Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2017, Az. I ZB 91/16

1. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 11806

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Gegenstand

Zwangsvollstreckung in Baden-Württemberg wegen rückständiger Rundfunkbeiträge: Überprüfung der wirksamen Zustellung des Beitragsbescheids durch Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgericht; Begriff der Vollstreckungsbehörde


Leitsatz

1. Im Verfahren der Beitreibung von Rundfunkbeiträgen im Wege der Verwaltungsvollstreckung findet die Überprüfung der wirksamen Zustellung eines Beitragsbescheids durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht nicht statt. Grundlage der beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG BW ist nicht der Beitragsbescheid, sondern das schriftliche Vollstreckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde.

2. Die zuständige Landesrundfunkanstalt ist Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a LVwVG BW.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des [X.] - 5. Zivilkammer (Einzelrichter) - vom 20. September 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht (Einzelrichter) zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gegenstandswert: 215,76 €

Gründe

1

A. Der Gläubiger, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, ist die unter der Bezeichnung "[X.]" tätige [X.] in den Ländern [X.] und [X.]. Er betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge.

2

Der Gläubiger richtete an das [X.] - [X.] - ein [X.], in dem er die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - unter anderem der Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft gemäß § 802f Abs. 1 ZPO - gegen den Schuldner beantragte. Die letzte Seite des [X.] enthielt eine "Aufstellung der rückständigen Forderungen" und den vorangestellten Hinweis: "Dem Beitragsschuldner sind bereits Festsetzungsbescheide und Mahnungen mit folgenden Daten unter der [X.] ... zugesandt worden". Mit Schreiben vom 29. Juni 2016 forderte die Gerichtsvollzieherin den Schuldner zur Zahlung binnen zwei Wochen auf und lud ihn zur Abgabe der Vermögensauskunft.

3

Mit Beschluss vom 14. Juli 2016 hat das Vollstreckungsgericht die gegen die Ladung gerichtete Erinnerung des Schuldners vom 8. Juli 2016 zurückgewiesen. Auf die - nach Annahme des [X.] - dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Beschwerdegericht (Einzelrichter) den Beschluss des Vollstreckungsgerichts aufgehoben und die Zwangsvollstreckung aus dem [X.] des Gläubigers für unzulässig erklärt. Mit der vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Gläubiger seinen Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts vom 14. Juli 2016 weiter.

4

B. Das Beschwerdegericht (Einzelrichter) ist von der Zulässigkeit und Begründetheit der Beschwerde des Schuldners ausgegangen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

5

Die Beschwerde sei bereits wegen fehlender Zustellung des [X.] begründet. Voraussetzung für die Zwangsvollstreckung sei eine Zustellung der [X.]. Der Schuldner habe den Zugang bestritten. Das Vollstreckungsgericht habe sich zu Unrecht auf die Zugangsvermutung gemäß §§ 41, 43 Verwaltungsverfahrensgesetz für [X.] ([X.]) gestützt. Diese Vorschriften seien gemäß § 2 [X.] nicht anwendbar. Die Zustellung richte sich vielmehr nach den allgemeinen Vorschriften gemäß §§ 130, 132 BGB. Für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der [X.] durch Aufgabe bei der Post gemäß § 41 [X.] sei angesichts dieser Vorschriften kein Raum.

6

Die Beschwerde des Schuldners sei zudem begründet, weil es an der materiellen [X.] des Gläubigers fehle. Diese sei ebenfalls als Vollstreckungsvoraussetzung vom Vollstreckungsgericht zu prüfen.

7

C. Die vom Beschwerdegericht (Einzelrichter) zugelassene Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

8

I. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Ihre Zulassung ist nicht deshalb unwirksam, weil der Einzelrichter entgegen § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO anstelle des Kollegiums entschieden hat ([X.], Beschluss vom 13. März 2003 - [X.] 134/02, [X.]Z 154, 200, 201).

