Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2015, Az. VII R 32/14

7. Senat | REWIS RS 2015, 5067

STEUERRECHT STEUERN EUROPA- UND VÖLKERRECHT EUROPA BUNDESFINANZHOF (BFH) ZINSEN

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Gegenstand

Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsbetrags ab Zahlung einer unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe


Leitsatz

Abgaben, die auf der Grundlage einer für ungültig erklärten Unionsverordnung erhoben wurden, sind ab dem Zeitpunkt der Zahlung der unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe zu verzinsen .

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit über die Abgabenfestsetzung für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2013  4 K 189/10 [X.] geändert, dass die Klage gegen den Abgabenbescheid für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. März 2014 abgewiesen wird.

Im Übrigen wird die Revision des [X.] als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens tragen die Klägerin und das Hauptzollamt je zur Hälfte, die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 30 % und das Hauptzollamt zu 70 %.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Zucker erzeugendes Unternehmen und war als solches gemäß der Verordnung ([X.]) Nr. 1260/2001 ([X.] 1260/2001) des Rates vom 19. Juni 2001 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (sog. Grundverordnung, [X.] Nr. L 178/1) für die streitgegenständlichen Wirtschaftsjahre 2002/2003 und 2004/2005 verpflichtet, [X.] zu zahlen; diese wurden als Eigenmittel an die Europäische [X.] abgeführt.

2

Mit Bescheiden vom 29. Dezember 2009 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --[X.]--) auf der Grundlage der sich zuletzt aus der Verordnung ([X.]) Nr. 1193/2009 ([X.] 1193/2009) der [X.] vom 3. November 2009 zur Berichtigung der Verordnungen ([X.]) Nr. 1762/2003, ([X.]) Nr. 1775/2004, ([X.]) Nr. 1686/2005 und ([X.]) Nr. 164/2007 sowie zur Festsetzung der [X.] im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006 ([X.] --ABl[X.]-- Nr. L 321/1) ergebenden Abgabensätze gegen die Klägerin eine [X.] in Höhe von ... € für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 und eine [X.] in Höhe von ... € für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 fest.

3

Das gegen die Bescheide nach erfolglosen Einsprüchen gerichtete Klageverfahren wurde zunächst mit Beschluss vom 22. Februar 2010 ausgesetzt und der [X.] ([X.]) um eine Vorabentscheidung zu der Frage ersucht, ob die [X.] 1193/2009 gültig ist (Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache [X.]/10).

4

Mit Urteil [X.] vom 27. September 2012 in den verbundenen Rechtssachen [X.]/10, [X.]/10 und [X.] ([X.]:[X.], Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --[X.]-- 2012, 1210) erklärte der [X.] die [X.] 1193/2009 in ihrer Gesamtheit für nichtig. Der Gerichtshof urteilte, die Europäische [X.] habe die gemäß der [X.] 1260/2001 zu entrichtenden Abgaben in den betreffenden Jahren falsch berechnet und die Methode, nach der die Abgaben festgesetzt worden waren, habe zu einer überhöhten Belastung der Zuckererzeuger geführt. Darüber hinaus entschied der [X.], dass Rechtssuchende wegen der Ungültigkeit der [X.] 1193/2009 einerseits Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen [X.] und andererseits Anspruch auf Zahlung der auf diese Beträge anfallenden Zinsen haben.

5

Das Finanzgericht ([X.]) hob daraufhin den Bescheid des [X.] insoweit auf, als die festgesetzte [X.] mehr als ... € betrug; den Bescheid für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 hob das [X.] insoweit auf, als die [X.] auf mehr als ... € festgesetzt worden war. Darüber hinaus sprach das [X.] der Klägerin Zinsen auf den zu erstattenden Betrag in Höhe von 0,5 % pro Monat ab dem Zeitpunkt der Überzahlung der geschuldeten Abgaben bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit zu.

