Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2018, Az. X ARZ 303/18

10. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 8228

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STREITGENOSSENSCHAFT ABGASSKANDAL ZUSTÄNDIGKEITSBESTIMMUNG § 36 ZPO

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Gegenstand

Gerichtsstandsbestimmungsverfahren: Verkäufer und Hersteller eines Fahrzeugs als Streitgenossen bei Geltendmachung von Ansprüchen wegen eines Sachmangels und unerlaubter Handlung


Leitsatz

Macht der Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Verkäufer Ansprüche wegen eines behaupteten Sachmangels (hier: im Fahrbetrieb abgeschalteter Abgasreinigungseinrichtungen) und gegen den Hersteller des Fahrzeugs Ansprüche aus unerlaubter Handlung geltend, die auf die Vortäuschung eines mangelfreien Zustands gestützt werden, können Verkäufer und Hersteller als Streitgenossen gemeinschaftlich verklagt werden.

Tenor

Zuständig ist das [X.] ([X.]).

Gründe

1

I. Die in [X.] ansässige Klägerin verlangt von der [X.] zu 1, einer in [X.] ansässigen Kraftfahrzeughändlerin, die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Dieselfahrzeug der Marke [X.] und begehrt gegenüber der [X.] zu 2, der in [X.] ansässigen [X.] AG, als Herstellerin des Fahrzeugs die Feststellung der Einstandspflicht für aus der Beschaffenheit der Abgasreinigungseinrichtungen des Fahrzeugs resultierende Schäden.

2

Die Klägerin macht geltend, dass sie das Fahrzeug auf Grund von Angaben der [X.] zu Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch erworben habe. Die Fahrzeugeinrichtungen zur Abgasreinigung seien jedoch mit Wissen und Billigung des Vorstands der [X.] zu 2 werkseitig so programmiert worden, dass sie im normalen Fahrbetrieb außer Betrieb gesetzt würden.

3

Auf Antrag der Klägerin hat das von ihr angerufene [X.], das seine Zuständigkeit für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage verneint, die Sache dem [X.] zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Das [X.] sieht sich an der von ihm beabsichtigten Bestimmung des zuständigen Gerichts gehindert und hat die Sache deshalb dem [X.] vorgelegt.

4

II. Die Vorlage ist zulässig.

5

Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat ein [X.], wenn es bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen [X.]s oder des [X.]s abweichen will, die Sache dem [X.] vorzulegen. Diese Voraussetzung ist gegeben.

6

1. Das nach § 36 Abs. 2 ZPO zur Zuständigkeitsbestimmung berufene [X.] will seiner Entscheidung zugrunde legen, dass zwischen den auf die Beschaffenheit des Fahrzeugs gestützten Ansprüchen gegen den Verkäufer und den Hersteller ein für die Annahme einer Streitgenossenschaft nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 59, 60 ZPO hinreichender innerer sachlicher Zusammenhang besteht. Darin läge eine Abweichung von dem Beschluss des [X.]s Nürnberg vom 25. April 2017 (1 AR 749/17), das für eine entsprechende Konstellation die Voraussetzungen für eine Streitgenossenschaft verneint hat.

7

2. Für die Zulässigkeit der Vorlage reicht es aus, dass die für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage nach der Auffassung des vorlegenden [X.]s entscheidungserheblich ist und dies in den Gründen des [X.] nachvollziehbar dargelegt wird. So verhält es sich hier. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der [X.] die Frage ebenfalls als entscheidungserheblich ansieht (vgl. [X.], Beschluss vom 15. August 2017 - [X.]/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 6).

8

3. Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass die Rechtsfrage das Vorliegen einer Streitgenossenschaft und damit bereits eine der Voraussetzungen betrifft, unter denen eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO überhaupt zulässig ist. Die auf die Wendung "bei der Bestimmung" verweisende Auffassung, dass eine Vorlage in solchen Fällen nicht in Betracht komme ([X.], NJW 2006, 3723, 3724 zu dem Erfordernis des fehlenden gemeinsamen Gerichtsstands), entspricht nicht der Rechtsprechung des [X.]s (s. nur [X.], Beschluss vom 23. Februar 2011 - [X.] 388/10, NJW-RR 2011, 929). Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind als rechtliche Vorfragen derart eng mit den für die Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Erwägungen verknüpft, dass Divergenzen bei solchen Rechtsfragen ebenfalls das [X.] nach § 36 Abs. 3 ZPO eröffnen.

