Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.10.2013, Az. 2 BvR 1541/13

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2013, 1712

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 S 1 GG) und Anforderungen an Wiedereinsetzungsanträge - Belehrungspflicht über Wiedereinsetzungsmöglichkeit bei Fehlern der Justiz als Wiedereinsetzungsgrund - hier: mangels Erfolgsaussichten in der Sache kein schwerer Nachteil durch Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde


Gründe

1

Unabhängig von Bedenken gegen die Gründe der angegriffenen Beschlüsse des [X.] ist die Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, nicht zur Entscheidung anzunehmen. Dem Beschwerdeführer entsteht durch die Nichtannahme kein schwerer Nachteil im Sinne des § 93a Abs. 2 [X.], weil absehbar ist, dass er auch im Fall einer stattgebenden Entscheidung des [X.] mit seinem Rechtsschutzanliegen letztlich im fachgerichtlichen Verfahren keinen Erfolg haben könnte (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>).

2

1. a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert den effektiven Zugang zum Gericht. Das Grundrecht gewährt einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen von der jeweiligen Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. [X.] 41, 23 <26>; 49, 329 <341>; 77, 275 <284>). Im Hinblick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dürfen die Anforderungen an die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Vorschriften nicht überspannt werden (vgl. [X.] 40, 88 <91>; 67, 208 <212 f.>; 69, 381 <385>; 110, 339 <342>; stRspr).

3

Jedenfalls in den Fällen, in denen der [X.] in einem der Justiz zuzurechnenden Fehler liegt, fordert der Grundsatz fairer Verhandlungsführung eine Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung; erst diese Belehrung setzt die [X.] in Lauf (vgl. [X.] 8, 303 <304 ff.>; [X.], Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 27. September 2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 [X.] - , NJW 2005, S. 3629 f., und vom 21. März 2005 - 2 BvR 975/03 -, NStZ-RR 2005, S. 238 <239>; Beschlüsse der [X.] des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, [X.], vom 29. Februar 2012 - 2 BvR 2911/10 -, juris, und vom 10. Oktober 2012 - 2 BvR 1095/12 -, juris).

4

b) [X.]) Ob der Beschluss vom 27. März 2013, mit dem das [X.] den ersten Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers abgelehnt und infolgedessen die Rechtsbeschwerde wegen Verfristung als unzulässig verworfen hat, diesen Maßstäben genügt, erscheint zweifelhaft.

5

Insbesondere mit der Anforderung, der Beschwerdeführer hätte darlegen müssen, dass er schon mit seinem an die Justizvollzugsanstalt gerichteten [X.] auf die [X.] der beabsichtigten Rechtsbeschwerde und die einzuhaltende Rechtsmittelfristhingewiesen und ob und was er gegebenenfalls nachfolgend unternommen habe, um vor dem drohenden Fristablauf doch noch eine Vorführung zu erreichen, dürften die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der zur Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages angeführten Tatsachen überspannt sein. Die [X.] und [X.] einer Rechtsbeschwerde ist in jeder Justizvollzugsanstalt bekannt.

6

Unabhängig von der Frage, ob der Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers aus anderen vom Gericht genannten Gründen für unzulässig erachtet werden konnte, hat das Gericht zudem jedenfalls unberücksichtigt gelassen, dass es Aufgabe der Rechtspflegerin gewesen wäre, den Beschwerdeführer auf die Anforderungen an einen zulässigen Wiedereinsetzungsantrag hinzuweisen. Das Formerfordernis des § 118 Abs. 3 [X.] soll zwar einerseits der Entlastung der Gerichte dienen. Daneben soll es aber auch zugunsten des regelmäßig unkundigen Rechtsmittelführers dazu beitragen, dass sein Rechtsmittel nicht von vornherein an Formfehlern oder anderen Mängeln scheitert (vgl. [X.] 8, 303 <305>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2010 - 2 BvR 1095/12 -, juris; zu § 345 Abs. 2 [X.] siehe [X.] 64, 135 <153>;[X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, [X.]; BGHSt 25, 272 <273>). Die danach bestehende Beratungsaufgabe des [X.] erstreckt sich auch auf die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Antrages des Gefangenen auf Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdefrist. Das gilt insbesondere, wenn geltend gemacht wird, dass die Frist trotz rechtzeitigen [X.] deshalb nicht eingehalten werden konnte, weil die Anstalt die Vorführung nicht rechtzeitig veranlasst oder der Rechtspfleger einen Protokollierungstermin nicht rechtzeitig eingeräumt hat. Dass sich hieraus für den vorliegenden Fall die Notwendigkeit ergeben könnte, den Beschwerdeführer zumindest darüber zu belehren, dass und wie er Wiedereinsetzung in die Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag erlangen kann, hat das [X.] nicht erwogen.

