Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.12.2016, Az. X ARZ 180/16

10. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 1515

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Gegenstand

Örtliche Zuständigkeit bei Geltendmachung von Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinne


Leitsatz

Wird der einzige Beklagte nicht als Prospektverantwortlicher im Sinne des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, sondern wegen Ansprüchen aus Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen, ist der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 ZPO nicht eröffnet (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013, X ARZ 320/13, WM 2013, 1643).

Tenor

Als zuständiges Gericht wird das [X.] bestimmt.

Gründe

1

I. Der in [X.] wohnhafte Kläger begehrt von der in [X.] ansässigen [X.]n Schadensersatz im Zusammenhang mit einer mittelbaren Beteiligung an einem Medienfonds.

2

Am 4. März 2005 wurde die [X.] als Kommanditgesellschaft mit Sitz in der zum [X.] gehörenden Gemeinde [X.] in das Handelsregister eingetragen. Am 2. November 2005 wurde die [X.] als deren Kommanditistin eingetragen. In einem Emissionsprospekt wurde die Alleingesellschafterin der Komplementärin und zugleich Kommanditistin bei Gründung der Gesellschaft als Initiatorin des Medienfonds und Herausgeberin des Prospekts bezeichnet. Die [X.] wurde darin als Treuhandkommanditistin sowie als [X.]urin benannt.

3

Der Kläger trägt vor, er habe ebenfalls am 2. November 2005 nach einem Beratungsgespräch mit einer Anlagevermittlerin in seiner Privatwohnung eine mittelbare Beteiligung gezeichnet. Mit der Zeichnung habe gemäß [X.] ein Treuhandvertrag mit der [X.]n zustande kommen sollen, gemäß dem diese die mittelbare Beteiligung des [X.] unmittelbar als Kommanditistin der [X.] halten sollte. Die Komplementärin habe die Beteiligung am 11. November 2005 auch im Namen und in Vollmacht der [X.]n als Treuhandkommanditistin angenommen. Der Kläger stützt seine Ansprüche gegen die [X.] auf die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten aufgrund ihrer Stellung als Treuhandkommanditistin sowie auf eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung wegen unterlassener Aufklärung im Zusammenhang mit der Zeichnung.

4

Das angerufene [X.] hat sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß einem Hilfsantrag des [X.] an das Landgericht [X.] verwiesen. Das Landgericht [X.] hat sich seinerseits für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem [X.] vorgelegt. Das [X.] hat die Sache dem [X.] vorgelegt und ausgeführt, wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör binde der Verweisungsbeschluss des [X.] nicht, eine Zuständigkeit dieses [X.] nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO sei jedoch zu verneinen, weil die Vorschrift entgegen der Rechtsprechung anderer [X.]e Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne, auf die allein der Kläger sich stütze, nicht erfasse.

5

II. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den [X.] gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO liegen vor.

6

1. Das [X.] und das Landgericht [X.] haben sich beide für unzuständig erklärt. Die Verweisung an das Landgericht [X.] ist, wie das vorlegende [X.] zutreffend ausführt, nicht bindend; das Landgericht [X.] hat eine Rückverweisung nicht ausgesprochen.

7

2. Die Voraussetzungen einer Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO sind erfüllt. Das vorlegende Gericht möchte eine ausschließliche Zuständigkeit des [X.] mit der Begründung verneinen, dass Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht unter § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO fallen, wiche damit aber von der Rechtsauffassung des Kammergerichts (Urteil vom 11. Mai 2015 - 2 U 5/15, [X.], 1844) und des [X.]s Frankfurt (Beschluss vom 29. September 2015 - 14 SV 12/15, juris) ab.

8

III. Für den Rechtsstreit ist das Landgericht [X.] örtlich zuständig.

9

1. Eine Zuständigkeit des [X.] ergibt sich aus dem Klagevorbringen nicht.

a) Das [X.] ist nicht nach § 32b Abs. 1 ZPO ausschließlich zuständig.

aa) Nach der Konzeption des § 32b Abs. 1 ZPO in der Fassung des [X.] und zur Änderung anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 ist der Anwendungsbereich von Nummer 1 dieses Absatzes von demjenigen gemäß Nummer 2 zu unterscheiden. Nach dieser Neufassung ist eine Zuständigkeit am Sitz des Emittenten, Anbieters oder der Zielgesellschaft im Falle von § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO nur dann gegeben, wenn einer der (weiteren) [X.]n auch gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Anspruch genommen wird (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juli 2013 - [X.], [X.], 1643 = NJW-RR 2013, 1302 Rn. 28).