6

Das [X.] entschied, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) für eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Inkrafttreten einer unionsweit einheitlichen Regelung der [X.] durch die Europäische [X.] seien nicht gegeben. Der [X.] habe der Europäischen [X.] in seinem Urteil nicht aufgegeben, die anzuwendenden [X.] neu zu regeln und aus der Verpflichtung gemäß Art. 266 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ergebe sich ebenfalls keine Pflicht des erkennenden Gerichts, eine entsprechende Entscheidung der Europäischen [X.] abzuwarten. Die Gefahr von Anlastungen für den [X.] könne --auch angesichts der Unsicherheiten über das Ob und gegebenenfalls das Wann der Entscheidung der Europäischen [X.]-- nicht zu einer Verzögerung der Festsetzung des Erstattungsanspruchs der Klägerin führen; nach Abwägung der beiderseitigen Interessen sei der Klägerin ein weiteres Abwarten nicht zuzumuten. Den in den angefochtenen Bescheiden festgesetzten Abgaben fehle die Rechtsgrundlage; einer Herabsetzung der Abgabenbeträge unter Zugrundelegung des Berechnungsvorschlags der [X.] aus dem [X.] stehe daher nichts entgegen.

7

Der Zinsanspruch der Klägerin ergebe sich nach dem [X.]-Urteil [X.] ([X.]:[X.], [X.] 2012, 1210) unmittelbar aus Unionsrecht; die Höhe des Zinssatzes betrage gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen und Direktzahlungen ([X.]) i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ([X.]) 0,5 % für jeden vollen Monat.

8

Mit Änderungsbescheid (§ 68 [X.]O) vom 24. März 2014 setzte das [X.] die [X.] für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 gemäß der zwischenzeitlich erlassenen Verordnung ([X.]) Nr. 1360/2013 (VO Nr. 1360/2013) des Rates vom 2. Dezember 2013 zur Festsetzung der [X.] im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2001/2002, 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006, des Koeffizienten für die Berechnung der [X.] für die Wirtschaftsjahre 2001/2002 und 2004/2005 und der Beträge, die die Zuckerhersteller den Zuckerrübenverkäufern für die Differenz zwischen dem Höchstbetrag der Abgaben und dem Betrag dieser für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004 und 2005/2006 zu erhebenden Abgaben zu zahlen haben (ABl[X.] Nr. L 343/2) auf x € fest. Hinsichtlich der für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 zu zahlenden [X.] wurde das Verfahren durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten beendet.

9

Mit seiner Revision betreffend den verbliebenen Teil der Klage macht das [X.] geltend, mit der am 19. Dezember 2013 (richtig: 20. Dezember 2013) in [X.] getretenen [X.] 1360/2013 sei der Berechnung der allein streitig verbleibenden Höhe der [X.] für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 eine neue Rechtslage zugrunde zu legen, die von der Berechnungsgrundlage des [X.]-Urteils abweiche und zu dem festgesetzten Betrag führe. Außerdem hätte das [X.] das Verfahren analog § 74 [X.]O bis zum Erlass der [X.] 1360/2013 aussetzen müssen und sei nicht berechtigt gewesen, eine eigene, vorgreifende Entscheidung zu treffen. Schließlich habe das [X.] gegen § 233 [X.] verstoßen, indem es der Klägerin einen ergänzenden Anspruch auf Zinsen ab Überzahlung der Abgaben zugesprochen habe. § 236 [X.], wonach zu erstattende Beträge lediglich vom Tag der Rechtshängigkeit an zu verzinsen seien, genüge den Vorgaben des Unionsrechts.

Die Klägerin trägt vor:

Der streitig verbliebene Abgabenbescheid für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 regele eine Abgabenlast, die mit Erlass der VO Nr. 1360/2013 nun teilweise dem Wirtschaftsjahr 2001/2002 zugerechnet werde, obwohl für diesen Zeitraum bereits ein bestandskräftiger Bescheid ergangen sei. Die im Wirtschaftsjahr 2002/2003 im Wege des Verlustvortrags überhöht festgesetzten Abgaben für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 könnten jedoch nicht rückwirkend von der gebotenen Korrektur ausgeschlossen werden, da dies in jenen Fällen zu einer Rechtsschutzlücke führte, in denen der Bescheid für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 nicht mehr änderbar ist und der Betroffene deshalb keine Möglichkeit der Erstattung der überzahlten Beträge mehr habe. Bezüglich eines Anspruchs auf Zinszahlung ab Überzahlung der Abgaben macht die Klägerin geltend, der [X.] habe mit seinem Urteil Irimie vom 18. April 2013 [X.]/11 ([X.]:[X.], [X.] 2013, 659) die Vorgaben des Effektivitätsprinzips dahin konkretisiert, dass die Verzinsung eines Erstattungsbetrags ab Zahlung einer unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe zwingend sei. Diese Rechtsprechung sei nicht auf von den Mitgliedstaaten unionsrechtswidrig erhobene Abgaben begrenzt. Neben dem unmittelbar aus Unionsrecht erwachsenden Erstattungsanspruch greife also ein Zinsanspruch aus § 12 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. einer europarechtskonformen Anwendung des § 233a bzw. § 236 [X.].

