Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.08.2022, Az. 4 ARs 13/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 7133

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Gegenstand

Auslieferungsverfahren auf Grund eines Europäischen Haftbefehls: Zuständigkeit des OLG zur Entscheidung über die Unzulässigerklärung der Auslieferung auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft


Tenor

Das [X.] ist in Fällen der Auslieferung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls gemäß § 29 Abs. 1, § 78 Abs. 1 [X.] zur Entscheidung über einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, auch dann verpflichtet, wenn die Bewilligungsbehörde die Auslieferung aufgrund eines nicht in ihrem Ermessen stehenden [X.] für offensichtlich unzulässig erachtet und daher nicht bewilligen will, sich hieran aber als nicht unabhängige Justizbehörde gehindert sieht.

Gründe

I.

1

Die Strafverfolgungsbehörden der [X.] haben auf der Grundlage des [X.] Haftbefehls des Bezirksgerichts [X.] vom 14. Dezember 2020 um Auslieferung des [X.] Staatsangehörigen    B.      zur Strafverfolgung ersucht. Ihm liegt zur Last, am 30. November 2010 auf [X.] Staatsgebiet einen Geldbetrag in Höhe von 153.238,89 [X.] „gestohlen“ zu haben, der ihm zuvor von einem [X.] Unternehmen zur Erfüllung eines Kaufvertrages übergeben worden war.

2

Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] hat beim [X.] [X.] beantragt festzustellen, dass die von den [X.] Justizbehörden begehrte Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung wegen dieser Straftat unzulässig ist. Aufgrund der vorgeworfenen Tatbegehung in [X.] sei auch die [X.] Gerichtsbarkeit begründet. Eine nach [X.] Recht in Betracht kommende Tat der veruntreuenden Unterschlagung könne indes nicht mehr verfolgt werden, da zwischenzeitlich Verjährung eingetreten sei. Eine Auslieferung des Verfolgten nach [X.] sei daher gemäß § 9 Nr. 2 [X.] offenkundig unzulässig. An einer eigenständigen Nichtbewilligung der Auslieferung sieht sich die Generalstaatsanwaltschaft aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der [X.] in der Rechtssache [X.]/19 vom 24. November 2020 gehindert; es fehle ihr „an jedweder Entscheidungskompetenz in Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum [X.] Haftbefehl“, weil sie nicht weisungsunabhängig sei und daher als „vollstreckende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/[X.] des Rates vom 13. Juni 2002 über den [X.] Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (im Folgenden: [X.]) nicht in Betracht komme. Vorsorglich hat die Generalstaatsanwaltschaft zugleich gemäß § 42 Abs. 2 [X.] eine Entscheidung des [X.] zu der Frage beantragt, ob das [X.] zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung verpflichtet ist.

3

Das [X.] [X.] hält den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft für zulässig und beabsichtigt, die Auslieferung antragsgemäß für unzulässig zu erklären. Hieran sieht es sich durch Entscheidungen der [X.]e [X.], [X.], [X.], [X.] sowie des Brandenburgischen [X.]s gehindert. Darüber hinaus betrachtet das [X.] [X.] die aufgeworfene Frage als solche von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 1 [X.]. Es hat die Sache daher dem [X.] zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:

„Hat das [X.] gemäß § 29 [X.] zu entscheiden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung für nicht bewilligungsfähig hält?“

4

Der [X.] hat die [X.] weiter präzisiert und beantragt zu entscheiden:

„Das [X.] muss in Fällen der Auslieferung auf der Grundlage eines [X.] Haftbefehls gemäß § 29 Abs. 1 [X.] über die Zulässigkeit derselben entscheiden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung für offensichtlich unzulässig oder für nicht bewilligungsfähig hält und deshalb beantragt, die Unzulässigkeit der Auslieferung festzustellen.“

5

Zur Begründung hat der [X.] ausgeführt:

„Eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 [X.] über die Zulässigkeit der Auslieferung auf der Grundlage eines [X.] Haftbefehls ist auch dann zulässig und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft geboten, wenn die Auslieferung offensichtlich unzulässig oder sonst nicht bewilligungsfähig ist.

1. Nach § 29 Abs. 1 [X.] beantragt die Staatsanwaltschaft bei dem [X.] die Entscheidung des [X.]s darüber, ob die Auslieferung zulässig ist, wenn sich der Verfolgte nicht mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 [X.]) einverstanden erklärt.

a) Im klassischen Auslieferungsverfahren ist es üblich, eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 [X.] nur dann einzuholen, wenn ‒ neben dem fehlenden Einverständnis der verfolgten [X.] ‒ die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung auch betreiben will ([X.]/Riegel, aaO, [X.] § 29 Rn. 2). Hält die Generalstaatsanwaltschaft hingegen die Auslieferung für unzulässig oder ist eine Bewilligung derselben nicht beabsichtigt, dient die gerichtliche Entscheidung nicht dem Schutz der verfolgten [X.] noch entspricht dies der Verfahrensökonomie ([X.]/Riegel, aaO, [X.] § 29 Rn. 5). Gesetzlich geregelt ist dieses Vorgehen nicht. Im Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der [X.] war bisher dieselbe Verfahrensweise üblich. § 79 Abs. 2 [X.] schreibt zusätzlich eine Vorabprüfung von [X.] nach § [X.] [X.] vor.

b) Bedingt durch die Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofs (Urteile vom 27. Mai 2019 ‒ [X.]/18 und [X.]/19 [X.], und vom 24. November 2020 ‒ [X.]/19) kann an der bisherigen Rolle der Generalstaatsanwaltschaft bei der Vollstreckung von eingehenden [X.] Haftbefehlen nicht mehr festgehalten werden.