9

[X.]. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss des Einzelrichters ist aufzuheben, weil er unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters ergangen ist (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

1. Der Einzelrichter durfte über die Beschwerde nicht selbst entscheiden, sondern hätte das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der mit drei Richtern besetzten Kammer übertragen müssen. Dem originären Einzelrichter nach § 568 ZPO ist die Entscheidung von Rechtssachen grundsätzlicher Bedeutung schlechthin versagt (st. Rspr.; vgl. [X.]Z 154, 200, 202; [X.], Beschluss vom 16. Mai 2012 - [X.]/11, [X.], 3518 Rn. 4; Beschluss vom 7. Januar 2016 - [X.]/14, [X.], 645 Rn. 10; Beschluss vom 21. Juli 2016 - [X.] 121/15, juris Rn. 5). Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung ist im weitesten Sinne zu verstehen, so dass nicht der Einzelrichter, sondern das Kollegium auch dann entscheiden muss, wenn zur Fortbildung des Rechts oder - wie vorliegend vom Einzelrichter angenommen - zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts geboten ist (st. Rspr.; vgl. [X.]Z 154, 200, 202; Beschluss vom 24. November 2011 - VI[X.] 33/11, NJW-RR 2012, 441 Rn. 9; Beschluss vom 7. Januar 2016 - [X.]/14, [X.], 645 Rn. 10). Damit hat der Einzelrichter das Gebot des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Die Nichtübertragung des Verfahrens auf die voll besetzte Kammer erfüllte die Voraussetzungen der objektiven Willkür. Sie war offensichtlich unvertretbar und lag außerhalb der Gesetzlichkeit, so dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt ist (vgl. [X.]Z 154, 200, 203).

2. Die Rechtsbeschwerde hat den Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters gerügt. Im Übrigen war der Verstoß vom [X.] wegen zu berücksichtigen ([X.]Z 154, 200, 203). Der Berücksichtigung der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG steht § 568 Satz 3 ZPO nicht entgegen ([X.]Z 154, 200, 204).

[X.]I. Die Aufhebung führt zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat. Wegen der durch die Rechtsbeschwerde angefallenen Gerichtskosten macht der Senat von der Möglichkeit des § 21 GKG Gebrauch. Diese Kosten wären bei richtiger Behandlung der Sache durch den Einzelrichter nicht entstanden.

D. Für die neue Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

I. Das Beschwerdegericht ist davon ausgegangen, dass der Schuldner gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts vom 14. Juli 2016 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt hat. Diese Annahme ist aktenwidrig. Der Gerichtsakte lässt sich eine entsprechende Beschwerdeschrift des Schuldners nicht entnehmen. Bestandteil der Akte ist lediglich ein als "Sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO" bezeichnetes und am 9. Mai 2016, also vor Erlass des Beschlusses des Vollstreckungsgerichts (14. Juli 2016) [X.] Schreiben des Schuldners vom 7. Mai 2016. Ein ebenfalls bei der Akte befindliches Schreiben vom 2. März 2016 betrifft eine "Beschwerde gegen den Beschluss vom 23. Februar 2016" und ist für das vorliegende Verfahren ebenfalls ohne Belang.

[X.]. Die Annahme des [X.], die Beschwerde des Schuldners sei begründet, weil eine wirksame Zustellung nicht nachgewiesen sei und damit eine Grundvoraussetzung der Zwangsvollstreckung fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Dem Beschluss des [X.] lässt sich bereits nicht hinreichend klar entnehmen, worauf sich das von ihm angenommene Zustellungserfordernis beziehen soll. Das Beschwerdegericht spricht insoweit zum einen von einem Fehlen der Zustellung der "[X.]", zum anderen von einer fehlenden "Titelzustellung".

