Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2021, Az. 2 StR 418/19

2. Strafsenat | REWIS RS 2021, 9951

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Gegenstand

Absoluter Revisionsgrund: Ausschluss aller Richter einer Strafkammer von der Unterzeichnung des Strafurteils bzw. eines Verhinderungsvermerks


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Oktober 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen tateinheitlich begangener zweifacher fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

2

Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat bereits mit der Verfahrensrüge – die [X.] der [X.] hätten zu einem Zeitpunkt an der schriftlichen Abfassung der Urteilsgründe mitgewirkt, zu dem sie von der Ausübung des [X.]amts gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen gewesen seien – Erfolg. Auf die Sachrüge kommt es damit nicht an.

I.

3

Folgendes Verfahrensgeschehen liegt der Rüge der Verletzung formellen Rechts zu Grunde:

4

Das angefochtene Urteil wurde am 12. Oktober 2018 nach 48 Verhandlungstagen verkündet. Am 22. Oktober 2018 bzw. 29. November 2018 wurden der Vorsitzende sowie die Beisitzer der [X.] in einem vor einer anderen [X.] des [X.]s rechtshängigen Verfahren als Zeugen vernommen. Ebenso wie im vorliegenden Verfahren war dort Gegenstand die Klärung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den Tod von zwei Geschädigten im Zusammenhang mit dem Einsturz des [X.] sowie zweier Wohngebäude am 3. März 2009. Als Zeugen haben die [X.] Angaben zu dem Einlassungsverhalten der hiesigen Angeklagten gemacht. Das Urteil im vorliegenden Verfahren ist am 25. Januar 2019 abgefasst und mit den Unterschriften der drei [X.] versehen zu den Akten gebracht worden.

II.

5

Die Rüge, die [X.] der [X.] seien gemäß § 22 Nr. 5 StPO von der Mitwirkung an der Unterzeichnung des Urteils ausgeschlossen gewesen (§ 338 Nr. 7 StPO), dringt durch. Die [X.] waren aus Rechtsgründen gehindert, das Urteil zu unterschreiben.

6

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben. Dem steht nicht entgegen, dass der [X.] das prozessuale Geschehen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt – hier § 338 Nr. 2 StPO – gewürdigt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 11. November 2020 – 2 StR 241/20, StraFo 2021, 152).

7

2. Der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Rechtsverstoß begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO.

8

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Urteil unter anderem dann aufzuheben, wenn es nicht innerhalb der Absetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 StPO vollständig – und damit einschließlich der Unterschriften sämtlicher an der Entscheidung beteiligten [X.] (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) – zu den Akten gebracht ist (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Oktober 1989 ‒ 3 [X.], [X.]R StPO § 275 Abs. 1 Satz 1 Akten 1).

9

Ein [X.], der aus tatsächlichen Gründen seine Unterschrift nicht mehr leisten kann oder aus Rechtsgründen nicht mehr leisten darf, ist dabei grundsätzlich an der Unterschrift gehindert (vgl. Senat, aaO, StraFo 2021, 152, 153; [X.]/[X.], 26. Aufl., § 275 Rn. 45).

Eine solche Verhinderung aus Rechtsgründen liegt insbesondere auch dann vor, wenn der [X.] nach § 22 StPO von der Ausübung des [X.]amts ausgeschlossen ist. Einem ausgeschlossenen [X.] ist jede weitere richterliche Tätigkeit in der betroffenen Sache verwehrt (vgl. [X.]/[X.], 27. Aufl., § 22 Rn. 52); der Ausschluss nach § 22 StPO wird kraft Gesetzes in dem Zeitpunkt wirksam, in dem der Ausschlussgrund entsteht und wirkt für die Zukunft ([X.]/Scheuten, 8. Aufl., § 22 Rn. 20; [X.]/[X.], aaO). Eine weitere Tätigkeit des ausgeschlossenen [X.]s birgt – auch noch nach der Urteilsverkündung – die Gefahr eines Eingriffs in die Rechtspflege, die Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt; er kann durch seine Autorität die Gestaltung der Urteilsgründe bis zu deren vollständiger Absetzung maßgeblich beeinflussen (vgl. Senat, aaO). Nach Eintritt des [X.] ist dem [X.] eine – rechtskonforme – Herstellung der Urteilsgründe ebenso wenig möglich wie die Teilnahme an einer Fassungsberatung oder die Urteilsunterzeichnung (vgl. Senat, aaO). Gleichwohl getätigte Amtshandlungen sind fehlerhaft; dies wird regelmäßig zu bedenken sein, wenn die Gerichtsverwaltung um eine Aussagegenehmigung für einen noch mit der Absetzung der Urteilsgründe in derselben Sache befassten [X.] ersucht wird (vgl. Senat, aaO).

b) Hieran gemessen ist das Urteil nicht vollständig innerhalb der mit dem 25. Januar 2019 abgelaufenen Urteilsabsetzungsfrist zu den Akten gelangt, da der Vorsitzende sowie die Beisitzer der [X.] nach ihren Zeugenvernehmungen vom 22. Oktober 2018 und 29. November 2018 in dieser Sache von der weiteren Ausübung des [X.]amts gemäß § 22 Nr. 5 StPO ausgeschlossen und aus rechtlichen Gründen an der Leistung der Unterschrift gehindert waren. Angesichts ihrer Aussagen im [X.] zur Einlassung der Angeklagten in hiesigem Verfahren sind sie zu demselben Tatgeschehen im Sinne der Vorschrift förmlich als Zeugen vernommen worden (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 22. Mai 2007 – 5 [X.], [X.], 711). Ihre Bekundungen erfassten auch Fragen, die im Hinblick auf die Schuld- und Straffrage in den im hiesigen Verfahren abzusetzenden Urteilsgründen in tatsächlicher sowie rechtlicher Hinsicht zu bewerten waren.

