Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2015, Az. XII ZB 211/12

12. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 1417

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Gegenstand

Organisationsverschulden des Rechtsanwalts bei Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist in einer Familienstreitsache: Unterlassene Nachfrage hinsichtlich einer beantragten Fristverlängerung und Beginn der Wiedereinsetzungsfrist


Leitsatz

Der Anwalt hat durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass bei ausbleibender Reaktion des Gerichts auf sein Fristverlängerungsgesuch noch vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde. Kommt er dem nicht nach, wird die Wiedereinsetzungsfrist spätestens zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte (im Anschluss an BGH Beschluss vom 13. Oktober 2011, VII ZR 29/11, NJW 2012, 159; Abgrenzung zu Senatsbeschluss vom 28. März 2001, XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 33. Zivilsenats - zugleich Familiensenat - des [X.] vom 26. März 2012 wird auf Kosten der Antragsgegnerin verworfen.

Wert: 11.975 €

Gründe

I.

1

Die Antragsgegnerin wendet sich in einer Familienstreitsache gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde wegen Versäumung der [X.] und die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

2

In dem Verfahren wird die Antragsgegnerin vom Antragsteller, ihrem früheren Ehemann, auf [X.] nach rechtskräftig geschiedener Ehe in Anspruch genommen. Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrem [X.] die Zustimmung des Antragstellers zum Verkauf eines Grundstücks. Das Amtsgericht hat dem Antrag überwiegend stattgegeben und den [X.] zurückgewiesen. Gegen den ihr am 26. Oktober 2011 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts hat die Antragsgegnerin am 22. November 2011 Beschwerde eingelegt.

3

Am 9. Dezember 2011 hat die Geschäftsstelle des [X.] den Eingang der Beschwerde bestätigt sowie fälschlich den 26. November 2011 als Zustellungsdatum und den 26. Januar 2012 als das Ende der [X.] bezeichnet. Die Beschwerdebegründung ist beim [X.] am 18. Januar 2012 eingegangen. Mit Beschluss vom 16. Februar 2012 hat das [X.] die Beteiligten darauf hingewiesen, dass bei [X.] Durchführung des Verfahrens mit erheblichen Kosten wegen eines einzuholenden Sachverständigengutachtens zu rechnen sei. Deswegen werde der Abschluss eines Vergleichs empfohlen.

4

Mit Verfügung vom 9. März 2012, die der Antragsgegnerin am 15. März 2012 zugestellt worden ist, hat das [X.] darauf hingewiesen, dass die Beschwerde nicht rechtzeitig begründet worden und deshalb deren Verwerfung beabsichtigt sei. Am 15. März 2012 hat die Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Ihre Verfahrensbevollmächtigte hat anwaltlich versichert, sie habe mit einem per Computerfax übermittelten Schriftsatz vom 20. Dezember 2011 die Verlängerung der [X.] um einen Monat beantragt. Den Schriftsatz sowie ein Faxprotokoll, das einen "[X.] für die Versendung des Faxes am 20. Dezember 2011 ausweist, hat sie beigefügt. Dieser Schriftsatz ist beim [X.] nicht eingegangen.

5

Das [X.] hat die Beschwerde der Antragsgegnerin unter Zurückweisung des [X.] verworfen. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

6

Die gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Der Sache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu (§§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] (§§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).

7

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die [X.] sei mit dem 27. Dezember 2011 abgelaufen. Sie sei bei Eingang der Beschwerdebegründung am 18. Januar 2012 daher bereits verstrichen gewesen. Der Antragsgegnerin sei keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] zu gewähren, da der entsprechende Antrag nicht binnen der Monatsfrist der §§ 117 Abs. 5 FamFG, 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt worden sei. Die Antragsgegnerin sei spätestens zwei bis drei Wochen nach Stellung des Verlängerungsantrags gehalten gewesen nachzufragen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt worden sei. Auch wenn eine Erkundigungspflicht erst am Ende der beantragten verlängerten Frist angenommen werde, hier also zum 27. Januar 2012, sei die [X.] mit dem 27. Februar 2012 abgelaufen. Der am 15. März 2012 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei daher verspätet.

8

2. Diese Ausführungen halten sich im Rahmen der Rechtsprechung des [X.] und lassen auch sonst keinen Zulassungsgrund erkennen.

9

a) Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass die Antragsgegnerin die Beschwerdebegründung erst nach dem Ende der mit dem 27. Dezember 2011 ablaufenden Zweimonatsfrist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG und damit verspätet eingereicht hat (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Juli 2015 - [X.] 583/14 - FamRZ 2015, 1878 Rn. 10).

b) Auch die Entscheidung des [X.]s, der Antragsgegnerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens ihrer Rechtsanwältin zu versagen, steht mit der Rechtsprechung des [X.] in Einklang.