2. Die Zustellung eines "Titels" ist ebenso wenig Voraussetzung der Beitreibung von Rundfunkbeiträgen wie die Zustellung des [X.] der Gläubigerin.

a) Rückständige Rundfunkbeiträge werden gemäß § 10 Abs. 5 des [X.] vom 17. Dezember 2010 ([X.]) durch die zuständige [X.] festgesetzt und im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt (§ 10 Abs. 6 [X.]). Die Vollstreckung erfolgt im Land [X.] gemäß § 13 Abs. 1 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für [X.] (LVwVG [X.]) durch Beitreibung.

b) Für die Beitreibung durch den Gerichtsvollzieher auf Ersuchen der Vollstreckungsbehörden gelten die in § 15a Abs. 3 LVwVG [X.] geregelten Vollstreckungsvoraussetzungen ([X.], Beschluss vom 11. Juni 2015 - [X.] 64/14, [X.], 48 Rn. 27; Beschluss vom 8. Oktober 2015 - VI[X.] 11/15, NJW-RR 2016, 378 Rn. 14; Beschluss vom 21. Oktober 2015 - [X.] 6/15, NVwZ-RR 2016, 117 Rn. 20). Danach finden die Vorschriften des [X.] der Zivilprozessordnung mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels das schriftliche [X.] der Vollstreckungsbehörde tritt und es keiner Zustellung des [X.] bedarf (§ 15a Abs. 3 Satz 2 [X.]). Diese Voraussetzungen sind auch im Streitfall maßgeblich. Die Gerichtsvollzieherin ist aufgrund des schriftlichen [X.] des Gläubigers vom 1. Mai 2015 tätig geworden.

3. Entgegen der Annahme des [X.] ist auch die wirksame Zustellung eines Beitragsbescheids keine Vollstreckungsvoraussetzung.

a) Das Erfordernis der Zustellung eines "Grundbescheids" besteht schon deshalb nicht, weil ein solcher Beitragsbescheid weder gesetzlich vorgesehen noch für die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes erforderlich ist. Die Rundfunkgebührenpflicht entsteht kraft Gesetzes, ohne dass der Erlass eines Gebührenfestsetzungsbescheids erforderlich ist ([X.], [X.], 48 Rn. 53 mwN).

b) [X.] der Rundfunkanstalten sind erst für die zwangsweise Beitreibung rückständiger Gebühren und Beiträge erforderlich ([X.], [X.], 48 Rn. 53). Gegen diese [X.] kann der Schuldner sowohl vor Einleitung der Vollstreckung als auch nach einer Entrichtung der Gebühr oder des Beitrags nebst eventueller Säumniszuschläge den Verwaltungsrechtsweg beschreiten ([X.], Nichtannahmebeschluss vom 30. Januar 2008 - 1 BvR 829/06, juris Rn. 21 ff.; [X.], [X.], 48 Rn. 53; [X.], Urteil vom 18. März 2016 - 6 C 7/15, juris Rn. 54). Im Rahmen der im Verwaltungsrechtsweg zu überprüfenden Wirksamkeit des Bescheids kann es auch auf die Frage der Bekanntgabe ankommen (vgl. VGH [X.], Beschluss vom 4. Oktober 2016 - 2 S 1203/16, [X.]). Geht der Schuldner nicht erfolgreich im Wege des [X.] gegen einen Festsetzungsbescheid vor und wird dieser unanfechtbar oder entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, liegen die allgemeinen Voraussetzungen der Vollstreckung vor (§ 2 Nr. 1 und 2 LVwVG [X.]). Dies entspricht dem tragenden Grundsatz des Vollstreckungsrechts, dass nur die Unanfechtbarkeit und nicht (auch) die Rechtmäßigkeit des [X.] ist (vgl. [X.]/[X.], [X.], 34. Edition, Stand 1. Oktober 2016, § 6 Rn. 20). Eine wirksame Zustellung der Beitragsbescheide ist mithin keine Vollstreckungsvoraussetzung. § 15a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LVwVG [X.] verlangt lediglich, dass im [X.] der zu vollstreckende Verwaltungsakt bezeichnet wird; gemäß § 15a Abs. 4 Nr. 4 LVwVG [X.] reicht es zudem aus, dass das [X.] die Angabe enthält, der Verwaltungsakt sei unanfechtbar geworden (vgl. auch [X.], NJW-RR 2016, 378 Rn. 25). Die rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit des Verwaltungsaktes durch den Gerichtsvollzieher und das Vollstreckungsgericht findet im Vollstreckungsverfahren gerade nicht statt. Grundlage der beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG [X.] ist nicht der Gebühren- oder Beitragsbescheid, sondern das schriftliche [X.] der Vollstreckungsbehörde (vgl. [X.], [X.], 48 Rn. 54). Für den Einwand, die Zwangsvollstreckung aus [X.] sei unzulässig, weil die [X.] rechtswidrig oder unwirksam seien, steht dem Beitragsschuldner der Verwaltungsrechtsweg offen (vgl. VGH [X.], Beschluss vom 4. Oktober 2016 - 2 S 1203/16, [X.] und [X.] 1).

