Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.08.2023, Az. X ZR 118/22

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 4932

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ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT BUNDESGERICHTSHOF (BGH) FLUGGASTRECHTE WERKVERTRAG BGH

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Gegenstand

Anspruch auf Erstattung des Beförderungsentgelts für einen gebuchten und nicht angetretenen Flug


Leitsatz

1. Erspart im Sinne von § 648 Satz 2 BGB sind diejenigen Aufwendungen, die der Unternehmer ohne die Kündigung gehabt hätte und die er infolge der Kündigung nicht mehr tätigen muss (Bestätigung von BGH, Urteil vom 24. März 2016 - VII ZR 201/15, BGHZ 209, 278 = NJW 2016, 2944 Rn. 26).

2. Dies gilt unabhängig davon, ob der Unternehmer die in Rede stehenden Aufwendungen in seine Preiskalkulation einbezogen und ob er die Kalkulation gegenüber dem Besteller offengelegt hat.

3. Aus den unionsrechtlichen Regeln über die Festlegung und Angaben von Flugpreisen für innergemeinschaftliche Flugdienste ergibt sich keine abweichende Beurteilung.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 28. September 2022 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht auf teilweise Erstattung des [X.] für einen gebuchten, aber nicht angetretenen Flug in Anspruch.

2

Der Zedent war am 23. September 2020 auf einen von der Beklagten durchzuführenden Flug von [X.] nach [X.] ([X.]) gebucht. Für das Flugticket bezahlte der Zedent 27,30 Euro.

3

Der Zedent trat den Flug nicht an.

4

Nach Abtretung der sich aus der Stornierung ergebenden Ansprüche forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des auf Steuern, Gebühren und Entgelte entfallenden Anteils des Buchungspreises auf. Dieser Anteil beträgt 18,41 Euro. Die Beklagte leistete keine Zahlung.

5

Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 18,41 Euro nebst Zinsen verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

6

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision strebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage an. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision ist unbegründet.

8

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

9

Das Amtsgericht habe seine internationale Zuständigkeit zu Recht bejaht. Der geltend gemachte Anspruch auf Rückgewähr des Entgelts sei als Anspruch aus einem Vertrag im Sinne von Art. 7 Nr. 1 Buchst. a der Verordnung [X.] zu qualifizieren. Die [X.] in den Allgemeinen Beförderungsbestimmungen der [X.] sei unwirksam, weil sie den Kunden unangemessen benachteilige. Darauf dürfe sich auch die Klägerin als Zedentin berufen.

Ebenfalls unwirksam seien die in den Allgemeinen Beförderungsbestimmungen enthaltenen Klauseln über ein Abtretungsverbot und die Anwendbarkeit [X.] Rechts.

Auf der Grundlage des danach maßgeblichen [X.] Rechts habe die Klägerin gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 und § 648 Satz 2 [X.] einen Anspruch auf Erstattung des [X.] in Höhe der Steuern, Gebühren und Entgelte, die die Beklagte infolge des Nichtantritts der Flüge nicht habe abführen müssen.

§ 648 Satz 2 [X.] sei entgegen der Auffassung der [X.] auch im Streitfall anwendbar. Es sei anerkannt, dass im Gesamtpreis enthaltene Steuern, Gebühren und Entgelte zu erstatten seien, wenn der Flug nicht angetreten werde, da diese Kosten nur anfielen, wenn der Fluggast die Beförderungsleistung tatsächlich in Anspruch nehme. Dass im Streitfall die [X.] nicht in den Flugpreis einberechnet seien, führe nicht zu einer anderen Beurteilung, da sie auch in diesem Fall als ersparte Aufwendungen im Sinne von § 648 Satz 2 [X.] anzusehen seien. Dafür spreche der Wortlaut der Vorschrift, der nicht voraussetze, dass die Aufwendungen Teil der vereinbarten Vergütung seien. Die [X.] stellten auch nicht bloße allgemeine Geschäftskosten dar, die nicht zu den abzuziehenden Aufwendungen gehörten, sondern wiesen einen spezifischen Bezug zur Flugbeförderung auf. Die Beklagte habe mit ihrem Geschäftsmodell, die [X.] nicht in den Flugpreis einzurechnen, das Risiko selbst gesetzt. Auch das in § 648 Satz 2 [X.] verankerte [X.] spreche nicht gegen die Annahme einer Erstattungspflicht. Es widerspreche den Grundsätzen des Verbraucherschutzes, wenn Luftfahrtunternehmen dadurch über die Erstattungsfähigkeit von Steuern und Gebühren bestimmen könnten, dass sie diese nicht als Bestandteil des Flugpreises ausweisen. Außerdem würden die Wertungen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man aus dem Recht zur freien Preisbildung folgerte, dass Luftverkehrsunternehmen Bestimmungen des nationalen Rechts zulasten ihrer [X.]partner unterlaufen dürften.

