Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2003, Az. VIII ZB 80/03

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 402

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VIII ZB 80/03
vom 3. Dezember 2003 in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

ZPO § 522 Abs. 1

Zur Unzulässigkeit der gleichzeitigen Verwerfung einer Berufung mangels ordnungs-gemäßer Begründung und Versagung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsver-fahren.

BGH, Beschluß vom 3. Dezember 2003 - VIII ZB 80/03 - LG Stralsund AG Bergen auf Rügen

- 2 - Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Dezember 2003 durch Richter Dr. Hübsch als Vorsitzender und die Richter Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluß der 8. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 24. Juni 2003, durch den die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen worden ist, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die 1. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund zurückverwiesen. Den Beklagten wird für die Verfolgung ihrer Rechte im Rechtsbe-schwerderechtszug Prozeßkostenhilfe ohne Zahlungsverpflichtung bewilligt; ihnen wird Rechtsanwalt E. beigeordnet. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 2.841 •.
Gründe: I. Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung im Haus Nr. 8 in B. , die die Beklagten seit über 40 Jah-ren bewohnen. Das Amtsgericht Bergen auf Rügen hat die Beklagten durch Urteil vom 13. März 2003 antragsgemäß verurteilt. - 3 - Gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 19. März 2003 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am 22. April 2003 (Osterdienstag) beim Landgericht Stralsund eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und gleichzeitig für die Durchführung der Berufung die Gewährung von Prozeß- kostenhilfe beantragt. In der Berufungsschrift hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten erklärt, daß die Berufungseinlegung bedingungslos erfolge, die Beklagten aber nicht in der Lage seien, die Kosten für die Durchführung aufzu-bringen. Mit weiterem Schriftsatz vom 7. Mai 2003 haben die Beklagten den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe begründet. Auf Antrag des Pro-zeßbevollmächtigten der Beklagten vom 16. Mai 2003, in dem zugleich mitge-teilt wird, daß die Durchführung der Berufung von der Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht werde, hat das Berufungsgericht die Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Juni 2003 verlän-gert. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2003 hat der Prozeßbevollmächtigte der Be-klagten nochmals um eine Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Da wie-derum keine Entscheidung des Berufungsgerichts erfolgt ist, haben die Be- klagten mit Schriftsatz vom 19. Juni 2003 eine weitere Fristverlängerung bis zum 21. Juli 2003 beantragt, die der Vorsitzende des Berufungsgerichts mit Verfügung vom 23. Juni 2003 mangels Zustimmung der Klägerin abgelehnt hat. Am 24. Juni 2003 hat das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch Beschluß als unzulässig verworfen und durch Beschluß vom gleichen Tag den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe unter Hinweis auf den Verwerfungsbeschluß zurückge-wiesen.
Gegen den Verwerfungsbeschluß richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten. Sie meinen, das Berufungsgericht hätte aus Gründen des rechtli-chen Gehörs und eines fairen Verfahrens zunächst sachlich über den Prozeß- - 4 - kostenhilfeantrag entscheiden und die Entscheidung über die Verwerfung zu-rückstellen müssen, um den Beklagten Gelegenheit für einen Wiedereinset-zungsantrag nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe zu geben.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbin-dung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft; daß die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist, ist unschädlich (vgl. Senat, Beschluß vom 4. September 2002 - VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783 unter II 1).
Die Rechtsbeschwerde ist auch im übrigen zulässig. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdege-richts geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Zwar war die Berufung der Beklagten nicht innerhalb der bis zum 19. Juni 2003 verlängerten Frist begründet worden. Das Landgericht hätte je-doch die Berufung nicht durch Beschluß vom 24. Juni 2003 gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO als unzulässig verwerfen dürfen, ohne zuvor über den gestellten Prozeßkostenhilfeantrag der Beklagten zu entscheiden, wie das von ihnen auch mit Schriftsatz vom 2. Juni 2003 beantragt worden war. Durch die gleichzeitige Verwerfung der Berufung als unzulässig und die Versagung von Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren hat das Landgericht den Be- klagten die Durchführung des Berufungsverfahrens in unzumutbarer Weise er-schwert und dadurch den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungs- vollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) verletzt.
a) Das Berufungsgericht hätte den Beklagten jedenfalls Gelegenheit zur Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren - 5 - müssen, sofern diese beabsichtigten, das Berufungsverfahren auf eigene Kosten durch Begründung der Berufung fortzuführen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Pro-zeßkostenhilfe beantragt hat, solange als ohne sein Verschulden an der recht-zeitigen Vornahme einer fristwahrenden Handlung - so wie hier die Berufungs-begründung - verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages rechnen mußte, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozeßkostenhilfegesuch entschieden werden konnte (vgl. BGH, Beschluß vom 6. Dezember 2000 - XII ZB 193/00, NJW-RR 2001, 1146; BGH, Beschluß vom 24. Juni 1999 - V ZB 19/99, NJW 1999, 3271; Senat, Beschluß vom 18. April 1977 - VIII ZB 4/77, VersR 1977, 721).
b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagten haben gleich-zeitig mit dem Prozeßkostenhilfeantrag vom 22. April 2003 die erforderlichen Unterlagen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht, aus denen sich die Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 114 ZPO ergibt. Darüber hinaus haben die Beklagten auch jeweils fristgerecht Fristverlängerung bean-tragt, nachdem sich herausstellte, daß mit einer Entscheidung des Berufungs-gerichts über den Prozeßkostenhilfeantrag nicht innerhalb der Begründungsfrist zu rechnen war.
Eine unbemittelte Partei, für die ein Anwalt Berufung eingelegt hat, ohne sie zu begründen, kann selbst am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist noch ein Prozeßkostenhilfegesuch einreichen mit der Folge, daß die Berufung - 6 - nicht deshalb verworfen werden darf, weil innerhalb der Begründungsfrist noch keine Berufungsbegründung eingereicht wurde (BGHZ 38, 376, 377, 378; Se-nat, Beschluß vom 18. April 1977 aaO). Dies gilt um so mehr, wenn dem Beru-fungsgericht bereits über zwei Monate ein ordnungsgemäßer Prozeßkostenhil-feantrag vorliegt, der ohne Grund nicht beschieden worden ist. Der die Beru-fung verwerfende Beschluß kann mithin keinen Bestand haben.
3. Der Beschluß, mit dem das Berufungsgericht die Prozeßkostenhilfe versagt hat, ist gemäß §§ 127 i.V.m. 567 Abs. 1 ZPO unanfechtbar. Nachdem indessen der die Berufung verwerfende Beschluß aufgehoben werden mußte, hat das Berufungsgericht Veranlassung, seine Entscheidung über die Gewäh-rung von Prozeßkostenhilfe zu überprüfen und dabei die einschlägige Recht-sprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgericht zu be-rücksichtigen. Schließlich wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Schriftsatz der Beklagten vom 7. Mai 2003 den Anforderungen genügt, die an eine Berufungsbegründung zu stellen sind. - 7 - Der Senat hat von der Möglichkeit des § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO Gebrauch gemacht.

Dr. Hübsch Dr. Beyer Dr. Leimert

Wiechers Dr. Wolst

Meta

VIII ZB 80/03

03.12.2003

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.12.2003, Az. VIII ZB 80/03 (REWIS RS 2003, 402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 402

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