Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.07.2016, Az. 2 B 35/16

2. Senat | REWIS RS 2016, 7634

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Gegenstand

Suche und Besitz tierpornographischer Bilddateien als tiefgreifender Persönlichkeitsmangel


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] für das [X.] vom 17. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die auf Verfahrensfehler (§ 67 Satz 1 [X.] NW und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde des [X.]n ist unbegründet.

2

1. Der [X.] steht als Polizeikommissar im Dienst des [X.]. Wegen des später nicht bewiesenen Verdachts des Erwerbs von Kokain wurden Anfang April 2009 die Wohnräume des [X.]n, sein PKW, sein dienstlicher Umkleideraum bei der Polizeiinspektion sowie sein Waffenfach durchsucht. In der Wohnung wurden u.a. mehrere hundert schwarz gebrannte [X.] mit Raubkopien sowie zwei [X.] gefunden. Der [X.] räumte den einmaligen [X.] dieses [X.]etäubungsmittels ein. Auf einer externen Festplatte wurden Fotodateien mit kinderpornographischem Inhalt gefunden, die am 24. März, am 30. März sowie am 7. April 2009 abgespeichert worden waren. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den [X.]n Anklage und legte ihm zur Last, Anfang April 2009 und zuvor in nicht rechtsverjährter Zeit mindestens 110 [X.]ilddateien kinderpornographischen Inhalts, darunter 15 [X.]ildsequenzen, und fünf [X.]ilddateien jugendpornographischen Inhalts auf einem externen Datenspeicher abgespeichert zu haben. Anfang Juli 2009 wurde der [X.] vorläufig seines Dienstes enthoben und die Einbehaltung von 15 v.H. seiner monatlichen Dienstbezüge angeordnet. Tatsächlich wurde das Gehalt des [X.]n jedoch bis zum 30. April 2015 unvermindert weiter gezahlt. Der [X.] unterließ es, auf diese Überzahlung in Höhe von insgesamt 46 160,20 € hinzuweisen. Das Strafverfahren wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke wurde im Hinblick auf die zu erwartende Strafe in dem Verfahren wegen [X.]esitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. Da der [X.] in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht erschienen war, erließ das Amtsgericht gegen den [X.]n nach § 408a StPO einen Strafbefehl, in dem es gegen den [X.]n wegen des [X.]esitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Geldstrafe verhängte.

3

Im gerichtlichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht die dem [X.]n vorgeworfenen Handlungen des [X.]s von [X.]etäubungsmitteln und der unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke ausgeschieden. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n aus dem [X.]eamtenverhältnis entfernt. Im [X.]erufungsverfahren hat der Kläger wegen des Vorwurfs, der [X.] habe sich durch Unterlassen einer Mitteilung an den Dienstherrn im Zeitraum von April 2009 bis Ende April 2015 durch überhöhte Zahlungen seiner Dienstbezüge ungerechtfertigt bereichert, Nachtragsdisziplinarklage erhoben und beantragt, diese Dienstpflichtverletzung in das Klageverfahren einzubeziehen. Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung des [X.]n zurückgewiesen. Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