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

1. Zu Recht und von der Revision nicht angegriffen hat das Berufungsgericht die - auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende - internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte bejaht.

2. Ebenfalls nicht angegriffen und rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin aktivlegitimiert ist und dass das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien nach [X.] Recht zu beurteilen ist.

3. Wie das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht ausgeführt hat, unterliegt ein Personenbeförderungsvertrag den Vorschriften über den Werkvertrag ([X.], Urteil vom 20. März 2018 - [X.], NJW 2018, 2039 Rn. 18; Urteil vom 16. Februar 2016 - [X.], NJW 2016, 2404 Rn. 14).

a) Soweit nichts anderes vereinbart ist (dazu [X.], Urteil vom 20. März 2018 - [X.], NJW 2018, 2039 Rn. 23 ff.), kann ein Fluggast daher nach § 648 Satz 1 [X.] den Beförderungsvertrag jederzeit kündigen. Die Kündigung hat nach § 648 Satz 2 [X.] zur Folge, dass das Luftverkehrsunternehmen als Werkunternehmer zwar berechtigt bleibt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen, sich aber dasjenige anrechnen lassen muss, was es infolge der Aufhebung des [X.] an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

b) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen hat der Zedent den Beförderungsvertrag durch Nichtantritt des Fluges konkludent gekündigt. Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

4. Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass sich ein Luftverkehrsunternehmen ersparte Aufwendungen gemäß § 648 Satz 2 [X.] auch dann anrechnen lassen muss, wenn es sie nicht in die Kalkulation des Endpreises einbezogen hat.

a) Erspart im Sinne von § 648 Satz 2 [X.] sind nach der Rechtsprechung des [X.] diejenigen Aufwendungen, die der Unternehmer ohne die Kündigung gehabt hätte und die er infolge der Kündigung nicht mehr tätigen muss ([X.], Urteil vom 24. März 2016 - [X.], [X.]Z 209, 278 = NJW 2016, 2944 Rn. 26).

Der Wortlaut des Gesetzes differenziert nicht danach, ob der Unternehmer die in Rede stehenden Aufwendungen in seine Preiskalkulation einbezogen und ob er die Kalkulation gegenüber dem Besteller offengelegt hat.

b) Eine solche Differenzierung ist auch nach dem Sinn und Zweck von § 648 Satz 2 [X.] nicht geboten.

Die Regelung in § 648 Satz 2 [X.] dient dem Zweck, einen ausgewogenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen im Falle einer Kündigung ohne besonderen Grund zu gewährleisten. Zu diesem Interessenausgleich gehört es, den Unternehmer vor Nachteilen aufgrund der Kündigung zu bewahren ([X.], Urteil vom 12. Juli 2007 - [X.], NJW 2007, 3423 Rn. 18). Umgekehrt erschiene es inkonsequent, wenn der Unternehmer aufgrund der Kündigung einen Vorteil erlangen könnte, der ihm bei Erfüllung des [X.] nicht entstanden wäre (vgl. nur [X.]/[X.] (2019), [X.], § 648 Rn. 32).

Vor diesem Hintergrund muss sich der Unternehmer Aufwendungen, die ihm bei Erfüllung des [X.] entstanden wären, aufgrund der Kündigung aber nicht angefallen sind, anrechnen lassen, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Weise er sie in seine Preiskalkulation einbezogen hat.