c) Soweit das Beschwerdegericht mit dem von ihm angenommenen Erfordernis der "Zustellung" der Beitragsbescheide deren Bekanntgabe zum Ausdruck bringen will, gehen seine Ausführungen an den im Streitfall maßgeblichen Umständen vorbei. Insbesondere stellt sich nicht die vom Beschwerdegericht umfangreich erörterte Frage, ob die in § 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für [X.] ([X.]) geregelte Zugangsvermutung im Streitfall entsprechend Anwendung findet.

aa) Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.] gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Diese gesetzliche Annahme gilt allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren [X.]punkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den [X.]punkt des Zugangs nachzuweisen (§ 41 Abs. 2 Satz 3 [X.]). Eine Behörde kann allerdings ihrer Beweispflicht hinsichtlich des Zugangs nach den Grundsätzen des ersten Anscheins genügen, wenn sie Tatsachen vorträgt, aus denen nach allgemeiner Lebenserfahrung geschlossen werden kann, dass der Empfänger einen Bescheid oder ein Schreiben tatsächlich erhalten haben muss ([X.], Urteil vom 12. August 1981 - [X.]/78, [X.]E 134, 213, 215; [X.], NVwZ-RR 2012, 131; [X.], Beschluss vom 16. Juli 2012 - 3 A 663/10, juris Rn. 7; [X.], Urteil vom 18. Februar 2016 - 11 BV 15.1164, juris Rn. 21 mwN). Maßgeblich kann insoweit sein, dass der Bescheid oder das Schreiben an eine Adresse gesandt wurde, unter der der Adressat bereits längere [X.] ansässig ist und er in jüngerer [X.] auch nachweislich mehrere Schreiben erhalten hat, auf die er reagiert hat. Relevant kann ferner sein, ob vorgetragen wurde, dass es unter der entsprechenden Adresse in der fraglichen [X.] Schwierigkeiten bei der Postzustellung gegeben hat. Weiter kann die Besonderheit berücksichtigt werden, ob Schreiben oder [X.] als unzustellbar an die Behörde zurückgelangt sind (vgl. [X.], NVwZ-RR 2012, 131; [X.], Beschluss vom 16. Juli 2012 - 3 A 663/10, juris Rn. 7; [X.], Urteil vom 18. Februar 2016 - 11 BV 15.1164, [X.] 2016, 297 Rn. 21).

bb) Von diesen Grundsätzen des Anscheinsbeweises - und entgegen der Ansicht des [X.] gerade nicht von der widerleglichen Vermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] - ist zutreffend das Vollstreckungsgericht ausgegangen. Es hat angenommen, der Schuldner habe einen Zugang der Beitragsbescheide nicht hinreichend substantiiert bestritten. Er habe keine Umstände darlegt und glaubhaft gemacht, aus denen sich plausibel ergebe, dass er die zum Gegenstand des [X.] gemachten [X.] nicht erhalten habe, obwohl er offensichtlich andere Post, so auch die Gerichtspost und die Schreiben der Gerichtsvollzieherin unter der angegebenen Anschrift zuverlässig erhalten habe. Die Beschwerdeerwiderung hat vorgetragen, dass der Schuldner auf die versandten [X.] durch eigene Schreiben reagiert, teilweise Widerspruch eingelegt und auch auf einen Widerspruchsbescheid geantwortet habe.

cc) Abweichende Feststellungen hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Es hat als wahr unterstellt, dass der Gläubiger die [X.] zur Post gegeben hat. Auf die Feststellungen des Vollstreckungsgerichts und den Vortrag des Gläubigers ist es nicht eingegangen. Es hat nicht geprüft, ob im Streitfall auf der Grundlage des vom Gläubiger gehaltenen und vom Vollstreckungsgericht festgestellten Sachverhalts nach der Lebenserfahrung von einem Zugang der [X.] und damit von einer wirksamen Bekanntgabe auszugehen ist.