Der Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den [X.] Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/[X.]) in der Fassung von Art. 2 des Rahmenbeschlusses 2009/299/[X.] des Rates vom 26. Februar 2009 ([X.]) sieht in Art. 6 Abs. 2 vor, dass vollstreckende Justizbehörde diejenige Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats ist, die nach dem Recht dieses Staates zuständig für die Vollstreckung des [X.] Haftbefehls ist. Hierzu hat die [X.]republik [X.] erklärt, dass zuständige Justizbehörden nach Art. 6 die Justizministerien des [X.] und der Länder sind, die ihre Bewilligungszuständigkeit bei eingehenden Ersuchen (Art. 6 Abs. 2) in der Regel auf die Generalstaatsanwaltschaften der Länder übertragen haben (vgl. [X.]/[X.], aaO, [X.] Rn. 17). Dem Rahmenbeschluss liegt das Verständnis zugrunde, dass diese vollstreckende Justizbehörde eingehende [X.] Haftbefehle sowohl vollstrecken als auch deren Vollstreckung ablehnen kann (Art. 3, 4). Mit Urteil vom 24. November 2020 ([X.]/19, dort Rn. 64 ff.) hat der [X.] festgehalten, dass es sich bei der vollstreckenden Justizbehörde entweder um [X.] oder ein Gericht oder um eine Justizbehörde wie die Staatsanwaltschaft handeln muss, die an der Rechtspflege mitwirkt und über die erforderliche Unabhängigkeit von der Exekutive verfügt. Sie muss ihre Aufgabe im Rahmen eines Verfahrens ausüben, das den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz genügt.

Diesen Anforderungen genügt die Generalstaatsanwaltschaft nicht, da sie von Gesetzes wegen nicht unabhängig ist, sondern der Aufsicht und Leitung der Landesjustizverwaltung unterliegt (§ 147 Nr. 2 [X.]; vgl. [X.], Urteil vom 27. Mai 2019 ‒ [X.]/18 und [X.]/19 [X.], Rn. 76 ff., 90).

Deshalb entspricht die derzeitige gesetzliche Regelung zur Übertragung der Bewilligungszuständigkeit über eingehende [X.] Haftbefehle nach § 74 Abs. 1 und 2 [X.] in Verbindung mit Nr. 1 und Nr. 4 der Vereinbarung der [X.]regierung mit den Landesregierungen über die Zuständigkeit im [X.] mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28. April 2004 auf die Landesregierungen und von dort auf die Generalstaatsanwaltschaften nicht den Vorgaben des Rahmenbeschlusses über den [X.] Haftbefehl.

2. Die Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofes gebietet es in einer solchen Situation, das nationale Recht im Lichte bestehender Richtlinien und [X.] auszulegen und deren Zwecksetzung so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Dies geht so weit, wie es der nationale Gesetzeswortlaut und rechtsstaatliche Prinzipien zulassen ([X.], Urteile vom 19. Dezember 2013 ‒ [X.] (        ), Rn. 76; vom 8. November 2016 ‒ [X.] (       ), Rn. 59; vom 29. Juni 2017 ‒ [X.]/15 (         ) Rn. 31 ff.; vom 24. Juni 2019 ‒ [X.], Rn. 55).

Dies bedingt für das Auslieferungsverfahren aufgrund eines [X.] Haftbefehls in [X.], dass jedenfalls die Generalstaatsanwaltschaft nicht allein über die Vollstreckung eines solchen entscheiden darf. Das Gesetz lässt im Wege von § 29 [X.] die Befassung des [X.]s als unabhängige Entscheidungsinstanz zu, die in dem hier zu entscheidenden Fall zwingend geboten ist.

Einer solchen Auslegung steht der Wortlaut des § 29 [X.] ebenso wenig entgegen wie derjenige des § 79 Abs. 2 [X.].

a) Der Wortlaut des § 29 Abs. 1 [X.] lässt eine Entscheidung des [X.]s auch dann zu, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung wegen offensichtlicher Unzulässigkeit oder wegen des Vorliegens von [X.] von vornherein nicht bewilligen will.

Die einzige Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist das fehlende Einverständnis der verfolgten [X.] mit der vereinfachten Auslieferung. [X.] ein solches Einverständnis vor, würde § 29 Abs. 2 [X.] jedoch ebenfalls die Befassung des [X.]s nicht ausschließen. Weitere Voraussetzungen stellt der Wortlaut des § 29 [X.] nicht auf.

Die Verwendung des Wortes „ob“ zeigt überdies an, dass es dem [X.] möglich ist, eine Auslieferung sowohl für zulässig als auch für unzulässig zu erklären. Dies ist unumstritten, wenn das [X.] dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nicht folgen will, wenn ‒ in anderer Konstellation ‒ beantragt ist, die Auslieferung für zulässig zu erklären. Vor diesem Hintergrund ist die Erwägung des [X.]s [X.], das Gesetz sehe keinen Antrag auf „Feststellung der Unzulässigkeit“ vor (OLG [X.], aaO, Rn. 6), unbehelflich.

