Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.09.2018, Az. VI ZB 34/17

6. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 3701

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RECHTSBESCHWERDE PARTEIBEZEICHNUNG EINZELRICHTER ÖFFENTLICHE ZUSTELLUNG

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Gegenstand

Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung einer öffentlichen Zustellung der Klageschrift: Gesetzlicher Richter bei Entscheidung des Einzelrichters in der Sache und bei Zulassung der Rechtsbeschwerde; hinreichend bestimmte Bezeichnung des Beklagten bei Verwendung eines Aliasnamens


Leitsatz

1. Bejaht der Einzelrichter im Beschwerdeverfahren mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, unterlässt er es aber, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO dem Kollegium zu übertragen, und entscheidet in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. November 2011, VIII ZB 81/11, NJW RR 2012, 125 Rn. 9 mwN).

2. Die Beschwerdeentscheidung unterfällt in einem solchen Fall der Aufhebung durch das Rechtsbeschwerdegericht, ohne dass es darauf ankommt, ob die vom Einzelrichter getroffene Entscheidung in der Sache richtig wäre.

3. Zur Frage einer hinreichend bestimmten Bezeichnung des Beklagten gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bei Verwendung eines Aliasnamens.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 30. Juni 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der [X.] beträgt bis zu 1.000 €.

Gründe

I.

1

Der Kläger hat beim Amtsgericht eine Klage gegen "den Herrn [X.] (alias), dessen Aufenthaltsort unbekannt ist" eingereicht. Er beantragt darin, den Beklagten zur Zahlung von 679,99 € nebst Zinsen zu verurteilen und festzustellen, dass die Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung stammt. Zur Begründung der Klage führt der Kläger aus, er habe auf der angeblich von einer "Fa. [X.]" betriebenen Website einen [X.] bestellt und daraufhin neben der Bestellbestätigung eine Zahlungsaufforderung erhalten, derzufolge er den Kaufpreis auf das bei der [X.] geführte Konto eines "[X.]" habe überweisen sollen. Dies habe er getan. Der gekaufte [X.] sei ihm aber niemals zugesandt geworden. Auf eine von ihm erstattete Strafanzeige habe er von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft die Mitteilung erhalten, dass die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit der "[X.]" und dem [X.] mit dem Aliasnamen "[X.]" ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt führten. Die zuletzt genannte Person habe nach derzeitigem Ermittlungsstand mit einem Aliasnamen bzw. möglicherweise einem falschen oder gefälschten [X.] ein Bankkonto eröffnet, auf das sie sich die Zahlungen/Rechnungsbeträge der Käufer habe überweisen lassen.

2

Der Kläger hat beantragt, die öffentliche Zustellung seiner Klage zu bewilligen. Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Mit dem angefochtenen Einzelrichterbeschluss hat das [X.] die sofortige Beschwerde des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht wegen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

II.

3

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, eine öffentliche Zustellung der Klage sei nur dann möglich, [X.]n der Aufenthaltsort einer Person unbekannt sei, nicht aber dann, [X.]n die Identität einer [X.] insgesamt unbekannt sei und Klage gegen eine nicht existierende Person erhoben werde. Die [X.]en müssten gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in der Klageschrift so genau bezeichnet werden, dass kein Zweifel an der Person bestehe. Daran fehle es vorliegend, weil die mutmaßlichen Gegner des [X.] auch aus Sicht der Ermittlungsbehörden derzeit unbekannt und damit nicht identifizierbar seien und es auch den Ermittlungsbehörden nicht gelungen sei, den Namen einer tatverdächtigen Person zuzuordnen. Ob die Voraussetzungen des § 185 ZPO im Übrigen vorlägen, insbesondere ob auch bei einer nicht identifizierten Person ein Zustellungsversuch stattgefunden haben müsse, könne dahinstehen.

4

2. Der angefochtene Beschluss unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil er unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist.

5

Der Einzelrichter hat bei Rechtssachen, die grundsätzliche Bedeutung haben oder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen, das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 ZPO zwingend dem Kollegium zu übertragen. [X.] er - wie hier - mit seiner Entscheidung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, entscheidet er aber zugleich in der Sache als Einzelrichter, so ist seine Entscheidung objektiv willkürlich und verstößt gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters, was vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu beachten ist (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschluss vom 22. November 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 125 Rn. 9, mwN).

6

3. Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat darauf hin, dass die Bezeichnung des Beklagten in der Klageschrift nicht den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO genügt und die Klageschrift deshalb nicht zugestellt werden kann.

7

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss eine Klageschrift unter anderem die Bezeichnung der beklagten [X.] enthalten. Dies erfordert zwar in der Regel seine namentliche Bezeichnung (vgl. [X.], Urteil vom 12. Mai 1977 - [X.], NJW 1977, 1686). Ausnahmen sind aber denkbar. Wird eine [X.] ohne Angabe ihres Namens so klar bezeichnet, dass keine Zweifel an ihrer Identität und Stellung aufkommen können und sie sich aus der [X.]bezeichnung für jeden [X.] ermitteln lässt, so reicht dies aus ([X.] aaO; ferner [X.], Urteil vom 9. Dezember 1987 - [X.], [X.]Z 102, 332, 334; [X.], Unbekannt als [X.]bezeichnung, 1983, Seite 37; [X.], [X.], 2845, 2846).

