Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 02.02.2023, Az. 5 C 8/21

5. Senat | REWIS RS 2023, 3206

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Gegenstand

Unzureichende Anhörung und ermessensfehlerhafte Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 130a VwGO


Leitsatz

1. Eine mündliche Anhörung kann nur dann den Anforderungen des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO genügen, wenn sie vom Gericht aktenkundig gemacht und den Beteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist.

2. Hat sich die Prozesssituation durch eine entscheidungserhebliche Änderung der Rechtslage wesentlich geändert, ist das Oberverwaltungsgericht verpflichtet, die Beteiligten erneut gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO anzuhören, wenn es daran festhalten will, im Beschlussverfahren nach § 130a Satz 1 VwGO zu entscheiden.

3. Hat das Oberverwaltungsgericht nach § 130a Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden, verletzt dies nicht nur den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern kann auch gegen das Recht der Beteiligten auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen und damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 138 Nr. 1 VwGO begründen, wenn der Verfahrensverstoß zu einem Besetzungsfehler führt, weil Landesrecht für das Beschlussverfahren eine andere Besetzung des Gerichts vorsieht als für das Urteilsverfahren.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 12. Juli 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das [X.] zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Der Kläger ist der Spitzenverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Er betreibt unter anderem die "[X.], Campus [X.]" ([X.]). Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Betrieb der [X.] einer jugendhilferechtlichen Erlaubnis bedarf, weil dort im Rahmen der dreijährigen Ausbildung zu Sozialversicherungsfachangestellten mehrmals im Jahr ein- bis siebenwöchige Vollzeitkurse durchgeführt werden, an denen auch minderjährige Auszubildende teilnehmen.

2

Die vom Kläger erhobene Klage auf Feststellung, dass die [X.] nicht der Erlaubnispflicht unterliegt, soweit sich dort Minderjährige aufhalten, hatte keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Feststellungsklage schon als unzulässig abgewiesen und darüber hinaus ausgeführt, sie "wäre" auch unbegründet. Hiergegen hat der Kläger Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht eingelegt. Dieses hat den Beteiligten mit Schreiben der Berichterstatterin vom 27. Mai 2021 folgenden Hinweis übermittelt:

"In pp. zieht der [X.] wegen der pandemiebedingten Einschränkungen von Sitzungen (auch solchen ohne mündliche Verhandlung) - wie bereits telefonisch besprochen - in Erwägung, gemäß § 130a Satz 1 VwGO über die Berufung durch Beschluss zu entscheiden, soweit der [X.] diese für einstimmig begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Der [X.] beabsichtigt, die Revision gegen die Entscheidung zuzulassen.

Gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO wird Ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zehn Tagen ab Erhalt dieses Schreibens gegeben."

3

Nach Erhalt dieser Anhörungsmitteilung erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 7. Juni 2021 gegenüber dem Gericht, er sei mit einer Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung einverstanden und bat darum, die Revision zuzulassen. Mit weiterem Schriftsatz vom 17. Juni 2021 wies der Kläger auf das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes ([X.]) vom 3. Juni 2021 sowie auf den durch dieses Gesetz eingefügten § 45a [X.] hin. Dazu machte er geltend, diese Neuregelung stütze seine Rechtsposition, dass die [X.] als Einrichtung mit anderer Zweckbestimmung gerade nicht von dem Erlaubnisvorbehalt des § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 45a [X.] erfasst sei. Nach Gewährung der von ihm beantragten Akteneinsicht teilte der Kläger dem Oberverwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 5. Juli 2021 mit, aus der Akte ergäben sich keine relevanten Erkenntnisse für die Beurteilung der streitentscheidenden Rechtsfragen, eine weitere Stellungnahme sei nicht beabsichtigt, das Gericht möge entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht hat am 12. Juli 2021 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a VwGO entschieden und die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, jedoch aus den näher dargelegten Gründen unbegründet.

