Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2011, Az. VI ZB 4/11

6. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 7126

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Umfang der anwaltlichen Pflicht zur Fristenkontrolle im Hinblick auf die Berufungsbegründungsfrist


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 22. Zivilsenats in [X.] des [X.] vom 8. Dezember 2010 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

[X.]: 22.813,22 €

Gründe

I.

1

Das [X.] hat mit Urteil vom 18. Juni 2010 die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20. Juli 2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 2. August 2010, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Auf Anfrage des [X.]s vom 3. August 2010 nach dem Verbleib des Empfangsbekenntnisses für die Zustellung des landgerichtlichen Urteils teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 13. August 2010 mit, dass ein Empfangsbekenntnis in der Akte der Rechtsanwaltskanzlei nicht festgestellt werden könne. Es werde aber anwaltlich versichert, dass das erstinstanzliche Urteil am 20. Juli 2010 zugestellt worden sei. Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2010, eingegangen per Fax am selben Tag und im Original am 13. Oktober 2010, hat die Klägerin die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat sie ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei versehentlich vom anwaltlichen Büropersonal nicht notiert worden. Die Akte sei daher den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bis zum Ablauf der Begründungsfrist am 20. September 2010 nicht vorgelegt worden, so dass die rechtzeitige Anfertigung und Einreichung der [X.] unterblieben sei. Vorfrist und Fristablauf seien sowohl in dem handschriftlich geführten Kalender als auch in dem [X.] nicht vermerkt worden. Ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Fristversäumnis liege nicht vor. Die zur Fristenwahrung getroffenen Maßnahmen in der Büroorganisation hätten sich, ebenso wie das beauftragte Personal, über Jahre hinweg als zuverlässig erwiesen. Zuständig für die Fristennotierung und rechtzeitige Wiedervorlage der Akten seien zwei Büroangestellte, die seit vielen Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig seien und denen hinsichtlich der Notierung von Fristen und [X.] sowie der rechtzeitigen Wiedervorlage von Akten seit Jahren kein Versehen unterlaufen sei. Sie würden von den Rechtsanwälten stichprobenweise kontrolliert, ohne dass sich Beanstandungen ergeben hätten.

2

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das [X.] den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Zwar könne der Rechtsanwalt die Führung des [X.]s seinem geschulten und zuverlässigen Personal übertragen. Die Kontrolle könne auch bei langjährig in dieser Funktion tätigem Personal durch monatliche Stichproben, bei besonders erprobten Kräften durch Stichproben im Abstand von zwei Monaten erfolgen. Gleichwohl habe der Rechtsanwalt selbst sicherzustellen, dass die Fristen korrekt berechnet und eingetragen würden. So dürfe er das Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurücksenden, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt worden sei, dass die Frist im [X.] notiert sei. Da ein Empfangsbekenntnis nach eigenen Angaben nicht feststellbar gewesen sei, habe der Klägervertreter Anlass gehabt, sich auf die Anfrage des [X.]s vom 3. August 2010 hinsichtlich des [X.] über die Fristen und deren Eintragung zu vergewissern. Es sei auch nicht vorgetragen, dass in den Handakten die Fristen und ein Erledigungsvermerk betreffend deren Eintragung in den Kalendern dokumentiert seien. Außerdem habe der Rechtsanwalt immer dann eine Fristenprüfung vorzunehmen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Handlung, z.B. die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels, vorgelegt würden. Der Klägervertreter hätte folglich im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung nicht nur die Berufungsfrist, sondern auch die Berufungsbegründungsfrist überprüfen müssen.

3

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des [X.] geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat.

5

2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil sie sich ein eigenes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zutreffend hat das Berufungsgericht ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass er es versäumt hat, die Notierung auch der Berufungsbegründungsfrist zu überprüfen, als ihm die Handakte zur Einlegung der Berufung vorgelegt worden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 1. Dezember 2004 - [X.] 164/03, [X.], 435, 436 und vom 13. April 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1085).

6

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.], dass sich der Rechtsanwalt zwar von der routinemäßigen Fristberechnung und Fristenkontrolle durch Übertragung dieser Tätigkeit auf zuverlässige und sorgfältig überwachte Bürokräfte entlasten kann. Hiervon ist jedoch die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache zu unterscheiden. Diesen hat der Rechtsanwalt eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. November 1975 - [X.], NJW 1976, 627 = [X.], 342 und vom 19. April 2005 - [X.], juris Rn. 4). Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden ([X.], Beschlüsse vom 28. September 1989 - [X.], NJW 1990, 1239, 1240 und vom 17. März 2004 - [X.], [X.] 2004, 1189, 1190 = [X.], 96). Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen [X.] zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wollte sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen ([X.], Beschluss vom 21. April 2004 - [X.] 243/03, [X.], 1183, 1184).

7

Darauf, dass bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Zweifel an der Eintragung der Berufungsbegründungsfrist entstehen mussten, weil kein Empfangsbekenntnis zu den Akten gelangt war, kommt es letztlich für die Entscheidung im Streitfall danach nicht mehr an. Allerdings hätte die Nachlässigkeit in der Fristenkontrolle bei Einlegung der Berufung durch die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist noch geheilt werden können, wäre den sich aufdrängenden Zweifeln an der ordnungsgemäßen Fristennotierung aufgrund des fehlenden Empfangsbekenntnisses nachgegangen worden (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Februar 2010 - [X.], [X.], 635 mwN).

8

3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.

9

4. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Zoll                                    Pauge                                      [X.]

                 [X.]                                     von [X.]

Meta

VI ZB 4/11

03.05.2011

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Frankfurt, 8. Dezember 2010, Az: 22 U 120/10, Beschluss

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2011, Az. VI ZB 4/11 (REWIS RS 2011, 7126)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7126

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