 11. Januar 2010 Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit [X.]uss vom 17. Februar 2010 hat das Amtsgericht die [X.] mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Die Betroffene beantragt festzustellen, dass die [X.]üsse des Amtsgerichts vom 10. Dezember 2009 und des [X.]s vom 16. Dezember 2009 sie in ihren Rechten verletzt haben.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, die Betroffene sei mangels Aufenthaltstitels unerlaubt eingereist. Zudem bestehe der Verdacht, dass sie sich der Zurückschiebung entziehen werde. Die Betroffene selbst habe ihren [X.]n Reisepass in den [X.] vernichtet. [X.] sei mit einem auf einen Dritten ausgestellten Ausweis in die [X.] eingereist. Da die Betroffene nicht in die [X.] zurückkehren wolle, weil ihr dort die Abschiebung in ihre Heimat drohe, lasse auch die freiwillige Vorsprache der Betroffenen bei der [X.] eine Entziehungsabsicht nicht entfallen. [X.] bestünden nicht. Eine Zurückschiebung in die [X.] binnen drei Monaten sei nicht ausgeschlossen.

III.

4

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

5

1. Die Anordnung der [X.] durch das Amtsgericht und die Bestätigung dieser Anordnung durch das [X.] haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt. Das ist in entsprechender Anwendung von § 62 Abs. 1 FamFG (Senat, [X.]. v. 25. Februar 2010, [X.], [X.] 2010, 249, 250; Senat, [X.]. v. 29. April 2010, [X.] 218/09, juris Rdn. 9) festzustellen, weil die Betroffene ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

6

a) Der Anordnung der hier zu prüfenden zweiten [X.] lag allerdings ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Er war anders als der erste von der Beteiligten zu 2 als örtlich und sachlich zuständiger Behörde gestellt.

7

b) Die Entscheidung des Amtsgerichts hat die Betroffene aber deshalb in ihren Rechten verletzt, weil die persönliche Anhörung nach § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht vor, sondern erst nach der Haftanordnung durchgeführt wurde.

8

aa) Die Anhörung des Betroffenen vor der Anordnung der [X.] ist in § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG zwingend vorgeschrieben. Sie kann nicht, wie im vorliegenden Fall, danach erfolgen. Das Gesetz sieht, anders als § 68 FamFG im Rechtsmittelverfahren (dazu Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.] 222/09, [X.] 2010, 246, 247), die Möglichkeit, von der vorherigen Anhörung abzusehen, nur in dem hier nicht gegebenen Fall des § 420 Abs. 2 FamFG vor. Das entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers. Der Empfehlung der Ausschüsse, eine solche Möglichkeit zumindest dann zuzulassen, wenn die Anhörung den Zweck der Haftanordnung gefährden würde (in BT-Drucks. 16/9733 S. 154), ist das Plenum des [X.] nämlich nicht gefolgt. Es hat diese Ergänzung auf Antrag eines [X.] vielmehr gestrichen und den Gesetzentwurf ohne diese Ergänzung beschlossen (BT-Drucks. 16/9831 mit Plenarprotokoll 16/173 S. 18482 A). Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die vorherige Anhörung des Betroffenen eine Verfahrensgarantie ist, die Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht (vgl. BVerfG [X.] 2009, 205, 208; 1996, 198, 200). Die vorherige Anhörung der Betroffenen war hier auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie vor der zwei Tage zuvor angeordneten ersten [X.] persönlich angehört worden war. Die Anhörung ist für jede Haftanordnung durch das Amtsgericht vorgeschrieben und wird durch die Anhörung bei einer früheren Haftanordnung weder entbehrlich noch durch sie ersetzt.

9

bb) Ein Verstoß gegen die Pflicht zur vorherigen Anhörung drückt der gleichwohl angeordneten [X.] den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.] 184/09, Rdn. 12, juris; BVerfG [X.] 1996, aaO [X.]). Dieser Fehler ist nicht heilbar. Deshalb kommt es bei der späteren Überprüfung der Haftanordnung im Rahmen von § 62 FamFG weder auf eine Nachholung der Anhörung noch darauf an, ob die Freiheitsentziehung in der Sache zu Recht angeordnet worden war (Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.] 184/09, juris Rdn. 12; BVerfG [X.] 2009, 164; 2006, 462, 464).

2. Die Entscheidung des [X.] über die Fortdauer der [X.] über den 15. Dezember 2009 hinaus hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht in allen Punkten stand.

a) Das Verfahren des Beschwergerichts ist allerdings nicht zu beanstanden.

aa) Es hat die Betroffene erneut persönlich angehört. Es ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, auch nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht diese Anhörung einem Mitglied der Kammer als beauftragtem [X.] übertragen hat.

