Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.03.2014, Az. 1 BvR 2169/13, 1 BvR 2182/13, 1 BvR 2390/13, 1 BvR 2430/13, 1 BvR 2461/13, 1 BvR 3288/13

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 6971

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Gerichtskosten im sozialgerichtlichen Verfahren (§ 197a Abs 1 SGG) nach gerichtlichem Trennungsbeschluss - Auftrennung in 24 Verfahren sachlich begründet, daher keine Verletzung des Willkürverbots - Zudem keine Verletzung des Justizgewährungsanspruchs durch Höhe der Gerichtskosten


Tenor

Die [X.] werden - unbeschadet des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die [X.] wenden sich jeweils unmittelbar gegen einen Kostenansatz sowie die auf Erinnerung und Beschwerde hin ergangenen Beschlüsse des [X.] und des [X.] in einem nach § 197a Abs. 1 [X.]gesetz ([X.]) kostenpflichtigen Verfahren zur Höhe des [X.]. [X.] greifen die [X.] § 197a Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative [X.] sowie gesetzliche Regelungen über die Zuständigkeit der Krankenkassen als Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28h Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 28i [X.] - [X.]) an.

I.

2

Gegenstand der sechs [X.] ist jeweils einer von insgesamt 24 Kostenansätzen. Die Anzahl der Kostenansätze beruht auf einem [X.] des [X.]. In allen Verfahren setzte das Sozialgericht den vorläufigen Streitwert nach § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf jeweils 5000 Euro fest. Mit den angegriffenen Kostenansätzen vom 10. Juli 2012 machte die Kostenbeamtin auf dieser Grundlage jeweils Gerichtskosten in Höhe von 363 Euro geltend. Die Erinnerungen gegen die Kostenansätze wies das Sozialgericht zurück. Die dagegen eingelegten Beschwerden wurden vom [X.] als unzulässig verworfen.

3

Mit ihren [X.] rügen die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer Verstöße gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) und gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie eine Verletzung ihrer Ansprüche auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

II.

4

Die [X.] sind - unbeschadet der Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie haben weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 [X.]). Dabei kann dahinstehen, ob und inwieweit die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer als juristische Personen des öffentlichen Rechts grundrechtsfähig sind, da die [X.] aus anderen Gründen keine Aussicht auf Erfolg haben.

5

1. Soweit die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Ansprüche auf [X.] sowie auf rechtliches Gehör behaupten, sind die [X.] unzulässig, weil sie nicht entsprechend den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 [X.] substantiiert und schlüssig die Möglichkeit der Verletzung von Grundrechten bzw. ihnen nach § 90 Abs. 1 [X.] gleichgestellten Rechten aufzeigen (vgl. [X.] 130, 1 <21> m.w.N.).

6

2. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot durch den [X.] des [X.] kann nicht festgestellt werden.

7

a) Willkürlich ist eine gerichtliche Entscheidung nur dann, wenn die Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt mehr vertretbar sind und wenn sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich (vgl. [X.] 54, 117 <125>; 87, 273 <278 f.> m.w.N.; 96, 189 <203>).

8

b) Nach diesem Maßstab lässt sich eine Verfassungswidrigkeit des [X.] nicht feststellen, denn das Sozialgericht hat seine Entscheidung sachlich begründet. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn es darauf abstellt, dass ohne Trennung Schriftsätze und Verwaltungsunterlagen grundsätzlich allen Beteiligten zugänglich gemacht werden müssten, obwohl insbesondere die beklagten Krankenkassen weder rechtlich noch tatsächlich etwas miteinander zu tun hätten, was aus datenschutzrechtlichen Erwägungen problematisch sei. Ebenso wenig ist es sachfremd, darauf abzustellen, dass trotz der zugrunde liegenden einheitlichen Rechtsfrage die Einlassungen der beklagten Krankenkassen stark voneinander abwichen, weshalb der Sach- und Streitstand ohne Trennung nicht übersichtlich und nachvollziehbar dargestellt werden könne.

9

3. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sehen die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer verletzt, weil ihnen effektiver gerichtlicher Rechtsschutz faktisch verwehrt werde. Der [X.] habe dazu geführt, dass für die einzelnen Verfahren gesonderte Streitwerte festgesetzt worden seien. In diesem Zusammenhang bewirke die Degressivität der Gerichtskostentabellen eine deutlich höhere Kostenbelastung.

a) In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass der Gesetzgeber für die Inanspruchnahme der Gerichte Gebühren erheben darf und es grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber die Höhe der Gerichtsgebühren überwiegend an den Streit- oder Geschäftswert knüpft (vgl. [X.] 85, 337 <346> m.w.N.; vgl. auch [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. März 1999 - 1 BvR 1431/90 -; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. Dezember 2011 - 1 BvR 1393/10 -). Mit der [X.] unvereinbar wäre es allerdings, wenn Gebühren erhoben würden, die außer Verhältnis zu dem wirtschaftlichen Wert stehen, den das gerichtliche Verfahren für einzelne Beteiligte hat. Denn gesetzliche Vorschriften, die den Zugang zu den Gerichten ausgestalten, dürfen ihn weder tatsächlich unmöglich machen noch in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Danach kann sich die Beschreitung des Rechtsweges auch dann als praktisch unmöglich darstellen, wenn das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint (vgl. [X.] 85, 337 <347> m.w.N.). Andererseits kann nicht gefordert werden, dass der Staat bei geringfügigem wirtschaftlichem Interesse des Einzelnen seine Gerichte praktisch kostenlos zur Verfügung stellt (vgl. [X.] 85, 337 <348> m.w.N.).

b) Dass die Gerichtskosten vorliegend nach diesen Maßstäben unverhältnismäßig sein könnten, lässt sich nicht feststellen. Allein die Tatsache, dass die Gerichtskosten nach der Trennung höher sind als zuvor, vermag eine solche Unverhältnismäßigkeit nicht zu begründen.

4. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2169/13, 1 BvR 2182/13, 1 BvR 2390/13, 1 BvR 2430/13, 1 BvR 2461/13, 1 BvR 3288/13

19.03.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, 12. Juni 2013, Az: L 5 AR 28/13 SF ER, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 52 Abs 2 GKG, § 56 SGG, § 197a Abs 1 S 1 Alt 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 145 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.03.2014, Az. 1 BvR 2169/13, 1 BvR 2182/13, 1 BvR 2390/13, 1 BvR 2430/13, 1 BvR 2461/13, 1 BvR 3288/13 (REWIS RS 2014, 6971)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6971

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