Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.04.2011, Az. 1 BvR 1803/08

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 7977

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Analoge Anwendung von §§ 577, 577a BGB auf Veräußerung eines vermieteten Reihenhauses nach Realteilung stellt zulässige richterliche Rechtsfortbildung dar - Zur Zulässigkeit der analogen Anwendung mietrechtlicher Vorschriften


Gründe

I.

1

1. Im Jahre 2005 erwarb die Beschwerdeführerin eine Siedlung in [X.], die aus Reihenhäusern bestand. Diese Grundstücke teilte die Beschwerdeführerin im Wege der Realteilung in [X.] auf und begann, diese zu veräußern. Nachdem Verkaufsverhandlungen zwischen der Beschwerdeführerin und der Mieterin des [X.], der Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin), zu keinem Ergebnis geführt hatten, nahm die Beschwerdeführerin Verkaufsgespräche mit einem Kapitalanleger auf.

2

2. Die Klägerin erhob daraufhin Klage beim Amtsgericht und beantragte festzustellen, dass sie für den Fall, dass die Beschwerdeführerin das Reihenhaus erstmalig verkaufe, nach § 577 BGB vorkaufsberechtigt sei und ihr für den Fall des Verkaufs des [X.] Kündigungsschutz nach § 577a BGB zur Seite stehe.

3

3. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil wies das [X.] [X.] als unbegründet zurück. Die Revision ließ das [X.] nicht zu.

4

4. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin ließ der [X.] die Revision zu und hob das Urteil des [X.]s auf, änderte das Urteil des Amtsgerichts ab und stellte fest, dass die Klägerin für den Fall des erstmaligen Verkaufs des [X.] vorkaufsberechtigt sei und dass die Klägerin für den Fall des Verkaufs des [X.] Kündigungsschutz nach Maßgabe des § 577a BGB genieße.

5

Das Berufungsgericht sei zwar mit Recht davon ausgegangen, dass eine unmittelbare Anwendung der §§ 577, 577a BGB ausscheide, weil die genannten Vorschriften die Begründung von Wohnungseigentum voraussetzten; zu Unrecht habe es aber die entsprechende Anwendung der Vorschriften verneint.

6

5. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer am 4. Juli 2008 eingegangenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG durch das Urteil des [X.]s.

7

Zunächst rügt sie einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Insbesondere habe der [X.] in seiner Entscheidung eine wertende Entscheidung anstelle des Gesetzgebers getroffen und damit gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz und die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Rechtsfortbildung im Wege der Analogie verstoßen.

8

Die Beschwerdeführerin rügt unter anderem die Annahme des [X.]s, dass eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliege. Es fehle an Anhaltspunkten für die Annahme einer planwidrigen Lücke. Dies ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte der Norm. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wo nach dem vermeintlichen Willen des Gesetzgebers ein Schutzbedarf für die Mieter bestehe.

9

Der [X.] habe auch unmittelbar gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen. Unter anderem rügt die Beschwerdeführerin, das Urteil stelle im Ergebnis eine unangemessene Beschränkung der Nutzungs- und Verfügungsbefugnis des Grundeigentümers dar. Der [X.] habe nicht dargetan, dass eine Ausweitung des Vorkaufsrechts und des Schutzes vor [X.]erforderlich sei, um einer Verdrängung der Mieter entgegenzuwirken.

II.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a [X.]). Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Beschwerdeführerin ist nicht in ihren Grundrechten verletzt.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeführerin ist [X.].