4

[X.] sei nicht statthaft, weil die entsprechende gesetzliche Ermächtigung nicht für das [X.]erufungsverfahren gelte. Durch den [X.]esitz von kinder- und jugendpornographischen Schriften habe der [X.] vorsätzlich und schuldhaft gegen die ihm nach § 34 Satz 3 [X.]eamtStG obliegende Pflicht verstoßen, wonach sein Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden müsse, die sein [X.]eruf erfordere. Diese außerdienstlich begangene Pflichtverletzung sei wegen des hinreichenden [X.]ezugs zum Amt eines Polizeibeamten auch [X.]. § 47 Abs. 1 Satz 2 [X.]eamtStG disziplinarwürdig. [X.]ei Würdigung sämtlicher zu berücksichtigenden Umstände sei der [X.] aus dem [X.]eamtenverhältnis zu entfernen, weil er durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Im Hinblick auf den Strafrahmen für den [X.]esitz kinder- und jugendpornographischer Schriften von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe sei für die Maßnahmebemessung grundsätzlich von einem Orientierungsrahmen bis hin zur Zurückstufung auszugehen. Angesichts des hinreichenden [X.]ezugs zum Statusamt des [X.]n reiche der Orientierungsrahmen für mögliche Disziplinarmaßnahmen im Streitfall jedoch bis zur Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis. Die disziplinarrechtliche [X.] komme in [X.]etracht, weil das außerdienstliche Dienstvergehen des [X.]n aufgrund der Zahl der kinderpornographischen [X.]ilddateien und ihres konkreten Inhalts, der Darstellung des analen und vaginalen Geschlechtsverkehrs zwischen männlichen Personen und Mädchen unter fünf Jahren, als besonders verwerflich einzustufen sei. Zudem seien im Rahmen des Straf- und Disziplinarverfahrens Persönlichkeitsmängel des [X.]n offenbar geworden, die ihn im Rahmen einer Gesamtbetrachtung vertrauensunwürdig und damit für das [X.]eamtenverhältnis untragbar erscheinen ließen. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung sei auch zu berücksichtigen, dass es der [X.] unterlassen habe, den Dienstherrn im Zeitraum von April 2009 bis Ende April 2015 auf die überhöhten Zahlungen seiner Dienstbezüge hinzuweisen. Die gezielte Suche nach und das Abspeichern von tierpornographischen Dateien offenbarten ferner tiefgreifende Persönlichkeitsmängel. Zugunsten des [X.]n sei berücksichtigt worden, dass er sowohl im Straf- als auch im Disziplinarverfahren von Anfang an geständig gewesen sei sowie im Hinblick auf seine online-Aktivitäten eine Psychotherapie durchgeführt habe. Anerkannte Milderungsgründe stünden dem [X.]n nicht zu. Es habe auch während des Tatzeitraums keine negative Lebensphase bestanden, die den [X.]n aus der [X.]ahn geworfen habe. Die mildernden Aspekte reichten nicht aus, um von der Entfernung aus dem [X.]eamtenverhältnis abzusehen.

5

2. Die vom [X.]n in der [X.]eschwerdebegründung geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

6

a) Der [X.] rügt zunächst, das Oberverwaltungsgericht habe dadurch gegen die ihm obliegende Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verstoßen, dass es hinsichtlich der Frage, ob die Suche nach tierpornographischen [X.]ilddateien im [X.] sowie ihr [X.]esitz auf einen tiefgreifenden Persönlichkeitsmangel schließen lassen, kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.

7

Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] NW sowie § 3 Abs. 1 [X.] NW und § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den [X.] die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies nach ihrem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 6. Februar 1985 - 8 [X.] 15.84 - [X.]VerwGE 71, 38 <41> und vom 6. Oktober 1987 - 9 [X.] 12.87 - [X.] 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1 und [X.]eschluss vom 28. Januar 2015 - 2 [X.] 15.14 - [X.] 235.1 § 58 [X.]DG Nr. 11 Rn. 16 ff.).

8

Die Verpflichtung zur Sachaufklärung von Amts wegen bezieht sich auf tatsächliche Umstände, die nach Auffassung des [X.]erufungsgerichts für die vom ihm nach § 59 Abs. 2 Satz 2 und § 65 Abs. 1 Satz 1 [X.] NW zu treffende [X.]emessungsentscheidung nach Maßgabe von § 13 [X.] NW von [X.]edeutung sind. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, die Suche nach und das Abspeichern von tierpornographischen [X.]ilddateien offenbarten einen tiefgreifenden Persönlichkeitsmangel des [X.]n. Das Kriterium "Persönlichkeitsbild des [X.]eamten" [X.]. § 13 Abs. 2 Satz 2 [X.] NW erfasst die persönlichen Verhältnisse und das sonstige dienstliche Verhalten vor, bei und nach der Tatbegehung. Das Gericht hat zu prüfen, ob das festgestellte Dienstvergehen mit dem bisher gezeigten Persönlichkeitsbild des [X.]eamten übereinstimmt oder als persönlichkeitsfremdes Verhalten hiervon abweicht ([X.]VerwG, Urteile vom 3. Mai 2007 - 2 [X.] 9.06 - [X.] 235.1 § 13 [X.]DG Nr. 3 Rn. 14 und vom 24. Mai 2007 - 2 [X.] 25.06 - juris Rn. 13; [X.]eschlüsse vom 15. August 2013 - 2 [X.] 19.13 - Rn. 10 und vom 22. Januar 2014 - 2 [X.] 102.13 - Dok[X.]er 2014, 211 Rn. 18). Dies erfordert aber eine rechtliche Würdigung der Umstände des Einzelfalls durch das Gericht; das ist eine originär richterliche Aufgabe und keine Frage, die mittels eines Sachverständigengutachtens zu klären ist.

