Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.02.2012, Az. 2 BvR 2911/10

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2012, 8694

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Mangelnde Rechtswegerschöpfung bei unterlassenem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - hier: Unzulässigkeit einer Rechtsbeschwerde gem § 118 StVollzG aufgrund eines Justizfehlers - Beginn der Wiedereinsetzungsfrist mit Zustellung des Nichtannahmebeschlusses bei fehlender Belehrung über Wiedereinsetzungsmöglichkeit


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei durch Fehler des [X.] verursachter [X.] einer Rechtsbeschwerde.

I.

2

In einem Verfahren, das Feststellungen in der Fortschreibung des Vollzugsplans des strafgefangenen Beschwerdeführers zur Geeignetheit für [X.] betraf, wies das [X.] mit Beschluss vom 10. August 2010 den Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurück. Gegen diesen Beschluss erhob der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer zu Protokoll der Geschäftsstelle des [X.]s Rechtsbeschwerde. Mit Beschluss vom 17. November 2010 verwarf das [X.] die Rechtsbeschwerde als unzulässig, weil sie nicht den Formerfordernissen des §118 Abs. 3 [X.] entspreche. Der Beschwerdeführer habe dem Rechtspfleger eine mehrseitige Rechtsbeschwerdeschrift überreicht, die von beiden gemeinsam erörtert worden sei. Sodann habe der Rechtspfleger den vorformulierten Text der Rechtsbeschwerde in das Protokoll übertragen, es unterschrieben und es dem Beschwerdeführer zur Unterschrift übersandt. Damit sei der [X.] der ihm zukommenden Filterfunktion, bei der er dem sachlichen Anliegen eines Antragstellers Klarheit zu verschaffen und eine möglichst zweckmäßige Form zu geben habe, nicht gerecht geworden. Vorsorglich weise der Senat darauf hin, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht kommen dürfte. Nach der dienstlichen Stellungnahme des [X.] sei die Rechtsbeschwerde in der vorliegenden Form nach dem Wunsch des Beschwerdeführers aufgenommen worden. Zudem beharre der Beschwerdeführer grundsätzlich auf seiner Sicht der Dinge, so dass er auch Kürzungen seiner Begründung nicht akzeptiert habe. Wirke der Beschwerdeführer selbst auf die formfehlerhafte Aufnahme seiner Rechtsbeschwerde hin, begründe dies ein eigenes Verschulden des Beschwerdeführers, das einen Antrag auf Wiedereinsetzung ausschließe.

II.

3

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Unter anderem macht er geltend, die vom [X.] aufgestellten Anforderungen an die Zulässigkeit einer Rechtsbeschwerde ermöglichten es ihm nicht, eine zulässige Rechtsbeschwerde zu erheben. Entgegen der Annahme, die das [X.] seinen Ausführungen zur Frage der Wiedereinsetzung zugrundegelegt habe, habe er, der Beschwerdeführer, auf den Rechtspfleger nicht dahin eingewirkt, dass dieser die Rechtsbeschwerde unverändert übernehme.

III.

4

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 [X.] nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig; es fehlt an der Erschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

5

1. Kann ein Beschwerdeführer mit einem Rechtsmittel, für das ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, erreichen, dass seine Rechte im Wege des fachgerichtlichen Rechtsschutzes gewahrt werden, so ist regelmäßig von ihm zu verlangen, dass er diesen Weg beschreitet, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegt (vgl. [X.] 10, 274 <281>; 42, 252 <256 f.>; 77, 275 <282>). Diese Möglichkeit besteht im vorliegenden Fall.