7

bb) Fraglich ist auch, ob das [X.] in seinem Beschluss vom 17. Juni 2013 mit der Auslegung des Antrags des Beschwerdeführers als Anhörungsrüge dem verfassungsrechtlichen Gebot zweckentsprechender Auslegung von Anträgen (vgl. [X.] 122, 190 <198>; [X.] 7, 403 <408>; 18, 152 <157>) entsprochen hat, dem bei der Auslegung von Anträgen nicht anwaltlich vertretener Gefangener angesichts deren besonderer Schwierigkeiten im Umgang mit den Kompliziertheiten der Rechtsordnung (vgl. [X.] 10, 509 <516>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 19. Dezember 2012 - 2 BvR 166/11 -, NStZ-RR 2013, [X.]) besondere Bedeutung zukommt. Der Beschwerdeführer selbst hat zwar von einer "Nachholung des rechtlichen Gehörs der Rechtsbeschwerde" als Ziel seines Wiedereinsetzungsantrages gesprochen. Für die Erhebung einer Anhörungsrüge nach den vom [X.] angeführten Vorschriften der §§ 120 Abs. 1 [X.], 33a [X.] war allerdings, da dieser Rechtsbehelf nicht fristgebunden ist, ein Wiedereinsetzungsantrag offenkundig überflüssig. Dem Beschwerdeführer ging es ersichtlich darum, mittels des Wiedereinsetzungsantrages seine Rechtsbeschwerde doch noch einer - in der ersten Verfahrensrunde wegen nicht gewährter Wiedereinsetzung an der Versäumung der Rechtsbeschwerdefrist gescheiterten - Prüfung in der Sache zuzuführen.

8

Im Zusammenhang mit der weiteren Annahme, einen Wiedereinsetzungsantrag könne der Beschwerdeführer nicht mehr stellen, weil er Gründe für die behauptete Unmöglichkeit näherer Glaubhaftmachung seines fehlenden Verschuldens bereits mit seinem (ersten) Wiedereinsetzungsgesuch hätte vortragen müssen, hat das [X.] nicht geprüft, ob die Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in eine etwa versäumte Frist für den ersten Wiedereinsetzungsantrag beziehungsweise für dessen ausreichende Begründung nach den obigen Maßstäben (s. unter 1.a)) überhaupt zu laufen begonnen hatte.

9

2. Ob die Beschlüsse des [X.] danach das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzen, kann dahinstehen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist nicht angezeigt, weil absehbar ist, dass der Beschwerdeführer sein Rechtsschutzziel im fachgerichtlichen Verfahren letztlich nicht erreichen kann (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>). Es liegt auf der Hand, dass der von ihm unter Gewaltanwendung gegen einen Vollzugsbediensteten unternommene Fluchtversuch seine Ablösung von der Arbeit in einer Vertrauensstellung wie der von ihm innegehabten nicht nur rechtfertigte, sondern aus Sicherheitsgründen notwendig machte.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Meta

2 BvR 1541/13

23.10.2013

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Rostock, 17. Juni 2013, Az: Vollz (Ws) 3/13, Beschluss

Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 93a Abs 2 BVerfGG, § 37 StVollzG, § 41 StVollzG, § 118 Abs 3 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 23.10.2013, Az. 2 BvR 1541/13 (REWIS RS 2013, 1712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1712

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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