4

Mit seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger neben der Verletzung materiellen Rechts, dass die Entscheidung der [X.] ergangen sei. Das Oberverwaltungsgericht habe nicht im schriftlichen Verfahren nach § 130a VwGO entscheiden dürfen. Es habe daher sein Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, sodass ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 138 Nr. 3 VwGO vorliege. Er sei bereits nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 130a VwGO angehört worden, weil sowohl bei Erlass der Anhörungsmitteilung am 27. Mai 2021 als auch in einem Telefonat mit der Vorsitzenden des [X.]s mit seinem Prozessbevollmächtigten am 17. Juni 2021 im Ergebnis noch offen gewesen sei, wie das Oberverwaltungsgericht entscheiden wolle. Ebenso wenig sei eine neuerliche Anhörung zur Frage der Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfolgt, die wegen der Änderung der Rechtslage durch Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes während des Berufungsverfahrens erforderlich geworden sei. Das Oberverwaltungsgericht habe zudem sachwidrig von § 130a Satz 1 VwGO Gebrauch gemacht, weil die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach alledem geboten gewesen sei. Zum Ablauf des Verfahrens trägt der Kläger vor, die [X.]svorsitzende habe schon vor der Anhörungsmitteilung vom 27. Mai 2021 ein Telefongespräch mit seinem Prozessbevollmächtigten geführt. Darin habe sie mitgeteilt, vom [X.] her passe die Einrichtung nicht recht unter die Regelung des § 45 [X.] über die Erlaubnispflicht. Dabei handle es sich aber nicht um das Ergebnis einer Vorberatung oder einer abgestimmten einheitlichen Einschätzung des [X.]s. Bislang liege nur ein Votum der Berichterstatterin vor. Die [X.]svorsitzende habe [X.] am 17. Juni 2021 mit seinem Prozessbevollmächtigten telefoniert und diesem mitgeteilt, dass der [X.] zwar zur Abweisung der Klage als unbegründet neige. Sie habe die in seinem Schriftsatz vom gleichen Tage mit Blick auf die Gesetzesänderung geäußerten inhaltlichen Einwände aber nachvollziehen können und erklärt, dass sich der [X.] damit noch auseinandersetzen müsse. In der Gerichtsakte befinden sich keine Vermerke oder sonstige Hinweise über die beiden vom Kläger geschilderten Telefonate.

5

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung in materiell-rechtlicher Hinsicht, ohne sich zu der Frage eines Verstoßes gegen § 130a VwGO zu äußern.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Revision ist begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Verletzung von [X.]undesrecht, weil sie [X.] ergangen ist. Das Oberverwaltungsgericht durfte nicht gemäß § 130a VwGO im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil es den Kläger - erstens - zuvor nicht ordnungsgemäß nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört (1.) und darüber hinaus - zweitens - ermessensfehlerhaft gemäß § 130a Satz 1 VwGO von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat (2.). [X.]eide Verfahrensfehler begründen zugleich eine Verletzung des Anspruchs des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3 VwGO). Überdies begründet der zweite Verfahrensfehler in Gestalt der ermessensfehlerhaften Anwendung des § 130a VwGO hier auch einen vom Kläger der Sache nach ebenfalls gerügten Verstoß gegen das Recht auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Jedenfalls der deswegen vorliegende absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 1 VwGO führt gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Aufhebung der Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht (3.).

7

1. Der Kläger ist vor der Entscheidung des [X.] nicht ordnungsgemäß nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört worden. Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verfahrensfehler ist wegen [X.] zwar noch nicht durch die schriftliche Anhörungsmitteilung des [X.] vom 27. Mai 2021 begründet worden (a). Das Oberverwaltungsgericht ist jedoch seiner Verpflichtung zur erneuten Anhörung des [X.] gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO, die nach diesem Zeitpunkt entstanden ist, nicht ausreichend nachgekommen (b).

8

a) Obgleich die schriftliche Anhörungsmitteilung des [X.] vom 27. Mai 2021 nicht ordnungsgemäß war (aa), kann sich der Kläger im Revisionsverfahren auf diesen Verfahrensfehler nicht erfolgreich berufen, weil er sein [X.] gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 295 und 556 ZPO verloren hat (bb).

9

aa) Die Anhörungsmitteilung des [X.] vom 27. Mai 2021 genügte nicht den Anforderungen des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO. Danach sind die [X.]eteiligten vor einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung in dem Verfahren nach § 130a VwGO zu hören.

[X.]ei der Entscheidung nach § 130a VwGO handelt es sich um eine Ausnahme von der grundsätzlich im Mittelpunkt des [X.]erufungsverfahrens stehenden mündlichen Verhandlung. Die Vorschrift verleiht dem [X.]erufungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen die [X.]efugnis, auch gegen den Willen der [X.]eteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten. Mit Rücksicht darauf sowie auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] werden in der Rechtsprechung des [X.] an das Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen strenge Anforderungen gestellt. Das gilt auch für die nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO vorgeschriebene Anhörungsmitteilung. Eine ordnungsgemäße Anhörung zum [X.]eschlussverfahren nach § 130a VwGO setzt voraus, dass die Anhörung unmissverständlich erkennen lässt, wie das [X.]erufungsgericht zu entscheiden beabsichtigt, und zwar sowohl hinsichtlich der Verfahrensweise - ohne mündliche Verhandlung durch [X.]eschluss - als auch hinsichtlich der beabsichtigten Sachentscheidung - [X.]egründetheit oder Unbegründetheit der [X.]erufung - (stRspr, vgl. z. [X.]. [X.]VerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 [X.] 39.99 - [X.]VerwGE 111, 69 <75 f.> und [X.]eschlüsse vom 5. September 2007 - 3 [X.] 33.07 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 75 Rn. 4 und vom 12. Juni 2018 - 9 [X.] 4.18 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 89 Rn. 14, jeweils m. w. N.). Demgegenüber setzt eine ordnungsgemäße Anhörung nicht voraus, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die in § 130a Satz 1 VwGO verlangte einstimmige Überzeugungsbildung des [X.]s vorliegen muss, auf die es erst bei der anschließenden [X.]eschlussfassung nach § 130a VwGO ankommt ([X.]VerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 [X.] 39.99 - [X.]VerwGE 111, 69 <76>).

