Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.12.2011, Az. 1 BvR 1393/10

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2011, 668

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) einer Urteilsverfassungsbeschwerde - hier: Festsetzung des Streitwerts in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich der Telekommunikationsregulierung - Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache in Verfahren wegen Erhöhung reziproker Entgelte bzw auf Genehmigung nicht reziproker Entgelte - Notwendigkeit der Festsetzung eines niedrigeren Streitwerts nicht dargelegt


Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin, ein Telekommunikationsunternehmen, wendet sich gegen die nach Rücknahme der Klage erfolgte Festsetzung des Streitwerts auf 12.960.000 € in einem von ihr gegen die [X.] geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Gegenstand des Verfahrens war das Begehren der Beschwerdeführerin auf Erhöhung von [X.] gegenüber einem marktmächtigen Telekommunikationsunternehmen um einen Aufschlag für sogenannte Migrationskosten. Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass das Verwaltungsgericht bislang den Streitwert in vergleichbaren Streitigkeiten regelmäßig auf 50.000 € festgesetzt habe. Dies sei auch in ihrem Fall durch vorläufige Festsetzung des Gerichts zunächst so geschehen. Der Anspruch auf Justizgewährung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung der von [X.] wegen gebotenen Chancengleichheit der Marktteilnehmer im Telekommunikationssektor gebiete eine pauschalisierte, schematisierte und vorhersehbare Streitwertfestsetzung im Sinne der bisherigen Praxis des [X.]. Die überraschende Streitwertfestsetzung des [X.] sei hingegen weder vorhersehbar gewesen noch vertretbar, so dass auch [ref=f9d2e169-5ec1-4829-b588-ac5795ff6b57]Art. 3 Abs. 1 [X.]] verletzt sei.

II.

2

Die [X.]beschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Die [X.]beschwerde ist mangels einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügenden Begründung unzulässig.

3

1. Eine substantiierte Begründung im Sinne der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] erfordert, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte hinreichend deutlich aufzeigt (vgl. [X.] 6, 132 <134>; 20, 323 <329 f.>; 28, 17 <19>; 89, 155 <171>; 98, 169 <196>). Dabei hat die Beschwerdeführerin auch darzulegen, inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein soll (vgl. [X.] 99, 84 <87>) und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Maßnahme kollidiert (vgl. [X.] 108, 370 <386 f.>).

4

2. a) Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert im Einklang mit der gesetzlichen Regelung des § 52 Abs. 1 GKG nach dem von dieser nicht in Abrede gestellten wirtschaftlichen Interesse der Beschwerdeführerin an der erhobenen Klage festgesetzt. Grundsätzlich begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber den für die Bemessung der Gebühren maßgebenden Streitwert anhand eines unbestimmten Rechtsbegriffs wie in § 52 Abs. 1 GKG an der Bedeutung der Streitsache und damit am Wert des geltend gemachten prozessualen Anspruchs orientiert (vgl. [X.] 11, 139 <143>; 85, 337 <346>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. März 1999 - 1 BvR 1431/90 -, NVwZ 1999, [X.]; [X.]K 10, 148 <150 f.>) und die Gerichte den Streitwert dementsprechend bestimmen.

5

b) [X.]) Die Beschwerdeführerin hat nicht hinreichend dargetan, dass von [X.] wegen, insbesondere mit Rücksicht auf den Anspruch auf Zugang zu den Gerichten und effektiven Rechtsschutz, in regulierungsrechtlichen Streitigkeiten nach dem [X.] eine Anpassung, Pauschalierung oder Begrenzung der Streitwerte auf Beträge erforderlich ist, die wesentlich unterhalb der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für die Kläger liegen. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] entsprechend dargelegt, dass Wettbewerber der marktbeherrschenden Unternehmen mangels ausreichender Finanzkraft regelmäßig nicht in der Lage sind, die Gerichts- und gesetzlichen Anwaltsgebühren zu tragen, die sich aus einer Bemessung des Streitwerts nach dem im Verfahren verfolgten wirtschaftlichen Ziel ergeben, oder dass solche Wettbewerber durch eine entsprechende Streitwertfestsetzung abgeschreckt werden, ihre Ansprüche im Klagewege zu verfolgen. Ebenso wenig hat die Beschwerdeführerin Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass wirtschaftlich schwächere Unternehmen im Telekommunikationssektor ihre Rechte nur dann wirksam vor Gericht verfolgen können, wenn der Streitwert regelmäßig auf einen bestimmten Höchstbetrag begrenzt wird. Die Beschwerdeführerin hat auch in keiner Weise dargetan, nach ihren Vermögensverhältnissen nicht in der Lage zu sein, bei einer Streitwertfestsetzung entsprechend ihrem wirtschaftlichen Interesse anfallende Kosten tragen zu können. Ausführungen zur wirtschaftlichen Größe der aus mehreren lokalen Energieversorgungsunternehmen bestehenden Beschwerdeführerin sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

