Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.06.2012, Az. 4 ARs 5/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5497

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Gegenstand

Auslieferung nach Polen zur Strafverfolgung: Zulässigkeit bei Möglichkeit einer Begnadigung im Falle der zu erwartenden lebenslangen Freiheitsstrafe


Leitsatz

Die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG, wonach bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, ist durch die nach Art. 560 ff. der polnischen Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer Begnadigung erfüllt.

Tenor

Die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 IRG, wonach bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, ist durch die nach Art. 560 ff. der [X.] Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer Begnadigung erfüllt.

Gründe

I.

1

1. a) Die Strafverfolgungsbehörden der [X.] haben auf der Grundlage eines [X.] Haftbefehls des Bezirksgerichts in S.    vom 11. März 2008 um Auslieferung des am 10. März 2011 in [X.] festgenommenen [X.] Staatsangehörigen [X.]     zur Strafverfolgung ersucht. Dem [X.] Haftbefehl liegt der Beschluss des Amtsgerichts in S.    vom 13. November 2007 über die vorläufige Festnahme des Verfolgten zugrunde.

2

Dem Verfolgten werden ein versuchtes Tötungsdelikt gemäß Art. 13 § 1, Art. 148 § 2 des [X.] Strafgesetzbuchs und unerlaubter Schusswaffenbesitz gemäß Art. 263 § 2 des [X.] Strafgesetzbuchs zur Last gelegt. Ihm wird vorgeworfen, am 24. Juni 2007 um ca. 22.30 Uhr in einer Bar in S.    mit einer automatischen Pistole, für deren Führen er nicht die erforderliche Erlaubnis besaß, in Tötungsabsicht mehrere Schüsse auf [X.]  abgegeben und diesen dadurch verletzt zu haben.

3

Die [X.]schaft in [X.] hat beantragt, die Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären. Mit einer vereinfachten Auslieferung hat sich der Verfolgte in diesem Verfahren einverstanden erklärt; auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität hat er nicht verzichtet.

4

Nach der zur [X.] jenes Haftbefehls geltenden Fassung des Art. 148 § 2 Nr. 4 des [X.] Strafgesetzbuchs wurde die Tötung eines Menschen unter Verwendung einer Schusswaffe mit Freiheitsstrafe nicht unter zwölf Jahren, mit 25 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Da in der derzeit geltenden Fassung von Art. 148 des [X.] Strafgesetzbuchs die Qualifikationsalternative der Verwendung einer Schusswaffe entfallen ist (vgl. Schwierskott-Matheson, [X.] Strafgesetzbuch [polnisch-deutsche Ausgabe], 2011, [X.]), würde die Tat bei Anwendung dieser Fassung des [X.] Strafgesetzbuchs nach Art. 148 § 1 mit Freiheitsstrafe nicht unter acht Jahren, mit 25 Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet. Die Strafe für den Versuch wird dem Strafrahmen für die vollendete Straftat entnommen (Art. 14 § 1 des [X.] Strafgesetzbuchs). Bei Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann gemäß Art. 78 § 3 2. Alt. des [X.] Strafgesetzbuchs eine vorläufige Entlassung frühestens nach Verbüßung von 25 Jahren Freiheitsstrafe erfolgen. Für das [X.] sieht das [X.] Strafgesetzbuch Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu acht Jahren vor.

5

b) Aufgrund eines weiteren [X.] Haftbefehls des Bezirksgerichts in S.    vom 16. September 2008 ist der Verfolgte inzwischen zur Vollstreckung einer durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts in S.    vom 10. April 2007 wegen [X.] verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren an die [X.] ausgeliefert worden. Auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität hat er auch in diesem Verfahren nicht verzichtet.

6

2. Das [X.] [X.] hat mit Beschluss vom 24. März 2011 die Auslieferung des Verfolgten an die [X.] Regierung allein zur Strafvollstreckung, nicht aber zur Strafverfolgung angeordnet. Es beabsichtigt, dem Antrag der [X.]schaft in [X.] insofern - also hinsichtlich der Auslieferung auch zur Strafverfolgung - nicht zu entsprechen.