Entscheidungsgründe

II. Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, ist das Verfahren einzustellen. Das [X.] ist insoweit gegenstandslos.

Die Revision des [X.] betreffend den verbliebenen Teil der Klage ist zum Teil begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 [X.]O). Das [X.] ist dahin zu ändern, dass die Klage gegen den Abgabenbescheid für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 24. März 2014 abzuweisen ist (1.). Im Übrigen ist die Revision des [X.] unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat insoweit zu Recht Zinsen für den Erstattungsbetrag ab dem Zeitpunkt der Überzahlung der Abgaben gewährt (2.).

1. Der Änderungsbescheid vom 24. März 2014 ist rechtmäßig. Die [X.] für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 beträgt x €.

a) Mit Änderungsbescheid vom 24. März 2014 hat das [X.] die [X.] für das streitige Wirtschaftsjahr 2002/2003 auf der Grundlage der aktuell gültigen [X.] 1360/2013 neu festgesetzt. Dabei hat es gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Nr. 1 Buchst. b des Anhangs zu [X.] 1360/2013 den [X.] je Tonne [X.] in Höhe von 103,447 € (= 10,3447 €/dt) zugrunde gelegt. Die maßgebliche auch den Berechnungen der Klägerin zugrunde liegende Zuckermenge für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 beträgt ... dt.

b) Sollte --wie von der Klägerin geltend gemacht-- im ursprünglich (zuletzt mit Bescheid vom 29. Dezember 2009) festgesetzten [X.] für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 eine "im Wege des Verlustvortrags" nacherhobene Abgabe für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 enthalten sein, so ist der überschießende Betrag als in der zu erstattenden Differenz zwischen dem absoluten ursprünglich im Wirtschaftsjahr 2002/2003 erhobenen [X.]nbetrag und dem für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 nach der [X.] 1360/2013 neu festgesetzten [X.]nbetrag enthalten anzusehen.

Wie die Klägerin selbst --zumindest zunächst-- feststellt, gründete die erste ihr gegenüber erfolgte Abgabenfestsetzung für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 auf der korrekten Berechnungsmethode für die Produktionsabgabe und blieb deshalb unangetastet bestehen. Die spätere "periodenfremde" Korrektur, die die [X.] im Wege der nachträglich für ungültig erklärten Verordnung ([X.]) Nr. 1762/2003 der [X.] vom 7. Oktober 2003 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 ([X.] Nr. L 254/4) für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 vorgenommen hat, wirkte sich demnach ausschließlich durch eine zusätzliche Abgabenlast im Rahmen des Abgabenbescheids für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 aus. Die von der [X.] zur Neuberechnung der Produktionsabgabe erlassene [X.] 1193/2009 änderte an dieser Berücksichtigung der zusätzlichen Abgabenlast für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 im Rahmen des Abgabenbescheids für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 nichts. Wird nunmehr die Abgabenlast für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 gemäß der aktuellen [X.] 1360/2013 korrekt festgesetzt und der über den dadurch ermittelten [X.] für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 geleistete absolute Mehrbetrag der Klägerin erstattet, so muss in dieser Erstattung auch eine etwaige "periodenfremd" in diesem Wirtschaftsjahr erhobene zusätzliche Abgabenlast enthalten sein, die die [X.] durch einen "Verlustvortrag" vom Wirtschaftsjahr 2001/2002 in das Wirtschaftsjahr 2002/2003 eingerechnet hat. Die Mehrbelastung der Klägerin durch die jeweils ungültige Berücksichtigung einer Abgabennacherhebung für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 wird also in demselben Wirtschaftsjahr rückabgewickelt, in dem sie auferlegt wurde.

