Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.01.2022, Az. 8 C 35/20

8. Senat | REWIS RS 2022, 1902

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Gegenstand

Themenbezogene Widmungsbeschränkung einer kommunalen öffentlichen Einrichtung


Leitsatz

Die Beschränkung des Widmungsumfangs einer kommunalen öffentlichen Einrichtung, die deren Nutzung allein aufgrund der Befassung mit einem bestimmten Thema ausschließt, verletzt das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Tenor

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung der Beklagten für eine Diskussionsveranstaltung, die einen von deren Stadtrat am 13. Dezember 2017 gefassten Beschluss zum Gegenstand haben soll. Dieser Beschluss hat u.a. folgenden Inhalt:

"3. Für Raumvergaben bzw. Vermietung oder Zuschüsse wird Folgendes festgelegt

a) Organisationen und Personen, die Veranstaltungen in städtischen Einrichtungen durchführen wollen, welche sich mit den Inhalten, Themen und Zielen der [X.] befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben, werden von der Raumüberlassung bzw. Vermietung von Räumlichkeiten ausgeschlossen. Dies gilt entsprechend auch für die Zuschussvergabe.

b) Organisationen und Personen (Rednerinnen und Redner, Künstlerinnen und Künstler, Veranstalterinnen und Veranstalter), die sich in der Vergangenheit positiv zur [X.] geäußert haben oder diese unterstützen, können nur dann durch die Überlassung bzw. Vermietung von Räumlichkeiten für Veranstaltungen unterstützt werden, sofern diese sich nicht mit den Inhalten, Themen und Zielen der [X.] befassen, diese unterstützen, diese verfolgen oder für diese werben. Dies gilt entsprechend auch für die Zuschussvergabe."

2

Im April 2018 bat der Kläger das Stadtmuseum der Beklagten um Überlassung eines Saales für eine Diskussionsveranstaltung zum Thema "Wie sehr schränkt M. die Meinungsfreiheit ein? - Der Stadtratsbeschluss vom 13.12.2017 und seine Folgen". Das Stadtmuseum lehnte die Vermietung seiner Räumlichkeiten für die geplante Veranstaltung unter Hinweis auf den Beschluss des Stadtrats ab.

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger im [X.], hilfsweise in einem anderen städtischen Raum, einen Saal für die geplante Diskussionsveranstaltung zu vermieten, abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Hilfsantrag präzisiert und neben dem Stadtmuseum sieben weitere städtische Veranstaltungsorte konkret benannt, darunter den [X.] Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die geplante Diskussionsveranstaltung den Zugang zum [X.] im Rahmen der verfügbaren Kapazitäten durch Einwirkung auf den Trägerverein [X.] e.V. zu verschaffen; im Übrigen hat er die Berufung zurückgewiesen. Allein der Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss eines Mietvertrages für den [X.] sei zulässig und begründet. Bei der genannten Veranstaltungsstätte handele es sich um eine öffentliche Einrichtung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung für den [X.] (Gemeindeordnung - [X.]). Deren Widmungszweck umfasse auch privat organisierte Veranstaltungen zu kommunalpolitischen Themen. Da die Beklagte den laufenden Betrieb der Einrichtung und die Entscheidung über die Nutzungsvergabe dem Trägerverein [X.] e.V. überlassen habe, wandele sich der kommunalrechtliche Zulassungsanspruch in einen [X.], den die beklagte [X.] durch Einwirkung auf den Trägerverein zu erfüllen habe.

4

Der [X.] scheitere nicht an dem Beschluss des Stadtrats der Beklagten. Dieser verletze das Grundrecht der Meinungsfreiheit und den Gleichbehandlungsgrundsatz und sei daher unwirksam. Der Stadtratsbeschluss schränke den [X.] städtischer Räumlichkeiten ein, indem er Veranstaltungen, die sich mit der gegen den [X.] gerichteten [X.] befassten, von der Nutzung generell ausschließe. Der damit verbundene Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt. Der widmungsbeschränkende Stadtratsbeschluss stelle kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG dar, weil er keine Rechtsnormqualität besitze. Darüber hinaus lasse sich auch nicht feststellen, dass der generelle Ausschluss von Veranstaltungen zur [X.] dem Schutz eines unabhängig von bestimmten Meinungsinhalten zu schützenden Rechtsguts diene. Dass die Durchführung von Diskussionsveranstaltungen zu diesem Thema regelmäßig mit der Gefahr der Begehung strafbarer Handlungen verbunden wäre, sei nicht erkennbar. Auch könne im Zusammenhang mit der [X.] von einer sich abzeichnenden konkreten Rechtsgutgefährdung, die eine staatliche Schutzpflicht auslösen würde, nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen nicht gesprochen werden. Unabhängig davon verstoße der Stadtratsbeschluss gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