Den dargelegten Anforderungen genügte die schriftliche Anhörungsmitteilung vom 27. Mai 2021 schon deshalb nicht, weil sie keinerlei Festlegung dazu enthält, welche Entscheidung in der Sache getroffen werden sollte, sondern lediglich unter Wiederholung des Gesetzeswortlauts mitteilte, dass eine Entscheidung über die [X.]erufung gemäß § 130a Satz 1 VwGO in Erwägung gezogen werde, "soweit der [X.] diese für einstimmig begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält". Eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Konkretisierung lässt sich der Anhörungsmitteilung vom 27. Mai 2021 selbst dann nicht entnehmen, wenn davon ausgegangen wird, dass es zuvor ein Telefongespräch der [X.]svorsitzenden mit dem Prozessbevollmächtigten des [X.] mit dem von diesem geschilderten Inhalt gegeben hat. Denn unabhängig davon, ob und inwieweit eine solche (ergänzende) mündliche Erläuterung überhaupt den formellen Anforderungen des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO genügen kann, hat die [X.]svorsitzende jedenfalls auch in dem vom Kläger geschilderten Telefonat nicht eindeutig mitgeteilt, wie der [X.] zu entscheiden beabsichtigte.

bb) Der Kläger kann sich allerdings auf diesen Verstoß gegen das Anhörungserfordernis des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO und die darauf gestützte Rüge der Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht berufen, weil er sein [X.] nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 295 und 556 ZPO bereits in der [X.]erufungsinstanz verloren hat.

Gemäß § 173 Satz 1 VwGO sind die zivilprozessualen Vorschriften über den Verlust des [X.]s und insbesondere § 295 ZPO auch im Verwaltungsprozess anwendbar (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 16. Dezember 1980 - 6 [X.] 110.79 - [X.] 1982, 30 f. und [X.]eschlüsse vom 6. Juli 1998 - 9 [X.] - [X.] 303 § 391 ZPO Nr. 1 S. 2 und vom 18. Juli 2019 - 2 [X.] 7.19 - [X.] 303 § 295 ZPO Nr. 18 Rn. 9 m. w. N.). Das gilt auch für § 556 ZPO (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 4 [X.] 37.13 - NVwZ-RR 2015, 292 Rn. 19 und [X.]eschluss vom 22. August 2000 - 2 [X.] 47.00 - [X.] 310 § 125 VwGO Nr. 14 S. 2). Danach kann die Verletzung einer das Verfahren der [X.]erufungsinstanz betreffenden Vorschrift in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, wenn die [X.] das [X.] bereits in der [X.]erufungsinstanz nach der Vorschrift des § 295 ZPO verloren hat. § 295 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden kann, wenn die [X.] auf die [X.]efolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf [X.]ezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Die Regelung findet auch Anwendung, wenn in einem schriftlichen Verfahren entschieden werden soll. In diesen Fällen muss der Verfahrensfehler grundsätzlich in dem auf den Verfahrensfehler folgenden Schriftsatz gerügt werden (vgl. etwa [X.], in: [X.]/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2023, § 295 Rn. 42; Prütting, in: [X.] Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 295 Rn. 41).

Der Verlust des [X.]s ist in Fällen, in denen wie hier eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend gemacht wird, nicht gemäß § 295 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Danach ist § 295 Abs. 1 ZPO nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren [X.]efolgung eine [X.] wirksam nicht verzichten kann. Die Vorschrift meint solche Verfahrensvorschriften, an deren Einhaltung im Sinne einer geordneten und funktionsfähigen Rechtspflege ein vorrangiges öffentliches Interesse besteht (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 18. Juli 2019 - 2 [X.] 7.19 - [X.] 303 § 295 ZPO Nr. 18 Rn. 12 m. w. N.). Zu diesen Vorschriften gehört Art. 103 Abs. 1 GG nicht. Trotz seiner verfassungsrechtlichen Verankerung ist der Anspruch auf rechtliches Gehör den [X.]eteiligten zur Wahrung ihrer eigenen Interessen eingeräumt. Das gilt nicht nur für den [X.]ereich des Zivilprozesses, sondern trifft in gleicher Weise auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu, sodass es einem [X.]eteiligten freisteht, auf die ihm zur Wahrnehmung seiner Rechte eingeräumten [X.] zu verzichten ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. April 1983 - 9 [X.] 1610.81 - [X.] 310 § 55 VwGO Nr. 6 S. 2 m. w. N.). Der Kläger kann sich daher auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Revisionsverfahren nicht mehr berufen, wenn sich entweder aus den Umständen ergibt, dass sein Prozessbevollmächtigter auf eine Rüge des ihm bekannten Mangels verzichtet (vgl. dazu sowie zum konkludenten Rügeverzicht [X.]eschluss vom 29. Mai 1991 - 4 [X.] - [X.] 303 § 295 ZPO Nr. 12 S. 8) oder den Fehler bzw. Mangel nicht im nächsten Schriftsatz an das Gericht gerügt hat, obgleich ihm der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. So liegt es hier.

Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat in seinem Schriftsatz vom 7. Juni 2021 den offensichtlichen [X.] nicht beanstandet, obgleich ihm als [X.] zumindest hätte bekannt sein müssen, dass die schriftliche Anhörungsmitteilung des [X.] vom 27. Mai 2021 (offensichtlich) fehlerhaft war. Im Gegenteil hat er sich nicht nur [X.] auf das weitere Verfahren nach § 130a VwGO eingelassen, sondern sogar ausdrücklich erklärt, mit der vom Oberverwaltungsgericht vorgeschlagenen Verfahrensweise einverstanden zu sein.

b) Das Oberverwaltungsgericht ist jedoch seiner nach diesem Zeitpunkt entstandenen Verpflichtung zur erneuten Anhörung des [X.] gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO nicht ausreichend nachgekommen.

aa) Nach den vorgenannten Regelungen war das Oberverwaltungsgericht verpflichtet, den Kläger nach dem Verlust des [X.]s erneut anzuhören, weil sich die [X.] durch eine entscheidungserhebliche Änderung der Rechtslage wesentlich geändert hat.

Einer erneuten Anhörung nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO bedarf es, wenn ein [X.]eteiligter auf die erste Anhörung hin wesentliche neue Tatsachen oder Rechtsausführungen vorbringt oder sich sonst die [X.] wesentlich geändert hat (stRspr, vgl. z. [X.]. [X.]VerwG, Urteil vom 25. August 1999 - 8 [X.] 12.98 - [X.] 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 35 S. 1 und 4 sowie [X.]eschlüsse vom 15. Mai 2008 - 2 [X.] 77.07 - NVwZ 2008, 1025 <1026>, vom 2. März 2010 - 6 [X.] 72.09 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 80 Rn. 7 ff., vom 29. Juni 2020 - 2 [X.] 37.19 - juris Rn. 21 und vom 22. März 2021 - 1 [X.] 4.21 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 93 S. 17). Eine wesentliche Änderung der [X.] kann auch eintreten, wenn sich - wie hier - das vom [X.]erufungsgericht heranzuziehende entscheidungserhebliche materielle Recht nach der erstinstanzlichen Entscheidung des [X.] geändert hat. [X.]ei der Auslegung des § 130a VwGO ist die Wertung des Art. 6 Abs. 1 [X.] mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des [X.] gefunden hat, vorrangig zu berücksichtigen. Danach ist entscheidend, ob eine veränderte [X.] - ausgehend von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des [X.]erufungsgerichts - erstmals Rechtsfragen oder Tatsachen entscheidungserheblich werden lässt, auf die es zuvor nicht ankam und die deshalb im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht in mündlicher Verhandlung zu erörtern waren. Art. 6 Abs. 1 [X.] gebietet in diesen Fällen grundsätzlich, dass die [X.]eteiligten die Gelegenheit erhalten, sich zu den neuen entscheidungserheblichen Fragen in einer mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht zu äußern. Sieht das Oberverwaltungsgericht gleichwohl Gründe dafür, an der beabsichtigten Entscheidung im [X.]eschlussverfahren nach § 130a Satz 1 VwGO festzuhalten, sind die [X.]eteiligten auf jeden Fall erneut gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO anzuhören. Das gilt für wesentlich neue Rechtsfragen ebenso wie für neue Tatsachenfragen, weil zu beidem rechtliches Gehör in [X.] Form zu gewähren ist (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 18. Dezember 2014 - 8 [X.] 47.14 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 85 Rn. 7 und vom 8. März 2017 - 9 [X.] 22.16 - juris Rn. 14). So liegt es hier.

Mit dem Inkrafttreten des [X.] (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - [X.]) in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 3. Juni 2021 ([X.]G[X.]l. I S. 1444) zum 10. Juni 2021 hat sich die maßgebliche Rechtslage und damit die [X.] wesentlich geändert. Denn durch dieses Gesetz wurde § 45a in das Achte [X.]uch des Sozialgesetzbuchs (SG[X.] VIII) eingefügt, der eine Legaldefinition des [X.]egriffs der "Einrichtung" enthält, und es wurde ein entsprechender Verweis auf diese Legaldefinition in § 45 Abs. 1 Satz 1 SG[X.] VIII aufgenommen. Die Rechtsänderung betraf damit nach der insofern maßgeblichen Rechtsauffassung des [X.] unmittelbar die zwischen den [X.]eteiligten streitige Frage des Umfangs der [X.]etriebserlaubnispflicht nach § 45 Abs. 1 SG[X.] VIII. So hat sich das Oberverwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zur [X.]egründung der aus seiner Sicht bestehenden Erlaubnispflicht ausdrücklich auf die Neuregelung des § 45a SG[X.] VIII gestützt, die es unter Vornahme einer umfänglichen Interpretation als [X.]eleg dafür herangezogen hat, dass Einrichtungen, die - wie diejenige des [X.] - der [X.]erufsausbildung von Jugendlichen dienen, dem Einrichtungsbegriff und damit dem Erlaubnisvorbehalt unterfielen, weil der [X.] der "Ausbildung" bewusst in die Legaldefinition aufgenommen worden sei. Darüber hinaus hat das Oberverwaltungsgericht den vom Kläger für sich in Anspruch genommenen Ausnahmetatbestand der "Jugendbildungseinrichtung" (§ 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 SG[X.] VIII) auch unter Verweis auf die Neuregelung des § 45a Satz 1 SG[X.] VIII verneint, da die Regelung entsprechend dem allgemeinen [X.]egriffsverständnis explizit zwischen "[X.]ildung" und "Ausbildung" unterscheide, was [X.], dass der Gesetzgeber lediglich solche Einrichtungen vom Erlaubnisvorbehalt habe ausnehmen wollen, die der (nicht berufsbezogenen) Jugendbildung dienten.

