Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.01.2019, Az. 2 BvR 1081/18

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 11437

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Kollegialgerichtsrichtlinie des BGH (III ZR 77/76, BGHZ 73, 161 <164>) nicht auf Fall mehrfacher Sachbehandlung durch eine mit einem Einzelrichter besetzte Strafvollstreckungskammer anwendbar - Verletzung des Willkürverbots (Art 3 Abs 1 GG) - von vornherein aussichtsloser Rechtsbehelf hält Monatsfrist des § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG nicht offen - Rechtsirrtum lässt Verschulden der Fristversäumnis regelmäßig nicht entfallen


Tenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft den erfolglosen Amtshaftungsprozess eines Strafgefangenen, der unter vollständiger Entkleidung in der Justizvollzugsanstalt rechtswidrig durchsucht wurde.

2

Sie ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen nach § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen (vgl. [X.] 90, 22 <24 ff.>). Zwar verletzt das Urteil des [X.] den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG; die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig.

3

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer die Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde nicht eingehalten hat. Der von dem Beschwerdeführer eingelegte "Antrag auf Zulassung der Berufung" war nicht geeignet, die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten. Als gesetzlich nicht vorgesehener und damit von vornherein aussichtsloser Rechtsbehelf gehörte er nicht zum Rechtsweg (vgl. [X.] 5, 17 <19>; 48, 341 <344>; [X.]K 7, 115 <116>; 11, 203 <205 ff.>; 20, 300 <302 ff.>).

4

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war abzulehnen, weil der Beschwerdeführer weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Verfassungsbeschwerde innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] einzureichen (§ 93 Abs. 2 Satz 1 [X.]). Der von ihm in der Sache vorgetragene Rechtsirrtum rechtfertigt nur in Ausnahmefällen die Annahme fehlenden Verschuldens (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 25. März 2013 - 1 BvR 539/13 -, juris, Rn. 5). Eine solche Ausnahme hat er nicht vorgetragen.

5

3. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht darauf an, dass das angegriffene Urteil des [X.] den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

6

a) Eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung eines Strafgefangenen stellt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar (vgl. [X.]K 2, 102 <105>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweitens Senats vom 29. Oktober 2003 - 2 BvR 1745/01 -, juris, Rn. 15; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 4. Februar 2009 - 2 BvR 455/08 -, juris, Rn. 25 und vom 10. Juli 2013 - 2 BvR 2815/11 -, juris, Rn. 15, Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 5. November 2016 - 2 BvR 6/16 -, juris, Rn. 29).

7

b) Soweit das [X.] die Amtshaftungsklage des Beschwerdeführers mit der Begründung abweist, dass ein Verschulden des [X.] bei Anwendung der sogenannten Kollegialgerichtsrichtlinie des [X.] (vgl. [X.], 161 <164>) nicht vorliege, ist die Argumentation verfassungsrechtlich bedenklich. Das [X.] erkennt selbst, dass diese Rechtsprechung des [X.] nur für ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht gilt. Das Gericht erkennt auch, dass die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer jeweils von einem Einzelrichter stammen. Es ist daher unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar, wenn das [X.] dennoch - unter Heranziehung von § 196 Abs. 1 [X.] - zur Anwendung der Kollegialgerichtsrichtlinie gelangt, weil sich zweimal nacheinander jeweils ein Einzelrichter der Strafvollstreckungskammer mit der Sache auseinandergesetzt habe und beide zu dem Ergebnis gekommen seien, dass die Durchsuchung rechtmäßig gewesen sei. Unabhängig davon, dass bei diesem Verständnis die innere Rechtfertigung für die Anwendung der Kollegialgerichtsrichtlinie (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juni 1983 - [X.] -, juris, Rn. 20) entfiele, hat das einzige mit der Sache befasste Kollegialgericht, das [X.], beide Beschlüsse der [X.] aufgehoben und die Maßnahme als rechtswidrig angesehen.

8

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1081/18

16.01.2019

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend LG Mannheim, 26. März 2018, Az: 10 O 42/16, Verfügung

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 93 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 839 Abs 1 BGB, StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 16.01.2019, Az. 2 BvR 1081/18 (REWIS RS 2019, 11437)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11437

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 BvR 78/22 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts iVm Art 20 Abs 3 GG durch Versagung einer …


2 BvR 2815/11 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Strafgefangenen durch körperliche Durchsuchung gem § 64 Abs …


2 BvR 2553/09 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Garantie des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 S 2 GG) und Vorlagepflicht nach …


2 BvR 746/13 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eines Strafgefangenen durch Verkennung der Reichweite von § …


2 BvR 1111/13 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Unterbringung eines unbekleideten Strafgefangenen in einem besonders gesicherten, videoüberwachten Haftraum (§ 88 Abs …


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.