3. Da sämtliche [X.] der [X.] im Parallelverfahren als Zeugen vernommen worden und damit kraft Gesetzes von der Ausübung des [X.]amts ausgeschlossen waren, bestand im Übrigen auch keine Möglichkeit, einen Verhinderungsvermerk nach § 275 Abs. 2 Satz 2 StPO anzubringen, da hierzu nur diejenigen [X.] berufen sind, die an der Hauptverhandlung teilgenommen haben (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 1993 – 2 [X.], [X.]R StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 4).

4. Der aufgezeigte Rechtsfehler entzieht dem Urteil die Grundlage; es war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

III.

Ergänzend bemerkt der Senat:

Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, sich – deutlicher als bisher geschehen – mit der Garantenstellung und den sich daraus ergebenden Pflichten des auf Seiten der Bauherrin – hier die [X.] (im Folgenden: [X.]  ) – als sog. „örtlicher Bauüberwacher“ eingesetzten Angeklagten zu befassen.

Im Ausgangspunkt zutreffend ist die [X.] davon ausgegangen, dass grundsätzlich der Bauherr als Veranlasser des Bauvorhabens für die von diesem ausgehenden Gefahren einzustehen hat, die hieraus folgende Verantwortlichkeit – nämlich die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutze anderer Personen zu treffen (vgl. [X.], Urteil vom 13. November 2008 – 4 [X.], [X.]St 53, 38, 41 f.) – jedoch auf einen Bauunternehmer übertragen kann (vgl. zu den den Bauherrn im Falle der Übertragung noch treffenden Pflichten: [X.], Urteil vom 21. April 1964 – 1 [X.], [X.]St 19, 286, 288 f.).

Im Zusammenhang mit der danach für die Bestimmung der den Angeklagten treffenden Pflichten bedeutsamen Frage, ob die [X.]  die Bauleitung vollständig auf die Bauunternehmen der Arbeitsgemeinschaft ([X.]) übertragen hat oder zumindest teilweise in der Verantwortung für die Baustelle geblieben ist, ist nicht nur der Inhalt der zwischen den Beteiligten geschlossenen Verträge, sondern sind auch die tatsächlichen Umstände auf der Baustelle maßgeblich (vgl. schon RG, Urteil vom 2. Februar 1923 – [X.], [X.], 205, 206; [X.], StGB, 68. Aufl., § 13 Rn. 36 mwN).

Nach den bisherigen Feststellungen ist es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte – entsprechend der Wertung des [X.]s – durch die von ihm wahrgenommenen Tätigkeiten auf der Baustelle eine Verantwortlichkeit für sämtliche von ihr ausgehenden Gefahren innehatte und insoweit für diese auch strafrechtlich einstandspflichtig war. Ob dies tatsächlich der Fall war, der Angeklagte mit seinem Handeln also eine strafrechtliche Verantwortung auch gegenüber Dritten übernehmen wollte oder ob er sich nur auf eine bloße Überprüfung der Einhaltung der vertraglichen Pflichten der betreffenden Bauunternehmen beschränkte, bedarf jedoch – umfassender als bisher geschehen – einer Würdigung der gesamten rechtlichen und tatsächlichen Umstände der Verhältnisse auf der Baustelle. Hierbei werden vor allem auch das Vertragsverhältnis des Angeklagten zur [X.]  sowie eine etwaige dadurch begründete besondere Vertrauensstellung (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 8. November 2000 – 5 [X.], [X.]St 46, 196, 203) näher in den Blick zu nehmen sein. Unter diesem Gesichtspunkt bedarf zudem die Beziehung zwischen [X.]   und [X.] eingehender Bewertung.

Sollte auch das neue Tatgericht seiner Wertung den Inhalt des Vertrags zwischen der [X.]  und der [X.] insoweit zu Grunde legen, wie darin der [X.]  gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.]/B ein Anordnungsrecht gegenüber der [X.] zugestanden wird, wird es zu berücksichtigen haben, dass diese Vorschrift grundsätzlich weniger die Verteilung von Verantwortung für die von der Baustelle ausgehenden Gefahren zum Inhalt hat, als vielmehr ermöglicht, den Auftragnehmer zur Wahrung der vertraglichen Bauleistung anzuhalten (vgl. hierzu Ganten/[X.]/[X.]/Junghenn, [X.], 3. Aufl., [X.]/B, § 4 Rn. 184 mwN).

[X.]     

      

Krehl     

      

Zeng   

      

Meyberg     

      

Grube     

      

Meta

2 StR 418/19

13.10.2021

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 13. Oktober 2021, Az: 2 StR 418/19, Urteil

§ 22 Nr 5 StPO, § 275 Abs 2 S 2 StPO, § 338 Nr 7 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2021, Az. 2 StR 418/19 (REWIS RS 2021, 9951)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9951 NJW 2022, 2206 REWIS RS 2021, 9951

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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