5

Die Beklagte trägt zur Begründung der Revision vor, das Berufungsurteil verletze § 86 VwGO und dehne den Schutzbereich der Meinungsfreiheit unzulässig zu Lasten des kommunalen Selbstverwaltungsrechts aus. Es ordne den Stadtratsbeschluss unzutreffend als zielgerichteten regulativen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit ein. Die Beklagte entnehme Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eine sie treffende Schutzpflicht, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht zu fördern. Sie wolle Veranstaltungen zu der von ihr für antisemitisch gehaltenen [X.] keine Bühne durch Überlassung städtischer Räume geben. Der Stadtratsbeschluss verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn die darin getroffene Regelung der Widmung sei nicht willkürlich.

6

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des [X.] vom 17. November 2020 zu ändern und die Berufung insgesamt zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Er verteidigt das Berufungsurteil und macht darüber hinaus geltend, der Stadtratsbeschluss verstoße auch gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und verletze das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision hat keinen Erfolg. Das [X.]erufungsurteil verletzt kein [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

1. Zutreffend hat das [X.]erufungsgericht den vom Kläger im Laufe des [X.]erufungsverfahrens nachträglich präzisierten Hilfsantrag auf Verpflichtung der [X.]eklagten zum Abschluss eines Mietvertrages für den [X.] als Klageänderung eingeordnet, die sich gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO als sachdienlich erweist. Das Rechtsschutzbedürfnis für die geänderte Klage ist nicht dadurch entfallen, dass bereits im Juni 2019 von anderen Organisatoren eine thematisch vergleichbare Veranstaltung in einer privat betriebenen Räumlichkeit durchgeführt worden ist. Die Klage erweist sich für den Kläger nicht als nutzlos, weil sein Klagebegehren erkennbar darauf gerichtet ist, eine von ihm veranstaltete Diskussion über den Stadtratsbeschluss in städtischen Räumen stattfinden zu lassen.

2. Das [X.]erufungsurteil leidet nicht unter dem gerügten Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO. Mit dem Vortrag, das [X.]erufungsgericht habe ohne entsprechende Sachaufklärung das Ergebnis seines Urteils, die [X.]eklagte wolle die Meinungsfreiheit des [X.] zielgerichtet beschränken, als Sachverhalt unterstellt, hat die [X.]eklagte einen solchen Verstoß nicht prozessordnungsgemäß dargetan. Dazu wäre die Darlegung erforderlich gewesen, welche Aufklärungsmaßnahmen sich dem [X.]erufungsgericht auch ohne förmlichen [X.]eweisantrag hätten aufdrängen müssen, welches Ergebnis sie gehabt hätten und inwieweit dies zu einer für die [X.]eklagte günstigeren Entscheidung hätte führen können (stRspr, vgl. nur [X.], [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Daran fehlt es hier. Die sinngemäße Rüge, das angegriffene Urteil verletze den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO), weil es der [X.]eklagten die Absicht zur gezielten [X.]eschränkung der Meinungsfreiheit unterstelle, ist unbegründet. Das [X.]erufungsgericht hat keine unzulässige Tatsachenfeststellung "ins [X.]laue hinein" getroffen, sondern das Regelungsziel durch eine Auslegung des Stadtratsbeschlusses entsprechend §§ 133 und 157 [X.]G[X.] ermittelt. Sie ist dem materiellen Recht zuzuordnen und kann nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden.

3. Das [X.]erufungsurteil verletzt kein materielles revisibles Recht. Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Kläger revisionsrechtlich fehlerfrei einen Anspruch auf Zugang zum [X.] zugesprochen. Seine Annahme, der Stadtratsbeschluss stehe diesem Anspruch nicht entgegen, weil die darin vorgenommene [X.] das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) verletze, ist nicht zu beanstanden.

a) Gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Gemeindeordnung für den [X.] (Gemeindeordnung - [X.]) sind alle Gemeindeangehörigen nach den bestehenden allgemeinen Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde zu benutzen. Da die Vorschrift zum irrevisiblen Recht gehört, hat das Revisionsgericht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO von der vorinstanzlichen Auslegung und Anwendung der Vorschrift auszugehen und nur deren Vereinbarkeit mit revisiblem Recht zu beurteilen. Die vom [X.]erufungsgericht vorgenommene Auslegung und Anwendung des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] steht mit diesem Recht im Einklang.