(1) Nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG ist die Anhörung des Betroffenen Aufgabe "des Gerichts". Wie diese Aufgabe innerhalb eines aus mehreren [X.]n zusammengesetzten Spruchkörpers wahrzunehmen ist, bestimmt sich nach den Vorschriften über die Sachaufklärung (§ 26 FamFG) und hier nach den Vorschriften über die Beweisaufnahme in den §§ 29, 30 FamFG. Danach erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise in geeigneter Form, wozu auch die Befassung eines Mitgliedes des Spruchkörpers als beauftragten [X.]s gehört. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Anhörung des Betroffenen als Fall einer im Sinne von § 30 Abs. 2 FamFG vorgeschriebenen förmlichen Beweisaufnahme ansieht. Eine förmliche Beweisaufnahme hätte gemäß § 30 Abs. 1 FamFG nach den Regeln der Zivilprozessordnung stattzufinden. Diese erlauben aber sowohl die Vernehmung von Zeugen als auch die Vernehmung von Parteien durch den beauftragten [X.] (§ 375 ZPO und § 451 i.V.m. § 375 ZPO). Voraussetzung ist allerdings, soweit hier einschlägig, dass dies zur Vereinfachung der Verhandlung zweckmäßig erscheint und dass von vornherein anzunehmen ist, dass das Beweisergebnis auch ohne unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Beweisaufnahme sachgemäß gewürdigt werden kann (§ 375 Abs. 1a ZPO).

(2) Auch aus dem Sinn und Zweck der Anhörung nach § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG ergeben sich keine strengeren Anforderungen (vgl. BVerfG [X.] 1996, 198, 201; [X.], [X.]. v. 11. Juli 1984, [X.] b ZB 73/83, NJW 1985, 1702, 1705 zu §§ 50a und [X.]; [X.], 412, 413 zu § 50[X.]; [X.], FamFG, 16. Auflage, § 34 Rdn. 38; a.A. wohl Prütting/[X.]/Jennissen, FamFG, § 420, Rdn. 4). Die Anhörung soll zwar einerseits dem Betroffenen die Möglichkeit geben, sein Anliegen selbst dem Gericht nahe zu bringen. Sie soll andererseits dem Gericht einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschaffen. Diese Ziele werden aber unter den Voraussetzungen des § 375 Abs. 1a ZPO auch erreicht, wenn die Anhörung nicht durch den gesamten Spruchkörper, sondern durch eines seiner Mitglieder erfolgt.

(3) Die Voraussetzungen des § 375 Abs. 1a ZPO lagen hier vor. Die Übertragung der Anhörung auf den beauftragten [X.] diente der Vereinfachung. Nach dem Ergebnis der nachträglichen Anhörung der Betroffenen durch das Amtsgericht und nach dem Beschwerdevorbringen war von vornherein anzunehmen, dass das Ergebnis der Anhörung durch die Kammer auch ohne unmittelbaren Eindruck von deren Verlauf sachgemäß würde gewürdigt werden können. Der tatsächliche Verlauf der Anhörung durch die beauftragte [X.]in bestätigte diese Erwartung. Das Beschwerdegericht hat in seiner Entscheidung auch nur auf den Inhalt der Angaben der Betroffenen in der Anhörung abgestellt und nicht auf Gesichtspunkte, die nur mit einem unmittelbaren Eindruck von dem Verlauf der Anhörung sachgemäß hätten gewürdigt werden können.

bb) Das Beschwerdegericht war entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht verpflichtet, [X.] und/oder den [X.] der Betroffenen an dem Verfahren zu beteiligen und anzuhören.

(1) Die Beteiligung des Lebenspartners und der Kinder des Betroffenen an dem Freiheitsentziehungsverfahren steht nach § 418 Abs. 3 Nr. 1 FamFG im Ermessen des Gerichts. Zwingende Gründe, die eine Beteiligung von [X.] und/oder des [X.]es der Betroffenen geboten, waren nicht ersichtlich. Sie und [X.], der sich gegen die gegen ihn selbst verhängte [X.] gewandt hatte, waren in einer verbundenen Anhörung gemeinsam angehört worden. Dabei hatten sie ihre persönliche Verbindung zueinander dargestellt und eine im Wesentlichen übereinstimmende umfassende Schilderung des Sachverhalts gegeben. Anhaltspunkte dafür, dass eine darüber hinausgehende förmliche Beteiligung von [X.] an dem Verfahren der Betroffenen oder die Beteiligung auch des zudem minderjährigen [X.]es zusätzliche Gesichtspunkte aufzeigen konnten, bestanden nicht. Deshalb kann auch unentschieden bleiben, ob die Kinder eines Betroffenen wie nach dem bisherigen Recht (dazu: [X.] in [X.], [X.], 3. Aufl., § 70d, Rdn. 6; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 15. Auflage, § 70d, Rdn. 4) nur dann nach § 418 Abs. 3 Nr. 1 FamFG beteiligt werden können, wenn sie volljährig sind (dafür: [X.]/[X.]/[X.], FamFG, 2. Aufl., § 418, Rdn. 12).