8

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Wer sich hinter dem Aliasnamen "[X.]" verbirgt, ist - sogar den Ermittlungsbehörden - unbekannt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde lässt sich dem nicht entgegenhalten, es handle sich um die Person, die im Zeitpunkt der Einreichung der Klage Inhaber des genannten Kontos bei der [X.] war. Zwar mag es zutreffen, dass - wie die Rechtsbeschwerde meint - "nur eine - und keine andere - Person" dieses Konto unter dem Aliasnamen "[X.]" eröffnet haben kann und sich hierbei eines gefälschten Postidentformulars bedient haben muss. Zur Identifikation dieser Person reicht die Kenntnis, dass sie unter falschem Namen ein bestimmtes Konto eröffnet hat, aber nicht. Wie die strafrechtlichen Ermittlungen gezeigt haben, lässt sich daraus für einen [X.] gerade nicht ersehen, um [X.] es sich beim (anonym gebliebenen) Kontoinhaber handelt. Ungewissheit besteht dabei nicht nur über den richtigen Namen dieser Person, sondern auch über ihre Identität.

9

b) Der erkennende Senat sieht keinen durchgreifenden Grund, das sich aus § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergebende Erfordernis der Bezeichnung der [X.] in Bezug auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles (weiter) zu lockern.

aa) Ein solcher Grund ergibt sich zunächst nicht daraus, dass den Kläger an der fehlenden den Beklagten identifizierenden [X.]bezeichnung kein Verschulden trifft, sondern er die Identität des Schädigers nicht ermitteln konnte (in diese Richtung aber [X.] BeckRS 9998, 16345; ebenso [X.] in: [X.], ZPO, 23. Aufl., § 253 Rn. 16); dass die fehlende Identifizierbarkeit darauf beruht, dass derjenige, der in Anspruch genommen werden soll, seine Identität arglistig geheim hält, ist dabei ohne Belang (anders [X.] in: [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 253 Rn. 34; [X.], NJW 1981, 663).

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Zulassung eines "Titels gegen Unbekannt" oder eines "Titels gegen den, den es angeht" mit der geltenden Rechtslage nicht vereinbar ist ([X.], Beschluss vom 13. Juli 2017 - [X.] 103/16, NJW 2018, 399 Rn. 18; zur Klage "gegen die [X.], die es angeht" vgl. auch [X.], NJW-RR 1995, 1164, 1165). Ein Verzicht auf die gesetzliche Vorgabe der namentlichen, das heißt identifizierenden, Bezeichnung des Schuldners im Vollstreckungstitel (oder in der Vollstreckungsklausel) kann allein der Gesetzgeber regeln ([X.] aaO, Rn. 21). Muss die beklagte [X.] aber unabhängig davon, ob dies möglich ist und welche Hinderungsgründe gegebenenfalls bestehen, im Titel identifizierbar bezeichnet sein, so gilt dies not[X.]digerweise auch für die Klageschrift. Denn durch sie wird festgelegt, wer am Prozessrechtsverhältnis beteiligt ist und gegen [X.] das spätere Urteil ergeht.

bb) Auch der Umstand, dass mit dem - im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gesicherten - Konto ein Vermögensgegenstand vorhanden ist, der dem Schädiger zuzurechnen ist, ändert am Erfordernis der identifizierenden Bezeichnung des Beklagten in der Klageschrift nichts. Dies folgt schon daraus, dass die Zulässigkeit einer auf Zahlung gerichteten Klage nach allgemeinen Grundsätzen davon unabhängig ist, ob und gegebenenfalls welches Vermögen für eine spätere Zwangsvollstreckung zur Verfügung steht. Im Übrigen setzt gemäß § 750 Abs. 1 ZPO auch die Zwangsvollstreckung voraus, dass der Vollstreckungsschuldner aus dem ihr zugrundeliegenden Titel heraus sicher identifizierbar ist (vgl. nur [X.], Beschluss vom 13. Juli 2017 - [X.] 103/16, NJW 2018, 399 Rn. 17 ff.). Für die im Falle einer - gegebenenfalls selbständigen (vgl. § 76a StGB) - Einziehung nach §§ 459h ff. StPO n.F. vorgesehenen Entschädigung des [X.] als Verletztem bedarf es nicht zwingend eines zivilrechtlichen Titels (vgl. § 459j StPO n.F.).

c) Ist die [X.], gegen die sich die Klage richten soll, in der Klageschrift nicht hinreichend bezeichnet, so scheidet mangels Identifizierbarkeit auch eine Zustellung der Klage an sie aus (vgl. [X.] in: [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 253 Rn. 191; [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 253 Rn. 23).

von [X.]     

      

[X.]     

      

Offenloch

      

Oehler     

      

[X.]     

      

Meta

VI ZB 34/17

18.09.2018

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Verden, 30. Juni 2017, Az: 3 T 71/17

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 253 Abs 2 Nr 1 ZPO, § 568 S 2 ZPO, § 574 Abs 1 S 1 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.09.2018, Az. VI ZB 34/17 (REWIS RS 2018, 3701)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 309-310 REWIS RS 2018, 3701

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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