7

Es ist - in weiten Teilen seiner schon im Beschluss vom 5. Oktober 2009 ([X.].: [X.] [X.]/09 - 609/09 III) vertretenen Ansicht folgend - der Auffassung, dass die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 [X.] nicht erfüllt sei, wonach dann, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe auf Antrag oder von Amts wegen spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss. Art. 78 § 3 des [X.] Strafgesetzbuches sehe eine solche Überprüfung erst nach Ablauf von 25 Jahren vor. Die bereits vorher bestehende Möglichkeit des Verfolgten, ein Gnadengesuch gemäß Art. 560 ff. der [X.] Strafprozessordnung zu stellen, sei nicht ausreichend, weil § 83 Nr. 4 [X.] eine gerichtliche oder jedenfalls der gerichtlichen Kontrolle zugängliche Überprüfung verlange. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm, mit der der Gesetzgeber Art. 5 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den [X.] Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten – 2002/[X.] (im Folgenden: [X.]) in nationales Recht umgesetzt habe. Art. 5 Abs. 2 [X.] differenziere zwischen der "Überprüfung" und "Gnadenakten" und stelle es dem ersuchten Mitgliedstaat frei, eine gerichtliche Überprüfung als Bedingung für die Auslieferung zu fordern oder die Möglichkeit eines Gnadenaktes ausreichen zu lassen. Der Bundesgesetzgeber habe sich für das Erfordernis einer gerichtlichen Überprüfung entschieden, mit der das [X.] Gnadenverfahren, das keine gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Präsidenten der [X.] vorsehe, nicht vergleichbar sei.

8

3. An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich das [X.] [X.] durch die Entscheidungen des [X.] vom 21. Juni 2007 (1 Ausl-III-41/05) und des [X.] vom 19. Oktober 2009 (1 [X.]) gehindert. Diese Gerichte vertreten die Auffassung, dass das [X.] Gnadenverfahren eine Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 4 [X.] darstelle; ähnlich haben das [X.] (Beschluss vom 27. April 2009 - 6 [X.]/08) für eine Auslieferung nach [X.] und das [X.] (Beschluss vom 10. Oktober 2008 - 1 ARs 40/08 Ausl) für eine Auslieferung nach [X.] entschieden. Darüber hinaus sieht das [X.] [X.] in der aufgeworfenen Frage eine solche von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 42 Abs. 1 1. Alt. [X.] und hat deshalb die Sache dem [X.] zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:

"Ist die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 [X.], wonach bei lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, durch die nach Art. 560 ff. der [X.] Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer – gemäß Art. 139 der [X.] Verfassung dem Präsidenten der [X.] vorbehaltenen – Begnadigung erfüllt?"

9

4. Der [X.] hat die [X.] geringfügig abgeändert (Einfügung von "zu erwartender" lebenslanger Freiheitsstrafe und Weglassung des Einschubs „gemäß Art. 139 der [X.] Verfassung dem Präsidenten der [X.] vorbehaltenen“) und beantragt zu entscheiden:

"Die ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzung des § 83 Nr. 4 [X.], wonach bei zu erwartender lebenslanger Freiheitsstrafe eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe spätestens nach 20 Jahren erfolgen muss, ist durch die nach Art. 560 ff. der [X.] Strafprozessordnung vorgesehene Möglichkeit einer Begnadigung erfüllt."

5. Der anwaltliche Vertreter des Verfolgten hat beantragt, den Antrag des [X.]s zurückzuweisen. Zur Begründung hat er auf die Ausführungen des [X.]s [X.] in dem Vorlagebeschluss vom 10. August 2011 verwiesen und ergänzend unter anderem ausgeführt, dass Art. 5 Abs. 2 [X.] einen "Gnadenakt" erfordere, also eine Gnade gewährende Entscheidung, ein Anspruch allein auf die Durchführung eines Gnadenverfahrens mithin nicht ausreiche.

II.

1. Die Vorlegungsvoraussetzungen des § 42 Abs. 1 [X.] sind erfüllt.

a) Das [X.] [X.] kann - wie es zutreffend dargelegt hat - nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von der in den Beschlüssen der [X.]e [X.] und [X.] vertretenen Rechtsansicht abzuweichen (§ 42 Abs. 1 2. Alt. [X.]), zumal sich inzwischen auch das [X.] der von diesen Gerichten vertretenen Rechtsansicht angeschlossen hat (Beschluss vom 19. Dezember 2011 - [X.]/11).

Darüber hinaus ist die aufgeworfene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 42 Abs. 1 1. Alt. [X.]); denn sie kann sich im deutsch-[X.] Auslieferungsverkehr über den vorgelegten Einzelfall hinaus jederzeit wieder stellen (vgl. Senatsbeschluss vom 15. April 2008 – 4 ARs 22/07, [X.], 191, 199 mwN), was dadurch belegt wird, dass das [X.] eine Entscheidung über einen Auslieferungsantrag nach [X.], in dem sich dieselbe Problematik wie im vorliegenden Fall stellt, zurückgestellt hat (Beschluss vom 19. Dezember 2011 - [X.]/11 [juris - [X.]. 10 ff.]).

b) Die Rechtsfrage ist für die Entscheidung auch erheblich.

