Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.07.2017, Az. 2 StR 110/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8558

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Gegenstand

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln: Bedingter Vorsatz hinsichtlich des Transports der tatsächlichen Rauschgiftmenge


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 25. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es „die sichergestellten Betäubungsmittel“ eingezogen. Dagegen richtet sich die auf die unausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und auf sachlich-rechtliche Einwendungen gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen transportierte der Angeklagte am 17. Februar 2016 im Auftrag unbekannt gebliebener Dritter für einen Kurierlohn von 1.000 € insgesamt 62,5 Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 15,5 Prozent aus den [X.] nach [X.]. Er wusste, dass das Rauschgift gewinnbringend weiterveräußert werden sollte. Der Angeklagte stellte sein Fahrzeug auftragsgemäß in einem Industriegebiet ab und ging spazieren. Während seiner Abwesenheit wurde das Rauschgift von [X.] in seinem Fahrzeug deponiert. Bei einer Polizeikontrolle in [X.] wurde das Rauschgift entdeckt und sichergestellt.

3

2. Der Angeklagte hatte sich über [X.] in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, dass er „nur“ vom Transport von 10 Kilogramm Haschisch ausgegangen sei; ihm sei von seinen Auftraggebern gesagt worden, dass er sein Fahrzeug in einem Industriegebiet abstellen und spazieren gehen solle; während seiner Abwesenheit würden 10 Kilogramm Haschisch in dem Fahrzeug deponiert. Das [X.] vermochte sich ungeachtet einer auf einem der Rauschgiftpakete gesicherten daktyloskopischen Spur des rechten Daumens des Angeklagten nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte hinsichtlich der Gesamtmenge mit jedenfalls bedingtem Vorsatz handelte.

II.

4

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils deckt keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler auf.

III.

5

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

6

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 [X.], [X.], 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. [X.], Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, [X.], 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 [X.], [X.], 183, 184; [X.], Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 [X.], juris Rn. 9). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Dabei ist der Tatrichter gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. [X.], Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 [X.], [X.], 148 mwN). Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 [X.], [X.], 2792, 2793 – insofern in [X.]St 52, 314 nicht abgedruckt). Aus den Urteilsgründen muss sich außerdem ergeben, dass der Tatrichter die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 2. Februar 2017 – 4 [X.], juris Rn. 8). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannten Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den [X.] noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 [X.], [X.], 183, 184).

7

2. Nach diesem Maßstab begegnet die Beweiswürdigung des [X.]s durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiserwägungen sind lückenhaft und lassen besorgen, dass das [X.] überspannte Anforderungen an die Annahme bedingten Vorsatzes bezogen auf die Menge des transportierten Rauschgifts gestellt hat. Insoweit gilt:

8

Ein Drogenkurier, der sich zum Transport von Betäubungsmitteln bereit erklärt und weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluss nehmen noch diese Menge überprüfen kann, wird in der Regel damit rechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart hat. Ist ihm bei dieser Sachlage die tatsächliche Menge der Betäubungsmittel gleichgültig, so handelt er mit bedingtem Vorsatz bezüglich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, [X.], 467; [X.], Urteil vom 21. April 2004 – 1 [X.], [X.], 281). Dies liegt in [X.], in denen zwischen dem Kurier und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht, regelmäßig nahe. Gegen einen bedingten Vorsatz können im Einzelfall Umstände sprechen, die dem Kurier die Überzeugung zu vermitteln vermögen, sein Auftraggeber habe ihm in Bezug auf die [X.] die Wahrheit gesagt (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, [X.], 467).

9

a) Die tatrichterlichen Beweiserwägungen sind lückenhaft, weil der Tatrichter die allein über [X.] erfolgte Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht auf ihre Plausibilität überprüft und in Bezug zu seinen früheren Bekundungen gesetzt hat. Das [X.] ist insoweit davon ausgegangen, dass „die Einlassung des Angeklagten unterstellt“ werden müsse und nur dann widerlegt werden könne, wenn gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen. Dies greift zu kurz. An die Bewertung der Einlassung des Angeklagten sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an die Beurteilung sonstiger Beweismittel (vgl. Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 [X.], [X.], 183, 184). Der Tatrichter hat sich aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung zu bilden ([X.], Urteil vom 6. November 2003 – 4 [X.], [X.], 88; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, [X.]St 34, 29, 34). Dabei kann ein Wechsel der Angaben im Verlaufe des Verfahrens ein Indiz für die Unrichtigkeit der Einlassung in der Hauptverhandlung sein und ihre Bedeutung für die Beweiswürdigung verringern oder unter Umständen ganz entfallen lassen (Senat, Urteil vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, [X.]R StPO § 261 Einlassung 6). Im Hinblick auf die Möglichkeit einer Anpassung der Einlassung an die Ergebnisse der Beweisaufnahme kann auch der Zeitpunkt, zu dem sich ein Angeklagter zur Sache einlässt, ein Umstand sein, der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung sprechen kann (Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 [X.], [X.], 183, 184).

