Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.06.2016, Az. 2 B 101/15

2. Senat | REWIS RS 2016, 9719

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Gründe

1

Die der Sache nach ausschließlich auf - vermeintliche - Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1 [X.] NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde ist unbegründet.

2

1. Der 1962 geborene [X.] steht als Polizeikommissar ([X.]esoldungsgruppe [X.] des gehobenen Dienstes) im Dienst des [X.]. Der [X.] ist verheiratet und hat drei Kinder. Im März 2009 verurteilte das Amtsgericht den [X.]n wegen [X.]eleidigung in zehn Fällen, Sachbeschädigung sowie Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde. Hintergrund dieser Verurteilung war zum einen, dass der [X.] nach der [X.]eendigung einer Liebesbeziehung im April 2005 im Zeitraum bis Mitte 2005 seine frühere Freundin in zehn Fällen beleidigt und zudem im September 2009 sämtliche Reifen ihres Kraftfahrzeugs zerstochen hatte. Zum anderen hatte es der [X.] in den Jahren 2002 bis 2005 unterlassen, seine Einkünfte aus einer Nebentätigkeit als Hausmeister in den jeweiligen Steuererklärungen anzugeben, wodurch die [X.] um insgesamt 2 576 € verkürzt wurde. Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind zum einen diese strafgerichtlich abgeurteilten Taten. Zum anderen betrifft das Disziplinarverfahren den Vorwurf, in einer polizeilichen Datenbank einen falschen Eintrag angelegt zu haben, um die zuvor begangene Sachbeschädigung zu verdecken, sich Ende Februar 2006 für ca. 70 Minuten unerlaubt vom Dienst entfernt zu haben, hierbei ein Dienstfahrzeug für eine private Fahrt missbraucht und seinen Vorgesetzten über die von ihm transportierte Person belogen zu haben. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n entsprechend dem Antrag des [X.] aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung des [X.]n gegen das Urteil zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

3

Der [X.] sei in vier Fällen vom Vorwurf der [X.]eleidigung seiner früheren Freundin freizustellen. Soweit es sich im Übrigen um außerdienstliches Verhalten handele, sei dieses disziplinarwürdig, weil es in besonderem Maße geeignet sei, das Vertrauen der Allgemeinheit in einer für das Amt des [X.]n bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Durch das von ihm begangene Dienstvergehen habe der [X.] das Vertrauen der Allgemeinheit endgültig verloren, so dass er aus dem [X.]eamtenverhältnis zu entfernen sei. Der [X.] habe über einen erheblichen Zeitraum hinweg in einer Vielzahl von Fällen eine ganze Reihe seiner Dienstpflichten in unterschiedlichen Rechtsbereichen vorsätzlich verletzt. Sein Verhalten zeige, dass er in unterschiedlichen Rechts- und Pflichtenbereichen sowohl inner- wie außerdienstlich nicht mehr bereit gewesen sei, die Rechtsgüter anderer zu respektieren und [X.]elange seines Dienstherrn und seiner Kollegen zu beachten, wenn diese der Verwirklichung seiner eigenen Interessen im Wege gestanden hätten. "Klassische" Milderungsgründe seien nicht gegeben. Die [X.]erücksichtigung des übrigen Persönlichkeitsbildes des [X.]n bedinge ebenfalls nicht, von der [X.] abzusehen. Auch bei der gebotenen Abwägung aller für und gegen den [X.]n sprechenden Gesichtspunkte sei eine andere Disziplinarmaßnahme als die durch die Schwere seines Dienstvergehens indizierte Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis nicht geboten.

4

2. Die vom [X.]n in der [X.]eschwerdebegründung der Sache nach geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 67 Satz 1 [X.] NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

5

a) Die Verkündung des Urteils durch das Oberverwaltungsgericht in Abwesenheit auch des [X.]n begründet keinen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Insbesondere hat das [X.]erufungsgericht dadurch nicht das Recht des [X.]n auf ein faires Verfahren verletzt.