(2) [X.] hat das Beschwerdegericht gemeinsam mit der Betroffenen angehört. Den [X.] der Betroffenen brauchte es schon deshalb nicht nach § 420 Abs. 3 Satz 1 FamFG anzuhören, weil es ihn weder am Verfahren beteiligt hatte noch dazu verpflichtet war. Nach § 26 FamFG war die Anhörung ebenfalls nicht geboten, weil nichts dafür ersichtlich war, dass diese zusätzliche Erkenntnisse erbringen könnte.

cc) Das Beschwerdegericht war nicht verpflichtet, die [X.] beizuziehen. Von der grundsätzlich notwendigen Vorlage der Ausländerakte nach § 417 Abs. 2 Satz 3 FamFG kann abgesehen werden, wenn sich der festzustellende Sachverhalt aus den vorgelegten Teilen vollständig ergibt und die nicht vorgelegten Teile keine weiteren Erkenntnisse versprechen (Senat, [X.]. v. 4. März 2010, [X.] 222/09, [X.] 2010, 246, 248 f.). So liegt es hier. Die Beteiligte zu 2 hat in ihrem Antrag Bezug genommen auf die Unterlagen der [X.] vom 8. Dezember 2009 durch Angabe des Aktenzeichens in dem zuvor geführten Verfahren. Das Beschwerdegericht hat die entsprechenden Akten beigezogen. Hieraus ergeben sich alle entscheidungsrelevanten Umstände.

b) In der Sache ist die Anordnung der Fortdauer der Haft aber mit der gegebenen Begründung nicht zu rechtfertigen.

aa) Die Betroffene war nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] vollziehbar ausreisepflichtig, weil sie unerlaubt eingereist ist. Sie führte keinen gültigen Pass bei sich und hatte auch nicht den nach § 14 Abs. 1 [X.] erforderlichen Aufenthaltstitel. Dieser ergab sich nicht daraus, dass sie mit [X.] um Aufnahme als Spätaussiedler nachsuchen wollte. Spätaussiedler müssen die Aufnahme in das [X.] nach § 26 [X.] grundsätzlich von ihrem Wohnsitz in den [X.] aus betreiben und dürfen erst einreisen, wenn ihnen ein Aufnahmebescheid nach § 27 [X.] erteilt worden ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn der Betroffene erwiesenermaßen die Anforderungen des § 4 [X.] erfüllt. Dann nämlich ist er nach § 4 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.] und nach Art. 11 GG berechtigt, auch ohne Aufnahmebescheid in das [X.] einzureisen (BVerwGE 122, 313, 316 f.). Ihm ist der Aufnahmebescheid dann nach § 27 Abs. 2 [X.] nachträglich zu erteilen. Liegen die Voraussetzungen des § 4 [X.] aber nicht erweislich vor, ist der [X.] nicht berechtigt, ohne Aufnahmebescheid in das [X.] einzureisen und dort zu bleiben, bis ihm eine Bescheinigung nach § 15 [X.] erteilt ist ([X.], [X.]. v. 21. Februar 2007, 2 A 4862/05, juris Rdn. 7). Dieser zweite Fall lag hier vor. Die Betroffene hat behauptet, [X.] sei [X.]. Nachweise darüber lagen und liegen nicht vor. In einer solchen Lage muss der Haftrichter von dem Grundsatz des § 26 [X.] ausgehen, wonach die Einreise nur erlaubt ist, wenn ein Aufnahmebescheid entweder nach § 27 Abs. 1 [X.] vor der Einreise oder nach § 27 Abs. 2 [X.] vor der Festnahme erteilt ist. Daran fehlt es hier.

bb) Das Beschwerdegericht hat zu Recht auch einen Haftgrund angenommen.