Zwar hat sich der Verfolgte im vorliegenden Verfahren mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt. Dies steht aber einer entsprechenden - hier von der [X.]schaft allerdings allein auf § 29 Abs. 1 [X.] gestützten - Antragstellung nicht entgegen (vgl. § 29 Abs. 2 [X.]) und verpflichtet das Gericht, da sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen ersichtlich nicht in Frage stehen, über den Antrag in der Sache zu entscheiden. Hinzu kommt, dass das vorlegende [X.] bereits in seinem Beschluss vom 24. Mai 2011 darauf hingewiesen hat, dass seiner Ansicht nach bei der richterlichen Anhörung des Verfolgten am 11. März 2011 eine ordnungsgemäße Belehrung nach § 79 Abs. 2 Satz 4 [X.] unterblieben ist, was zur Folge hätte, dass sein dort erklärtes Einverständnis mit der vereinfachten Auslieferung nicht wirksam wäre (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., § 79 Rn. 18). Zudem hat sich das der [X.]schaft in § 29 Abs. 2 [X.] eingeräumte Ermessen im Hinblick auf die gegensätzlichen Entscheidungen der [X.]e zur Auslegung von § 83 Nr. 4 [X.] ohnehin auf Null reduziert (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] aaO § 29 Rn. 7; ferner [X.], Beschluss vom 27. April 2009 - 6 [X.]/08 [juris - [X.]. 4, 6]; zum Schutzzweck des § 29 Abs. 2 [X.]: [X.] aaO § 29 Rn. 5).

Die Auslieferung ist auch nicht bereits auf Grundlage des [X.] Auslieferungsübereinkommens von 1957 (im Folgenden: [X.]), des [X.] von 1978 (im Folgenden: 2. ZP [X.]) oder des Vertrages zwischen der [X.] [X.] und der [X.] über die Ergänzung des [X.] von 2003 (im Folgenden: PL-ErgV [X.]) zulässig. Denn diese Regelungen sind nicht mehr anwendbar. Nach § 78 Abs. 2 [X.] gehen die Bestimmungen des 8. Teils des [X.] den in § 1 Abs. 3 [X.] genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen vor, soweit dieser – wie bei dort enthaltenen speziellen Bestimmungen zum Schutz des Verfolgten (Böse in [X.]/[X.]/[X.], Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, § 78 [X.] Rn. 1), mithin auch im Falle des § 83 Nr. 4 [X.] – abschließende Regelungen enthält. Dies entspricht der Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofs, nach der zu den nach Art. 31 Abs. 2 [X.] weiterhin anwendbaren bilateralen oder multilateralen Abkommen nicht die in Art. 31 Abs. 1 [X.] aufgeführten Abkommen – also auch nicht das in Art. 31 Abs. 1 a) genannte [X.] und das 2. ZP [X.] – zählen, die durch den Rahmenbeschluss ersetzt wurden ([X.], Urteil vom 12. August 2008 [Goicoechea] - [X.], [X.], 657, 658; dazu auch [X.] aaO § 78 Rn. 7 f.).

III.

Der Senat bejaht die (vom [X.] geringfügig abgeänderte) [X.].

1. Nach § 83 Nr. 4 [X.] ist eine Auslieferung nur dann unzulässig, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht ist und eine Überprüfung der Vollstreckung der verhängten Strafe auf Antrag oder von Amts wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt. Eine Beschränkung auf gerichtliche oder der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Entscheidungen lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen; ebenso wenig schließt der Wortlaut [X.] von vorneherein aus.

2. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist ein Gnadenverfahren jedenfalls dann als Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 4 [X.] anzusehen, wenn es die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht und es dem Verfolgten einen Anspruch auf eine sachliche Kriterien berücksichtigende Entscheidung über sein Gnadengesuch einräumt.

a) Zwar benennen sowohl Art. 5 Abs. 2 [X.], der durch den am 2. August 2006 in [X.] getretenen § 83 Nr. 4 [X.] in nationales Recht umgesetzt wurde, als auch die Gesetzesmaterialien zur ersten, mit Urteil des [X.] vom 18. Juli 2005 (2 BvR 2236/04, NJW 2005, 2289) für nichtig erklärten Umsetzung des Rahmenbeschlusses durch das [X.] vom 21. Juli 2004 ([X.] I, S. 1748) in § [X.] Nr. 4 [X.] sowohl einerseits die "Überprüfung" als auch andererseits "Gnadenakte" bzw. die "Möglichkeit der Begnadigung".