Wenn das OLG [X.] am Main erwägt, der Wortlaut des § 29 [X.] setze voraus, dass der Verfolgte über sein Einverständnis zur Auslieferung befragt wurde, was wiederum die grundsätzliche Bewilligungsfähigkeit des [X.] erfordere, liegt dieses Argument in der dort zu entscheidenden Konstellation neben der Sache. Denn dort war der Verfolgte bereits über seine Zustimmung im Sinne von § 41 [X.] befragt worden und hatte sich mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt. Befindet sich das Auslieferungsverfahren ‒ wie hier ‒ in einem Stadium, in dem die verfolgte [X.] hiervon noch keine Kenntnis hatte und deshalb auch noch nicht zur vereinfachten Auslieferung befragt wurde, hindert dies die Anwendung des § 29 [X.] indes ebenfalls nicht. Denn der Wortlaut des § 29 [X.] knüpft an die Einverständniserklärung (§ 29 Abs. 2 [X.]) oder das Fehlen einer solchen (§ 29 Abs. 1 [X.]) an. Warum das Einverständnis der verfolgten [X.] erklärt oder nicht erklärt wurde, ist nach dem Gesetzeswortlaut unerheblich.

b) Der Wortlaut des § 79 Abs. 1 [X.] steht einer Anwendung von § 29 Abs. 1 [X.] ebenfalls nicht entgegen. Danach entscheidet die für die Bewilligung zuständige Stelle vor der Zulässigkeitsentscheidung des [X.]s, ob sie beabsichtigt, [X.] nach § [X.] [X.] geltend zu machen. Die Entscheidung, keine [X.] geltend zu machen, ist zu begründen und unterliegt der Überprüfung durch das [X.] im Verfahren nach § 29 [X.].

Die Vorschrift verpflichtet die Bewilligungsbehörde in Fällen der Auslieferung auf der Grundlage eines [X.] Haftbefehls, vor Veranlassung des Verfahrens nach § 29 [X.] zu entscheiden, ob bestimmte [X.], die in § [X.] [X.] normiert sind, geltend gemacht werden sollen. Ein bestimmtes Ergebnis dieser Prüfung ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht Voraussetzung, um eine Entscheidung nach § 29 [X.] herbeizuführen. Für den Fall, dass [X.] nicht geltend gemacht werden, ist dies lediglich zu begründen.

Diese Regelung mag eine Entscheidung über die Zulässigkeit nur für den Fall einer für die verfolgte [X.] negativen Bewilligungsentscheidung sinnhaft erscheinen lassen. Der Wortlaut zwingt jedoch nicht zu einer solchen Auslegung. Unabhängig davon liegt weder dem gegenständlichen Auslieferungsverfahren noch lag den Entscheidungen der [X.]e [X.] und [X.] am Main ein Bewilligungshindernis nach § [X.] [X.] zugrunde. § 79 Abs. 2 [X.] ist für diese Fallkonstellationen daher ohnehin nur eingeschränkt als Argument heranzuziehen.

3. Für eine Entscheidung des [X.]s nach § 29 Abs. 1 [X.] auch in Fällen wie dem vorliegenden spricht zudem, dass der Rahmenbeschluss über den [X.] Haftbefehl eine Unterscheidung zwischen Bewilligung und Zulässigkeitsentscheidung im klassischen Sinne nicht mehr zulässt, da dem ersuchten Staat kein für das Auslieferungsverfahren im Übrigen charakteristisches weites außenpolitisches Ermessen im Rahmen der Bewilligungsentscheidung zusteht. Zulässige Ersuchen von Mitgliedstaaten der [X.] auf Auslieferung oder Durchlieferung können nur noch abgelehnt werden, soweit dies im achten Teil des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen vorgesehen ist (vgl. § 79 Satz 1 [X.]). Damit wird das Auslieferungsverfahren über die schon zuvor bestehenden vertraglichen Bindungen hinaus verrechtlicht. Das Auslieferungsersuchen kann nur noch unter den ausdrücklich im nationalen Gesetz genannten Gründen verweigert werden (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2005 ‒ 2 BvR 2236/04, Rn. 111).

