Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.10.2021, Az. 2 B 12/21

2. Senat | REWIS RS 2021, 1615

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Gegenstand

Disziplinare Ahndung des Besitzes und des Zugänglichmachens von kinderpornographischem Bildmaterial


Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 17. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

[X.]ie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 41 Abs. 1 Satz 1 [X.] SH, § 69 [X.] und § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des [X.]n gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig, aber nicht begründet.

2

1. [X.]er 1961 geborene [X.] steht als Oberamtsrat (Besoldungsgruppe [X.]) im [X.]ienst der klagenden [X.]. Im Mai 2016 stellte das [X.] fest, dass von einer dem [X.]n zuzuordnenden IP-Adresse in einem speziellen Netzwerk mehrfach [X.]ateien anderen Personen zugänglich gemacht wurden. Bei der [X.]urchsuchung der Wohnung des [X.]n wurden auf einem Laptop kinder- und jugendpornographische Bilddateien festgestellt. Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 10. April 2017 wurde der [X.] wegen des Besitzes von kinder- und jugendpornographischen Schriften sowie des öffentlichen Zugänglichmachens [X.] Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im sachgleichen [X.]isziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den [X.]n aus dem Beamtenverhältnis entfernt. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des [X.]n gegen dieses Urteil zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

3

[X.]en vorsätzlichen Besitz kinder- und jugendpornographischer Schriften habe der [X.] eingeräumt. Bei Betrachtung aller Umstände sei allerdings davon auszugehen, dass der [X.] die im Strafbefehl bezeichneten kinderpornographischen Videodateien auch vorsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe. Er habe es zumindest billigend in Kauf genommen, dass die betreffenden Videodateien einen grundsätzlich unbeschränkten, im Einzelnen nicht überschaubaren Personenkreis zugänglich gemacht worden seien. [X.]urch das außerdienstliche [X.]ienstvergehen habe der [X.] das Vertrauen seiner [X.]ienstherrin und der Allgemeinheit endgültig verloren. [X.]er für die Bestimmung der Schwere des [X.]ienstvergehens maßgebliche Orientierungsrahmen reiche hier bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. [X.]ies ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass der Strafrahmen für den Besitz [X.] Schriften mit Gesetz vom 21. Januar 2015 auf eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren angehoben worden sei. Unabhängig davon reiche der Orientierungsrahmen hier auch deshalb bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, weil der [X.] nicht nur kinderpornographische Schriften besessen, sondern diese auch öffentlich zugänglich gemacht habe. [X.]as Strafgesetzbuch sehe für dieses Vorgehen eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. [X.]ieser höhere Strafrahmen sei bei der Bemessung der [X.]isziplinarmaßnahme erschwerend zu berücksichtigen, sodass der Orientierungsrahmen bis zur [X.]ienstentfernung reiche.

4

2. [X.]er Senat hat - nach Anhörung der Beteiligten - das [X.] wegen dahingehend geändert, dass im Streitfall die Klägerin die Landeshauptstadt [X.] als [X.]ienstherrin des beklagten [X.] ist (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2021 - 2 B 76.20 - NVwZ-RR 2021, 583 Rn. 13 ff.), während das von den Vorinstanzen als Kläger angeführte Landesministerium (lediglich) die für die Erhebung der [X.] zuständige Kommunalaufsichtsbehörde ist, die für die [X.] als Vertreterin handelt (vgl. § 34 Abs. 2, § 47 Satz 1 [X.] SH und § 121 Abs. 2 GO SH).

5

3. [X.]ie Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der [X.] beimisst.

6

Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des [X.] erheblich sein wird (stRspr, [X.], Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - [X.]E 13, 90 <91 f.>). [X.]as ist hier nicht der Fall.

7

[X.]er [X.] sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage,

"(ob) die disziplinarische [X.] wegen Verbreitung oder öffentlicher Zugänglichmachung zweier [X.] [X.]ateien unabhängig von dem Tätigkeitsfeld des beschuldigten Beamten geboten (ist)."

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[X.]ie so formulierte Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich ist (vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 5. Juli 2016 - 2 [X.] - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 38 Rn. 11). [X.]ie Bemessung der [X.]isziplinarmaßnahme ist nach § 13 Abs. 1 [X.] SH unter Würdigung aller be- und entlastenden Umstände des konkreten Einzelfalls zu bestimmen. Ergibt die Bewertung dieser konkreten Einzelumstände, dass der Beamte das Vertrauen seines [X.]ienstherrn oder der Allgemeinheit verloren hat, ist er zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

9

Auch wenn die Frage so zu verstehen sein sollte, dass sie sich nicht auf die Bemessung der konkreten [X.]isziplinarmaßnahme i.S.v. § 13 [X.] SH, sondern auf die Festlegung des [X.] bezieht, wäre die Revision nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. [X.]enn die so verstandene Frage ist bereits in der Rechtsprechung des [X.] im Sinne der Entscheidung des [X.] geklärt.