Art. 5 Abs. 2 [X.] lautet:

"Die Vollstreckung des [X.] Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde kann nach dem Recht dieses Staates an eine der folgenden Bedingungen geknüpft werden:

1. (…)

2. Ist die Straftat, die dem [X.] Haftbefehl zugrunde liegt, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des [X.] Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des [X.] eine Überprüfung der verhängten Strafe – auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren – oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die betreffende Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des [X.] Anspruch hat.

3. (…)"

In der Gesetzesbegründung zum damals fakultativ ausgestalteten Bewilligungshindernis - im hier relevanten Teil mit der jetzigen Fassung des § 83 Nr. 4 [X.] aber textidentischen - § [X.] Nr. 4 [X.] heißt es:

"Eine Auslieferung kann abgelehnt werden, wenn nicht sichergestellt ist, dass spätestens 20 Jahre nach Beginn der Vollstreckung eine Überprüfung der weiteren Vollstreckung erfolgt. Ob die Überprüfung auf Antrag des Verfolgten oder von Amts wegen erfolgt, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass ein Rechtsanspruch auf Überprüfung besteht. Die immer bestehende Möglichkeit einer Begnadigung ist jedoch hierfür nicht ausreichend. Der Rechtsanspruch kann sich aus einer gesetzlichen Vorschrift des ersuchenden Staates, aus seiner Rechtspraxis oder, im Falle der Zusicherung einer Überprüfung im Auslieferungsverfahren, aus der allgemeinen Pflicht zur Einhaltung bindender völkerrechtlicher Zusagen ergeben. Zweifel im Einzelfall, ob diese Zulässigkeitsvoraussetzung vorliegt, können durch Einholung einer Rechtsauskunft oder einer Zusicherung ausgeräumt werden“ (BT-Drucks. 15/1718, S. 21).

b) Die Gesetzesbegründung zum zweiten Entwurf eines [X.] Haftbefehlsgesetzes benennt dagegen den "[X.]" ausdrücklich als Beispiel einer "Überprüfung" im Sinne des gegenüber der Erstfassung unveränderten § [X.] Nr. 4 [X.]. Dort ist ausgeführt:

"Bei lebenslanger Freiheitsstrafe (…) kann die Auslieferung nach § [X.] Nr. 4 verweigert werden, wenn eine Überprüfung der Vollstreckung nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt. Ist die Überprüfung nicht schon auf Grund des Rechts des ersuchenden Staates gesichert, so kann von diesem Bewilligungshindernis kein Gebrauch gemacht werden, wenn über eine Bedingung bei der Auslieferung die Einhaltung einer fristgerechten Überprüfung, beispielsweise im [X.], sichergestellt und auf die Einhaltung der Bedingung vertraut werden kann“ (BT-Drucks. 16/1024, [X.]; ebenso bereits BT-Drucks. 16/544, S. 10).

Von diesen Erwägungen ist der Gesetzgeber ersichtlich nicht mehr abgerückt. Vielmehr wurde auf Empfehlung des Rechtsausschusses des [X.] lediglich die Ausgestaltung als Bewilligungshindernis zugunsten einer Zulässigkeitsvoraussetzung in § 83 Nr. 4 [X.] abgeändert (BT-Drucks. 16/2015, [X.], 13).

Dies belegt, dass der Gesetzgeber ein Gnadenverfahren, in dem der Verfolgte einen Anspruch auf Entscheidung über die weitere Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe bereits vor Ablauf von 20 Jahren hat, als Überprüfung im Sinne des § 83 Nr. 4 [X.] ausreichen lassen wollte. Nach der Gesetzesbegründung zum ersten [X.] Haftbefehlsgesetz sollte zwar die „immer bestehende Möglichkeit der Begnadigung“ nicht genügen, um zur Auslieferung zu verpflichten. Indes fordern weder Art. 5 Abs. 2 [X.] noch die Gesetzesbegründung zum ersten [X.] Haftbefehlsgesetz ein gerichtliches oder der gerichtlichen Kontrolle unterliegendes Verfahren, sondern stellen maßgeblich auf einen Rechtsanspruch des Verfolgten auf Überprüfung der weiteren Vollstreckung ab. Dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, Art. 5 Abs. 2 [X.] ermögliche es ihm, die Auslieferung entweder an die Bedingung einer gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit oder an die Bedingung eines möglichen Gnadenaktes zu knüpfen, und dass er der Ansicht war, dass ein gesetzlich geregeltes Gnadenverfahren generell als Bedingung für die Auslieferung nicht ausreiche, lässt sich den Materialien nicht entnehmen. Die Begründung zum Entwurf des zweiten [X.] Haftbefehlsgesetzes benennt vielmehr eine "Überprüfung … im [X.]", auf die der Verfolgte einen Anspruch hat, als ausreichende Bedingung für die Auslieferung. Zwar bezieht sich dies - der Konzeption des Entwurfs des § [X.] Nr. 4 [X.] als eines Bewilligungshindernisses folgend - unmittelbar nur auf eine im Einzelfall aufgestellte Bedingung. Gleichwohl ist diesen Ausführungen - und der Umsetzung der vom Rechtsauschuss empfohlenen Änderung durch den Gesetzgeber - zu entnehmen, dass ein Gnadenverfahren jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen als ausreichende Überprüfung der weiteren Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe angesehen werden kann.