Danach besteht dem Grunde nach kein rechtlicher Anlass mehr für eine eigenständige Bewilligungsentscheidung durch die Generalstaatsanwaltschaft. Sieht das Gesetz gleichwohl noch eine solche Entscheidung vor, bestehen jedenfalls keine Bedenken dagegen, die Ablehnungsgründe auch durch das [X.] überprüfen zu lassen. Denn das [X.] ist nach § 79 Abs. 2 Satz 3 [X.] auch zur Überprüfung der Ermessensentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen der Bewilligung berufen, wenn keine [X.] geltend gemacht werden. Damit verbleibt von Gesetzes wegen nur noch ein geringer, nicht gerichtlich zu kontrollierender Ermessensspielraum der Bewilligungsbehörde ‒ nämlich dann, wenn im Rahmen der Ermessensausübung eine Bewilligung versagt werden soll. Betrachtet man die hier und in den divergierenden Entscheidungen der [X.]e [X.], [X.], [X.] und [X.] am Main zugrundeliegenden Konstellationen, so drängt sich die Nichtbewilligung der Auslieferung derart auf, dass der Ermessensspielraum der Generalstaatsanwaltschaft gleichsam auf Null reduziert ist (vgl. für Haftbedingungen bspw.: [X.], Urteil vom 5. April 2016 ‒ Rs. [X.]/15 und [X.]/15 [X.]; wobei die Haftbedingungen unter § 73 Satz 2 [X.] als Zulässigkeitshindernis normiert sind, das gleichwohl von [X.] mit dem Auslieferungsverfahren befassten Behörden zu prüfen ist ‒ [X.]/Gleß/Wahl/[X.], aaO, [X.] § 73 Rn. 6). Ist dem allerdings so, kommt der Ermessensentscheidung der Bewilligungsbehörde bei der Auslieferung an einen anderen [X.] kein eigenständiges Gewicht mehr zu, weshalb die Entscheidung über die Gründe zur Ablehnung der Auslieferung auch dem [X.] übertragen werden kann. Denn allein das außenpolitische Ermessen, das in der klassischen Auslieferung nicht gerichtlich überprüfbar ist, rechtfertigt überhaupt die Aufteilung des [X.] in Zulässigkeits- und Bewilligungsverfahren (vgl. [X.], aaO, Rn. 109). Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass gewisse Gründe, die zur Ablehnung der Auslieferung berechtigen, in § [X.] [X.] als [X.] ausgestaltet sind.

4. Ferner fehlt es auch nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis der Generalstaatsanwaltschaft für eine Entscheidung nach § 29 Abs. 1 [X.].

Denn die Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofs bedingt, dass die Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls nicht mehr eigenständig über die Nicht-Vollstreckung eines [X.] Haftbefehls entscheiden darf.

Soweit das [X.] [X.] am Main der Ansicht ist, die Anrufung des [X.]s habe allein interne Regelungsdefizite zum Gegenstand, ohne dass ihm ein inhaltliches Kontrollrecht zustehe ([X.], trifft dies nicht zu. Denn in der jetzigen Lage muss ‒ folgt man dem vorlegenden [X.] ‒ über jeden eingehenden [X.] Haftbefehl, der nicht vollstreckt werden soll, auch durch das [X.] entschieden werden, um den Anforderungen des [X.] Gerichtshofs zu entsprechen. Zudem unterliegt, worauf das vorlegende [X.] zu Recht hinweist (S. 9), bereits jetzt das [X.] der Generalstaatsanwaltschaft nach §§ 79, [X.] [X.] aufgrund rahmenbeschlusskonformer Auslegung der umfassenden gerichtlichen Kontrolle, wenn ein [X.]r Haftbefehl vollstreckt werden soll (vgl. insbesondere [X.], Beschluss vom 24. Februar 2020 ‒ Ausl 301 AR 167/19, Rn. 18).

5. Schließlich stehen Rechte der verfolgten [X.] nicht entgegen. Vielmehr bietet, wie das vorlegende [X.] zutreffend ausführt (S. 9), erst eine Entscheidung einer unabhängigen Justizbehörde, die allein vollstreckende Justizbehörde im Sinne von Art. 6 Abs. 2 [X.] sein kann, die nötige Rechtssicherheit für die verfolgte [X.].“

II.

6

1. Die [X.] jedenfalls des § 42 Abs. 2 [X.] sind erfüllt.

7

a) Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] hat in der Sache gemäß § 42 Abs. 2 [X.] eine Entscheidung des [X.] über die [X.] beantragt; dabei ist es unschädlich, dass sie diese nicht selbst ausformuliert hat.

8

b) Gegenstand des [X.] ist eine Rechtsfrage.