Dies setzt gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO voraus, dass der [X.] den Prospekt herausgegeben hat oder zu den Gründern, Initiatoren oder Gestaltern der Gesellschaft gehört, soweit diese das Management bilden oder beherrschen. Daneben kann sich eine Klage gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch gegen Personen als "Hintermänner" richten, die hinter der Gesellschaft stehen, auf ihr Geschäftsgebaren oder die Gestaltung des konkreten Anlagemodells besonderen Einfluss ausüben und deshalb Mitverantwortung tragen (vgl. [X.], Urteil vom 17. November 2011 - [X.], [X.]Z 191, 310 Rn. 17 mwN).

Für eine darüber hinausgehende Haftung (Prospekthaftung im weiteren Sinne), die unmittelbar aus § 311 Abs. 2 und 3 BGB oder aus einem Auskunfts- oder Beratungsvertrag folgen kann, kommt eine Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 ZPO allein nach dessen Nummer 2 in Frage (vgl. BT-Drucks. 17/8799, [X.], 27). Dementsprechend zählt auch die Haftung eines zur [X.] verpflichteten Treuhänders für die Anteile an der [X.] im weiteren Sinne und nicht zu jener im engeren Sinne (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 1994 - [X.], NJW 1995, 1025 unter [X.]). Diese Haftung ergibt sich nicht aus einer eigenen Verantwortung für einen fehlerhaften oder unvollständigen Prospekt, sondern aus der Verletzung einer selbständigen Aufklärungspflicht als Vertragspartner oder Sachwalter aufgrund persönlich in Anspruch genommenen - nicht nur typisierten - besonderen Vertrauens, zu deren Erfüllung sich des Prospekts bedient wurde (vgl. [X.], Urteil vom 22. Oktober 2015 - [X.], [X.], 2238 = NJW-RR 2016, 169 Rn. 15 mwN).

bb) Die [X.] war nach dem Vortrag des [X.] ihm gegenüber allein als eine Treuhandkommanditistin verpflichtet, der auch eine [X.] oblag. Sie war keine Gründungskommanditistin und zählte somit nicht zu den Gründern der Gesellschaft, deren Anteile der Kläger zeichnete, auch wenn die [X.] in der Klageschrift mitunter als Gründungskommanditistin bezeichnet ist. Einer Stellung als Gründungskommanditistin steht entgegen, dass die [X.] am 4. März 2005 ins Handelsregister eingetragen, die [X.] aber erst am 2. November 2005 deren Kommanditistin wurde.

Eine Haftung der [X.]n aus eigener Verantwortung für einen fehlerhaften oder unvollständigen Prospekt ist diesem Klagevortrag folglich nicht zu entnehmen, womit die Voraussetzungen für eine ausschließliche Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht gegeben sind. Da sie die einzige [X.] ist, fehlt es für eine Zuständigkeit gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO an einem weiteren [X.]n, für den die Voraussetzungen gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfüllt wären (§ 32b Abs. 1 a.E. ZPO).

b) Eine örtliche Zuständigkeit des [X.] ergibt sich auch nicht gemäß § 32 ZPO aus dem Begehungsort einer der Klage zugrunde gelegten unerlaubten Handlung.

Der Kläger macht geltend, die [X.] schulde ihm Schadensersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung, weil die von ihr auszuübende [X.] aufgrund von Erfahrungen mit einem von der gleichen Komplementärgesellschaft gegründeten [X.] nicht wirksam zu erwarten gewesen sei. Weiterhin falle der [X.]n Beihilfe zu einem Kapitalanlagebetrug zur Last. Für beide geltend gemachten Delikte hat der Kläger keine konkreten Personen bezeichnet, die die unerlaubten Handlungen begangen haben sollen. Dementsprechend ist dem Klagevortrag auch nicht zu entnehmen, an welchem Ort solche Handlungen begangen worden sein sollen. Eine örtliche Zuständigkeit des [X.] gemäß § 32 ZPO ergibt sich somit nicht aus einem dem Klagevortrag zu entnehmenden Handlungsort für eine unerlaubte Handlung.