6

Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Es enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- oder Verbote; vielmehr bedarf es der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Diese Konkretisierung ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers und sodann, in den vom Gesetz gezogenen Grenzen, Pflicht der zuständigen Gerichte bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung (stRspr, vgl. [X.], [X.] vom 15. Januar 2015 - 2 [X.]vR 2055/14 - NStZ 2015, 172 Rn. 14 m.w.N.).

7

§ 58 Satz 1 [X.] NW schreibt vor, dass Urteile in Disziplinarsachen in nicht-öffentlicher Sitzung zu verkünden sind. Das Oberverwaltungsgericht hat auch § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO beachtet, wonach das Urteil, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, in der Regel in dem Termin verkündet wird, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird. Die [X.]eteiligten sind zur Teilnahme an der Verkündung des Urteils berechtigt; ihre Anwesenheit ist aber gesetzlich nicht vorgeschrieben. Nach § 312 Abs. 1 ZPO, der nach § 3 Abs. 1 [X.] NW und § 173 VwGO im Verfahren vor den [X.] anwendbar ist, ist die Wirksamkeit der Verkündung eines Urteils von der Anwesenheit der [X.]en nicht abhängig; die Verkündung gilt auch derjenigen [X.] gegenüber als bewirkt, die den Termin versäumt hat.

8

Der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht vom 8. Juli 2015 lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, das [X.]erufungsgericht habe den Vertretern der [X.]eteiligten vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zugesichert, das Urteil zu einem bestimmten Zeitpunkt oder in jedem Falle in ihrer Anwesenheit zu verkünden.

9

b) Mit dem Vorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Würdigung von Aussagen des [X.]n und der Zeugen lediglich zu Lasten des [X.]n agiert, das [X.]erufungsgericht hätte nicht von einem Wissen des [X.]n hinsichtlich der Steuerpflichtigkeit seiner Nebeneinkünfte als Hausmeister ausgehen dürfen und seine Annahme widersprüchlichen [X.]nvortrags sei unzutreffend, zeigt die [X.]eschwerde keinen Verfahrensmangel i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf.

Die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der [X.]eurteilung des [X.] nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. [X.] ist damit nicht das Ergebnis der [X.]eweiswürdigung, sondern nur das verfahrensrechtliche Vorgehen auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen insbesondere vor, wenn das angegriffene Urteil von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 13. Februar 2012 - 9 [X.] - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7). Das Ergebnis der gerichtlichen [X.]eweiswürdigung selbst ist vom Revisionsgericht nur daraufhin nachzuprüfen, ob es gegen Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze verstößt oder gedankliche [X.]rüche und Widersprüche enthält (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 3. Mai 2007 - 2 C 30.05 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50 Rn. 16 sowie [X.]eschluss vom 23. April 2015 - 2 [X.] 63.14 - [X.] 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 67 Rn. 7 m.w.N.).

Einen derartigen Verfahrensmangel legt die [X.]eschwerde nicht dar. Sie begnügt sich vielmehr damit, ihre Sichtweise an die Stelle derjenigen des [X.]erufungsgerichts zu setzen.

c) Schließlich greift die [X.]eschwerde die Wertung des [X.] an, das von ihm festgestellte Dienstvergehen des [X.]n führe bei Abwägung aller bemessungsrelevanten Gesichtspunkte dazu, dass der [X.] das Vertrauen der Allgemeinheit i.S.v. § 13 Abs. 3 Satz 1 [X.] NW endgültig verloren habe und deshalb aus dem [X.]eamtenverhältnis zu entfernen sei. Damit wird aber kein Grund für die Zulassung der Revision i.S.v. § 132 Abs. 2 und § 133 Abs. 3 VwGO dargelegt, sondern lediglich die inhaltliche Richtigkeit des Urteils des [X.] im Sinne der [X.]egründung einer Revision angegriffen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 [X.] NW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das [X.]eschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 [X.] NW erhoben werden.

Meta

2 B 101/15

17.06.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.06.2016, Az. 2 B 101/15 (REWIS RS 2016, 9719)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9719

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