bb) Der Kläger ist nach dieser Änderung der entscheidungserheblichen Rechtslage nicht ordnungsgemäß gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört worden. Das insoweit allein als Anhörung in [X.]etracht kommende Telefongespräch, das die [X.]svorsitzende nach dem Vortrag des [X.] am 17. Juni 2021 mit seinem Prozessbevollmächtigten geführt haben soll, genügt jedenfalls nicht den vorstehend dargelegten gesetzlichen Anforderungen. Dabei kann dahinstehen, ob die der [X.]svorsitzenden zugeschriebene Erklärung überhaupt als Anhörung gemeint war und verstanden werden musste. Auch wenn dies nach dem objektiven Empfängerhorizont der Fall und das Telefonat als (ergänzende) Anhörung zu verstehen sein sollte, genügte es jedenfalls nicht den Erfordernissen, die sich aus § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO an mündliche Erklärungen ergeben. Danach entspricht eine mündliche Anhörung nur dann den sich aus den vorgenannten Regelungen folgenden gesetzlichen Anforderungen, wenn sie vom Gericht aktenkundig gemacht, also schriftlich in den Akten dokumentiert, und den [X.]eteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist.

(1) § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO schließen es - obgleich die schriftliche Anhörungsmitteilung in der Praxis üblich und aus Gründen der Rechtssicherheit sinnvoll ist (vgl. [X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 125 Rn. 46 und § 130a Rn. 20; Rudisile, in: [X.]/[X.], Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 125 VwGO Rn. 11 m. w. N.) - zwar nicht aus, dass eine Anhörung auch mündlich erfolgen kann (vgl. [X.], in: [X.], VwGO, 16. Aufl. 2022, § 130a Rn. 8). Denn seinem Wortlaut nach verlangt § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO lediglich, dass die "[X.]eteiligten [...] vorher zu hören" sind und schreibt die Schriftform nicht ausdrücklich vor.

(2) Die insbesondere am Sinn und Zweck des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO sowie an deren systematischen [X.]ezügen orientierte Auslegung ergibt jedoch, dass eine mündliche Anhörung nur dann den gesetzlichen Anforderungen genügt, wenn sie vom Gericht hinreichend aktenkundig gemacht und den [X.]eteiligten zur Kenntnis gebracht worden ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] sind an die Ordnungsmäßigkeit einer Anhörung in formeller und inhaltlicher Hinsicht strenge Anforderungen zu stellen, weil das damit eingeleitete Verfahren es dem [X.]erufungsgericht ermöglicht, ohne die auch im [X.]erufungsverfahren grundsätzlich vorgesehene mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 i. V. m. § 101 Abs. 1 VwGO) zu entscheiden (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 22. April 1999 - 9 [X.] 1037.98 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 38 S. 14 und 16, vom 5. September 2007 - 3 [X.] 33.07 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 75 Rn. 4, vom 24. April 2017 - 6 [X.] 17.17 - juris Rn. 11 sowie vom 22. März 2021 - 1 [X.] 4.21 - juris Rn. 10, jeweils m. w. N.). Die [X.]eteiligten müssen deshalb in der Anhörung unter anderem den Hinweis erhalten, dass sie sich zu dem beabsichtigten Verfahren äußern können ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 13. August 2015 - 4 [X.] 15.15 - juris Rn. 5 und vom 24. April 2017 - 6 [X.] 17.17 - juris Rn. 11). Dies macht es zunächst zwingend erforderlich, dass eine Anhörung allen Verfahrensbeteiligten übermittelt bzw. zur Kenntnis gebracht wird (vgl. bereits [X.]VerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 7 [X.] 76.78 - [X.] 312 [X.] Nr. 12, wonach eine Anhörungsmitteilung nur dann ordnungsgemäß ist, wenn sie den [X.]eteiligten zugegangen und der Zugang durch das Gericht nachgewiesen ist).