9

aa) Dem steht nicht entgegen, dass eine Entscheidungskompetenz des [X.]s nach § 29 [X.] teilweise mit der Erwägung verneint wird, es fehle an einem Feststellungsinteresse bzw. an einem Rechtsschutzbedürfnis, wenn die zuständige Behörde ohnehin beabsichtige, die Auslieferung nicht zu bewilligen (vgl. [X.], Beschluss vom 31. März 2021 – 1 AR 4/21 [S], juris Rn. 26 [X.]). Zwar sind Fragen nach dem Vorliegen eines für die Zulässigkeit eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung erforderlichen Feststellungsinteresses, wie etwa der Fall der prozessualen Überholung zeigt (vgl. hierzu etwa [X.]/[X.], 1. Aufl., § 296 Rn. 49 ff.), regelmäßig von den Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig. Dies hat indes nicht zur Folge, dass vorliegend eine Tatsachenfrage aufgeworfen wäre. Denn die Bewertung, ob ein Feststellungsinteresse besteht, kann sich auch nach Grundsätzen beurteilen, die allgemeine bzw. fallübergreifende Geltung beanspruchen (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 11. April 2018 – 2 BvR 2601/17, juris Rn. 33 f.; [X.], Beschluss vom 16. März 2014 – 2 BvR 2381/13, juris Rn. 2) und daher eine Rechtsfrage zum Gegenstand haben (vgl. insoweit zur Abgrenzung zwischen Tatsachen- und Rechtsfragen [im Kontext des § 121 Abs. 2 [X.]] [X.], Beschluss vom 28. Juni 1977 – 5 StR 30/77, [X.]St 27, 212, 214 f.; [X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 121 [X.] Rn. 58 ff. [X.]). So liegt es hier. Die Vorlage wirft für eine bestimmte, bei der Vollstreckung eingehender [X.]r Haftbefehle nicht nur vereinzelt auftretende Fallkonstellation die Frage auf, ob die [X.]e auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zu einer Entscheidung über die Unzulässigkeit der Auslieferung auch dann verpflichtet sind, wenn die Antragstellung nicht in Zweifelsfragen der Zulässigkeit der vom [X.] begehrten Auslieferung eines Verfolgten zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung, sondern in einem derzeit ungelösten kompetenzrechtlichen Problem wurzelt; nach der innerstaatlichen Zuständigkeitsordnung ist die Bewilligungszuständigkeit über eingehende [X.] Haftbefehle unverändert (überwiegend) auf die Generalstaatsanwaltschaften übertragen (vgl. § 74 Abs. 1 und 2 [X.] in Verbindung mit Nr. 1 und Nr. 4 der Vereinbarung der [X.]regierung mit den Landesregierungen über die Zuständigkeit im [X.] mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28. April 2004), obwohl diese nach übereinstimmender Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft und des [X.]s wegen ihrer Weisungsabhängigkeit nicht die Anforderungen erfüllen, die nach dem Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 24. November 2020 ([X.]/19, [X.] 2021, 84) an eine „vollstreckende Justizbehörde“ im Sinne des [X.] zu stellen sind. Die innerstaatliche Zuständigkeitsordnung steht sonach nicht im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben. Das [X.] wirft daher die Frage auf, ob § 29 Abs. 1 [X.] eine Entscheidung des [X.]s auch in Fällen ermöglicht, in denen sich die Generalstaatsanwaltschaft ‒ wie hier die Generalstaatsanwaltschaft [X.] ‒ an einer eigenständigen Nichtbewilligung der Auslieferung gehindert sieht, weil sie aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit (vgl. §§ 146, 147 [X.]) nicht die an eine Justizbehörde im Sinne des Art. 6 [X.] zu stellenden Anforderungen erfüllt.

bb) Die zur Entscheidung vorgelegte Rechtsfrage hat ‒ ungeachtet dessen, dass die zur Vorlage führenden Umstände im Europarecht wurzeln ‒ die Anwendung nationalen Rechts zum Gegenstand. Eine Zweifelsfrage über die Auslegung und Anwendung von Unionsrecht, die eine Vorlage an den Gerichtshof der [X.] erforderlich machen kann (vgl. hierzu [X.], [X.] 2022, 32, 33 ff.; [X.], NStZ-RR 2022, 222, 223 [X.]), liegt nicht vor. Die Rechtsfragen auf [X.] sind ‒ worauf der [X.] zutreffend hingewiesen hat ‒ geklärt.

c) Es bedarf keiner Entscheidung, ob es sich bei der Rechtsfrage im Anwendungsbereich des § 42 Abs. 2 [X.] um eine solche von grundsätzlicher Bedeutung handeln muss (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 1981 – 4 [X.], [X.]St 30, 55, 58 zu § 27 Abs. 2 [X.]). Dies ist hier jedenfalls der Fall, da sich die zur Entscheidung gestellte Frage im Auslieferungsverkehr ‒ wie die im [X.] aufgeführten Entscheidungen der [X.]e verdeutlichen ‒ jederzeit wieder stellen kann (vgl. zum Begriff der grundsätzlichen Bedeutung [X.], Beschluss vom 13. Januar 1987 – 4 [X.], [X.]St 34, 256, 258 f.).

d) Die Rechtsfrage ist auch, wie die Vorlegung nach § 42 Abs. 2 [X.] weiter voraussetzt ([X.], Beschluss vom 11. März 1981 – 4 [X.], [X.]St 30, 55, 58 zu § 27 Abs. 2 [X.]; [X.] in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 42 [X.] Rn. 6), für das anhängige Auslieferungsverfahren von Bedeutung. Die erforderliche Verfahrensrelevanz ist schon dann zu bejahen, wenn die Rechtsfrage – wie vorliegend – die Frage der Zulässigkeit einer gerichtlichen Entscheidung betrifft (vgl. KK-[X.]/Feilcke, 8. Aufl., § 121 [X.] Rn. 31 [X.] [zu § 121 Abs. 2 [X.]]).

2. Die [X.] des [X.]s ist jedoch zu weit gefasst, da sie insbesondere auch Fallgestaltungen erfasst, denen nicht die Vollstreckung eines [X.] Haftbefehls zugrunde liegt bzw. bei denen die zuständige Behörde die Auslieferung im Hinblick auf ein Bewilligungshindernis (§ [X.] [X.]) nicht bewilligen will. Fragen, die über die rechtliche Bedeutung für den Einzelfall hinausgehen, ohne dass dieser hierfür eine ausreichende tatsächliche Grundlage bietet, genügen den [X.] indes nicht (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 1981 – 4 [X.], [X.]St 30, 55, 58 f. zu § 27 Abs. 2 [X.]; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Internationaler [X.] in Strafsachen, 3. Aufl., § 42 [X.] Rn. 19).