3. Jedenfalls zwingt aber eine rahmenbeschlusskonforme Auslegung dazu, in einem Gnadenverfahren, das die Aussetzung der Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ermöglicht und dem Verfolgten einen Anspruch auf eine sachliche Kriterien berücksichtigende Entscheidung über sein Gnadengesuch einräumt, die von § 83 Nr. 4 [X.] aufgestellte Voraussetzung einer Überprüfung als erfüllt anzusehen.

a) Dem - auch weiterhin geltenden (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.]/A[X.], 4. Aufl., Art. 67 A[X.] Rn. 41) - Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den [X.] Haftbefehl kommt zwar der Anwendungsvorrang des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts nicht zu; auch ist seine unmittelbare Anwendbarkeit durch Art. 34 Abs. 2 Buchst. [X.] [X.] a.F. weiterhin ausgeschlossen (vgl. auch [X.], Beschluss vom 13. August 2009 - 2 BvR 471/09, [X.]K 16, 131). Nach der Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofs besteht jedoch die Pflicht der mitgliedstaatlichen Gerichte zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung des nationalen Rechts, die sich so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses auszurichten hat (vgl. Urteil vom 16. Juni 2005 [[X.]] - [X.], NJW 2005, 2839, 2841 [[X.]. 43]; ferner [X.], Beschluss vom 13. August 2009 - 2 BvR 471/09; [X.], Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 [X.], [X.]St 54, 216 [[X.]. 28]; [X.], Europäisches Strafrecht, 3. Aufl., [X.] f.; [X.] aaO Vor § 78 Rn. 10; [X.] aaO Art. 67 A[X.] Rn. 21 ff.).

b) Art. 5 Abs. 2 [X.] beinhaltet - anders als das vorlegende [X.] meint - nicht zwei voneinander unabhängige, sondern nur eine Bedingung, die es dem ersuchten Mitgliedstaat erlaubt, die Auslieferung aufgrund eines [X.] Haftbefehls bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe zu verweigern, wenn das Recht des [X.] - jeweils unter den im Rahmenbeschluss näher genannten Voraussetzungen - eine [X.] weder aufgrund einer "Überprüfung" noch aufgrund eines "Gnadenaktes" zulässt (so auch [X.], Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit in der [X.] Union, [X.]2).

Das ergibt sich bereits aus der sprachlichen Fassung des Rahmenbeschlusses. Art. 5 Abs. 2 [X.] spricht von “der Bedingung“ (auch die [X.] und die [X.] Fassung verwenden den Singular, „the condition“ bzw. „la condition“), dass die Rechtsordnung des [X.] eine Überprüfung oder Gnadenakte zulässt. Der daran anknüpfende Relativsatz, „die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die betroffene Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des [X.] Anspruch hat“, bezieht sich dabei sowohl auf „Überprüfung“ als auch auf „Gnadenakte“. Zwar ist insoweit auch ein Bezug lediglich auf die „Gnadenakte“ denkbar (ebenso in der [X.]n und der [X.] Fassung, wo sich der Femininum Plural „auxelles“ bzw. „alle quali“ sowohl allein auf „[X.]“ bzw. „misure di clemenza“ als auch zusätzlich auf „[X.]“ bzw. „revisione“ beziehen kann). [X.] sich der Relativsatz aber so, dass er nur auf „Gnadenakte“ bezogen wäre, wäre die in Art. 5 Abs. 2 [X.] vorgesehene „Überprüfung“ nicht an die Voraussetzung geknüpft, dass sie zur Aussetzung der Vollstreckung führen kann und der Verfolgte auf eine Entscheidung hierüber einen Anspruch hat, was nach dem Zweck und dem Gesamtzusammenhang der Regelung ersichtlich aber ebenso wenig gewollt ist, wie der Bezug der Parenthese "auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren" allein auf die "Überprüfung", nicht aber auf "Gnadenakte" (die Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Rahmenbeschlusses ist in diesem Zusammenhang unergiebig, weil sich die Begründung der [X.] Kommission zum Entwurf des Rahmenbeschlusses vom 19. September 2001 - [X.] [2001] 522 endgültig [vgl. dort [X.], 44] - auf einen insofern vom letztlich verabschiedeten Text abweichenden Entwurf bezieht).

