Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.08.2012, Az. B 6 KA 10/12 B

6. Senat | REWIS RS 2012, 3943

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst bzw der von ihm beschäftigten, zur Rechtsvertretung im Prozess befugten Personen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des [X.] vom 9. Januar 2012 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten auch des Beschwerdeverfahren, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1., 2. und 4. bis 8.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 42 333 Euro.

Gründe

1

I. Umstritten ist eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise (Quartale I bis IV/2005). Dabei ist vorrangig über eine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist zu entscheiden.

2

Der Kläger ist als Zahnarzt zur vertragszahnärztlichen Versorgung im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenzahnärztlichen Vereinigung zugelassen. Seine Abrechnungswerte lagen in den [X.] bis IV/2005 im Bereich der Gesamtfallwerte ([X.] je Behandlungsfall) um Werte zwischen 45 % bis 80 % über dem Durchschnitt der [X.]. Der Prüfungsausschuss setzte eine Honorarkürzung in Höhe von 42 333 Euro fest (Beschluss vom [X.]). Den Widerspruch des [X.] wies der beklagte Berufungsausschuss zurück (Beschluss vom 12.6.2008/Bescheid vom 23.10.2008). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des [X.] vom [X.] und Beschluss des L[X.] vom 9.1.2012). Im Beschluss des L[X.] ist unter anderem ausgeführt, über sein Begehren nach Anerkennung seiner [X.] als Praxisbesonderheit sei inhaltlich nicht zu entscheiden; Praxisbesonderheiten habe er im Verwaltungsverfahren nicht hinreichend substantiiert geltend gemacht. Ebenso wenig könnten kompensierende Einsparungen anerkannt werden.

3

Der Kläger hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des L[X.]-Beschluss eingelegt. Die [X.], mit der er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel geltend macht, ist indessen erst mehr als zwei Monate nach der Zustellung eingetroffen (Zustellung L[X.]-Beschluss 16.1.2012, Beschwerde 16.2.2012, Beschwerdebegründung 10.4.2012).

4

Der Kläger führt für sein Begehren nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, ihm sei bei der Prüfung und Bestätigung des Eintrags der [X.] in dem in seinem Büro angewendeten [X.] von RA-Micro ein Versehen unterlaufen. Er habe sich darauf konzentriert, ob wirklich eine Frist von zwei Monaten eingetragen war, und dabei nicht beachtet, dass diese ab der Einlegung der Beschwerde statt schon ab der Zustellung des L[X.]-Beschlusses berechnet worden sei. Das Programm habe diese anwaltliche Prüfung und Bestätigung zweimal von ihm verlangt, einmal bei der Anlegung der Akte und [X.] im Zusammenhang mit der Vorfrist; [X.] sei ihm dasselbe Versehen unterlaufen.

5

II. Die Beschwerde ist gemäß § 169 Satz 2 und 3 [X.]G - ohne mündliche Verhandlung und ohne Zuziehung [X.] - als unzulässig zu verwerfen; denn sie ist nicht, wie gemäß § 160 Abs 2 Satz 1 [X.]G erforderlich, innerhalb von zwei Monaten begründet worden. Diese Frist ist - nach der Zustellung des L[X.]-Beschlusses am 16.1.2012 - am 16.3.2012 abgelaufen (eine Verlängerung gemäß § 160a Abs 2 Satz 2 [X.]G ist nicht beantragt worden). Die Beschwerdebegründung ist indessen erst am 10.4.2012 beim B[X.] eingegangen.

6

1. Dem Kläger kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 [X.]G) gewährt werden, weil er nicht ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung einzuhalten. Es liegt ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten vor, der für den Kläger gehandelt hat und dessen Verschulden dem Kläger zuzurechnen ist (§ 73 Abs 4 [X.]G iVm § 85 Abs 2 ZPO).