(1) Die Haftanordnung war auf Grund der unerlaubten Einreise schon nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] gerechtfertigt. Es lag zudem der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 [X.] vor. Nach den Feststellungen des [X.] und dem zu berücksichtigenden unzweifelhaften Akteninhalt (vgl. Senat, [X.]. v. 29. April 2010, [X.] 218/09, juris Rdn. 18) beabsichtigt die Betroffene, sich der Abschiebung in die [X.] zu entziehen. Sie hat sich zwar von sich aus nach der Einreise bei der [X.] gemeldet. Die freiwillige Meldung des Betroffenen bei den zuständigen Behörden kann ein Anzeichen dafür sein, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will (vgl. [X.], [X.] 2002, 320; [X.], [X.] 2002, 478). Hier liegt es aber anders. Die Betroffene hat bei ihrer Anhörung eindeutig erklärt, nicht in die [X.] zurückkehren zu wollen, weil sie von dort nach [X.] abgeschoben werde. Deshalb ist zu befürchten, dass sie einer entsprechenden Abschiebung nicht Folge leisten, sondern versuchen wird, sie zu verhindern.

(2) Das Beschwerdegericht hat daher auch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass Umstände im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 3 [X.], die eine freiwillige Ausreise der Betroffenen glaubhaft hätten erscheinen lassen, aufgrund der festgestellten Entziehungsabsicht nicht vorgelegen haben.

cc) Die gegebene Begründung trägt die Entscheidung des [X.] aber deshalb nicht, weil sich danach nicht beurteilen lässt, ob die Anordnung der Fortdauer der Haft noch verhältnismäßig war.

(1) Die Anordnung der [X.] ist nur verhältnismäßig, wenn die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist und der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht (BVerfG [X.] 2008, 358, 359). Deshalb durfte das Beschwerdegericht nicht bei der Feststellung der Haftgründe nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 5 [X.] stehen bleiben. Es musste vielmehr prüfen, ob die Wirkungen der Haft noch in einem angemessenen Verhältnis zu der angestrebten Abschiebung in die [X.] standen (vgl. BVerfG [X.] 1994, 342, 344). Das ist zweifelhaft.

(2) Die Haftanordnung führte nämlich dazu, dass die Betroffene weiterhin von ihrem minderjährigen [X.] und [X.] getrennt blieb. Das ist zwar im Interesse der Durchsetzung der Ausreisepflicht grundsätzlich gerechtfertigt, wenn ein Haftgrund vorliegt. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass hierin ein Eingriff in das Grundrecht auf den Schutz der Familie nach Art. 6 GG und in die Rechte nach Art. 8 [X.] liegt. Dafür ist es unerheblich, dass die Betroffene mit [X.] allenfalls kirchlich getraut ist. Denn das ändert nichts daran, dass schon ihr Verhältnis zu ihrem [X.] am Schutz der Familie nach Art. 6 GG teilnimmt (vgl. [X.] 80, 81, 90; BVerwGE 117, 380, 389). Zudem genießen auch faktische Beziehungen zwischen Erwachsenen den Schutz des Art. 8 [X.], wenn Elemente einer Abhängigkeit dargelegt werden, die über die üblichen gefühlsmäßigen Bindungen hinausgehen ([X.], Urt. v. 17. April 2003, 52853/99 - [X.] gegen [X.], [X.], 2147, 2148 Rdn. 44). Solche Bindungen zu [X.] hat die Betroffene hier dargelegt. Dem Schutz, den sie nach Art. 6 GG und, wenn ihre Darlegungen zu ihrer Beziehung zu [X.] zutreffen, auch nach Art. 8 [X.] genießt, wird die Anordnung von [X.] nur gerecht, wenn es keine andere Möglichkeit gibt und wenn die Abschiebung mit größtmöglicher [X.]eunigung betrieben wird. Aus diesem Grund lässt Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/[X.] vom 16. Dezember 2008 ([X.] L 348/98) die Anordnung von [X.] bei Familien mit minderjährigen Kindern nur im äußersten Fall und für die kürzestmögliche angemessene Dauer zu. Das ist nicht erst nach Ablauf der Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie am 24. Dezember 2010, sondern nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit schon jetzt geboten.

(3) Feststellungen dazu fehlen. Sie waren aber erforderlich und - mangels ausreichenden Vortrags im Antrag der Beteiligten zu 2 - nach § 26 FamFG von Amts wegen zu treffen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Fortdauer der Haft nach gebotener Sachaufklärung aus damaliger Sicht als verhältnismäßig erweist. Die Sache ist deshalb insoweit nicht entscheidungsreif und nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

Krüger     

        

Klein     

        

Lemke

        

Schmidt-Räntsch     

        

[X.]     

        

Meta

V ZB 9/10

17.06.2010

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Kaiserslautern, 16. Dezember 2009, Az: 1 T 242/09, Beschluss

§ 68 Abs 3 S 1 FamFG, § 420 Abs 1 FamFG, § 62 Abs 2 AufenthG, § 375 Abs 1a ZPO, Art 17 Abs 1 EGRL 115/2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.06.2010, Az. V ZB 9/10 (REWIS RS 2010, 5759)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5759

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