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist für jede Verfassungsbeschwerde ein Rechtsschutzinteresse erforderlich (vgl. [X.] 9, 89 <92 f.>; 21, 139 <143>; 56, 99 <106>). Dieses Zulässigkeitserfordernis gilt auch für [X.] gegen gerichtliche Entscheidungen. Allerdings wird sich in solchen Fällen die gegenwärtige Beschwer eines Beschwerdeführers meist schon daraus ergeben, dass die angegriffene Entscheidung ihn gegenwärtig betrifft; die Anwendung des abstrakten Rechtssatzes auf den konkreten Sachverhalt führt in aller Regel zu einem aktuellen Eingriff in die Rechtssphäre des Betroffenen ([X.] 72, 1 <5>). Dies ist nicht deshalb anders, weil es sich bei der angegriffenen Entscheidung um ein Feststellungsurteil handelt. Denn auch dieses führt zu einem aktuellen Eingriff in die Rechtssphäre der Betroffenen, weil es bereits aktuell die Möglichkeit der Beschwerdeführerin, das Grundstück an einen anderen Käufer als die Klägerin zu veräußern, einschränkt.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Ein Verstoß gegen Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte der Beschwerdeführerin ist nicht erkennbar.

a) Die Entscheidung beachtet die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine richterliche Rechtsfortbildung (zuletzt [X.], Beschluss vom 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 -, NJW 2011, S. 836).

aa) Der [X.] darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Dabei ist den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen (vgl. [X.] 84, 212 <226>; 96, 375 <395>). Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des [X.], keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. [X.] 118, 212 <243>).

Die fachgerichtliche Beurteilung, ob der Sachverhalt eine Analogie rechtfertigt, unterliegt allerdings nur in eingeschränktem Umfang der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Die Beantwortung der Frage, ob eine Gesetzeslücke oder eine abschließende Regelung vorliegt, erfordert im gleichen Maße eine rechtliche Wertung wie die Lösung des Problems, in welcher Weise die Lücke zu schließen ist ([X.] 82, 6 <13>), und setzt eine Betrachtung des einfachen Gesetzesrechts voraus, zu dessen Erforschung das [X.] nicht berufen ist (vgl. [X.] 18, 85 <93>). Es darf daher die fachgerichtliche Wertung grundsätzlich nicht durch eine eigene ersetzen. Auch wenn sich bei der Rechtsfortbildung in verstärktem Maße das Problem des Umfangs richterlicher Gesetzesbindung stellt, ist die verfassungsgerichtliche Kontrolle analoger Rechtsanwendung darauf beschränkt, ob das Fachgericht in vertretbarer Weise eine einfachgesetzliche Lücke angenommen und geschlossen hat und ob diese Erweiterung des Normenbereichs Wertungen der Verfassung, namentlich Grundrechten, widerspricht ([X.] 82, 6 <13>).

bb) Insbesondere im Mietrecht hat das [X.] die analoge Anwendung mietrechtlicher Vorschriften gebilligt, wenn dadurch gesetzliche Schutzlücken geschlossen wurden (vgl. [X.] 82, 6). Der Staat ist verpflichtet, gleichheitswidrige Schutzlücken im Mietrecht zu verhindern ([X.] 84, 197 <199>). Für die Fachgerichte kann daraus die Pflicht erwachsen, Lücken mit den herkömmlichen Methoden der Auslegung und Lückenfüllung zu schließen (vgl. [X.] 84, 197 <203>).

cc) In Anwendung dieser Maßstäbe ist das angegriffene Urteil nicht zu beanstanden.

(1) Der [X.] hat in vertretbarer Weise das Vorliegen einer Gesetzeslücke angenommen, indem er davon ausgegangen ist, der Gesetzgeber habe bei der Schaffung des § 577 BGB nicht bedacht, dass vermietete Reihenhäuser eines [X.] nicht nur in Eigentumswohnungen umgewandelt, sondern auch durch Realteilung des [X.] in einzelne selbständige Grundstücke aufgeteilt werden könnten.

Zwar ist nach dem Wortlaut des § 577 BGB lediglich bei der Begründung von Wohnungseigentum ein Vorkaufsrecht vorgesehen. Dass diese Regelung abschließend sein soll und der Gesetzgeber lediglich die Mieter von Wohnungseigentum schützen wollte, ergibt sich aus den [X.] hingegen nicht. Wie die Beschwerdeführerin selbst einräumt, kommt in der Begründung zum [X.] (BTDrucks 12/3254, [X.]) nicht zum Ausdruck, dass eine derartige Beschränkung gewollt war.