Gegen das vom vorlegenden [X.] vorgebrachte Verständnis zweier voneinander unabhängiger Bedingungen spricht weiter, dass es der Intention von Art. 5 Abs. 2 [X.] offensichtlich widersprechen würde, wenn es dem nationalen Gesetzgeber überlassen wäre, etwa einzig ein Gnadenverfahren als Voraussetzung für die Auslieferung als ausreichend zu erachten, bei nicht vorgesehenem Gnadenverfahren aber trotz eines gesetzlich sachgerecht geregelten gerichtlichen Überprüfungsverfahrens nicht auszuliefern.

c) Dabei fordert Art. 5 Abs. 2 [X.] - entgegen der Ansicht des anwaltlichen Vertreters des Verfolgten - nicht, dass schon im Zeitpunkt der Entscheidung über die Auslieferung ein Gnadenakt im Sinne einer Gnade gewährenden Entscheidung vorliegt. Schon nach dem Wortlaut der Regelung ist vielmehr nur geboten, dass "die Rechtsordnung des [X.] [des [X.] Haftbefehls] … Gnadenakte zulässt".

d) Eine Vorlage an den Gerichtshof der [X.] Union zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 [X.] ist nicht geboten.

Es ist vorrangig Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob sein Recht in einer rahmenbeschlusskonformen Weise ausgelegt werden kann ([X.], Urteil vom 16. Juni 2005 [[X.]] - [X.], NJW 2005, 2839, 2841 [[X.]. 47]; vgl. ferner [X.], Beschluss vom 13. August 2009 - 2 BvR 471/09, [X.]K 16, 131). Das nationale Gericht trägt auch die wesentliche Verantwortung für die Einhaltung der Grenzen einer solchen Auslegung ([X.] aaO Art. 67 A[X.] Rn. 25; [X.] in [X.]/[X.] aaO Art. 267 A[X.] Rn. 21). Kommt es bei der mithin zunächst ihm obliegenden Auslegung zu dem Ergebnis, die Voraussetzungen für die Erholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] Union (hier: nach Art. 267 Buchst. b A[X.]) seien nicht gegeben, weil die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum ist ("acte claire-Doktrin"; vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 2109/09; [X.] aaO Art. 267 A[X.] Rn. 32 jeweils mwN), so ist es - auch als letztinstanzliches Gericht - zur Erholung dieser Vorabentscheidung nicht verpflichtet.

Dies ist vorliegend der Fall. Der Senat ist - wie sich aus obigen Ausführungen ergibt - auch bei Berücksichtigung insbesondere der verschiedenen Sprachfassungen und der besonderen Begrifflichkeiten des Gemeinschaftsrechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstandes der Überzeugung, dass weder der Gerichtshof der [X.] Union noch Gerichte anderer Mitgliedstaaten Art. 5 Abs. 2 [X.] anders auslegen würden, als der Senat dies oben getan hat.

4. Die auch - unter bestimmten Voraussetzungen - Gnadenverfahren in die "Überprüfung" im Sinne des § 83 Nr. 4 [X.] einbeziehende Auslegung führt schließlich dazu, dass [X.] zwischen Fällen der dem [X.] unterfallenden Auslieferung und denen der Auslieferung an einen Drittstaat (vgl. dazu unten 6.) weitgehend vermieden werden.