[X.]I. Die weitere Annahme des [X.], die Beschwerde des Schuldners sei außerdem begründet, weil dem Gläubiger die "materielle [X.]" fehle, hält der rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, als Vollstreckungsvoraussetzung sei zu prüfen, ob der Gläubiger eine Behörde bzw. eine Vollstreckungsbehörde sei. Der Begriff der Behörde sei in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitlichen Sinne aufzufassen, und zwar im Sinne des Staats- und Verwaltungsrechts. Nach den insoweit geltenden Maßstäben sei der Gläubiger keine Behörde. Er trete unternehmerisch auf und handele gewerblich. Für die [X.] sei zudem zwingend Gesetzestreue erforderlich. Damit sei nicht vereinbar, dass der Gläubiger seine satzungsmäßigen Rechte überschreite und rechtsstaatlich und grundrechtlich gebotene Tilgungsbestimmungsrechte der Beitragsschuldner aushebele. Damit werde dem Beitragsschuldner die Subjekteigenschaft genommen, er werde vielmehr zum Objekt eines lebenslangen Vollstreckungsverfahrens. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.

2. Bereits der Ausgangspunkt der Beurteilung des [X.], der Begriff der Behörde sei in allen gesetzlichen Vorschriften in einem einheitlichen Sinn, und zwar im Sinn des Staats- und Verwaltungsrechts aufzufassen, ist unzutreffend.

a) Der Begriff der Behörde ist nicht einheitlich, sondern in einem funktionalen, auf das jeweilige Gesetz und den maßgeblichen [X.] bezogenen Sinne zu verstehen. So bezieht etwa § 1 Abs. 4 [X.] den Begriff der Behörde ausdrücklich auf das Verwaltungsverfahrensgesetz ("Behörde im Sinne dieses Gesetzes"). Der [X.] nach § 1 Abs. 4 [X.] kann deshalb nicht ohne weiteres für andere Rechtsgebiete übernommen werden (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 1 Rn. 226 mwN; M. Ronellenfitsch in [X.], 34. Edition, Stand 1. April 2016, § 1 Rn. 65; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 17. Aufl., § 1 Rn. 51, 51d; [X.] in [X.]/[X.]/Uechtritz, [X.], § 1 Rn. 45). Während die Bestimmung des § 1 Abs. 4 [X.] voraussetzt, dass die als Behörde in Betracht kommende Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, ist der [X.] des Presserechts nicht organisatorisch-verwaltungstechnisch, sondern funktional-teleologisch dahin zu verstehen, dass auch juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Bereich der Daseinsvorsorge eingesetzt werden, unter den Begriff der Behörde fallen (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2005 - [X.]I ZR 294/04, NJW 2005, 1720 f.). Der [X.] des Beamtenrechts gemäß § 26 Abs. 2 [X.] ist nach dienstrechtlichen Grundsätzen ([X.], Urteil vom 24. Januar 1991 - 2 C 16/88, NJW 1991, 2980, 2981 mwN) und derjenige des Personenstandsgesetzes entsprechend der Zielsetzung von § 65 PStG auszulegen ([X.] in [X.]/[X.] aaO § 1 Rn. 226 [X.]. 643). Für den [X.] ist mithin maßgeblich auf den jeweiligen [X.] abzustellen (vgl. [X.], [X.], 1146, 1147 mwN).

b) Aus dem im Streitfall maßgeblichen [X.] und der ausdrücklich vom Gesetz vorgenommenen Begriffsbestimmung ergibt sich zweifelsfrei, dass der Gläubiger Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a Abs. 3 und 4 LVwVG [X.] ist.