Die [X.] ist daher wie folgt zu fassen:

„Ist das [X.] in Fällen der Auslieferung auf der Grundlage eines [X.] Haftbefehls gemäß § 29 Abs. 1, § 78 Abs. 1 [X.] zur Entscheidung über einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, auch dann verpflichtet, wenn die Bewilligungsbehörde die Auslieferung aufgrund eines nicht in ihrem Ermessen stehenden [X.] für offensichtlich unzulässig erachtet und daher nicht bewilligen will, sich hieran aber als nicht unabhängige Justizbehörde gehindert sieht?“

III.

Der Senat entscheidet die [X.] wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

1. Gemäß § 29 Abs. 1 [X.], der nach § 78 Abs. 1 [X.] auch auf den Auslieferungsverkehr mit den Mitgliedstaaten der [X.] Anwendung findet, beantragt die Generalstaatsanwaltschaft die Entscheidung des [X.]s darüber, ob die Auslieferung zulässig ist, sofern sich der Verfolgte nicht mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 [X.]) einverstanden erklärt hat. Weder der Gesetzeswortlaut noch der Zweck der Norm stehen einer Auslegung entgegen, dass das [X.] über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auch dann zu entscheiden hat, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung des Verfolgten aufgrund des [X.] Haftbefehls für unzulässig hält und die Bewilligung daher ablehnen will.

a) Nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 1 [X.] ist auf Tatbestandsseite lediglich vorausgesetzt, dass die Generalstaatsanwaltschaft dies beantragt und der Verfolgte sich nicht mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hat. Der Wortlaut der Norm („ob“) ist offen formuliert. Entgegen teilweise vertretener Ansicht (vgl. OLG [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 – [X.] 258/20, juris Rn. 6; OLG [X.], Beschluss vom 6. April 2021 – 2 Ausl A 263/20) kann ihm keine Beschränkung auf Fälle entnommen werden, in denen die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung für zulässig hält und sie bewilligen will. Nach dem Wortlaut der Norm können auch Fallgestaltungen erfasst sein, in denen der Antrag (negativ) die Unzulässigkeit der begehrten Rechtshilfemaßnahme zum Gegenstand hat (siehe auch OLG [X.], Beschluss vom 3. Mai 2021 – [X.]/21, juris Rn. 11).

b) Eine solche Auslegung steht auch im Einklang mit Sinn und Zweck der Norm.

aa) Zwar dient § 29 Abs. 1 [X.] primär dem präventiven Rechtsschutz des Verfolgten und soll dessen Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG) gewährleisten (vgl. hierzu [X.]E 113, 273, 309 ff.; Riegel in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 29 [X.] Rn. 2; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Internationaler [X.] in Strafsachen, 3. Aufl., § 29 [X.] Rn. 4). Dieser Gesetzeszweck ist nicht betroffen, wenn eine Auslieferung sicher nicht in Betracht kommt, da die zuständige Behörde die dafür erforderliche Bewilligung aufgrund eines [X.] nicht erteilen will.

bb) Der Vorschrift liegt aber – jedenfalls sekundär – der weitere Zweck zugrunde, in Einzelfällen Rechtssicherheit durch eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

Ein Antrag nach § 29 Abs. 1 [X.] ist auch dann zulässig, wenn die Bewilligungsbehörde Bedenken hegt, ob die Auslieferung zulässig ist, und insofern eine verbleibende Rechtsunsicherheit durch die Entscheidung des [X.]s beseitigt werden soll (vgl. Riegel in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 29 [X.] Rn. 5; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Internationaler [X.] in Strafsachen, 3. Aufl., § 29 [X.] Rn. 9 f.). Der Anwendungsbereich der Norm umfasst zudem auch Fälle, in denen die Generalstaatsanwaltschaft der Auffassung ist, der Verfolgte habe seine Zustimmung zum vereinfachten Auslieferungsverfahren (§ 41 [X.]) nicht rechtswirksam erteilt (vgl. Riegel in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 29 [X.] Rn. 4; Köberer in [X.]/[X.]/[X.], [X.] in Strafsachen, 2. Aufl., § 29 [X.] Rn. 372; siehe auch [X.], [X.], 432). In dieser Fallgestaltung besteht eine Rechtsunklarheit, da formal ein Einverständnis des Verfolgten mit der vereinfachten Auslieferung vorliegt, dessen Wirksamkeit indes zweifelhaft ist. Diese Rechtsunsicherheit ist – ohne Einräumung eines Ermessens (vgl. insofern § 29 Abs. 2 [X.]) – durch Stellung eines Antrages gemäß § 29 Abs. 1 [X.] durch die Generalstaatsanwaltschaft einer gerichtlichen Klärung zuzuführen.