b) Das [X.] hat zwar erkannt, dass die über [X.] erfolgte Einlassung des Angeklagten in einem zentralen Punkt mit den übrigen Beweisergebnissen nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen war; seine Erklärung, während des Verladens des Rauschgifts in sein Fahrzeug spazieren gegangen zu sein, lässt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres damit in Einklang bringen, dass auf dem Verpackungsmaterial eines der Betäubungsmittelpakete unterhalb des [X.] eine [X.] – der Abdruck des rechten Daumens – des Angeklagten gesichert worden ist. Soweit die [X.] die Beweisbedeutung dieses Indizes mit der Begründung relativierte, die festgestellte einzelne [X.] deute nicht darauf hin, dass der Angeklagte die – sehr große, aus 56 Blöcken und 208 Platten bestehende – [X.] selbst in das Fahrzeug gelegt oder sonst „bei einem Verbringen der Betäubungsmittel in das Fahrzeug in irgendeiner Weise mitgewirkt“ habe, da anderenfalls mehr als nur eine einzelne [X.] hätte aufgefunden werden müssen, sind diese Erwägungen lückenhaft. Das [X.] hat die Lage der [X.] unterhalb der Verpackung nicht erkennbar in den Blick genommen. Darüber hinaus hat es sich nicht mit der nahe liegenden [X.] auseinander gesetzt, dass der Angeklagte bei der Verbringung der Betäubungsmittel in das professionelle Schmuggelversteck seines Fahrzeuges anwesend gewesen sein könnte und dabei eines der Pakete berührt hat. Eine solche [X.] wäre zwanglos mit der Spurenlage vereinbar und könnte zugleich dafür sprechen, dass der Angeklagte Kenntnis von der ungefähren Gesamtmenge der von ihm tatsächlich transportierten Betäubungsmittel hatte.

c) Schließlich fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Annahme eines auf die tatsächlich transportierte Gesamtmenge bezogenen bedingten Vorsatzes des Angeklagten. In diesem Zusammenhang wäre auch in die Erwägungen einzustellen gewesen, dass der Angeklagte „das Versteck und vor allem dessen Größe kannte“ (vgl. UA S. 11).

Bei dieser Sachlage bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Der Senat hebt auch die auf § 33 Abs. 2 BtMG gestützte Einziehungsanordnung auf, um dem neuen Tatrichter die Gelegenheit zu geben, sie hinreichend bestimmt abzufassen. Der Ausspruch über die Anordnung einer Einziehung hat die einzuziehenden Gegenstände so genau zu kennzeichnen, dass bei allen Beteiligten und bei der Vollstreckungsbehörde Klarheit über den Umfang der Einziehung besteht. Im Falle der Einziehung von Betäubungsmitteln gehört dazu die Angabe von Art und Menge des einzuziehenden Rauschgifts, die sich aus dem [X.] ergeben muss. Dies wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter nachzuholen haben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

Sollte der neue Tatrichter Zweifel an der subjektiven Tatseite hinsichtlich der [X.] nicht zu überwinden vermögen, wird er zu prüfen haben, ob dem Angeklagten insoweit Fahrlässigkeit zur Last fällt (vgl. Senat, Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99, [X.], 467; [X.], Urteil vom 21. April 2004 – 1 [X.], [X.], 281).

Ri[X.] Prof. Dr. Krehl ist
durch Urlaub an der
Unterschrift gehindert.

        

     Eschelbach     

        

Bartel

Eschelbach

                                   
        

     Ri[X.] Dr. Grube ist
     durch Urlaub an der
     Unterschrift gehindert.

        

[X.]     

        
        

     Eschelbach

                          

Meta

2 StR 110/17

05.07.2017

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Wiesbaden, 25. Oktober 2016, Az: Ss 79/17

§ 29 BtMG, §§ 29ff BtMG, § 15 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.07.2017, Az. 2 StR 110/17 (REWIS RS 2017, 8558)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8558

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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