Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2010, Az. VI ZB 85/08

6. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 2935

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Gegenstand

Wert des Beschwerdegegenstandes: Verurteilung einer Rechtsanwaltssozietät zur Auskunftserteilung; schützenswertes wirtschaftliches Interesse an einer Geheimhaltung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des [X.] vom 3. November 2008 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.

[X.]: bis 300 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin verlangt von der beklagten Rechtsanwaltssozietät Auskunft über die ladungsfähige Anschrift des Mandanten, für den die Rechtsanwälte mittels zweier Zeitungsinserate einen "Geschäftsführer" gesucht haben. Hilfsweise begehrt sie Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung im Bewerbungsverfahren, nachdem sie sich erfolglos auf die angebotene Stelle beworben hatte.

2

Das [X.] hat der Klage gemäß dem Hauptantrag stattgegeben. Die von der Beklagten eingelegte Berufung, mit der sie Klageabweisung hinsichtlich des [X.] sowie Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur Entscheidung über den Hilfsantrag erstrebte, ist vom Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen worden, weil der Wert des [X.], der sich nach dem wirtschaftlichen Aufwand zur Erteilung der begehrten Auskunft bemesse, 600 Euro nicht übersteige.

3

Mit der Rechtsbeschwerde macht die Beklagte geltend, der Erteilung der begehrten Auskunft stehe ihre anwaltliche Verschwiegenheitspflicht entgegen, die sich hier nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch aus einer Vereinbarung mit dem Auftraggeber ergebe, von dem sie bei Auskunftserteilung gegebenenfalls auf Schadensersatz in Anspruch genommen werde. Dieser Umstand begründe ein werterhöhendes Geheimhaltungsinteresse, das bei der Wertbemessung zu berücksichtigen sei. Außerdem habe das [X.] bei richtiger Rechtsanwendung nicht nur den Auskunftsantrag, sondern auch den Hilfsantrag abweisen müssen, um dessen Wert sich deshalb die Beschwer erhöhe. Die Festsetzung des Streitwerts unterhalb der [X.] führe für die Beklagte zu einer Verweigerung des Zugangs zum Rechtsmittelgericht, was auch unter dem Aspekt einer erstinstanzlich erfolgten Gehörsverletzung zu korrigieren sei.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Zwar steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, dass die Rechtsbeschwerdebegründung keinen förmlichen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) enthält; denn insoweit reicht es aus, wenn sich aus dem Inhalt der Begründung das Begehren des Rechtsmittelführers ergibt (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Mai 1970 - [X.], [X.], 22; [X.], Urteil vom 31. Januar 2008 - 8 [X.], juris Rn. 27). Da sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig wendet, besteht ihr Rechtsschutzziel erkennbar in der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, so dass es eines hierauf gerichteten [X.] nicht zwingend bedarf. Indessen liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss erfüllt sein müssen (Senat, Beschluss vom 24. Juni 2003 - [X.], [X.], 1418; [X.], Beschluss vom 29. Mai 2002 - [X.], [X.]Z 151, 42, 43; Beschluss vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 221, 223; Beschluss vom 7. Mai 2003 - [X.], [X.]Z 155, 21, 22; Beschluss vom 11. Mai 2004 - [X.], [X.]Z 159, 135, 137), nicht vor.

5

1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

6

a) In der Rechtsprechung des [X.] ist - was die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht - geklärt, dass sich der Wert des [X.] bei einer Verurteilung zur Auskunftserteilung nach dem für die Erteilung der Auskunft erforderlichen Zeit- und Kostenaufwand bemisst, der gegebenenfalls durch ein besonderes, von der verurteilten Partei darzulegendes Geheimhaltungsinteresse erhöht sein kann ([X.], Beschluss vom 24. November 1994 - [X.], [X.]Z 128, 85, 87 f.; Beschluss vom 10. August 2005 - [X.], [X.]Z 164, 63, 66; Beschluss vom 12. Oktober 1977 - [X.], [X.] 1978, 213; Urteil vom 30. November 1983 - [X.], [X.], 180, 181; Beschluss vom 27. März 1985 - [X.], [X.], 796, 797; Urteil vom 29. Oktober 1986 - [X.], [X.], 468, 469; Beschluss vom 22. Februar 1995 - [X.], NJW-RR 1995, 764; Beschluss vom 23. April 1997 - [X.], NJW-RR 1997, 1089; Beschluss vom 16. Juni 2008 - [X.], [X.], 615; Beschluss vom 22. März 2010 - [X.], [X.], 998).