Dabei genügt eine mündliche Anhörung nur dann den formellen Anforderungen des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO, wenn sie vom Gericht schriftlich dokumentiert und aktenkundig gemacht worden ist. Verleiht der Gesetzgeber, wie in § 130a VwGO geschehen, dem [X.]erufungsgericht unter bestimmten Voraussetzungen die [X.]efugnis, gegen den Willen der [X.]eteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu verzichten, entspricht es den Grundsätzen eines fairen Verfahrens, eine hinreichende und für die [X.]eteiligten transparente Dokumentation der Anhörungsmitteilung zu verlangen, weil diese nur so ihrer Funktion, den [X.]eteiligten eine verfahrensangemessene Äußerungsmöglichkeit zu eröffnen, gerecht werden und damit zugleich den Wegfall der mündlichen [X.]erufungsverhandlung teilweise kompensieren kann (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 [X.] 39.99 - [X.]VerwGE 111, 69 <74>). Eine schriftliche Dokumentation ist nach dem dargelegten Sinn und Zweck des § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auch aus Gründen der Rechtssicherheit geboten, um einen hinreichenden Schutz vor Unsicherheiten über den Erklärungsinhalt von mündlichen Erklärungen zu gewährleisten. Demgemäß hat das [X.]undesverwaltungsgericht für den (umgekehrten) Fall des Verzichts auf mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO bereits entschieden, dass eine dem Gericht nur fernmündlich mitgeteilte Verzichtserklärung jedenfalls dann unwirksam ist, wenn sie vom Gericht nicht so aktenkundig gemacht worden ist, dass jeder erhebliche Zweifel über den Erklärungsinhalt ausgeschlossen wird (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 7. November 1980 - 1 [X.] 101.76 - [X.] 401.8 Verwaltungsgebühren Nr. 12 S. 28 und vom 22. Juni 1982 - 2 [X.] 78.81 - [X.] 310 § 101 VwGO Nr. 13 S. 7). Für das Erfordernis einer schriftlichen Dokumentation einer mündlichen Anhörung nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO spricht darüber hinaus, dass die Aktenführung durch das Gericht der Schaffung einer rechtsstaatlich gebotenen Verfahrenstransparenz dient (vgl. Rudisile, in: [X.]/[X.], Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 100 VwGO Rn. 6 m. w. N.). Dies erfordert die vollständige und richtige Dokumentation des wesentlichen Verfahrensgangs (vgl. für das behördliche Verfahren auch [X.]VerwG, Urteil vom 26. Januar 2022 - 6 A 7.19 - [X.] 402.45 VereinsG Nr. 77 Rn. 39 m. w. N.). [X.] kommt dies prozessordnungsrechtlich etwa in der Regelung des § 160 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck, wonach die wesentlichen Vorgänge von gerichtlichen Verhandlungen im Sinne des § 159 ZPO in das danach zu erstellende Verhandlungsprotokoll aufzunehmen sind. Der darin enthaltene Rechtsgedanke, dass wesentliche Verfahrenshandlungen schriftlich zu dokumentieren sind, greift auch für die Anhörung gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO, die wesentlich ist, weil mit ihr abweichend von § 125 Abs. 1, § 101 Abs. 1 VwGO die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ohne Zustimmung der [X.]eteiligten vorbereitet wird.

Gemessen daran ist der Kläger nicht gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ordnungsgemäß angehört worden. Denn das Telefonat vom 17. Juni 2021 ist weder (durch einen entsprechenden schriftlichen Vermerk der [X.]svorsitzenden) in der Gerichtsakte dokumentiert noch sind die [X.]eteiligten, also weder der Kläger noch der [X.]eklagte, über den Inhalt des Telefongesprächs schriftlich in Kenntnis gesetzt worden.

cc) Die Rüge dieses [X.]s im Revisionsverfahren ist nicht gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 295 und 556 ZPO ausgeschlossen. In dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte des [X.] auf das von ihm geschilderte Telefongespräch mit der [X.]svorsitzenden in seinem Schriftsatz vom 5. Juli 2021 mitgeteilt hat, das Gericht möge entscheiden, liegt weder ein (konkludenter) Verzicht auf das [X.] noch kann dem Kläger vorgeworfen werden, dass der [X.] in diesem Schriftsatz nicht ausdrücklich gerügt worden ist. Denn der Prozessbevollmächtigte des [X.] kannte den formellen Mangel der nicht aktenkundig gemachten mündlichen Anhörung nicht und musste ihn zu diesem Zeitpunkt auch als Rechtskundiger nicht kennen, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine mündliche Anhörung gemäß § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO zulässig ist, in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt war.