Soweit die Beschwerdeführerin darauf verweist, Anlass für das Gesetzgebungsverfahren sei die Erleichterung der Umwandlung von Altbauwohnungen durch eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 30. Juni 1992 ([X.], [X.]) gewesen, mag dies zutreffend sein, verhilft der Verfassungsbeschwerde aber nicht zum Erfolg. Die Verdrängung von Mietern durch Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen ist seit langem ein Problem, dem der Gesetzgeber durch gesetzliche Regelungen beizukommen sucht (vgl. zur Entstehungsgeschichte [X.], Vorkaufsrecht des Mieters, 1998, S. 6 f.). So wurde zunächst in § 2b [X.] ein Vorkaufsrecht für Mieter von Sozialwohnungen vorgesehen, deren Sozialmietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden, denn der Gesetzgeber wollte einer Verdrängung der Mieter aus den Wohnungen entgegenwirken (BTDrucks 8/3403, [X.], 35 f.). Dieses Ziel verfolgte er auch bei der Umwandlung von Wohnraum in Eigentumswohnungen auf dem privaten Wohnungsmarkt. So versuchten die Städte und Gemeinden zunächst, Umwandlungen mit bauordnungsrechtlichen Mitteln zu verhindern, indem sie die für die Anlegung eines Wohnungsgrundbuchs erforderliche Bescheinigung der Abgeschlossenheit der Altbauwohnung verweigerten. Dies endete mit der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] (Beschluss vom 30. Juni 1992, [X.], [X.]), wonach für die Eintragung diese bauordnungsrechtliche Bescheinigung nicht mehr erforderlich war. Die Entscheidung führte auch umgehend zu einer Spekulationswelle (vgl. dazu [X.], Vorkaufsrecht des Mieters, 1998, S. 7), die ihrerseits Proteste von Städten und Gemeinden auslöste. Darauf folgte das Gesetzgebungsverfahren zu § 570b BGB, in dem das Vorkaufsrecht eines Mieters im [X.] Wohnungsbau auf den frei finanzierten Wohnungsbau ausgedehnt wurde. Zur Begründung führt der Gesetzgeber aus (BTDrucks 12/3254, [X.]):

Für die Ausweitung des Vorkaufsrechts spricht, dass der Schutz des Mieters vor einer Verdrängung im Zusammenhang mit einer Umwandlung bei frei finanzierten Wohnungen nicht weniger dringlich ist, als bei Sozialwohnungen.

Die [X.] enthalten ansonsten auch keinen Hinweis, dass der Gesetzgeber den Schutzbedarf von der Art des Wohnraums abhängig machen wollte. Vielmehr stellt der Gesetzgeber in erster Linie auf den vergleichbaren Schutzbedarf ab. Eine Differenzierung nach verschiedenen Arten von Wohnraum lässt sich aus der Gesetzesbegründung also nicht entnehmen.

Es ist daher jedenfalls vertretbar, wenn der [X.] vor diesem Hintergrund annimmt, dass der Gesetzgeber den Fall, dass vermietete Reihenhäuser eines [X.] nicht nur in Eigentumswohnungen umgewandelt, sondern auch durch Realteilung des [X.] in einzelne selbständige Grundstücke aufgeteilt werden können, nicht bedacht hat.

(2) Der [X.] hat die damit im Gesetz entstandene Lücke auch in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geschlossen.