aa) Ein Rechtsanwalt darf auf die Gewährung einer beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht vom Gericht erhält ([X.] Beschluss vom 24. November 2009 - [X.]/08 - FamRZ 2010, 370 Rn. 9). Er hat vielmehr durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen, dass bei ausbleibender Reaktion des Gerichts auf sein Fristverlängerungsgesuch noch vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde ([X.] Beschluss vom 16. Oktober 2014 - [X.]/14 - NJW-RR 2015, 700 Rn. 12 mwN). Kommt der Rechtsanwalt dem nicht nach, wird die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO spätestens zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt, zu dem er eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte. Denn die [X.] beginnt, sobald die [X.] oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Begründungsfrist versäumt worden ist ([X.] Beschluss vom 13. Oktober 2011 - [X.] - NJW 2012, 159 Rn. 9 mwN). Soweit dem Senatsbeschluss vom 28. März 2001 ([X.] 100/00 - VersR 2002, 1045, 1046) im Hinblick auf die - dort verneinte - Erforderlichkeit, sich über den Eingang eines Fristverlängerungsantrags bei Gericht zu erkundigen, eine abweichende Auffassung entnommen werden kann, hält der Senat an diesen, die seinerzeitige Entscheidung ohnehin nicht tragenden, Ausführungen nicht fest.

bb) Dem Rechtsanwalt wäre es allerdings nicht anzulasten, wenn seine irrige Rechtsauffassung über den Fristablauf vom Gericht veranlasst und hierdurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden wäre. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die zur Fristversäumung führende Fehlvorstellung des Rechtsanwalts unmittelbar durch unzutreffende gerichtliche Hinweise verursacht wurde (vgl. [X.] NJW 2004, 2887, 2888). Im Übrigen gilt auch insoweit, dass der Rechtsanwalt sich auf eine unzutreffende Rechtsauskunft des Gerichts nicht ohne weiteres verlassen darf, sondern verpflichtet ist, die sich bei der Prozessführung stellenden Rechtsfragen in eigener Verantwortung zu überprüfen. Dementsprechend schließen selbst ursächliche Gerichtsfehler im Allgemeinen ein anwaltliches Verschulden nicht aus (Senatsurteil vom 15. Dezember 2010 - [X.] - FamRZ 2011, 362 Rn. 30 mwN).

cc) Nach diesen Maßgaben begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das [X.] angenommen hat, der am 15. März 2012 gestellte Wiedereinsetzungsantrag sei nach §§ 117 Abs. 5 FamFG, 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO verspätet gestellt.

(1) Dabei kann offen bleiben, ob die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin - wie das [X.] meint - spätestens zwei bis drei Wochen nach Stellung des Verlängerungsantrags gehalten war nachzufragen, ob die beantragte Fristverlängerung bewilligt wurde. Sie hätte - wie das [X.] zutreffend ausführt - jedenfalls spätestens zum 27. Januar 2012, dem letzten Tag der von ihr beantragten verlängerten Frist, beim [X.] Nachfrage halten müssen, ob und in welchem Umfang ihrem Verlängerungsantrag stattgegeben wurde.

Das [X.] hat zwar keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, wann die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin eine klärende Antwort auf eine solche Nachfrage erhalten hätte. Es hat diesen Umstand aber für entscheidungserheblich gehalten und ist ersichtlich davon ausgegangen, dass die Auskunft jedenfalls vor dem 15. Februar 2012 erteilt worden wäre. Dagegen ist nichts zu erinnern.

(2) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, eine Nachfragepflicht habe vorliegend nicht bestanden, weil das [X.] durch seine Hinweise bei der Antragsgegnerin eine Fehlvorstellung in Bezug auf den Ablauf der [X.] hervorgerufen und damit einen Vertrauenstatbestand begründet habe, vermag sie damit nicht durchzudringen.

Die zweimonatige [X.] des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG lief mit dem 27. Dezember 2011 ab und nicht - wie von der Geschäftsstelle des [X.]s mitgeteilt - mit dem 26. Januar 2012. Diesen Fehler hätte die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin bei einer Überprüfung bemerken müssen, zumal auch das in der Verfügung angegebene Zustellungsdatum unzutreffend war (26. November 2011, statt richtig: 26. Oktober 2011). Zur eigenverantwortlichen Überprüfung der Frist bestand jedenfalls Anlass, als der Verfahrensbevollmächtigten die Akte im Rahmen einer fristgebundenen Verfahrenshandlung - hier des Antrags auf Verlängerung der [X.] - vorgelegt wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Januar 2014 - [X.] 431/13 - NJW-RR 2014, 697 Rn. 8).

Der Hinweisbeschluss vom 16. Februar 2012 konnte eine Fehlvorstellung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, dass die nach ihrem Vorbringen beantragte Fristverlängerung gewährt worden sei, bereits deshalb nicht hervorrufen, weil sich diese Verfügung zur Frage des [X.] bzw. möglicher gewährter Fristverlängerung nicht verhält.

Dose                                 Weber-Monecke                       Klinkhammer

             Nedden-Boeger                                  [X.]

Meta

XII ZB 211/12

02.12.2015

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG München, 26. März 2012, Az: 33 UF 2143/11

§ 117 Abs 5 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 Abs 1 S 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.12.2015, Az. XII ZB 211/12 (REWIS RS 2015, 1417)

Papier­fundstellen: WM 2016, 1565 REWIS RS 2015, 1417

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