Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 05.12.2020, Az. 1 BvQ 145/20

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 3113

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erfolgloser Eilantrag gegen Verbot einer Versammlung mit ca. 20.000 Teilnehmern - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

2

1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die der Antragsteller für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 7, 367 <371>; 134, 138 <140 Rn. 6>; stRspr). Erkennbare Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung sind zu berücksichtigen, wenn ein Abwarten den Grundrechtsschutz mit hoher Wahrscheinlichkeit vereitelte (vgl. [X.] 111, 147 <153>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. März 2018 - 1 BvQ 18/18 -, Rn. 5; Beschluss der [X.] des [X.] vom 17. April 2020 - 1 BvQ 37/20 -, Rn. 27; Beschluss der [X.] des [X.] vom 29. April 2020 - 1 BvQ 44/20 -, Rn. 7). Bei einem offenen Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; stRspr). Maßgebend für die Beurteilung ist der Verfahrensstand im Zeitpunkt der Entscheidung ([X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 10. März 2010 - 1 BvQ 4/10 -, Rn. 14).

3

2. Ausgehend hiervon kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht.

4

Eine (noch zu erhebende) Verfassungsbeschwerde erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Sie wäre aber auch nicht erkennbar erfolgreich. Die aufgrund des offenen Ausgangs des Verfassungsbeschwerdeverfahrens gebotene Folgenabwägung geht allerdings zu Lasten des Antragstellers aus.

5

Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich aber nach Durchführung des Hauptsacheverfahrens herausstellte, dass die Untersagung der Versammlung verfassungswidrig war, wäre der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundrechtsverletzung wäre von erheblichem Gewicht nicht nur im Hinblick auf den Antragsteller, dem die Ausübung seiner grundrechtlichen Freiheit in Bezug auf diese Versammlung vollständig verwehrt worden wäre, sondern angesichts der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine freiheitliche Staatsordnung auch im Hinblick auf das [X.] Gemeinwesen insgesamt.

6

[X.] demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass die Untersagung der Versammlung zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich und daher rechtmäßig war, wären grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter, die ebenfalls von hohem Gewicht sind, betroffen.

7

Bei Durchführung der beantragten Versammlung mit einer Teilnehmerzahl von ca. 20.000 Personen würden nach der vom Antragsteller nicht widerlegten Feststellung der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens die gebotenen Mindestabstände nicht eingehalten werden können. Dass die hierauf bezogenen Risikoeinschätzungen und tatsächlichen Feststellungen des [X.] und des [X.] offensichtlich fehlsam wären, ergibt sich weder aus den Darlegungen des Antragstellers noch ist dies nach dem derzeitigen Verfahrensstand sonst erkennbar.

8

Bei Gegenüberstellung der jeweiligen Folgen muss das Interesse des Antragstellers an einer Durchführung der geplanten Versammlung mit ca. 20.000 Teilnehmern zurücktreten.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 145/20

05.12.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 4. Dezember 2020, Az: 1 B 385/20, Beschluss

Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 28 IfSG, § 32 IfSG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 05.12.2020, Az. 1 BvQ 145/20 (REWIS RS 2020, 3113)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3113

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