7

b) Grundsätzliche Bedeutung misst die Rechtsbeschwerde der Sache im Hinblick auf den Umstand bei, dass die beklagte Rechtsanwaltssozietät ihrem Auftraggeber aus Gesetz (§ 43a Abs. 2 Satz 1 [X.], § 2 Abs. 1 [X.]) sowie nach ihrem Vorbringen zusätzlich aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und sich deshalb im Falle der Erteilung der Auskunft u.U. Schadensersatzansprüchen des Mandanten ausgesetzt sehen kann, was nach Auffassung der Rechtsbeschwerde ein von dem Berufungsgericht bei der Bemessung der Beschwer fehlerhaft nicht berücksichtigtes besonderes Geheimhaltungsinteresse begründe. Es handelt sich mithin um eine Fallgestaltung, bei welcher der Auskunftsverpflichtete ein Geheimhaltungsinteresse aus der Gefahr des Rückgriffs eines [X.] (hier: des Mandanten) herleiten will. Für diese Konstellation hat der [X.] bereits entschieden, dass bei der Bemessung des Werts des [X.] nur unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil fließende rechtliche Nachteile zu berücksichtigen, [X.] hingegen außer Betracht zu lassen sind ([X.], Beschluss vom 25. Januar 2006 - [X.], juris Rn. 5; Beschluss vom 16. Juni 2006 - [X.], aaO S. 616; Beschluss vom 30. September 2008 - [X.], [X.], 681). Ein für den Fall einer Inanspruchnahme aufgrund der Auskunftserteilung geltend gemachtes Haftungsinteresse gegenüber einem nicht am Verfahren beteiligten [X.] begründet deshalb kein schützenswertes wirtschaftliches Interesse an einer Geheimhaltung gegenüber dem Kläger und erhöht die Beschwer im Auskunftsverfahren nicht ([X.], Beschluss vom 10. August 2005 - [X.], [X.]Z 164, 63, 67; Urteil vom 4. Juli 1997 - [X.], NJW 1997, 3246). Ein zur Annahme eines Klärungsbedarfs führender Meinungsstreit ist insoweit nicht ersichtlich und wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht dargelegt (zum [X.] vgl. [X.], Beschluss vom 11. Mai 2004 - [X.], aaO S. 137 f.; Beschluss vom 25. März 2010 - [X.], juris Rn. 5 = NJW-RR 2010, 784).

8

2. Das Erfordernis einer Entscheidung des [X.] ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

9

a) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, bei der Bemessung der Beschwer sei vorliegend der (wesentlich höhere) Wert des [X.] einzubeziehen, weil das [X.] bei richtiger Rechtsanwendung die Klage in Bezug auf den Hauptantrag hätte abweisen und somit auch über den Hilfsantrag entscheiden müssen, ist ein Rechtsanwendungsfehler des Berufungsgerichts, der ein Eingreifen des [X.] erforderlich machen würde, nicht ersichtlich.

aa) Der Zulassungsgrund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO ist gegeben, wenn einem Gericht bei der Anwendung von Rechtsnormen Fehler unterlaufen sind, die die Wiederholung durch dasselbe Gericht oder die Nachahmung durch andere Gerichte erwarten lassen, und wenn dadurch so schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung zu entstehen oder fortzubestehen drohen, dass eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig ist (Senat, Beschluss vom 24. September 2002 - [X.], [X.], 64; vom 23. September 2003 - [X.], [X.], 1197, 1198; [X.], Beschluss vom 29. Mai 2002 - [X.], aaO S. 46; Beschluss vom 11. Mai 2004 - [X.], aaO S. 139; Beschluss vom 19. September 2002 - [X.], aaO [X.] bzw. aaO [X.], 1457, 1458).

bb) Einen solchen Fehler des Berufungsgerichts bei der Anwendung des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf. Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung hat die - die Begründetheit des Rechtsmittels betreffende - Frage, ob der Hilfsantrag in erster Instanz richtigerweise nach Abweisung des [X.] hätte beschieden werden müssen, bei der Bemessung des Werts des [X.] außer Betracht zu bleiben. Denn die Beschwer des Rechtsmittelklägers hängt vom rechtskraftfähigen Inhalt der angefochtenen Entscheidung ab ([X.], Urteil vom 28. Januar 1958 - [X.], [X.]Z 26, 295, 296; Urteil vom 1. Juni 1967 - [X.], [X.]Z 48, 212, 213; Beschluss vom 24. November 1971 - [X.], [X.]Z 57, 301, 302), für welchen nur der Umfang der tatsächlich erfolgten Verurteilung maßgebend sein kann. Soweit ein in erster Instanz wegen Zuerkennung des [X.] nicht beschiedener Hilfsantrag des [X.] allein durch die Rechtsmitteleinlegung des Beklagten der Berufungsinstanz anfällt ([X.], Urteil vom 29. Januar 1964 - [X.], [X.]Z 41, 38, 39; Urteil vom 20. September 2004 - [X.], NJW-RR 2005, 220), kann sich dies zwar auf den Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens auswirken (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG), nicht aber auf den Wert des [X.], da über den Hilfsantrag in erster Instanz keine rechtskraftfähige Entscheidung ergangen ist. Demgemäß ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht vorliegend lediglich die mit dem Hauptantrag begehrte Verurteilung bewertet hat, ohne den an der [X.] des Urteils nicht teilnehmenden Hilfsantrag in die Bewertung einzubeziehen.

b) Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das [X.] geltend macht und meint, diese habe dazu führen müssen, dass das Berufungsgericht das Vorliegen der [X.] bejahe, ist eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Verweigerung wirkungsvollen Rechtsschutzes nicht geboten, nachdem für die Korrektur etwaiger Gehörsverstöße eine gesetzlich vorgesehene Rechtsschutzmöglichkeit in Form des [X.] nach § 321a ZPO existiert.

[X.]                                       Wellner                                    Diederichsen

                     Pauge                                        von [X.]

Meta

VI ZB 85/08

28.09.2010

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Karlsruhe, 3. November 2008, Az: 8 U 111/08, Beschluss

§ 3 ZPO, § 511 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.09.2010, Az. VI ZB 85/08 (REWIS RS 2010, 2935)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2935

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