Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.06.2017, Az. V ZB 106/16

5. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10073

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Gegenstand

Berufungsverfahren: Bedingte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist


Leitsatz

Die Berufungsbegründungsfrist kann nicht unter einer Bedingung verlängert werden. Geschieht dies dennoch, ist nur die Bedingung unwirksam, die Fristverlängerung ist hingegen wirksam.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 27. Zivilsenats des [X.] vom 14. April 2016 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 310.700 €.

Gründe

I.

1

Die Klägerin hat gegen das ihr am 9. September 2015 zugestellte Urteil des [X.] fristgerecht Berufung eingelegt. Die am 10. November 2015 ablaufende Frist zur Begründung der Berufung ist wiederholt verlängert worden, und zwar erstmals bis zum 9. Dezember 2015 und weitere Male mit Zustimmung der Beklagten bis zum 8. Januar 2016 und 8. Februar 2016. Am 8. Februar 2016 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erneut die Verlängerung der Frist bis zum 8. März 2016 beantragt und anwaltlich versichert, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe der Fristverlängerung zugestimmt. Der Vorsitzende des [X.] hat am 8. Februar 2016 verfügt: „Fristverlängerung wird mit der Maßgabe gewährt, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten seine Zustimmung erteilt hat.“ Mit am 8. März 2016 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet.

2

Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem [X.] mitgeteilt hatte, keine Zustimmung zu der am 8. März 2016 beantragten Fristverlängerung erteilt zu haben, hat die Klägerin vorsorglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gestellt. Diesen Antrag hat das [X.] zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 4. April 2016 hat es die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

3

Das Berufungsgericht meint, die Berufungsbegründung der Klägerin sei verspätet eingegangen. Die Berufungsbegründungsfrist sei am 8. Februar 2016 nicht wirksam verlängert worden. Die Fristverlängerung sei von der prozessualen Bedingung abhängig gemacht worden, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zugestimmt habe. Daran fehle es. Zwar sei es offensichtlich zu einem Missverständnis zwischen den Prozessbevollmächtigten der Parteien gekommen. Die Klägerin habe auf die Verfügung des Vorsitzenden vom 8. Februar 2016 aber nicht vertrauen, sondern von einer wirksamen Fristverlängerung nur ausgehen dürfen, wenn sie sich sicher gewesen sei, dass die Zustimmung vorliege.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat der Klägerin den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt ihren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - [X.], [X.], 367, 368 mwN).

6

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hätte das Rechtsmittel nicht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Vorsitzende des [X.] hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum 8. März 2016 wirksam verlängert. Innerhalb dieser Frist ist die Berufungsbegründung eingegangen.

7

a) Nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Berufungsbegründungsfrist von dem Vorsitzenden auf Antrag verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne diese Einwilligung ist die Verlängerung nur bis zu einem Monat und nur dann zulässig, wenn nach der freien Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt (§ 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Ist die Berufungsbegründungsfrist, wie hier, bereits einmal ohne Zustimmung des [X.] um einen Monat verlängert worden, so kommt eine weitere Verlängerung nur noch bei Vorliegen der Einwilligung des Gegners in Betracht. Diese muss nicht schriftlich und gegenüber dem Berufungsgericht erklärt werden; sie kann vielmehr auch vom Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers eingeholt und gegenüber dem Gericht dargelegt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 86, 89; Beschluss vom 22. März 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 865, 866; Beschluss vom 12. April 2006 - [X.], [X.], 2192 Rn. 9).

8

b) Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zwar ausgegangen. [X.] ist aber seine Auffassung, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei wegen Fehlens der Bedingung, unter der sie gewährt worden sei, unwirksam. Die Berufungsbegründungsfrist kann nicht unter einer Bedingung verlängert werden. Geschieht dies dennoch, ist nur die Bedingung unwirksam, die Fristverlängerung ist hingegen wirksam.