6

Die vom [X.]festgestellte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde beruhte darauf, dass sie von dem zuständigen Geschäftsstellenbeamten nicht in einer den Anforderungen der fachgerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Weise aufgenommen worden war; ursächlich für die Unzulässigkeit war somit ein Fehler der Justiz. In derartigen Fällen liegt die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nahe (vgl. [X.] 8, 303 <304>). Ob der Beschwerdeführer den [X.] selbst zu vertreten hat und eine Wiedereinsetzung daher möglicherweise nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 15. Juni 2010 - 1 Ws 186/10 -, juris), wird das [X.], das bisher, soweit aus dem [X.] ersichtlich, zu dieser Frage allein den Rechtspfleger gehört hat, nach Anhörung des [X.] erforderlichenfalls weiterer Aufklärung des prozessual relevanten Sachverhalts zu berücksichtigen haben. Zur erforderlichen Sachverhaltsaufklärung kann auch die Klärung gehören, ob es Praxis der Geschäftsstelle ist, von Gefangenen, die Rechtsbeschwerde zur Niederschrift erheben wollen, vorformulierte Texte zu erwarten und diese unmittelbar zu verwenden.

7

2. Eine Wiedereinsetzung scheidet im vorliegenden Fall auch nicht wegen Fristablaufs aus.

8

a) Jedenfalls in den Fällen, in denen der [X.] in einem [X.] liegt, fordert der Grundsatz fairer Verhandlungsführung eine Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung; erst diese Belehrung setzt die [X.] in Lauf (vgl. [X.] 5, 151 <154>; 8, 303 <304>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. September 2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 [X.] -, NJW 2005, S. 3629 f.; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, S. 279).

9

b) Eine Belehrung, die danach die [X.] bereits hätte in Lauf setzen können, wurde im vorliegenden Fall nicht erteilt. Der vorsorgliche Hinweis des [X.]s, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürfte nicht in Betracht kommen, da die Rechtsbeschwerde in der vorliegenden Form nach dem Wunsch des Beschwerdeführersaufgenommen worden sei, war nicht geeignet, den Beschwerdeführer davon in Kenntnis zu setzen, dass und in welcher Weise es ihm oblag, die Folgen des [X.]s, der zur Unzulässigkeit seiner Rechtsbeschwerde geführt hatte, mit Hilfe eines Wiedereinsetzungsantrages zu korrigieren. Es war auch nicht der Sinn dieses Hinweises, den Beschwerdeführer über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung zu belehren. Mit dem vorsorglichen Hinweis brachte das [X.] vielmehr die Annahme zum Ausdruck, eine Belehrung des Beschwerdeführers erübrige sich, weil eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nach dem vom [X.] bisher allein herangezogenen Vortrag des [X.] - nicht gewährt werden könne.

c) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, zu klären, ob in Ausnahmefällen eine ohne ausreichende Mitwirkung des [X.] zustandegekommene Rechtsbeschwerde den Schluss rechtfertigen kann, dass auch eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Mitwirkung des [X.] der Rechtsbeschwerde unter keinen Umständen zur Zulässigkeit verhelfen könnte (vgl. [X.] 8, 303 <305 f.>). Denn das [X.] hat dies weder festgestellt noch ist es ohne weiteres ersichtlich.

3. Da der Beschwerdeführer über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, erst durch den vorliegenden Beschluss in der notwendigen Weise informiert wird, beginnt die maßgebliche [X.] erst mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen (vgl. [X.] 5, 151 <155>; 8, 303 <306>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. September 2005 - 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 [X.] -, NJW 2005, S. 3629 f.; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. November 2001 - 2 BvR 1471/01 -, Rpfleger 2002, S. 279).

Der Beschwerdeführer kann daher innerhalb einer Woche ab Zustellung dieses Beschlusses durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des [X.]s Osnabrück oder des [X.] erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem er gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (§ 102 [X.]. § 118 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 120 Abs. 1 [X.], § 45 Abs. 1 Satz 1, § 299 Abs. 1 StPO). Hierzu ist ihm rechtzeitig Gelegenheit zu geben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2911/10

29.02.2012

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Celle, 17. November 2010, Az: 1 Ws 531/10 (StrVollz) 1 Ws 585/10 (StrVollz), Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 299 Abs 1 StPO, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 118 Abs 3 StVollzG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.02.2012, Az. 2 BvR 2911/10 (REWIS RS 2012, 8694)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8694

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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