Diese anerkannten Anwendungsfälle verdeutlichen die weitere Funktion der Norm, in rechtlich zweifelhaften Einzelfällen Rechtssicherheit durch eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Dieser sekundäre Normzweck ist hier betroffen; würde die Generalstaatsanwaltschaft [X.] – entgegen den von ihr vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf die Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofs – die Bewilligung der Auslieferung ohne vorherige gerichtliche Entscheidung des [X.]s (§ 29 [X.]) ablehnen, wäre die ablehnende Entscheidung im Verhältnis zum ersuchenden Staat möglicherweise unwirksam. Es verbliebe zudem innerstaatlich eine Rechtsunsicherheit, da unklar bliebe, ob das Auslieferungsverfahren durch die Entscheidung der Bewilligungsbehörde erledigt worden ist oder weiterhin anhängig bleibt. Der Umstand, dass diese Rechtsunsicherheit nicht maßgeblich auf den Umständen des Einzelfalls beruht, sondern auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] zurückzuführen ist und insofern eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle betreffen kann, steht dem nicht entgegen.

cc) Zwar handelt es sich bei der nach §§ 29, 32 [X.] vom [X.] zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung um einen präventiven Feststellungsbeschluss. Zweck des gerichtlichen Verfahrens über die Zulässigkeit der Auslieferung ist es festzustellen, ob alle gesetzlichen oder vertraglichen Voraussetzungen für die Auslieferung erfüllt sind (vgl. [X.], Beschluss vom 29. September 1977 ‒ 4 ARs 16/77, [X.]St 27, 266, 269). Die Entscheidung des [X.]s ermächtigt oder ‒ im Falle der Unzulässigerklärung ‒ hindert die Bewilligungsbehörde an der Vornahme des Vollzugsakts der Auslieferung. Fragen völkerrechtlicher Verpflichtungen sind vom [X.] nicht zu prüfen (vgl. Riegel in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 32 Rn. 2). Das gerichtliche Zulässigkeitsverfahren kann aber auch in Fallkonstellationen ‒ innerstaatlich ‒ Rechtsklarheit schaffen, in denen die Auslieferung auch von der Bewilligungsbehörde für offensichtlich unzulässig erachtet wird.

2. Einer solchen Auslegung der Norm stehen in der vorliegenden Fallkonstellation auch Gründe der Gesetzessystematik mit Blick auf die Vorschrift des § 79 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht entgegen (a.A. OLG [X.], Beschluss vom 11. Februar 2021 ‒ 1 AR [Ausl] 17/20, juris Rn. 16).

Gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 [X.] entscheidet die für die Bewilligung zuständige Stelle vor der Zulässigkeitsentscheidung des [X.]s, ob sie beabsichtigt, [X.] nach § [X.] [X.] geltend zu machen. Eine diesbezügliche Entscheidung ist vorliegend nicht erfolgt.

Die Regelung des § 79 Abs. 2 Satz 1 [X.] dient – für den Fall, dass die Bewilligungsbehörde die Auslieferung für zulässig erachtet – der Verfahrensökonomie. Reicht die Behörde die begründete Erklärung, keine [X.] im Sinne des § [X.] [X.] geltend machen zu wollen, zugleich mit dem Antrag auf Zulässigerklärung der Auslieferung bei dem [X.] ein, muss sich das Gericht, dem auch die Überprüfung der Entscheidung zur Nichtgeltendmachung von [X.] obliegt (§ 79 Abs. 2 Satz 3 [X.]), nicht mehrfach mit dem Vorgang befassen. Hierdurch wird insbesondere eine Verzögerung des [X.] vermieden (vgl. BT-Drucks. 16/1024 S. 13; siehe auch [X.] in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 79 [X.] Rn. 10). Weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 79 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist indes zu entnehmen, dass ein Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Entscheidung des [X.]s gemäß § 29 Abs. 1 [X.] als unzulässig anzusehen ist, wenn die zuständige Behörde die Auslieferung mangels Vorliegens der Zulässigkeitsvoraussetzungen als nicht bewilligungsfähig erachtet und sich insofern eine Entscheidung über die Geltendmachung von [X.] (§ [X.] [X.]) erübrigt.

3. Der Verfolgte hat sich, wie § 29 Abs. 1 [X.] weiter voraussetzt, nicht mit einer vereinfachten Auslieferung (§ 41 [X.]) einverstanden erklärt.

Zwar hat der Verfolgte, der bisher keine Kenntnis von dem Auslieferungsverfahren hat, keine Erklärung abgegeben. Ein solcher Fall ist allerdings jedenfalls dann nicht anders zu bewerten, wenn – wie hier – kein Auslieferungshaftbefehl gegen ihn ergangen ist und der Erlass eines solchen auch ausscheidet (vgl. § 15 Abs. 2 [X.]). Insofern kommt eine vereinfachte Auslieferung ohnehin nicht in Betracht (vgl. hierzu [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], Internationaler [X.] in Strafsachen, 3. Aufl., § 41 [X.] Rn. 18 ff.). Die Erklärung eines rechtswirksamen Einverständnisses mit dem vereinfachten Verfahren ist demnach nicht möglich, sodass vorliegend – in Abgrenzung zu § 29 Abs. 2 [X.] – der Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 [X.] eröffnet ist (vgl. – für den Fall einer zwar abgegebenen aber unwirksamen Einverständniserklärung – Riegel in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 29 [X.] Rn. 4; Köberer in [X.]/[X.]/[X.], [X.] in Strafsachen, 2. Aufl., § 29 [X.] Rn. 372; siehe auch [X.], [X.], 432).

4. Es besteht schließlich das für eine gerichtliche Entscheidung gemäß § 29 Abs. 1 [X.] vorauszusetzende Feststellungsinteresse.

