Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.11.2017, Az. 1 BvR 1784/16

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2017, 1545

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Anwendung des Abrechnungsausschlusses gem Nr 40100 EBM-Ä auf sogenannte "Mischfälle" verfassungsrechtlich unbedenklich - insb keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, ohne dass es auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ankommt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Neufassung der Gebührenordnungsposition ([X.]) 40100 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen ([X.]) ab dem 1. April 2009.

2

1. Im Bereich der Erbringung und Abrechnung von Laborleistungen wird zwischen [X.] (Abschnitt 32.2 [X.]) und Speziallaborleistungen (Abschnitt 32.3 [X.]) unterschieden. Die [X.] 40100 des [X.] in der streitgegenständlichen Fassung lautete zunächst wie folgt:

"Kostenpauschale für Versandmaterial, [X.] usw. sowie für die Versendung bzw. den Transport von Untersuchungsmaterial, ggf. auch von infektiösem Untersuchungsmaterial, einschl. der Kosten für die Übermittlung von Untersuchungsergebnissen der

- Laboratoriumsdiagnostik, ggf. einschl. der Kosten für die Übermittlung der Gebührenordnungspositionen und der Höhe der Kosten überwiesener kurativ-ambulanter [X.] des Abschnitts 32.3,

- Histologie,

- Zytologie,

- Zytogenetik und Molekulargenetik,

einmal im Behandlungsfall 2,60 €."

3

Zum 1. April 2009 wurde folgender [X.] hinzugefügt:

"Die Kostenpauschale 40100 ist in demselben Behandlungsfall nicht neben Gebührenordnungspositionen der Abschnitte 32.2.1 bis 32.2.7 berechnungsfähig."

4

Mithin ist die Kostenpauschale nur bei einer Erbringung von Speziallaborleistungen, nicht aber bei einer Erbringung von [X.] abrechenbar.

5

2. Der Beschwerdeführer ist Arzt für Laboratoriums- und Transfusionsmedizin und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In dem der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren stritt der Beschwerdeführer mit der beklagten [X.] über eine sachlich-rechnerische Richtigstellung für die [X.] bis IV/2009. Hierbei wandte er sich insbesondere gegen die Anwendung des in der [X.] 40100 [X.] zum 1. April 2009 hinzugefügten [X.] auf Fälle, in denen sowohl Leistungen des Allgemein- als auch des Speziallabors (so genannte "[X.]") erbracht wurden. Mit seinem Begehren blieb der Beschwerdeführer in allen drei Instanzen erfolglos. Eine von ihm gegen die Entscheidung des [X.] erhobene Anhörungsrüge wurde zurückgewiesen.

II.

6

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er insbesondere vor, dass es keine vernünftigen, objektiven Sachgründe für einen Vergütungsausschluss in Fällen gebe, in denen zusätzlich zu Leistungen des Speziallabors noch eine Leistung des Allgemeinlabors in demselben Quartal beauftragt worden sei. Vor allem das Argument der Kostenreduzierung könne nicht herangezogen werden, weil damit letztlich jeder Vergütungsausschluss gerechtfertigt werden könnte.

III.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt.

8

1. Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig, weil sie nicht hinreichend begründet worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]).

9

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet, weil die von dem Beschwerdeführer gerügte Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht ersichtlich ist.

a) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; dem Gesetzgeber ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Je nach Regelungsgegenstand und [X.] ergeben sich unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an [X.] reichen. Bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen unterliegt der Gesetzgeber regelmäßig einer strengen Bindung. Das gilt auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Das [X.] prüft dann im Einzelnen nach, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. [X.] 110, 274 <291>). Entscheidend ist dabei auch, in welchem Maße sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. [X.] 95, 267 <316 f.>; 110, 141 <167>; 118, 1 <26 f.>).

b) Der Beschwerdeführer legt zutreffend dar, dass es sich im vorliegenden Fall lediglich um eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten handelt. Diese liegt in der alleinigen Abrechnung von Leistungen des Speziallabors einerseits und der gemeinsamen Abrechnung von Leistungen des Spezial- und des Allgemeinlabors andererseits. Daher ist eine Prüfung am Maßstab des Willkürverbots angezeigt (vgl. [X.] 55, 72 <89>; 60, 329 <346>; 118, 1 <26 f.>). Daran gemessen begegnen weder der mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene, in der [X.] 40100 [X.] zum 1. April 2009 hinzugefügte [X.] noch seine Anwendung und Auslegung durch die Fachgerichte verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die Einführung des [X.] war zur Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. [X.] 114, 196 <244 f.>) sowie der hiermit verbundenen Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Mai 2014 - 1 BvR 3571/13, 1 BvR 3572/13 -, juris, Rn. 34; Beschluss der [X.] des [X.] vom 22. Oktober 2004 - 1 BvR 528/04, 1 [X.], 1 BvR 551/04, 1 [X.] -, juris, Rn. 16) sachlich gerechtfertigt, worauf auch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen abstellen. Vorliegend sollten Kosten in einem Bereich begrenzt werden, in dem sie zuvor durch eine vermehrte Abrechnung der [X.] 40100 [X.] gestiegen waren. Auf diese Entwicklung der vermehrten Abrechnung durfte der Normgeber reagieren und durch den [X.] insbesondere auch einen Anreiz schaffen, dass demgegenüber Leistungen des Allgemeinlabors weiterhin kostengünstig in [X.] erbracht werden. Unter Berücksichtigung dessen und vor dem Hintergrund, dass im System der gesetzlichen Krankenkassen Mehrausgaben in einem Bereich notwendigerweise Kürzungen an anderer Stelle bedingen, wenn Beitragserhöhungen vermieden werden sollen (vgl. [X.] 103, 172 <186>), ist eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung letztlich auch durch die Anwendung des [X.] auf so genannte [X.] nicht erkennbar. Denn auch dadurch kann das Ziel der angegriffenen Regelung erreicht und zu einer Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung beigetragen werden.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe die angegebene Fallzahlausweitung von 47 % in dem Verfahren vor dem [X.] bestritten, kommt es hierauf nach der Begründung der angegriffenen Entscheidung des [X.] nicht an. Denn hieraus und aus der Entscheidung des [X.] über die Anhörungsrüge ergibt sich, dass das Gericht schon aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, insbesondere der mit der Einführung der Direktabrechnung verbundenen Folgen, von einer vermehrten Abrechnung der [X.] 40100 [X.] ausgeht, und dass danach die vermehrte Abrechnung "auf der Hand" liegt. Vor diesem Hintergrund ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen erfolgt sind. Im Ergebnis wendet sich der Beschwerdeführer hiermit lediglich gegen die von den Fachgerichten vorgenommene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die einer Nachprüfung durch das [X.] aber grundsätzlich entzogen sind (vgl. [X.] 1, 418 <420>).

3. Auf den von dem Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam es nicht an. Denn die von dem Beschwerdeführer gegen die Entscheidung des [X.] erhobene Anhörungsrüge war jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig und somit geeignet, die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten (vgl. [X.] 5, 17 <19>; 48, 341 <344>; [X.]K 7, 115 <116>; 11, 203 <205 ff.>; 20, 300 <302 ff.>). Die Frist begann damit erst mit der Zustellung der Entscheidung über die Anhörungsrüge zu laufen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 1784/16

29.11.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 17. Juni 2016, Az: B 6 KA 5/16 C, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Nr 40100 EBM-Ä

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 29.11.2017, Az. 1 BvR 1784/16 (REWIS RS 2017, 1545)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1545

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 669/18, 1 BvR 732/18

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