Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 31.05.2020, Az. 1 BvQ 63/20

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 2801

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung: Erfolgloser Eilantrag gegen versammlungsrechtliche Auflage zur Beschränkung der Anzahl der Versammlungsteilnehmer zwecks Infektionsschutzes - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

2

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache (vgl. [X.] 134, 135 <137 Rn. 3> m.w.N.; stRspr) - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 7, 367 <371>; 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Erkennbare Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung sind zu berücksichtigen, wenn ein Abwarten den Grundrechtsschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte (vgl. [X.] 111, 147 <153>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. März 2018 - 1 BvQ 18/18 -, Rn. 5; Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, Rn. 13; Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. April 2020 - 1 BvQ 44/20 -, Rn. 7). Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232 Rn. 87>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232 Rn. 86>; stRspr). Maßgebend für die Beurteilung ist der Verfahrensstand im Zeitpunkt der Entscheidung ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 10. März 2010 - 1 BvQ 4/10 -, Rn. 14).

3

2. Ausgehend davon kommt hier der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

4

a) Eine Verfassungsbeschwerde erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Entgegen der Einschätzung des Antragstellers sind ihre Erfolgsaussichten aber auch keinesfalls derart offensichtlich, dass hier allein schon deshalb in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne von § 32 Abs. 1 [X.] läge.

5

b) Die danach gebotene Folgenabwägung geht zum Nachteil des Antragstellers aus.

6

Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich nach Durchführung eines Hauptsacheverfahrens jedoch herausstellte, dass die von der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens gemäß § 15 Abs. 1 [X.] erlassene Auflage einer Teilnehmerbeschränkung auf 5.000 Personen verfassungswidrig ist, wäre der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 [X.] verletzt. Diese Grundrechtsverletzung wäre von Gewicht nicht nur im Hinblick auf den Antragsteller, sondern angesichts der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine freiheitliche Staatsordnung auch im Hinblick auf das [X.] Gemeinwesen insgesamt.

7

Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass die Auflage zu Recht ergangen ist, weil bei einer größeren Teilnehmerzahl zumal unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Verhältnisse nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet wäre, dass aus Gründen des Infektionsschutzes gebotene Mindestabstände eingehalten werden, wären grundrechtlich geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter von hohem Gewicht betroffen. Die beauflagte Teilnehmerbeschränkung dient in Ansehung der aktuellen [X.] dem Ziel, die Einhaltung von Mindestabständen zwischen den [X.] kontrollierbar sicherzustellen, um so das Risiko einer Übertragung des [X.] unter [X.] und von diesen auf Dritte zu mindern. Zu dem damit bezweckten Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit ist der Staat prinzipiell [X.] seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 [X.] angehalten (vgl. [X.] 77, 170 <214>; 85, 191 <212>; 115, 25 <44 f.>).

8

Bei Durchführung der Versammlung mit einer Teilnehmerzahl von mehr als 5.000 Personen stünde nach übereinstimmender Einschätzung der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens, des [X.] und des [X.]hofs zu befürchten, dass gebotene Mindestabstände nicht hinreichend sicher eingehalten würden. Gegen diese auch auf Erfahrungen anlässlich früherer von dem Antragsteller durchgeführter Versammlungen sowie in Ansehung des konkreten Versammlungsorts gestützte Einschätzung ist im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren nichts zu erinnern. Insoweit legt das [X.] der Prüfung des [X.] die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zugrunde. Anderes wäre nur dann geboten, wenn die getroffenen Tatsachenfeststellungen offensichtlich fehlsam wären oder die Tatsachenwürdigungen unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtsnormen offensichtlich nicht trüge ([X.]K 3, 97 <99>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. August 2015 - 1 BvQ 32/15 -, Rn. 1; jeweils m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Eine andere Einschätzung rechtfertigt auch nicht das Vorbringen des Antragstellers zu einer angeblich fehlenden Plausibilität und Tragfähigkeit der aktuellen Risikoeinschätzung des [X.], auf die sich Verwaltungsgericht und [X.]hof - jeweils unter Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Einwänden des Antragstellers - gestützt haben. Dass die Risikoeinschätzung und mit ihr auch die tatsächlichen Feststellungen des [X.] und des [X.]hofs zum Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 [X.] offensichtlich fehlsam oder die fachgerichtlichen Tatsachenwürdigungen im Hinblick auf Art. 8 [X.] offensichtlich nicht tragfähig wären, ergibt sich weder aus den Darlegungen des Antragstellers noch ist dies nach dem derzeitigen Verfahrensstand sonst erkennbar.

9

Bei Gegenüberstellung der jeweiligen Folgen muss das Interesse des Antragstellers an einer Durchführung der geplanten Versammlung mit mehr als 5.000 Teilnehmern zurücktreten. Dafür fällt insbesondere ins Gewicht, dass dem Antragsteller die Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheit grundsätzlich möglich ist. Er kann die Versammlung sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht in der von ihm gewünschten Weise durchführen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 63/20

31.05.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend VG Stuttgart, 29. Mai 2020, Az: 5 K 2634/20, Beschluss

Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 15 Abs 1 VersammlG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 31.05.2020, Az. 1 BvQ 63/20 (REWIS RS 2020, 2801)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2801

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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