5. Das [X.] Gnadenverfahren erfüllt die Anforderungen des - in obigem Sinne ausgelegten - § 83 Nr. 4 [X.].

a) Gemäß Art. 560 § 1 der [X.] Strafprozessordnung können - abgesehen von Fällen einer Verurteilung durch den Staatsgerichtshof (Art. 139 der [X.] Verfassung) - der Verurteilte und nahe Angehörige ein Gnadengesuch stellen, das beim Gericht des ersten [X.] anzubringen ist (Art. 561 § 1 der [X.] Strafprozessordnung). Dieses soll gemäß Art. 561 § 2 der [X.] Strafprozessordnung innerhalb von zwei Monaten entscheiden, wobei die Entscheidungskriterien – insbesondere das Verhalten des Verurteilten nach der Entscheidung, das Ausmaß der bereits vollzogenen Strafe, der Gesundheitszustand des Verurteilten und seine Familienverhältnisse, geleisteter Schadensersatz für den durch die Straftat verursachten Schaden und vor allem nach der Verurteilung eingetretene Ereignisse – von Art. 563 der [X.] Strafprozessordnung vorgegeben sind. Hat in der Sache nur das Gericht des ersten [X.] entschieden und befürwortet es das Gnadengesuch, so leitet es die Akten dem [X.] zu, anderenfalls ist das Gnadenverfahren beendet. Wenn in der Sache ein Rechtsmittelgericht entschieden hat, leitet das Gericht des ersten [X.] diesem die Akten mit seiner Stellungnahme weiter (Art. 564 § 1 und § 2 der [X.] Strafprozessordnung). Ist die Stellungnahme des Erstgerichts negativ und befürwortet auch das Rechtsmittelgericht das Gnadengesuch nicht, ist das Gnadenverfahren beendet; in allen anderen Fällen leitet das Rechtsmittelgericht die Akten dem [X.] zu (Art. 564 § 3 der [X.] Strafprozessordnung). Hat mindestens ein Gericht das Gnadengesuch positiv bewertet, legt dieser es gemäß Art. 565 § 1 der [X.] Strafprozessordnung dem Präsidenten der [X.], der nach Art. 139 der [X.] Verfassung das Gnadenrecht ausübt, mit einer eigenen Stellungnahme vor. Er oder der [X.] können ein Gnadenverfahren auch von Amts wegen einleiten (Art. 567 § 1 und § 2 der [X.] Strafprozessordnung). Eine Mindestverbüßungsdauer vor der Einleitung des Gnadenverfahrens sehen die Art. 560 ff. der [X.] Strafprozessordnung nicht vor.

Dass der Verurteilte einen gesetzlichen Anspruch auf Verbescheidung seines [X.] und damit auf Überprüfung der Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat, ergibt sich insbesondere aus Art. 566 der [X.] Strafprozessordnung. Denn nur wenn vor Ablauf eines Jahres ab der negativen Verbescheidung eines vorherigen ein neues Gnadengesuch gestellt wird, muss über dieses nicht entschieden werden. Hieraus folgt, dass in allen anderen Fällen der Verurteilte einen Anspruch auf Durchführung des Gnadenverfahrens und auf Verbescheidung seines Antrags hat. Dementsprechend hat - ähnlich der Mitteilung des [X.] Justizministeriums an den [X.] (vgl. Seiten 21/22 der Antragsschrift vom 19. Januar 2012; ferner OLG [X.], Beschluss vom 21. Juni 2007 - 1 Ausl-III-41/05 [juris - [X.]. 36]) - die [X.]     auf Anfrage des [X.]s in [X.] in anderer Sache (dortiges [X.].: 4 [X.]) mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 ausgeführt:

"Die einzige Grundlage für die Ablehnung des [X.] aus formellen Gründen ist die Stellung des [X.] vor Ablauf eines Jahres ab der Stellung des vorherigen Gesuchs. In allen sonstigen Fällen muss jederzeit ein Begnadigungsverfahren eingeleitet und die Sache meritorisch entschieden werden."

b) Das [X.] Gnadenverfahren erfüllt die Anforderungen des - in obigem Sinne ausgelegten - § 83 Nr. 4 [X.], obwohl für die abschließende Entscheidung des Staatspräsidenten keine bindenden (materiellen) Kriterien vorgegeben sind und seine Entscheidung keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist (vgl. auch OLG [X.], Beschluss vom 21. Juni 2007 - 1 Ausl-III-41/05 [juris - [X.]. 35]; a.A. z.B. [X.] aaO § 83 Rn. 16). Ein insgesamt justizförmiges Verfahren fordern weder - wie dargelegt - § 83 Nr. 4 [X.] noch europäisches Recht oder [X.] Verfassungsrecht (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [[X.]. 38], [X.]E 113, 154, 167). Vielmehr genügt jedenfalls, wenn - wie im [X.] Gnadenrecht - für die Gnadenentscheidung keinerlei tatbestandliche Einschränkungen vorgesehen sind (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [[X.]. 35 ff.], [X.]E 113, 154, 166 f.), sondern - sogar durch ein justizförmiges Verfahren - gewährleistet ist, dass sachgerechte Kriterien bei der Entscheidung berücksichtigt werden können, also hierzu erforderlichenfalls Ermittlungen angestellt und Feststellungen getroffen werden, und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der zur Gnadenentscheidung Berufene diese bei seiner Entscheidung außer Betracht lässt (vgl. dazu auch OLG [X.], Beschluss vom 21. Juni 2007 - 1 Ausl-III-41/05 [juris - [X.]. 38]; zum [X.] Gnadenrecht auch [X.], Beschluss vom 27. April 2009 - 6 [X.]/08 [juris - [X.]. 24 f.]; zum Gnadenrecht der [X.]: [X.], Beschluss vom 14. Januar 2011 - [X.] 179/10 [juris - [X.]. 33 ff.]; dazu auch VerfG-Sachsen, Beschluss vom 11. März 2011 - [X.]. 25-IV-11 [X.], [X.]. 26-IV-11 e.A. [juris - Rn. 15 ff.]). Mit der Berücksichtigung des Verhaltens des Verurteilten nach der Entscheidung, des Ausmaßes der bereits vollzogenen Strafe, des Gesundheitszustandes des Verurteilten und seiner Familienverhältnisse, geleisteten Schadensersatzes für den durch die Straftat verursachten Schaden und vor allem nach der Verurteilung eingetretener Ereignisse eröffnet das [X.] Gnadenrecht dem Verurteilten die nicht nur vage Hoffnung auf ein späteres selbstbestimmtes Leben in Freiheit (vgl. zu diesem Erfordernis auch [X.], Beschluss vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [[X.]. 28 f.], [X.]K 16, 491, 499).