c) Selbst wenn aber die zuviel erhobenen Abgaben, die vorher allein auf das Wirtschaftsjahr 2002/2003 entfielen, nach der [X.] 1360/2013 nun buchungsmäßig auf zwei Jahre aufgeteilt und nach Änderung der Abgabenbescheide sowohl für das --auch dem ursprünglichen Vorbringen der [X.] korrekt berechnete Wirtschaftsjahr 2001/2002 als auch das Wirtschaftsjahr 2002/2003 getrennt für die beiden Wirtschaftsjahre erstattet werden, ist Gegenstand des Verfahrens weiterhin ausschließlich der Abgabenbescheid für das Wirtschaftsjahr 2002/2003. Der darin ursprünglich festgesetzte [X.]nbetrag ist mit Änderungsbescheid vom 24. März 2014 auf der Grundlage der gültigen [X.] 1360/2013 auf die korrekte Höhe geändert worden. Diesen Betrag zweifelt auch die Klägerin nicht an. Die Abgabenfestsetzung für das Wirtschaftsjahr 2001/2002 steht dagegen nicht in Streit. Ob für dieses Wirtschaftsjahr der Abgabenbescheid noch geändert werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.

2. Zinsen für die zu erstattenden Beträge sind entsprechend dem [X.] ab dem Zeitpunkt der Überzahlung der Abgaben zu leisten.

a) In seinem Urteil Jülich II ([X.]:C:2012:591, [X.] 2012, 1210, Rz 66) hat der [X.] unter Verweis auf seine insoweit ständige Rechtsprechung (vgl. Urteil Metallgesellschaft vom 8. März 2001 [X.]/98 und [X.]/98, [X.]:[X.], [X.] 2001, 628, Rz 84 ff., und Urteil Littlewoods Retail u.a. vom 19. Juli 2012 [X.]/10, [X.]:[X.], [X.] 2012, 1018, Rz 24 ff.) bekräftigt, dass sich im [X.], die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden sind, ein Anspruch auf Erstattung der erhobenen Beträge zuzüglich Zinsen unmittelbar aus dem Unionsrecht ergibt. Diesem Grundsatz folgend haben Rechtssuchende, die einen Anspruch auf die Erstattung von Beträgen haben, die aufgrund einer ungültigen Verordnung zu Unrecht gezahlt wurden, auch Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Zinsen (Urteil Jülich II, [X.]:C:2012:591, [X.] 2012, 1210, Rz 67, 69).

Im Hinblick auf die Konkretisierung des Begriffs "entsprechende" Zinsen stellt der [X.] in diesem Urteil ([X.]:C:2012:591, [X.] 2012, 1210, Rz 60, 61) lediglich fest, dass es Sache der nationalen Stellen und insbesondere der nationalen Gerichte ist, in Fällen der Erstattung von Abgaben, die auf der Grundlage für ungültig erklärter Unionsverordnungen zu Unrecht erhoben wurden, alle mit dieser Erstattung zusammenhängenden Nebenfragen, wie etwa die der Zahlung von Zinsen, gemäß ihren innerstaatlichen Vorschriften über den Zinssatz und den Zeitpunkt, von dem an die Zinsen zu berechnen sind, zu regeln. Die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen müssten dabei den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, d.h. sie dürften insbesondere nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des [X.] im Hinblick auf die Erstattung zu Unrecht erhobener Steuerbeträge und diesbezüglicher Zinsen (vgl. [X.]-Urteil [X.]/[X.] vom 21. Mai 1976 Rs. 26/74, [X.]:[X.], Rz 9 ff.; [X.]-Urteil [X.] vom 12. Juni 1980 Rs. 130/79, [X.]:C:1980:155, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1981, 45, Rz 11 ff., und [X.]-Urteil Littlewoods Retail u.a., [X.]:[X.], [X.] 1012, 1018, Rz 27).