6

bb) Mangels hinreichenden Vorbringens der Beschwerdeführerin kann auch nicht festgestellt werden, dass die in Ansehung des § 52 Abs. 1 GKG mindestens vertretbare Streitwertfestsetzung des [X.] von dessen bisheriger oder einer allgemeinen Praxis der Verwaltungsgerichte abweicht und aus diesem Grund für die Beschwerdeführerin in einer möglicherweise den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG oder den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigenden Weise (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 26. März 1999 - 1 BvR 1431/90 -, NVwZ 1999, [X.]) nicht vorhersehbar gewesen ist. In der Tat zwar sind die Gerichte nicht nur bei der Anwendung des materiellen Rechts sondern auch bei der Streitwertfestsetzung zu einer sachlich begründeten, gleichförmigen Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen verpflichtet. Sie müssen so dafür Sorge tragen, dass der Streitwert nicht zu einem selbst von der Größenordnung her unvorhersehbaren Faktor des Prozesskostenrisikos wird. Dass die angegriffenen Entscheidungen dem nicht genügen, hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Anderes ergibt sich auch nicht aus der ausdrücklich nur "vorläufigen" und damit offensichtlich nicht bindenden Streitwertfestsetzung durch den Beschluss des [X.] vom 12. Januar 2008. Zwar hat die Beschwerdeführerin sich auf [X.] des erkennenden [X.] sowie anderer Verwaltungsgerichte bezogen, mit denen der Streitwert vor allem in Verfahren nach § 35 TKG jeweils pauschal auf 50.000 € festgesetzt worden ist, ohne eine etwaige Abweichung von der zwingenden Regelung des § 52 Abs. 1 GKG mit mehr als einem Hinweis auf die Festsetzung "in vergleichbaren Verfahren" oder "in Verfahren auf Erteilung einer Entgeltgenehmigung nach der Rechtsprechung der Kammer" zu begründen. Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht dargetan, dass diese Verfahren unter Berücksichtigung ihres Gegenstands und des Interesses der dortigen Kläger mit der von ihr erhobenen Klage vergleichbar sind, mit der sie die Neubescheidung ihres Antrags auf Anordnung eines nicht reziproken Entgelts zum Ausgleich von [X.] begehrt hat. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin sich nicht damit auseinandergesetzt, dass sowohl das über die angegriffene Streitwertfestsetzung entscheidende Verwaltungsgericht als auch andere Verwaltungsgerichte den Streitwert bei Anträgen auf Erhöhung reziproker Entgelte sowie auf Genehmigung nicht reziproker Entgelte ebenfalls ausschließlich nach dem wirtschaftlichen Interesse des jeweiligen Antragstellers bemessen haben (vgl. [X.], Beschluss vom 28. Januar 2004 - 1 L 3169/03 -, juris; [X.], Beschlüsse vom 3. Juni 2004 - 13 [X.]/04, 13 [X.]/04 -, juris; ferner [X.], Beschluss vom 6. Januar 2010 - 1 L 1576/09 -, juris). Damit ist eine verfassungsrechtlich erhebliche Abweichung von einer ihr günstigeren verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht hinreichend dargetan.

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1393/10

08.12.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend VG Köln, 22. April 2010, Az: 1 K 8454/08, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 52 Abs 1 GKG 2004, TKG 2004

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 08.12.2011, Az. 1 BvR 1393/10 (REWIS RS 2011, 668)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 668

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 1586/15 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Überraschende Anhebung des Streitwertes in einem verwaltungsgerichtlichen Berufungszulassungsverfahren um das ca 50-Fache (von …


1 BvR 1221/12 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Gewährung von Eilrechtsschutz im Rahmen der telekommunikationsrechtlichen Regulierung der Entgelte für Zugangsleistungen von Betreibern …


1 BvL 6/14, 1 BvL 3/15, 1 BvL 4/15, 1 BvL 6/15 (Bundesverfassungsgericht)

Beschränkung des Rechtsschutzes gem § 35 Abs 5 S 2, S 3 TKG 2004 mittlerweile …


8 C 17.1891 (VGH München)

Streitwert für Klage gegen Enteignung


1 BvR 62/12 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Gewährung von Eilrechtsschutz im Rahmen der telekommunikationsrechtlichen Regulierung der Entgelte für Zugangsleistungen von Betreibern …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.