Aufwendungen, die bei Erbringung der Leistung anfallen, führen auch dann zu einer Vermögenseinbuße des Unternehmers, wenn sie nicht in die Kalkulation eingeflossen sind. Unabhängig von der konkreten Kalkulationsweise steht dem Unternehmer bei Erfüllung des [X.] nur die vereinbarte Vergütung zu. Der hieraus erzielbare Gewinn wird durch die tatsächlich anfallenden Aufwendungen bestimmt. Ob und inwieweit diese in die Kalkulation eingeflossen sind, hat hierauf keinen Einfluss. Wenn der Unternehmer nach der Kündigung die gesamte vereinbarte Vergütung behalten dürfte, obwohl er Aufwendungen erspart hat, stünde er mithin besser als bei Durchführung des [X.]. Dies widerspricht der Zielsetzung von § 648 Abs. 2 [X.].

c) Entgegen der Auffassung der Revision führt der Vortrag der [X.], sie kalkuliere ihre Flugpreise in der Erwartung, zusätzliche Umsätze mit dem Verkauf von Speisen und Getränken während des Fluges oder der Vermittlung eines Mietwagens oder einer Unterkunft am Zielort zu erzielen, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Wie auch die Revision im Ansatz nicht verkennt, hat das Luftfahrtunternehmen aufgrund der Flugbuchung keinen gesicherten Anspruch auf Abschluss solcher Zusatzgeschäfte. Daraus erzielte Umsätze und Gewinne lassen sich deshalb - anders als Aufwendungen der im Streitfall in Rede stehenden Art - nicht einem konkreten Vertrag oder einem konkreten Fluggast zuordnen. Deshalb besteht kein Raum für eine Schätzung der aufgrund der Kündigung möglicherweise entgangenen zusätzlichen Einnahmen.

d) Aus den unionsrechtlichen Regeln über die Festlegung und Angaben von Flugpreisen für innergemeinschaftliche Flugdienste ergibt sich ebenfalls keine abweichende Beurteilung.

Nach Art. 22 Abs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1008/2008 vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von [X.] in der [X.] (ABl. L 293, [X.]) können Luftverkehrsunternehmen der [X.] ihre Flugpreise und Frachtraten für innergemeinschaftliche Flugdienste grundsätzlich frei festlegen.

Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung muss bei der Öffentlichkeit zugänglichen Flugpreisen stets der zu zahlende Endpreis ausgewiesen werden. Nach Satz 3 sind ferner die einzelnen Teilbeträge anzugeben, aus denen sich der Endpreis zusammensetzt, und zwar aufgeschlüsselt nach dem Flugpreis, den Steuern, den Flughafengebühren und den sonstigen Gebühren, Zuschlägen und Entgelten. Das Luftfahrtunternehmen darf die genannten Nebenkosten nicht in den Flugpreis einbeziehen. Soweit es sie an den Fluggast weitergibt, muss es sie vielmehr separat als Bestandteil des Endpreises ausweisen ([X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - [X.]/16, [X.], 305 = [X.] 2017, 225 Rn. 27 ff.).

Diese Vorschriften betreffen lediglich die Preiskalkulation und deren Offenlegung gegenüber dem Fluggast. Sie regeln nicht die Frage, welche beiderseitigen Rechte und Pflichten bestehen, wenn der Fluggast von einem ihm zustehenden Kündigungsrecht Gebrauch macht.

5. Auf den von der [X.] in den Vorinstanzen geltend gemachten Gegenanspruch auf Zahlung einer Verwaltungsgebühr (zu solchen Gebühren vgl. [X.], Beschluss vom 21. April 2016 - I ZR 220/14, GRUR 2016, 716 - Flugpreise; [X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - [X.]/16, [X.], 305 Rn. 37 ff.) stützt sich die Revision nicht.

III. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der [X.] gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.

Der Gerichtshof der [X.] hat bereits entschieden, dass die Regelung in Art. 23 der Verordnung ([X.]) Nr. 1008/2008 allein Informations- und Transparenzpflichten statuiert ([X.], Urteil vom 6. Juli 2017 - [X.]/16, [X.], 305 Rn. 30). Daraus folgt, dass die Frage, welche Rechte und Pflichten den [X.]parteien nach einer wirksamen Kündigung zustehen, nach nationalem Recht zu beurteilen ist.

IV. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

      

Hoffmann     

      

Deichfuß

      

Kober-Dehm     

      

Crummenerl     

      

Meta

X ZR 118/22

01.08.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Memmingen, 28. September 2022, Az: 13 S 249/22, Urteil

§ 648 S 2 BGB, § 812 Abs 1 S 1 Alt 1 BGB, Art 22 Abs 1 EGV 1008/2008, Art 23 Abs 1 EGV 1008/2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.08.2023, Az. X ZR 118/22 (REWIS RS 2023, 4932)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4932


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 13 S 249/22

LG Memmingen, 13 S 249/22, 28.09.2022.


Az. X ZR 118/22

Bundesgerichtshof, X ZR 118/22, 01.08.2023.


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