b) Die Abgabenordnung sieht im Zusammenhang mit [X.] zwar lediglich einen Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit gemäß § 236 [X.] vor; Ausnahmen hiervon sind in § 233a [X.] abschließend normiert und greifen im Streitfall nicht ein. Mit Blick auf den Grundsatz der Effektivität hat der [X.] ([X.]) zunächst entschieden, die Frage, in welcher Weise der jeweilige Mitgliedstaat eine Erstattung oder eine Entschädigung für die finanzielle Einbuße regelt, die der Steuerpflichtige infolge eines Unionsrechtsverstoßes erlitten hat, sei mangels einer Unionsrechtsregelung Sache des innerstaatlichen Rechts. Unter Umständen könne der Steuerpflichtige zusätzlich einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Der Gesetzgeber sei aber nicht zu einer lückenlosen Verzinsung jeglicher Erstattungsansprüche verpflichtet ([X.]-Beschluss vom 18. September 2007 I R 15/05, [X.]E 219, 1, 3, [X.], 332); eine Verletzung des Grundsatzes der Effektivität durch das innerstaatliche Regelungsgefüge sei dabei nicht ersichtlich.

c) Jedoch erklärt der [X.] in seinem Urteil [X.] ([X.]:[X.], [X.] 2013, 659, 660, Rz 29) eine nationale Regelung für unionsrechtswidrig, die die bei der Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer zu zahlenden Zinsen auf jene Zinsen beschränkt, die ab dem auf das Datum des Antrags auf Erstattung der Steuer folgenden Tag angefallen sind. Eine derartige nationale Regelung dürfe im Hinblick auf die Erfordernisse des Grundsatzes der Effektivität nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen eine angemessene Entschädigung für die Einbußen, die er durch die zu Unrecht gezahlte Steuer erlitten habe, vorenthalten werde ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], [X.] 2013, 659, 660, Rz 26, 27). Die Einbußen hingen u.a. davon ab, wie lange der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung gestanden habe und entstünden somit grundsätzlich im Zeitraum vom [X.] geleisteten Zahlung der fraglichen Steuer bis zum Tag ihrer Erstattung ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], [X.] 2013, 659, 660, Rz 28).

In seinem [X.]-Urteil ([X.]:[X.], [X.] 2013, 659), in dem er erstmals über die [X.] einer nationalen Regelung zur Verzinsung von [X.] zu befinden hatte, hat der [X.] eindeutig entschieden, Zinsen auf unionsrechtswidrig erhobene Steuern für den Zeitraum, in dem die Mittel nicht zur Verfügung stehen, zuzusprechen und er hat diese Rechtsprechung zum Zinsbeginn in einem späteren Urteil bestätigt ([X.]-Urteil [X.] vom 24. Oktober 2013 [X.]/12, [X.]:[X.], [X.] 2013, 1163). Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen ab dem [X.] geleisteten Abgabenzahlung ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht. Den anderslautenden [X.]-Beschluss in [X.]E 219, 1, [X.], 332 sieht der erkennende Senat als durch die aktuelle [X.]-Rechtsprechung überholt an.

3. Die Frage nach der damals gebotenen Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 [X.]O bis zum Erlass einer neuen Verordnung zur Berechnung der Produktionsabgaben bedarf keiner weiteren Klärung. Selbst wenn dem [X.] diesbezüglich ein Verfahrensfehler anzulasten sein sollte, hätte sich die Aussetzung des Verfahrens durch den Erlass der [X.] 1360/2013 erledigt. Die Zurückverweisung der Sache an das [X.] könnte daher nicht zur Heilung einer fehlerhaft unterlassenen Aussetzung gemäß § 74 [X.]O führen. Vielmehr kann der Senat die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids, der gemäß § 68 [X.]O zum Gegenstand des Verfahrens geworden ist, anhand der [X.] 1360/2013 prüfen und das [X.] ändern, ohne dass eine Zurückverweisung gemäß § 127 [X.]O erforderlich ist.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 und 2, § 138 Abs. 1 Satz 1 [X.]O.

Meta

VII R 32/14

22.09.2015

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 9. Januar 2013, Az: 4 K 189/10 VZr, Urteil

§ 12 Abs 1 S 1 MOG, § 236 AO, § 238 Abs 1 S 1 AO, EGV 1193/2009, EUV 1360/2013, § 233a AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.09.2015, Az. VII R 32/14 (REWIS RS 2015, 5067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5067

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