Er hat sich an der Wertung des Gesetzgebers orientiert, dass ein besonderer Schutzbedarf für den Mieter besteht, wenn er nach einem Verkauf einem neuen Vermieter gegenübersteht, der sich ihm gegenüber auf Eigenbedarf berufen kann. Dieser Schutzbedarf unterscheidet sich - anders als die Beschwerdeführerin meint - in keiner Weise, wenn ein gemietetes Reihenhaus in [X.]umgewandelt wird oder wenn es durch reale Teilung Bestandteil eines selbständigen Grundstücks wird. Vielmehr sind die Interessenlage und der Schutzbedarf der Mieter, worauf der [X.] mit Recht abstellt, identisch. Dasselbe gilt für das Interesse an einer Ausübung des Vorkaufsrechts. Auch dieses ist im Falle einer Realteilung nicht geringer als im Falle einer Umwandlung in Wohnungseigentum.

b) Die Entscheidung des [X.]s erweitert den Normbereich des § 577 BGB auch nicht in einer Weise, die Grundrechten widerspricht. Insbesondere wird der Bedeutung der durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten [X.] und dem Gebot der Gleichbehandlung gleichermaßen schutzwürdiger Personen aus Art. 3 Abs. 1 GG Rechnung getragen.

aa) Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.

Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG schützt nicht nur die Eigentumsposition des Vermieters. Auch das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung ist Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. [X.] 89, 1 <6>). Die Befugnisse von Mieter und Vermieter zuzuordnen und abzugrenzen, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Er muss die schutzwürdigen Interessen beider Seiten berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen und hat dabei mehrere Gesichtspunkte zu beachten. Er muss den Vorgaben Rechnung tragen, die sich einerseits aus der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und andererseits aus der verbindlichen Richtschnur des Art. 14 Abs. 2 GG ergeben ([X.] 25, 112 <117>; 37, 132 <140>) und berücksichtigen, dass sich Vermieter und Mieter gleichermaßen auf das Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berufen können ([X.] 89, 1 <6 ff.>).

Auch die allgemein zuständigen Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften des einfachen Rechts diese durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten. Sie müssen die im Gesetz zum Ausdruck kommende, auf Verfassungsrecht beruhende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeidet (vgl. [X.] 89, 1 <9>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. März 2000 - 1 BvR 1460/99 -, NJW 2000, S. 2658 <2659>). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das [X.] zu korrigieren hat, ist allerdings erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. [X.] 68, 361 <372>; 79, 292 <303>; 89, 1 <9 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 28. März 2000 - 1 BvR 1460/99 -, NJW 2000, S. 2658 <2659>).

Die angegriffene Entscheidung ist insofern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung folgt dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck der Regelung des § 577 BGB. Der Gesetzgeber hat mit dem Vorkaufsrecht in § 577 BGB zwar die Dispositionsbefugnis des Eigentümers über sein Eigentum eingeschränkt. Er hat dies aber zum Schutz des [X.] getan, das seinerseits durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt ist ([X.] 89, 1 <5 ff.>). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers dient die Einräumung eines Vorkaufsrechts durch § 577 BGB zugunsten des Mieters einem sachgerechten Ausgleich der beiderseitigen Grundrechtspositionen. Dem Vermieter bleibt die Möglichkeit, sein Eigentum zu veräußern; der Mieter kann sich durch die Ausübung des Vorkaufsrechts vor einer Verschlechterung seiner kündigungsrechtlichen Position durch die Veräußerung schützen, ohne dass er die Veräußerung selbst verhindern könnte. Diese droht, weil immer dann, wenn ein Eigentümer mehrerer Einheiten von Wohnraum diese aufspaltet und einzeln veräußert, regelmäßig jedem Mieter ein Eigentümer gegenübersteht, der sich auf Eigenbedarf berufen kann ([X.], in: [X.], Mietrecht, 10. Aufl. 2011, § 577 Rn. 1 f.). Dieses verschärfte Risiko einer Eigenbedarfskündigung hat den Gesetzgeber veranlasst, die §§ 577, 577a BGB zu schaffen, die zwar die Rechtsposition des Mieters verbessert, aber dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck dient, dessen Eigentumsposition zu schützen, ohne den Eigentümer des Wohnraums übermäßig in seinen Grundrechten zu beschränken. Denn die Möglichkeit zur Veräußerung seines Eigentums bleibt auch bei Anwendung der §§ 577, 577a BGB grundsätzlich erhalten. Damit trägt der Gesetzgeber den beiderseitigen verfassungsrechtlich geschützten Positionen von Vermieter und Mieter Rechnung.