9

b) Im Übrigen wird in der [X.]eschwerdebegründung der Sache nach eine Verletzung des Anspruchs des [X.]n auf rechtliches Gehör geltend gemacht. Der Vorwurf einer Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verletzenden Überraschungsentscheidung trifft nicht zu.

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs soll sicherstellen, dass ein Verfahrensbeteiligter Einfluss auf den Gang des gerichtlichen Verfahrens und dessen Ausgang nehmen kann. Zu diesem Zweck muss er Gelegenheit erhalten, sich zu allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu äußern, die entscheidungserheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem [X.] keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Hinweispflicht des Gerichts. Vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die [X.]eteiligten von sich aus erkennen, welche Gesichtspunkte [X.]edeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Jedoch verlangt der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter [X.]erücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. [X.]VerfG, [X.]eschluss vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 986/91 - [X.]VerfGE 86, 133 <144 f.> sowie Kammerbeschluss vom 15. Februar 2011 - 1 [X.]vR 980/10 - NVwZ-RR 2011, 460 Rn. 13 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der Würdigung des Persönlichkeitsbildes des [X.]n durch das Oberverwaltungsgericht nicht erfüllt. Denn das Gesetz gibt dem Gericht in § 13 Abs. 2 Satz 2 [X.] NW ausdrücklich auf, bei der ihm obliegenden [X.]emessung der Disziplinarmaßnahme das Persönlichkeitsbild des [X.]eamten angemessen zu berücksichtigen. Wie dargelegt, bedarf es insoweit auch nicht der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens, weil es sich um eine rechtliche [X.]ewertung durch das Gericht handelt.

Auch die Einbeziehung der Überzahlung der [X.]ezüge für den Zeitraum von mehr als fünf Jahren sowie des Unterlassens eines Hinweises seitens des [X.]n in die [X.]emessungsentscheidung ist nicht im genannten Sinne überraschend. Denn das Oberverwaltungsgericht hat ausweislich der Niederschrift über die [X.]erufungsverhandlung (Seite 2) darauf hingewiesen, dass - ungeachtet der Unzulässigkeit der Nachtragsdisziplinarklage - unter anderem das Dienstvergehen, seine Schwere und die mögliche Disziplinarmaßnahme, auch unter [X.]erücksichtigung des der Nachtragsdisziplinarklage zugrunde liegenden Sachverhalts, in den [X.]lick genommen werde. Dass das Oberverwaltungsgericht diesen Hinweis gegeben hat, wird auf [X.] der [X.]eschwerdebegründung nicht [X.]. § 173 VwGO i.V.m. § 418 Abs. 2 ZPO bestritten. Denn der [X.] macht insoweit lediglich geltend, er sei zu diesem Sachverhalt vom Gericht nicht befragt worden. Jedenfalls bestand für einen umsichtigen Prozessbeteiligten angesichts des genannten Hinweises des [X.]erufungsgerichts in der [X.]erufungsverhandlung und wegen der Vorgabe des § 13 [X.] NW an das Gericht, sämtliche be- und entlastenden Umstände bei der Zumessungsentscheidung zu berücksichtigen, Anlass, von sich aus zu dem der Nachtragsdisziplinarklage zugrunde liegenden Sachverhalt Stellung zu nehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 74 Abs. 1 [X.] NW und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das [X.]eschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren Gebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 [X.] NW erhoben werden.

Meta

2 B 35/16

26.07.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 17. Februar 2016, Az: 3d A 1002/13.O, Urteil

§ 13 Abs 2 S 2 DG NW, § 3 Abs 1 DG NW, § 57 Abs 1 S 1 DG NW, § 86 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.07.2016, Az. 2 B 35/16 (REWIS RS 2016, 7634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7634

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