2. Das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus unter Verstoß gegen § 101 Abs. 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO ermessensfehlerhaft von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen. Dies begründet im vorliegenden Fall nicht nur eine Verletzung des Anspruchs des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO), sondern hier auch seines Rechts auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

a) Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die [X.]erufung durch [X.]eschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Entscheidung darüber, ob ohne mündliche Verhandlung durch [X.]eschluss entschieden wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen des [X.]erufungsgerichts. Sie kann nur daraufhin überprüft werden, ob das Oberverwaltungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat, und ist seitens des [X.] nur zu beanstanden, wenn sie auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung beruht (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 [X.] 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <213> und [X.]eschluss vom 8. Juli 2022 - 9 [X.] 33.21 - juris Rn. 5, jeweils m. w. N.). [X.]ei der Ausübung dieses Ermessens hat das [X.]erufungsgericht Art. 6 Abs. 1 [X.] mit dem Inhalt, den die Vorschrift in der Entscheidungspraxis des [X.] gefunden hat, vorrangig zu beachten (stRspr, vgl. etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 18. Dezember 2014 - 8 [X.] 47.14 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 85 Rn. 5 m. w. N.). Hat wie hier in erster Instanz eine öffentliche mündliche Verhandlung stattgefunden, muss im [X.]erufungsverfahren allerdings nicht stets erneut mündlich verhandelt werden. Maßgebend sind vielmehr die [X.]esonderheiten des jeweiligen Rechtsmittelverfahrens. Danach kann eine mündliche Verhandlung entbehrlich sein, wenn die Tatsachen- und Rechtsfragen aufgrund der Aktenlage sachgerecht entschieden werden können. Umgekehrt entfaltet das Gebot, die Rechtssache auch im Interesse der [X.] im Rahmen einer mündlichen Verhandlung mit den [X.]eteiligten zu erörtern, eine umso stärkere [X.]edeutung, je vielschichtiger der Streitstoff ist und je schwieriger und komplexer die Rechtsfragen sind, die sich dem [X.]erufungsgericht stellen. Das gilt insbesondere dann, wenn nach der erstinstanzlichen Entscheidung des [X.] eine entscheidungserhebliche Änderung der Rechtslage eingetreten ist, die dazu führt, dass sich das [X.]erufungsgericht im Instanzenzug erstmals mit den betreffenden Rechtsfragen zu befassen hat (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 10. September 1998 - 8 [X.] 102.98 - [X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 40 S. 11 f. und vom 8. März 2017 - 9 [X.] 22.16 - juris Rn. 14, jeweils m. w. N.).

Nach diesen Maßstäben durfte das Oberverwaltungsgericht hier nicht durch [X.]eschluss nach § 130a VwGO entscheiden. Es durfte zwar, ohne dass insoweit eine grobe Fehleinschätzung erkennbar wäre, davon ausgehen, dass für sich genommen weder die Komplexität des Streitstoffs noch die Schwierigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen als solche eine mündliche Verhandlung erforderlich gemacht haben. Es hätte aber berücksichtigen müssen, dass mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes vom 3. Juni 2021 während des [X.]erufungsverfahrens eine entscheidungserhebliche und wesentliche Änderung der Rechtslage eingetreten ist, zu der die [X.]eteiligten sich im bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht in mündlicher Verhandlung äußern konnten und deren Inhalt ausweislich der ausführlichen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen [X.]eschluss auch nicht ohne Weiteres "auf der Hand" lag. Darüber hinaus hätte es in diesem Zusammenhang auch in Erwägung ziehen müssen, dass das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen und deshalb gerade noch keine verbindliche Entscheidung zur materiellen Rechtslage getroffen hatte (stRspr, vgl. z. [X.]. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 29. Juli 2015 - 5 [X.] 36.14 - juris Rn. 6 und vom 14. Dezember 2018 - 6 [X.] 133.18 - NVwZ 2019, 649 Rn. 21, jeweils m. w. N.).

b) Dieser Verstoß gegen § 101 Abs. 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt wiederum den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sowie in der vorliegenden Konstellation zusätzlich sein Recht auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), ohne dass insoweit ein Rügeverlust eingetreten wäre.

aa) Ergeht eine Entscheidung wie hier unter Verstoß gegen § 101 Abs. 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO, begründet sie zugleich eine Verletzung des Anspruchs der [X.]eteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und stellt damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO dar ([X.]VerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 [X.] 13.09 - [X.]VerwGE 138, 289 Rn. 26 m. w. N.).