7

Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst - sowie der von ihm beschäftigten, zur Rechtsvertretung im Prozess befugten Personen (s § 73 [X.]G und dazu Meyer-Ladewig/[X.]/[X.], [X.]G, 10. Aufl 2012, § 67 RdNr 9e <[X.]> und § 73 RdNr 49-54 <[X.]>, jeweils mwN) - ist der Prozesspartei stets zuzurechnen. Ein Verschulden der weiteren - von dem Prozessbevollmächtigten Bediensteten herangezogenen - Bediensteten ist der Prozesspartei indessen dann nicht zuzurechnen, wenn deren Fehlverhalten Aufgaben betrifft, die auf sie delegiert werden durften und wenn sie sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht wurden (vgl § 831 Abs 1 Satz 2 BGB). [X.] sind nur Routineangelegenheiten. Nicht delegierbar ist insbesondere die Berechnung der Begründungsfristen für Revisionen und Revisions-Nichtzulassungsbeschwerden (s B[X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.] f = [X.], 382, 383 - zur ausnahmsweisen [X.]keit im Fall "häufig wiederkehrender Vorgänge" vgl BVerwG vom [X.] - 6 C 23/01 - Juris RdNr 6; BVerwG vom [X.] - 6 C 44/10 - Juris RdNr 2; - vgl zum Fall der Spezialisierung auf die Führung von Revisionsverfahren: B[X.] vom 18.12.1999 - [X.] [X.] 18/99 R - [X.] 3-1500 § 67 [X.] = [X.], 382, 383). Soweit Handlungen in Frage stehen, die dem Prozessbevollmächtigten selbst zugewiesen sind bzw von ihm übernommen worden sind, gibt es keine Möglichkeit der Exculpation im Sinne des § 831 Abs 1 Satz 2 BGB.

8

Im vorliegenden Fall liegt ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten bei seiner Aufgabenwahrnehmung, das dem Kläger zuzurechnen ist. Er hat angegeben, dass ihm bei der Prüfung und Bestätigung des Eintrags der [X.] in dem in seinem Büro angewendeten [X.] von RA-Micro ein Versehen unterlaufen ist: Er habe sich darauf konzentriert, ob wirklich eine Frist von zwei Monaten eingetragen war, und dabei nicht beachtet, dass diese ab der Einlegung der Beschwerde statt schon ab der Zustellung des L[X.]-Beschlusses berechnet war. Insoweit besteht keine Möglichkeit der Exculpation im Sinne des § 831 Abs 1 Satz 2 BGB, wie vorstehend ausgeführt worden ist.

9

Eine Exculpationsmöglichkeit ergäbe sich auch nicht dann, wenn die vor der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten erfolgte [X.] in das [X.] einem Mitarbeiter des Büros anzulasten wäre. Ein Fehlverhalten eines zusätzlich tätigen Mitarbeiters würde am Wiedereinsetzungsausschluss wegen eigenen Verschuldens des Prozessbevollmächtigten selbst nichts ändern. Zudem kann es im Regelfall im Zusammenhang mit Beschwerdebegründungsfristen ohnehin nicht auf Mitwirkungshandlungen der Mitarbeiter ankommen, weil die Verantwortung für die Berechnung solcher Fristen im Regelfall nicht auf Mitarbeiter delegiert werden darf (vgl oben mit Hinweis auf B [X.] [X.] 3-1500 § 67 [X.] f usw).

2. Unabhängig von der Unzulässigkeit der Beschwerde wegen der Versäumung der Frist für die Begründung der Beschwerde hat diese im Übrigen auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Eine Revisionszulassung könnte weder wegen grundsätzlicher Bedeutung noch wegen eines [X.] in Betracht kommen.