9

aa) Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist bedingungsfeindlich. Der Berufungsführer, der um eine solche Verlängerung nachsucht, muss anhand der Antwort des Gerichts zweifelsfrei feststellen können, wann die Frist abläuft. Dies folgt aus dem Grundsatz der [X.]. Dieses aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Postulat setzt nicht nur Maßstäbe für die Erkennbarkeit des in Betracht kommenden Rechtsmittels, sondern auch für die Voraussetzungen, unter denen es zulässig ist (vgl. [X.]K 16, 362, 366; [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 2 BvR 3071/14, juris Rn. 12; [X.], Urteil vom 28. Juli 2016 - [X.], NJW 2017, 806 Rn. 11; jeweils mwN). Hierzu gehört, dass Fristen, von deren Einhaltung die Zulässigkeit eines Rechtsmittels abhängt, eindeutig bestimmbar sind. Daran fehlte es, wenn eine Fristverlängerung unter eine Bedingung gestellt werden könnte. Der Ablauf der Begründungsfrist wäre dann nämlich nicht kalendermäßig und damit klar bestimmbar, sondern hinge von dem Nachweis des Eintritts der gesetzten Bedingung ab. Von solchen Unwägbarkeiten dürfen die Rechtsmittelgerichte die Zulässigkeit eines Rechtsmittels nicht abhängig machen.

bb) Die von dem Vorsitzenden des Berufungsgerichts bestimmte Bedingung, unter der die Fristverlängerung stehen sollte, ist daher unwirksam. Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist hingegen wirksam. Sie ist als unbedingt anzusehen.

Zwar ist die Prozesshandlung einer Partei, die von einer unzulässigen Bedingung abhängig gemacht wird, unwirksam (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Oktober 1992 - [X.], [X.], 713; [X.], Beschluss vom 26. September 2007 - [X.]/07, [X.], 43 Rn. 15 f.; [X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., Vor § 128 Rn. 20). Für Fristverlängerungen des Gerichts kann dies aber nicht gelten. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Fristverlängerung wirksam ist, ist vielmehr auf den allgemeinen Grundsatz der Wirksamkeit rechtsfehlerhaft ergangener gerichtlicher Entscheidungen und auf Vertrauensschutzgesichtspunkte abzustellen. Danach darf eine Prozesspartei, der auf ihren rechtzeitig vor Fristablauf gestellten Antrag eine Fristverlängerung gewährt worden ist, grundsätzlich davon ausgehen, dass die betreffende richterliche Verfügung wirksam ist (vgl. Senat, Urteil vom 2. Oktober 2009 - [X.], [X.]Z 182, 307 Rn. 16; [X.], Beschluss vom 18. November 2003 - [X.] 37/03, [X.], 1460 mwN; Beschluss vom 12. Februar 2009 - [X.], [X.], 1149 Rn. 13; Beschluss vom 19. Juli 2016 - [X.], NJW-RR 2016, 1529 Rn. 14).

c) Schließlich ist unerheblich, dass die erforderliche Einwilligung des Prozessbevollmächtigen der Beklagen nicht vorgelegen hat (§ 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Auch ohne sie ist die bewilligte Fristverlängerung wirksam (vgl. [X.], Urteil vom 18. November 2003 - [X.] 37/03, [X.], 1460, 1461; Beschluss vom 9. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 86, 89; Beschluss vom 30. April 2008 - [X.]/07, NJW-RR 2008, 1162 Rn. 4). Ob das auch gilt, wenn der Vorsitzende von dem Rechtsmittelführer bewusst getäuscht worden ist, hat der [X.] bislang offen gelassen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Oktober 1998 - [X.], NJW-RR 1999, 286, 287). Diese Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist es offensichtlich zu einem Missverständnis zwischen den Prozessbevollmächtigten der Parteien über das Vorliegen des Einverständnisses gekommen.

3. Der die Berufung der Klägerin als unzulässig verwerfende Beschluss des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Rechtsmittel an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

IV.

Den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Senat nach der Wertfestsetzung des Berufungsgerichts bestimmt.

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Brückner

      

Göbel     

      

Haberkamp     

      

Meta

V ZB 106/16

01.06.2017

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 14. April 2016, Az: 27 U 129/15

§ 520 Abs 2 S 2 ZPO, Art 19 Abs 4 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.06.2017, Az. V ZB 106/16 (REWIS RS 2017, 10073)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3006 MDR 2017, 1408-1409 REWIS RS 2017, 10073

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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