Danach begründet die [X.]estimmung einen Anspruch auf die Nutzung öffentlicher Einrichtungen im Rahmen des [X.] und der Kapazität der Einrichtung. Wird die öffentliche Einrichtung - wie hier - von einem privaten Trägerverein betrieben, der über die Nutzungsvergabe entscheidet, wandelt sich der kommunalrechtliche Zulassungsanspruch in einen [X.], den die [X.] durch Einwirken auf den Trägerverein zu erfüllen hat (vgl. auch [X.], [X.]eschluss vom 21. Juli 1989 - 7 [X.] 184.88 - [X.] 415.1 [X.] Nr. 91 S. 47 f.). Auf dieser Grundlage hat das [X.]erufungsgericht einen [X.] des [X.] nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] revisionsrechtlich fehlerfrei bejaht. Nach den bindenden Feststellungen des [X.]erufungsurteils handelt es sich bei dem [X.] um eine öffentliche Einrichtung im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 [X.], deren Widmungszweck auch privat organisierte Veranstaltungen zu kommunalpolitischen Themen umfasst.

b) Die Annahme des [X.]erufungsgerichts, der [X.] des [X.] scheitere nicht an dem Stadtratsbeschluss, weil die dadurch vorgenommene Einschränkung des Nutzungsrechts öffentlicher Einrichtungen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) verletze, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Das [X.]erufungsgericht hat den Stadtratsbeschluss als eine nachträgliche [X.]eschränkung des Widmungsumfangs öffentlicher Einrichtungen der [X.]eklagten verstanden. Es ist davon ausgegangen, dass der [X.]eschluss die Zulassung zu solchen Einrichtungen für Veranstaltungen ausschließt, die sich mit der [X.]DS-Kampagne oder deren Themen befassen. Dieses Verständnis des Stadtratsbeschlusses verletzt keine revisiblen Auslegungsgrundsätze (§§ 133 und 157 [X.]G[X.]).

bb) Zu Recht hat das [X.]erufungsgericht angenommen, dass die durch den Stadtratsbeschluss vorgenommene [X.] kommunaler öffentlicher Einrichtungen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) verletzt.

(1) Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Meinungen sind durch die subjektive [X.]eziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Für sie ist das Element der Stellungnahme und des [X.] kennzeichnend. Insofern lassen sie sich auch nicht als wahr oder unwahr erweisen. Sie genießen den Schutz des Grundrechts, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird. Die [X.]ürger sind dabei rechtlich auch nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die [X.]ürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die [X.] aber nicht. Es vertraut auf [X.] der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 4. November 2009 - 1 [X.]vR 2150/08 - [X.]VerfGE 124, 300 <320>). Die Meinungsfreiheit ist nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten selbst eingeschränkt oder untersagt wird. Es genügt, dass nachteilige Rechtsfolgen daran geknüpft werden ([X.]VerfG, [X.]eschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 126/85 - [X.]VerfGE 86, 122 Rn. 20 und vom 27. August 2019 - 1 [X.]vR 811/17 - juris Rn. 18).

Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist von der Widmungseinschränkung des Stadtratsbeschlusses betroffen, weil der Ausschluss von der Nutzung öffentlicher Einrichtungen der [X.]eklagten an absehbare Meinungsäußerungen zur [X.]DS-Kampagne gleich welcher Richtung anknüpft. Der Stadtratsbeschluss unterbindet Meinungsäußerungen zur [X.]DS-Kampagne zwar nicht unmittelbar. Er greift jedoch mittelbar in die Meinungsfreiheit ein, weil er mit dem Ausschluss von der [X.]enutzung öffentlicher Einrichtungen eine nachteilige Rechtsfolge an die zu erwartende Kundgabe von Meinungen zur [X.]DS-Kampagne oder zu deren Inhalten, Zielen oder Themen knüpft und damit eine meinungsbildende Auseinandersetzung zu diesem Thema behindert.