6. Die Subsumtion des [X.] Gnadenverfahrens unter das Tatbestandsmerkmal der "Überprüfung" in § 83 Nr. 4 [X.] verstößt schließlich nicht gegen allgemeine (vgl. [X.], Urteil vom 3. Dezember 2009 – 3 [X.], [X.]St 54, 216 [[X.]. 28]), insbesondere nicht gegen verfassungs- oder völkerrechtliche Rechtsgrundsätze.

Die [X.] Gerichte sind von Verfassungs wegen gehalten, im Auslieferungsverfahren zu prüfen, ob die Auslieferung mit dem nach Art. 25 GG in der [X.] verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar ist, zu denen das Gebot der Verhältnismäßigkeit, das insbesondere unerträglich harte und unter jedem Gesichtspunkt unangemessene Strafen verbietet, und das aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG folgende Verbot grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafens zählen ([X.], Beschlüsse vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [[X.]. 22 f.], [X.]E 113, 154, 162; vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [[X.]. 18 f.], [X.]K 16, 491, 495 f. mwN).

Im Zusammenhang mit der (möglichen) Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe sind diese Mindeststandards im Auslieferungsverfahren in Bezug auf deren Vollstreckung gewahrt, wenn für den Verfolgten jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht ([X.], Beschluss vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [[X.]. 31], [X.]E 113, 154, 164 f.; vgl. auch [X.], Beschluss vom 22. November 2005 - 2 BvR 1090/05, [X.], 149, 150 f.). Eine solche kann auch aufgrund eines grundsätzlich erfolgversprechenden Gnadenverfahrens bestehen ([X.], Beschlüsse vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [[X.]. 31]; vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [[X.]. 23], [X.]K 16, 491, 498).

Diese Mindeststandards sind vorliegend nicht nur durch das mögliche Gnadenverfahren, sondern auch durch die nach Art. 78 § 3 des [X.] Strafgesetzbuches vorgesehene gerichtliche Überprüfung der [X.] nach 25 Jahren gewahrt (vgl. dazu auch [X.], Beschluss vom 3. November 2009 - 26958/07 [M. ./. [X.]], [X.], 283, 284), zumal nach [X.] Recht in Fällen der versuchten vorsätzlichen Tötung eines Menschen ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt werden kann. Eine lebenslange Freiheitsstrafe stellt selbst ohne die Möglichkeit einer Strafaussetzung zur Bewährung als solche aber keine unerträglich harte oder unmenschliche Strafe dar, die der Auslieferung von vorneherein entgegensteht ([X.], Beschlüsse vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2259/04 [[X.]. 25], [X.]E 113, 154, 163; vom 16. Januar 2010 – 2 BvR 2299/09 [[X.]. 20], [X.]K 16, 491, 496).

Ernemann                                            Roggenbuck                                          [X.]

                           Mutzbauer                                                 [X.]

Meta

4 ARs 5/12

19.06.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

vorgehend OLG Düsseldorf, 10. August 2011, Az: III-3 Ausl 28/11, Beschluss

§ 83 Nr 4 IRG, Art 560 StPO POL, Art 560ff StPO POL, Art 5 Abs 2 EGRaBes 584/2002

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.06.2012, Az. 4 ARs 5/12 (REWIS RS 2012, 5497)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5497

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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