Der teilweise vertretenen Auffassung, es fehle an einem Feststellungsinteresse für eine gerichtliche Entscheidung nach § 29 Abs. 1 [X.], wenn die zuständige Behörde die Auslieferung nicht bewilligen wolle (vgl. OLG [X.], Beschluss vom 11. Februar 2021 ‒ 1 AR [Ausl] 17/20, juris Rn. 16; [X.], Beschluss vom 31. März 2021 – 1 AR 4/21 [S], juris Rn. 26; OLG [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 – [X.] 258/20, juris Rn. 6; siehe auch OLG [X.], Beschluss vom 3. Mai 2021 ‒ [X.]/21, juris Rn. 12 ff.; Riegel in [X.]/[X.], Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 29 [X.] Rn. 5; je [X.]), vermag der Senat jedenfalls derzeit nicht zu folgen.

Die für die Bewilligungsentscheidung zuständige Generalstaatsanwaltschaft [X.] erfüllt nach eigener Einschätzung aufgrund ihrer Weisungsgebundenheit (§§ 146, 147 [X.]) nicht die Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.] 2021, 84 f.) an eine „vollstreckende Justizbehörde“ im Sinne von Art. 3, 4 und 6 Abs. 2 [X.] zu stellen sind. Diese Rechtsauffassung ist auch in der vorliegenden Verfahrenskonstellation einer beabsichtigen Ablehnung der Vollstreckung eines [X.] Haftbefehls vertretbar und naheliegend. Zwar liegt dem durch den Gerichtshof der [X.] beurteilten Sachverhalt eine Zustimmung zur Auslieferung im Sinne von Art. 27 Abs. 3 Buchst. g, Abs. 4 [X.] und somit eine Fallgestaltung zugrunde, die mit einem Eingriff in Rechtspositionen des Verfolgten verbunden ist. Es ist aber nicht ersichtlich, dass hinsichtlich der Weisungsgebundenheit abweichende Grundsätze gelten sollen, wenn die Auslieferung – wie hier – aufgrund eines [X.] (vgl. insoweit auch Art. 4 Nr. 4 [X.]) nicht bewilligt werden soll, zumal der Gerichtshof der [X.] seine diesbezüglichen Ausführungen auch auf die in Art. 6 Abs. 2 [X.] enthaltene allgemeine Begriffsdefinition der vollstreckenden Justizbehörde bezieht (vgl. [X.], [X.] 2021, 84, 85).

Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls derzeit – bis zu einem Tätigwerden des Gesetzgebers – ein Feststellungsinteresse für eine Entscheidung des [X.]s zu bejahen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 10. März 2021 ‒ [X.] (A) 4/2021). Ohne gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung verbliebe das Auslieferungsverfahren auf unabsehbare [X.] in einem „Schwebezustand“, da sich die Generalstaatsanwaltschaft durch die genannte Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] an einer eigenständigen Entscheidung über die Ablehnung der Auslieferung gehindert sieht. Würde die Generalstaatsanwaltschaft ungeachtet dessen die Bewilligung der Auslieferung ablehnen, verbliebe gleichwohl, wie bereits ausgeführt, auch innerstaatlich eine Rechtsunsicherheit.

5. Die Auslegung des § 29 Abs. 1 [X.] stellt auch keine unzulässige Rechtsfortbildung dar. Eine gerichtliche Auslegung überschreitet zwar dann die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung, wenn sie sich gegen eine klar erkennbare gesetzgeberische Grundentscheidung wendet (vgl. [X.]E 149, 126 Rn. 73 ff.). Eine solche Grundentscheidung des Gesetzgebers, die der Auslegung des § 29 Abs. 1 [X.] durch den Senat entgegenstehen würde, ist weder den ‒ knappen ‒ Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 9/1338 [X.]) zu entnehmen noch sonst ersichtlich.

6. Die Annahme einer mit der Zulässigkeit des Antrags korrespondierenden Entscheidungspflicht des [X.]s führt im zugrunde liegenden Auslieferungsverfahren im Übrigen nicht dazu, dass das Gericht selbst – entgegen der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben- und Verantwortungsteilung – die Funktion der Bewilligungsbehörde einnehmen würde (vgl. hierzu OLG [X.], Beschluss vom 11. Februar 2021 – 1 AR [Ausl] 17/20, juris Rn. 19 f.; siehe auch [X.], Beschluss vom 7. Juli 2021 – 1 AR 13/21 [S], juris Rn. 26 [X.]). Dem steht schon entgegen, dass vorliegend ausschließlich eine im Gesetz (§ 29 [X.]) ausdrücklich vorgesehene gerichtliche Entscheidung über die (Un-)Zulässigkeit der Auslieferung zu treffen ist.

7. Dem Verfolgten wurde durch das vorlegende [X.], das die Entscheidung der Vorlagefrage ersichtlich als vorgreiflich angesehen hat, bislang kein rechtliches Gehör gewährt. Der Senat hat angesichts dieser Besonderheit des Einzelfalls davon abgesehen, der Gewährung rechtlichen Gehörs durch das [X.] vorzugreifen.

[X.]     

      

Bartel     

      

Rommel

      

Maatsch     

      

Messing     

      

Meta

4 ARs 13/21

18.08.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 29 Abs 1 IRG, § 42 IRG, § 78 Abs 1 IRG, Art 3 EURaBes 584/2002, Art 4 EURaBes 584/2002, Art 6 Abs 2 EURaBes 584/2002

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.08.2022, Az. 4 ARs 13/21 (REWIS RS 2022, 7133)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7133

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