Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2011, Az. XII ZB 317/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1811

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Gegenstand

Wiedereinsetzung: Umfang der Prüfungspflicht des Anwalts bei Vorlage der Handakte zur Wahrung der Beschwerdefrist


Leitsatz

Wird dem Rechtsanwalt die Handakte zur Wahrung der Beschwerdefrist vorgelegt, hat er stets auch die korrekte Notierung der Begründungsfrist zu prüfen (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2004, XII ZB 263/03, FamRZ 2004, 696 und vom 19. Oktober 2011, XII ZB 250/11) .

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Senats für Familiensachen des [X.] vom 23. Mai 2011 wird auf Kosten der Antragsgegnerinnen verworfen.

[X.]: bis 10.000 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten um Kindesunterhalt.

2

Der dem Antrag des Antragstellers teilweise stattgebende Beschluss des Amtsgerichts ist den Antragsgegnerinnen am 23. Februar 2011 zugestellt worden. Am 21. März 2011 haben sie hiergegen beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2011, der an demselben Tag bei dem Beschwerdegericht eingegangen ist, haben sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] beantragt und die Beschwerde begründet.

3

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags haben die Antragsgegnerinnen vorgetragen: Die Überwachung von Fristen sei im Büro ihrer [X.]n so organisiert, dass diese vor Ausstellung des [X.] die Rechtsmittelfrist auf der [X.] vermerke und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte weiterleite. Diese notiere die Frist in einem gesonderten [X.] und trage zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist ein. Außerdem werde die Eintragung im [X.] in den Handakten vermerkt. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Sache der [X.]n mit einem auffälligen Vermerk "[X.]" gesondert vorgelegt. Am Morgen des Fristablaufs werde die Erledigung geprüft und die Sache, falls sie noch nicht erledigt sei, noch einmal mit einem auffälligen Aufkleber "heute Fristablauf" vorgelegt. Im vorliegenden Fall habe die mit der Eintragung und Kontrolle der Fristen betraute Büroangestellte versehentlich nur die Vorfrist notiert, was dazu geführt habe, dass die [X.] die Akte bei Ablauf der [X.] zusammen mit den normalen Vorlagen erhalten habe. Am Tag des Fristablaufs sei die [X.] deshalb auch nicht erinnert worden. Die Fristversäumnis sei erst am 4. Mai 2011 aufgefallen, als der entsprechende Hinweis des [X.] eingegangen sei.

4

Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen und die begehrte Wiedereinsetzung versagt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerinnen.

II.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG in Verbindung mit §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des [X.] geklärt sind und das Beschwerdegericht hiernach zutreffend entschieden hat. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen deshalb nicht vor.

6

2. Die Beschwerde ist nicht fristgerecht begründet worden. Nach § 117 Abs. 1 Satz 1 FamFG war die Beschwerde in der hier vorliegenden Familienstreitsache (§§ 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) zu begründen. Die Frist zur Begründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens nach Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses (§ 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG). Da die Begründung erst am 16. Mai 2011 beim [X.] einging, war die - bis zum 26. April 2011 (Dienstag nach [X.]) währende - Frist verstrichen.

7

3. Zu Recht hat das Berufungsgericht den Antragsgegnerinnen die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Die Antragsgegnerinnen haben die Begründungsfrist nicht unverschuldet versäumt (§ 117 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 233 ZPO). Ihre [X.] trifft an der Fristversäumnis ein Verschulden, das die Antragsgegnerinnen sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müssen.

8

a) Zunächst hat es zwar die Büroangestellte der [X.]n versäumt, die Rechtsmittelbegründungsfrist im [X.] einzutragen; sie hat stattdessen lediglich eine Vorfrist vermerkt. Da die Akte der [X.]n ohne Kennzeichnung als [X.] vorgelegt wurde, konnte diese nicht ohne weiteres erkennen, dass die Bearbeitung fristgebunden war. Auf diesem Büroversehen beruht die Fristversäumnis indessen nicht allein, worauf das Beschwerdegericht entscheidend abgestellt hat.

9

aa) Allerdings war die [X.] nicht verpflichtet, die Akte in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage darauf zu überprüfen, ob eine Frist eingetragen war und deren Ablauf bevorstand. Die an die Sorgfalt des Anwalts zu stellenden Anforderungen würden überspannt, wenn man von ihm verlangen würde, den Fristablauf oder die Erledigung von [X.] stets auch dann selbst zu prüfen, wenn ihm die Sache - wie hier - ohne Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird oder ohne dass Anhaltspunkte dafür bestehen, die zur Fristwahrung getroffenen Maßnahmen könnten versagt haben (Senatsbeschlüsse vom 12. Dezember 2007 - [X.]/07 - [X.], 503 Rn. 12; vom 25. November 1998 - [X.] 204/96 - FamRZ 1999, 649, 650 f.; [X.] Beschluss vom 5. Februar 2003 - [X.]/02 - NJW 2003, 1815). Daraus folgt jedoch nicht, dass der Anwalt die Akte ohne zeitliche Einschränkung unbeachtet bei seinem Zutrag liegen lassen darf.

bb) Zwar bestand nach der vorstehenden Rechtsprechung für die [X.] kein Anlass, sich in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage der Akten deren - anscheinend nicht fristgebundener - Bearbeitung zu widmen. Die Sorgfalt eines Rechtsanwalts erfordert es aber, sich auch in Sachen, die ihm als nicht fristgebunden vorgelegt werden, in angemessener [X.] durch einen Blick in die Akten wenigstens davon zu überzeugen, um was es sich handelt und wie lange er sich mit der Bearbeitung [X.] lassen kann. Auch in solchen Fällen darf der Anwalt die ihm vorgelegten Akten jedenfalls nicht eine Woche lang gänzlich unbeachtet lassen ([X.] Beschluss vom 3. November 1997 - [X.]/97 - NJW 1998, 461 und vom 29. März 2011 - [X.]/10 - NJW 2011, 1600 Rn. 9). Ob die [X.] bereits nach diesen Maßstäben ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, obwohl hier in den betreffenden [X.]raum zwei Feiertage fielen, kann indessen dahinstehen.

b) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von [X.] immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden (Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2004 - [X.] 263/03 - FamRZ 2004, 696 und vom 1. Dezember 2004 - [X.] 164/03 - FamRZ 2005, 435, 436 jeweils mwN; zuletzt Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2011 - [X.] 250/11 - zur [X.] bestimmt). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die [X.] nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich.

Wäre die [X.] dieser Verpflichtung nachgekommen, hätte sie bei Fertigung der Beschwerdeschrift vom 21. März 2011 ohne weiteres feststellen können, dass auf dem Vorblatt der Handakte eine Rechtsmittelbegründungsfrist nicht vermerkt war. Dies hätte der [X.]n Anlass zu einer Überprüfung der Notierung im [X.] geben müssen, durch die das Versäumnis der Büroangestellten unschwer festzustellen und zu korrigieren gewesen wäre. In diesem Fall hätte die [X.] gewahrt werden können.

Dose                                           Weber-Monecke                                      Vézina

                    Schilling                                                        [X.]

Meta

XII ZB 317/11

02.11.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 23. Mai 2011, Az: 10 UF 102/11, Beschluss

§ 117 Abs 5 FamFG, § 233 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.11.2011, Az. XII ZB 317/11 (REWIS RS 2011, 1811)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1811

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