Der [X.] hält sich im vorliegenden Fall im Rahmen dieser gesetzgeberischen Vorgaben. Er hat sich in vertretbarer Weise auf den Standpunkt gestellt, dass die vergleichbare Interessenlage eine analoge Anwendung des § 577 BGB rechtfertigt, wenn ein gemietetes Reihenhaus durch reale Teilung Bestandteil eines selbständigen Grundstücks wird. Denn solche Mieter sind in gleicher Weise dem erhöhten Risiko einer Eigenbedarfskündigung durch den neuen Vermieter ausgesetzt wie die Mieter, deren Wohnung in Wohnungseigentum umgewandelt wird. Der [X.] hat dabei auch ausdrücklich das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin berücksichtigt und sich auf Grundlage der gesetzgeberischen Wertentscheidung für den Vorrang der Interessen der Mieterin entschieden.

bb) Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des [X.] zur Gleichbehandlung von Mietern nach Art. 3 Abs. 1 GG.

Nicht nur bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Mietrechts (vgl. [X.] 37, 132 <139 f.>), sondern auch bei gerichtlichen Entscheidungen (vgl. [X.] 89, 1 <6>) ist die grundrechtliche Konfliktlage des sowohl für Vermieter als auch für Mieter garantierten Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. [X.] 37, 132 <140>; 89, 1 <6>) zu lösen, indem die beiderseitigen Interessen in einen Ausgleich gebracht werden, der dem Schutz des Privateigentums durch [ref=3f3f5e4d-6691-484b-a583-a19a16ac1f70]Art. 14 Abs. 1 Satz 1 [X.]] und der verbindlichen Richtschnur des Art. 14 Abs. 2 GG ([X.] 25, 112 <117>) gleichermaßen Rechnung trägt ([X.] 37, 132 <140>). Dieser Interessenausgleich muss aufgrund des Gleichbehandlungsgebots aus Art. 3 Abs. 1 GG vergleichbaren Personengruppen grundsätzlich in gleicher Weise den Schutz ihres Eigentums zuteil werden lassen. Eine Ungleichbehandlung unterschiedlicher Mietergruppen ist unzulässig, wenn für die verschiedenen Gruppen ein vergleichbares Schutzbedürfnis besteht und die Ungleichbehandlung nicht durch gewichtige Interessen des Eigentümers gerechtfertigt ist ([X.] 84, 197 <199, 202>).

Im vorliegenden Fall ist das Schutzbedürfnis der Mieter identisch, wenn ein gemietetes Reihenhaus in Wohnungseigentum umgewandelt wird und wenn es durch reale Teilung Bestandteil eines selbständigen Grundstücks wird. Gewichtige Interessen des Eigentümers, die eine Differenzierung zwischen einer Umwandlung in Wohnungseigentum oder einer Realteilung rechtfertigen könnten, hat die Beschwerdeführerin nicht dargetan. Solche sind auch nicht ersichtlich. Eine Veräußerung des Eigentums wird unter Umständen in beiden Konstellationen in gleicher Weise erschwert. Es fehlt also an einem sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung dieser beiden Mietergruppen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1803/08

04.04.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 28. Mai 2008, Az: VIII ZR 126/07, Urteil

Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 577 BGB, § 577a BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 04.04.2011, Az. 1 BvR 1803/08 (REWIS RS 2011, 7977)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7977

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZR 126/07 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 325/09 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummiete in einem "Reihenhausblock": Realteilung eines mit Zweifamilienhäusern bebauten Grundstücks und entsprechende Anwendung der Vorschriften …


VIII ZR 325/09 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 104/17 (Bundesgerichtshof)

Wohnraummiete: Beschränkung der Kündigung wegen Eigenbedarfs bei Veräußerung des vermieteten Wohnraums an eine Personengesellschaft


V ZR 96/12 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

1 BvR 918/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.