Die Geltendmachung grundsätzlicher Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G) erfordert eine Rechtsfrage, die allgemeingültiger Klärung zugänglich und bedürftig ist. Eine solche Rechtsfrage ist hier nicht ersichtlich. Das B[X.] hat sich mit dem Gebot, Wesentliches bereits im Verfahren vor den Prüfgremien vortragen zu müssen, bereits mehrfach befasst (vgl B[X.] vom 15.11.1995 - 6 [X.] 58/94 - [X.], insoweit in [X.] 3-1300 § 16 [X.] nicht abgedruckt; vom 8.5.1985 - 6 [X.] 24/83 - USK 85190 S 1015 f; vom 11.12.1985 - 6 [X.] 30/84 - B[X.]E 59, 211, 215 = [X.] 2200 § 368n [X.]; vom 20.9.1988 - 6 [X.] 22/87 - [X.] 2200 § 368n [X.]; ebenso auch das erst nach Vorlage der Beschwerdebegründung schriftlich abgesetzte Urteil des B[X.] vom 21.3.2012 - [X.] [X.] 17/11 R - RdNr 40 ff, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; vgl auch B[X.] vom 27.6.2012 - [X.] [X.] 78/11 B - RdNr 8). Die Beschwerdebegründung setzt sich mit dieser Rechtsprechung nicht näher auseinander (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G), rügt vielmehr lediglich, die Auffassung des L[X.] "findet keine Stütze im Gesetz" und stehe "konträr zum eindeutigen Gesetzestext und Willen des Gesetzgebers" (Beschwerdebegründung [X.]). Der Kläger wendet sich im Wesentlichen nur gegen die Rechtsanwendung in seinem Einzelfall in dem Sinne, dass das L[X.] nicht in solcher Lage wie bei ihm seinen Vortrag gegenüber dem Gericht als verspätet ansehen dürfe; damit verweigere es ihm das rechtliche Gehör und entziehe ihm den in Art 19 Abs 4 GG garantierten Rechtsweg. Die Untauglichkeit der Beanstandung von Rechtsanwendungsfehlern im Einzelfall für eine Grundsatzrüge entspricht der Konzentration der Revisionsgerichte auf die ihnen vorrangig zugewiesene Aufgabe, sich mit grundsätzlichen Rechtsfragen zu befassen und das Recht zu vereinheitlichen und fortzubilden. Aufgabe der Revisionsgerichte ist es nicht, jede fehlerhafte Subsumtion eines Berufungsgerichts zu korrigieren (vgl B[X.] vom 27.6.2012 - [X.] [X.] 65/11 B - RdNr 23).

Soweit danach das L[X.] ohne Kollision mit der Rechtsprechung des Senats und ohne Entscheidung grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen den Vortrag des [X.] zu einzelnen Behandlungsmaßnahmen hat als präkludiert ansehen dürfen, hat es auch die ihm obliegende Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 [X.]G) und zur Kenntnisnahme allen Vorbringens der Beteiligten (§ 62 [X.]G, Art 103 Abs 1 GG) nicht verletzt. Ein Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G) läge nur vor, wenn das Gericht, ausgehend von seiner materiellen Rechtsauffassung, so nicht hätte verfahrensmäßig vorgehen dürfen. So liegt der Fall aber nicht. Das L[X.] ist vielmehr ausgehend von seiner Rechtsauffassung verfahrensmäßig korrekt verfahren. Deshalb ist ein Verfahrensfehler des L[X.] zu verneinen.

3. [X.] beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm geführten erfolglosen Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten [X.] ist nur hinsichtlich der Beigeladenen zu 3. veranlasst; nur diese hat im Beschwerdeverfahren einen Sachantrag gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl B[X.]E 96, 257 = [X.] 4-1300 § 63 [X.], Rd[X.]6).

Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 GKG. Die Bemessung des Streitwerts erfolgt entsprechend dem streitigen [X.] von 42 332,98 Euro.

Meta

B 6 KA 10/12 B

14.08.2012

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG Marburg, 29. April 2009, Az: S 12 KA 835/08, Urteil

§ 73 Abs 4 SGG, § 85 Abs 2 ZPO, § 831 Abs 1 S 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.08.2012, Az. B 6 KA 10/12 B (REWIS RS 2012, 3943)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3943

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