(2) Dieser Grundrechtseingriff ist nicht gerechtfertigt. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Meinungsfreiheit ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Darunter sind Gesetze zu verstehen, die nicht eine Meinung als solche verbieten und sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen. Dieses Rechtsgut muss in der Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann. Ausgangspunkt für die Prüfung, ob ein Gesetz ein allgemeines ist, ist zunächst die Frage, ob eine Norm an [X.] anknüpft. Erfasst sie das fragliche Verhalten völlig unabhängig von dem Inhalt einer Meinungsäußerung, bestehen hinsichtlich der Allgemeinheit keine Zweifel. [X.] sie demgegenüber an den Inhalt einer Meinungsäußerung an, kommt es darauf an, ob die Norm dem Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsguts dient. Ist dies der Fall, ist in der Regel zu vermuten, dass das Gesetz nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet ist, sondern meinungsneutral allgemein auf die Abwehr von [X.] zielt. Insoweit nimmt nicht schon jede Anknüpfung an den Inhalt von Meinungen als solche einem Gesetz den Charakter als allgemeines Gesetz. Vielmehr sind auch inhaltsanknüpfende Normen dann als allgemeine Gesetze zu beurteilen, wenn sie erkennbar auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter und nicht gegen eine bestimmte Meinung gerichtet sind ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 4. November 2009 - 1 [X.]vR 2150/08 - [X.]VerfGE 124, 300 <321 f.>). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Freiheit der Meinung als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen [X.]ewertung ihrer Richtigkeit oder Gefährlichkeit gewährleistet. Er erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des [X.] verlassen und in [X.] oder erkennbar in [X.] umschlagen. Dies ist der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren (vgl. [X.]VerfG, [X.]eschlüsse vom 4. November 2009 - 1 [X.]vR 2150/08 - [X.]VerfGE 124, 300 <335>, vom 22. Juni 2018 - 1 [X.]vR 673/18 - juris Rn. 24 und vom 7. Juli 2020 - 1 [X.]vR 479/20 - juris Rn. 14).

Danach stellt der Stadtratsbeschluss kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG dar. Ihm fehlt schon die hierfür erforderliche Rechtssatzqualität. Zudem trifft er keine allgemeine Regelung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. Er ist nicht meinungsneutral, sondern richtet sich gegen jedwede Meinung zum Thema [X.]DS-Kampagne und schließt damit alle Meinungsäußerungen zu einem bestimmten Thema aus. Der Grundrechtseingriff ist auch nicht gerechtfertigt, weil er dem Schutz eines auch sonst in der Rechtsordnung geschützten Rechtsguts diente. Nach den bindenden Feststellungen des [X.]erufungsgerichts bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Durchführung von Diskussionsveranstaltungen, die sich mit der [X.]DS-Kampagne befassen, regelmäßig mit der Gefahr strafbarer Handlungen, etwa von [X.] nach § 130 oder § 185 StG[X.], verbunden wäre. Solches hat auch die [X.]eklagte nicht geltend gemacht. Ebenso wenig liegen nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts gegenwärtig Anhaltspunkte vor, dass die im [X.]undesgebiet entfalteten Aktivitäten der auf den [X.] zielenden [X.]oykottbewegung eine die [X.] überschreitende gezielte Stimmungsmache gegen die jüdische [X.]evölkerung in [X.] oder gar ein Aufstacheln zum Hass gegen diese Personengruppe umfassen könnten. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie von der Revisionsführerin nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen wurden.

cc) Soweit der Kläger einen Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) geltend macht, tritt dieses Grundrecht hinter das speziellere Grundrecht der Meinungsfreiheit zurück. Der Stadtratsbeschluss unterbindet die Nutzung öffentlicher Einrichtungen nicht für die Veranstaltungsform der Versammlung, sondern nur für solche Veranstaltungen, bei denen Meinungsäußerungen zum Thema der [X.]DS-Kampagne zu erwarten sind. Damit richtet sich der Eingriff zuvörderst gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Eine etwaige Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) tritt ebenfalls hinter Art. 5 Abs. 1 GG zurück, weil sich die unterschiedliche [X.]ehandlung von Veranstaltungen, die sich mit den Inhalten, Themen und Zielen der [X.]DS-Kampagne befassen, und sonstigen Veranstaltungen zu kommunalpolitischen Themen in der Differenzierung wegen zu erwartender Meinungsäußerungen erschöpft.

Schließlich kommt eine Verletzung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in [X.]etracht. Das Grundgesetz garantiert das kommunale Selbstverwaltungsrecht nur im Rahmen der Gesetze und entlässt die [X.]n nicht aus der [X.]indung an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

8 C 35/20

20.01.2022

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. November 2020, Az: 4 B 19.1358, Urteil

Art 1 Abs 3 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG, Art 5 Abs 2 GG, Art 8 Abs 1 GG, Art 28 Abs 1 S 1 GG, Art 28 Abs 2 S 1 GG, § 86 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20.01.2022, Az. 8 C 35/20 (REWIS RS 2022, 1902)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1902

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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