Ein Begehungsort im Zuständigkeitsbereich des [X.] ergibt sich weiterhin nicht aus dem Erfolgsort für eine vorgetragene unerlaubte Handlung. Dem Klagevortrag sind hierzu keine weiteren Einzelheiten zu entnehmen. Soweit ein solcher Erfolgsort am Ort der Minderung eines Kontoguthabens aufgrund der Überweisung des Anlagekapitals in Frage kommt (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2010 - [X.], [X.], 1590 = NJW-RR 2011, 197 Rn. 32), erfolgte die vorgetragene Kontobelastung nicht im Gerichtsbezirk des [X.].

c) Die örtliche Zuständigkeit des [X.] ergibt sich ferner nicht aus § 39 ZPO. Die Parteien haben die Zuständigkeit des [X.] zwar nicht gerügt, bisher aber nicht zur Hauptsache mündlich verhandelt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Februar 2013 - [X.] 507/12, NJW-RR 2013, 764 Rn. 10; vom 27. August 2013 - [X.] 425/13, NJW-RR 2013, 1398 Rn. 9).

d) Schließlich ist die Zuständigkeit des [X.] auch nicht gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO begründet. Auch wenn beide Parteien für die Zuständigkeit dieses Gerichts plädiert haben, begründet dies noch keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung.

2. Zuständig ist hingegen das Landgericht [X.]. Die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts ergibt sich aus § 29c ZPO.

a) Die Zuständigkeit gemäß § 29c ZPO für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen im Sinne von § 312b BGB erfasst nicht nur die unmittelbar aus einem solchen Vertrag begründeten, sondern auch alle Folgeansprüche einschließlich etwaiger Ansprüche aus Verschulden bei der Vertragsanbahnung oder bei Vertragsverhandlungen (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Januar 2003 - [X.] 362/02, NJW 2003, 1190 unter III 1).

b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nach dem Klagevorbringen erfüllt.

Der Kläger stützt seine Klage auf Ansprüche, die mit einem Verschulden bei der Anbahnung eines mit ihm geschlossenen Vertrages begründet werden, und nur mittelbar auf die Drittwirkung eines nicht mit ihm geschlossenen Vertrags zur [X.] (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 3. Mai 2011 - [X.] 101/11, [X.], 1026 = NJW-RR 2011, 1137 Rn. 13).

Nicht nur die Zeichnung der Anteile, sondern auch die Unterzeichnung des [X.], den der Kläger der [X.]n als Treuhandverhältnis mit dem [X.] anbot, erfolgte nach dem Klagevortrag in der Privatwohnung des [X.]. Damit fallen nicht nur der Anteilserwerb als solcher, sondern auch das dazu mit der [X.]n vereinbarte Treuhandverhältnis und die daraus abgeleiteten Folgeansprüche einschließlich solcher aus Verschulden bei der Vertragsanbahnung unter die Voraussetzungen des § 29c ZPO für eine örtliche Zuständigkeit am Wohnsitz des [X.].

Meier-Beck      

        

Gröning      

        

Grabinski

        

Hoffmann      

        

Deichfuß      

        

Meta

X ARZ 180/16

01.12.2016

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

vorgehend OLG München, 11. April 2016, Az: 34 AR 18/16, Vorlagebeschluss

§ 32b Abs 1 Nr 1 ZPO, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 36 Abs 3 ZPO, § 311 Abs 2 BGB, § 311 Abs 3 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.12.2016, Az. X ARZ 180/16 (REWIS RS 2016, 1515)

Papier­fundstellen: WM 2017, 231 REWIS RS 2016, 1515


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ARZ 180/16

Bundesgerichtshof, X ARZ 180/16, 01.12.2016.


Az. 34 AR 18/16

OLG München, 34 AR 18/16, 11.04.2016.


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