bb) Die ermessensfehlerhafte Entscheidung des [X.], nach § 130a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren durch [X.]eschluss zu entscheiden, verletzt hier außerdem das Recht der [X.]eteiligten auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und begründet damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne des § 138 Nr. 1 VwGO. Nach der zuletzt genannten Vorschrift ist ein Urteil stets auf der Verletzung von [X.]undesrecht beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Ein die Voraussetzungen des § 138 Nr. 1 VwGO erfüllender Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen [X.]s aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann vorliegen, wenn eine durch eine fehlerhafte Entscheidung nach der Verfahrensvorschrift des § 130a Satz 1 VwGO bedingte Verletzung des Anspruchs auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu einer nicht vorschriftsmäßigen [X.]esetzung des Gerichts führt (vgl. [X.]SG, [X.]eschluss vom 12. Februar 2015 - [X.] 10 ÜG 8/14 [X.] - [X.] 4-1720 § 198 Nr. 8 Rn. 18 m. w. N.; [X.]/Korbmacher, in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138 Rn. 38; offengelassen in [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 17. November 1994 - 1 [X.] 42.94 - [X.] 310 § 130a VwGO Nr. 11 S. 1 und 2 m. w. N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn sich der Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift - wie hier - als objektiv willkürliche, das heißt nicht mehr durch sachliche Erwägungen getragene Entscheidung darstellt (vgl. zum [X.] etwa [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. September 2018 - 8 [X.] 2.18 - juris Rn. 14 m. w. N.). Letzteres ist mit [X.]lick auf den engen revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab zu § 130a Satz 1 VwGO der Fall, wonach nur dann ein beachtlicher [X.] gegen diese [X.] anzunehmen ist, wenn - wie hier und oben dargelegt - die Entscheidung des [X.] nach § 130a Satz 1 VwGO auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung beruht. Diese Entscheidung hat hier auch zu einer nicht vorschriftsmäßigen [X.]esetzung geführt, weil nach Landesrecht für das schriftliche Verfahren nach § 130a VwGO eine andere [X.]esetzung des Gerichts als im [X.] vorgesehen ist. Denn nach § 9 Abs. 3 VwGO, § 109 Abs. 1 Satz 2 JustG NRW wirken die ehrenamtlichen [X.]innen und [X.] bei [X.]eschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung abweichend von § 109 Abs. 1 Satz 1 JustG NRW nicht mit, sodass die [X.]e des [X.] in solchen Fällen nur in der [X.]esetzung von drei [X.]erufsrichterinnen oder -richtern entscheiden. Die Rüge der Verletzung der Verfahrensnorm des § 130a Satz 1 VwGO umfasst - ebenso wie bei der Verletzung des rechtlichen Gehörs - gegebenenfalls auch die Rüge der damit in unmittelbarem Zusammenhang stehenden fehlerhaften [X.]esetzung des Gerichts.

cc) Insoweit kann dahinstehen, ob der Prozessbevollmächtigte des [X.] mit seinem Schriftsatz vom 5. Juli 2021 auf sein diesbezügliches [X.] gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 295 Abs. 1 und 556 ZPO (konkludent) verzichtet hat, indem er im [X.] an die ihm gewährte Akteneinsicht erklärt, das Gericht möge entscheiden. Denn jedenfalls soweit hier mit der fehlerhaften Ermessensentscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO auch ein Verstoß gegen das Recht auf [X.] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbunden ist, ist dieses Recht gemäß § 295 Abs. 2 ZPO unverzichtbar, weil es einer geordneten und funktionsfähigen Rechtspflege dient, an der ein vorrangiges öffentliches Interesse besteht (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 16. Dezember 1980 - 6 [X.] 110.79 - [X.] 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 20 S. 6 und 9 f. und [X.]eschluss vom 5. November 2004 - 10 [X.] 6.04 - [X.] 310 § 138 Ziff. 1 VwGO Nr. 41 S. 7 m. w. N.).

3. Liegen wie hier mit der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) und dem Verstoß gegen das Recht auf [X.] (§ 138 Nr. 1 VwGO) absolute Revisionsgründe vor, wird unwiderleglich vermutet, dass die angegriffene Entscheidung auf diesem Mangel beruht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Jedenfalls das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes einer nicht vorschriftsmäßigen [X.]esetzung des erkennenden Gerichts (§ 138 Nr. 1 VwGO) zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Eine Zurückweisung der Revision gemäß § 144 Abs. 4 VwGO wegen [X.] der angegriffenen Entscheidung kommt hier nicht in [X.]etracht. Grundsätzlich scheidet eine Zurückweisung der Revision nach dieser Vorschrift schon deshalb aus, weil beim Vorliegen absoluter Revisionsgründe nach § 138 VwGO davon auszugehen ist, dass die gesamte Entscheidung von den Auswirkungen des wesentlichen [X.] erfasst ist (vgl. etwa [X.]VerwG, Urteil vom 15. September 2008 - 1 [X.] 12.08 - NVwZ 2009, 59 Rn. 11). Ob § 144 Abs. 4 VwGO in dem Fall, dass allein ein absoluter Revisionsgrund im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO vorliegt, ausnahmsweise dann anwendbar ist, wenn sich die Versagung des rechtlichen Gehörs nicht auf das Gesamtergebnis des Verfahrens, sondern nur auf einzelne Feststellungen bezieht, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 [X.] 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <221> und [X.]eschluss vom 8. Juni 2021 - 9 [X.] 26.20 - [X.] 11 Art. 1 GG Nr. 22 Rn. 20), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn eine solche Ausnahme greift jedenfalls für den hier ebenfalls vorliegenden Verstoß gegen [X.] gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO nicht ein ([X.]VerwG, Urteil vom 23. August 1996 - 8 [X.] 19.95 - [X.]VerwGE 102, 7 <11> m. w. N.).

4. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Meta

5 C 8/21

02.02.2023

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 12. Juli 2021, Az: 12 A 395/18, Beschluss

§ 130a S 2 VwGO, § 130a S 1 VwGO, § 125 Abs 2 S 3 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 02.02.2023, Az. 5 C 8/21 (REWIS RS 2023, 3206)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3206

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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