Nach § 13 Abs. 1 [X.] SH ist die Entscheidung über die [X.]isziplinarmaßnahme nach der Schwere des [X.]ienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des [X.]ienstherrn oder der Allgemeinheit zu treffen. [X.]ie Schwere des [X.]ienstvergehens ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen [X.]isziplinarmaßnahme ([X.], Urteil vom 29. Oktober 2013 - 1 [X.] 1.12 - [X.]E 148, 192 Rn. 39 f.). [X.]ies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im [X.]isziplinarverfahren Anwendung finden ([X.], [X.] vom 8. [X.]ezember 2004 - 2 BvR 52/02 - [X.]K 4, 243 <257>). [X.]ie gegen den Beamten ausgesprochene [X.]isziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des [X.]ienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen ([X.], Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - [X.]E 124, 252 <258 f.>, vom 10. [X.]ezember 2015 - 2 C 6.14 - [X.]E 154, 10 Rn. 12 und vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - [X.]E 168, 254 Rn. 19).

Als Orientierung für die Schwere des [X.]ienstvergehens dient der zum Tatzeitpunkt geltende Strafrahmen. Mit der gesetzlichen Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens eines Beamten verbindlich zum Ausdruck gebracht. [X.]iese grundsätzliche Ausrichtung am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung der [X.]ienstvergehen und verhindert, dass die [X.]isziplinargerichte ihre jeweils eigene Einschätzung des Gehalts eines [X.]ienstvergehens an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen. Maßgeblich ist damit die Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, nicht die Vorstellung des jeweiligen [X.]isziplinargerichts ([X.], Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - [X.]E 168, 254 Rn. 21).

Setzt sich das [X.]ienstvergehen aus mehreren Aspekten zusammen, so bestimmt sich auch der Orientierungsrahmen in erster Linie nach der schwersten Verfehlung. [X.]ies ist hier das vom Oberverwaltungsgericht festgestellte vorsätzliche öffentliche Zugänglichmachen von kinderpornographischen Schriften. Hierfür sieht das Strafgesetzbuch in § 184b Abs. 1 eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Hieraus folgt, dass der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Januar 2014 - 2 B 52.13 - juris Rn. 8). Im Übrigen folgt auch aus der erhöhten Strafandrohung für den Besitz [X.] Schriften in der Fassung des [X.] ([X.]) - § 184b Abs. 3 StGB Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe -, dass der Orientierungsrahmen bis zur disziplinarrechtlichen [X.] reicht.

Für die Festlegung des [X.] ist in diesen Fällen mithin die Anzahl der einschlägigen [X.]ateien ebenso ohne Bedeutung wie das Tätigkeitsfeld des betroffenen Beamten. Im Übrigen kommt es für den [X.] bei außerdienstlich begangenen Pflichtverstößen eines Beamten nicht auf die von ihm zuletzt wahrgenommenen Aufgaben, sondern auf sein Statusamt an (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2015 - 2 C 9.14 - [X.]E 152, 228 Rn. 16).

4. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 41 Abs. 1 Satz 1 [X.] SH, § 77 Abs. 1 [X.] und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren entsprechend der Verweisung von § 41 Abs. 1 Satz 1 [X.] SH auf Teil 4 des Bundesdisziplinargesetzes [X.] nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 [X.] erhoben werden.

Meta

2 B 12/21

26.10.2021

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 17. Dezember 2020, Az: 14 LB 1/20, Urteil

§ 13 Abs 1 DG SH 2003, § 34 Abs 2 DG SH 2003, § 47 S 1 DG SH 2003, § 121 Abs 2 GemO SH 2003, § 69 BDG, § 184b Abs 1 StGB vom 21.01.2015, § 184b Abs 3 StGB vom 21.01.2015

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26.10.2021, Az. 2 B 12/21 (REWIS RS 2021, 1615)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1615


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 C 20/22

Bundesverwaltungsgericht, 1 C 20/22, 01.08.2023.


Az. 2 B 12/21

Bundesverwaltungsgericht, 2 B 12/21, 26.10.2021.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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10 L 154/14 (Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern)


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38 K 1330/22

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