9

III. Als zuständiges Gericht bestimmt der Senat das [X.].

1. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind erfüllt.

a) Die [X.] werden als Streitgenossen im Sinne von §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen.

Die hier allein in Betracht kommende Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist, wovon der Vorlagebeschluss und der Beschluss des [X.]s Nürnberg übereinstimmend ausgehen, grundsätzlich weit auszulegen. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt ([X.], Beschluss vom 23. Mai 1990 - [X.], NJW-RR 1991, 381; Beschluss vom 3. Mai 2011 - [X.] 101/11, NJW-RR 2011, 1137 Rn. 18).

Die gegen den Verkäufer und den Hersteller gerichteten Ansprüche sind ihrem Inhalt nach gleichartig, weil sie jeweils darauf gerichtet sind, den Kläger von den Folgen seiner Kaufentscheidung zu befreien. Sie werden auf einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt gestützt, beruhen also auf im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Gründen: Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens gegen beide Beklagte sind der Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch des verkauften Fahrzeugs, darauf bezogene werbende Äußerungen der [X.] zu 2 und deren Einfluss auf die Kaufentscheidung der Klägerin. Dass weitere Sachverhaltselemente nur im Verhältnis zur einen oder zur anderen [X.] relevant sein mögen, ist unschädlich, denn § 60 ZPO verlangt nicht, dass die anspruchsrelevanten Sachverhalte deckungsgleich sind. Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Anspruchsgründe im Wesentlichen gleichartig, denn die in Rede stehenden Herstellerangaben stellen nach der Klagebegründung unter kaufrechtlichen wie deliktsrechtlichen Gesichtspunkten ein wesentliches Anspruchselement dar. Sie sind nicht nur unmittelbarer Anknüpfungspunkt für die gegen die Beklagte zu 2 erhobenen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für die Sollbeschaffenheit der Kaufsache (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) auch für die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche von zentraler Bedeutung. Die nur im Verhältnis zu einzelnen [X.] relevanten zusätzlichen Aspekte (Erfordernis einer Gelegenheit zur Nacherfüllung einerseits, [X.] und [X.] andererseits) stehen entgegen der Auffassung des [X.]s Nürnberg rechtlich nicht derart im Mittelpunkt, dass sie die wesentliche Gleichartigkeit des [X.] in rechtlicher Hinsicht in Frage stellen könnten.

b) Die [X.] haben ihren allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten.

c) Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann dahinstehen, ob für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist. Zur Vermeidung einer auf [X.] beruhenden Verfahrensverzögerung, die mit einer Klärung der [X.] durch klageabweisendes Prozessurteil und Rechtsmittel verbunden wäre, genügt es, dass das angerufene [X.] seine örtliche Zuständigkeit für die Klage gegen die Beklagte zu 2 verneinen möchte (vgl. [X.], NJW-RR 2017, 94 Rn. 14 f.).

2. Für die Bestimmung des [X.] als zuständiges Gericht sprechen Erwägungen der Prozesswirtschaftlichkeit, da der Rechtsstreit dort bereits anhängig ist und einigen Fortgang genommen hat. Der bundesweit am Markt auftretenden [X.] zu 2 ist zudem eine Prozessführung am Sitz des jeweiligen Verkäufers eher zumutbar als diesem eine Prozessführung am Sitz des [X.]. Vor diesem Hintergrund kommt es auch für Zwecke der Gerichtsstandsbestimmung nicht entscheidend darauf an, ob das [X.] ohnehin nach § 32 ZPO auch für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage zuständig ist.

[X.]     

      

Gröning     

      

Grabinski

      

Bacher     

      

Kober-Dehm     

      

Meta

X ARZ 303/18

06.06.2018

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

§ 36 Abs 1 Nr 3 ZPO, § 36 Abs 3 ZPO, § 59 ZPO, § 60 ZPO, § 437 Abs 1 S 1 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 263 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.06.2018, Az. X ARZ 303/18 (REWIS RS 2018, 8228)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1348-1352 WM2018,1517 REWIS RS 2018, 8228

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