Gemäß § 10 Abs. 6 [X.] werden [X.], mit denen rückständige Rundfunkbeiträge festgesetzt werden, im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt. Für die Beitreibung von Beitragsbescheiden durch den Gerichtsvollzieher ist gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG [X.] ein schriftliches [X.] der Vollstreckungsbehörde erforderlich. Gemäß § 4 Abs. 1 LVwVG [X.] ist unter dem Begriff der Vollstreckungsbehörde die Behörde zu verstehen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Dies ist die zuständige [X.] (§ 10 Abs. 5 [X.]). Für die Festsetzung rückständigen Rundfunkbeiträge des Schuldners ist mithin kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die zuständige [X.] als Vollstreckungsbehörde anzusehen (vgl. [X.], [X.], 48 Rn. 32; NJW-RR 2016, 378 Rn. 20).

3. Auch die weiteren Annahmen des [X.] halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Entgegen der Ansicht des [X.] hängt die im Streitfall maßgebliche [X.] nicht davon ab, ob der Gläubiger stets rechtmäßig handelt oder als "gesetzestreu" anzusehen ist. Im Hinblick auf die hier maßgebliche Frage, ob der Gläubiger als [X.] bei der ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabe der Festsetzung rückständiger Beiträge als Vollstreckungsbehörde im Sinne von § 15a LVwVG [X.] anzusehen ist, ist ferner nicht relevant, ob er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Erbringer medialer Leistungen als Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne oder "unternehmerisch" auftritt. Insoweit erfüllt der Gläubiger im Rahmen des dualen Rundfunksystems in Konkurrenz zu privaten Rundfunkveranstaltern seine aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende verfassungsrechtliche Aufgabe, den Bürgern eine mediale Grundversorgung zu bieten (vgl. [X.]E 90, 60, 90). Davon zu unterscheiden ist die vorliegend allein maßgebliche Funktion, die der Gesetzgeber dem Gläubiger als [X.] bei der Festsetzung und Durchsetzung der ihm zur Erfüllung seiner Aufgaben zustehenden Beiträge verliehen hat.

Ebenfalls ist es unerheblich, ob der Gläubiger an öffentliches Besoldungs- und Vergaberecht gebunden ist oder dieses anwendet, ob er Werbezeiten verkauft oder die rechtlichen Regelungen der Zulässigkeit von Sponsoring und Produktplatzierungen einhält, ob in [X.] von einer Behörde die Rede ist und ob Zahlungsaufforderungen als einfache Briefe verschickt werden.

Alle diese Umstände sind nicht nur für den im Streitfall allein maßgeblichen vollstreckungsrechtlichen [X.] ohne Bedeutung, sondern auch für den vom Beschwerdegericht selbst zugrunde gelegten "allgemeinen" Begriff der Behörde, der eine Einheit von Personen und sächlichen Mitteln voraussetzt, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet, in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnet und dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein (vgl. [X.], NJW 1991, 2980 mwN).

b) Die Rechtsbeschwerde macht schließlich mit Recht geltend, dass das Beschwerdegericht seine Beurteilung nicht ohne weiteres auf tatsächliche Umstände stützen darf, die von keiner [X.] im vorliegenden Verfahren vorgetragen oder von der Beschwerdeerwiderung bestritten oder abweichend vorgetragen wurden. Soweit sich das Beschwerdegericht auf gerichtsbekannte Umstände berufen oder von Offenkundigkeit ausgehen will, muss es dies so begründen, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung möglich ist.

Büscher     

      

Schaffert     

      

Koch   

      

Löffler     

      

Feddersen     

      

Meta

I ZB 91/16

27.04.2017

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Tübingen, 20. September 2016, Az: 5 T 143/16

§ 802f ZPO, § 10 RdFunkBeitrStVtr BW, § 15a Abs 3 S 2 VwVfG BW, § 41 Abs 2 S 1 VwVfG BW, § 1 Abs 4 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2017, Az. I ZB 91/16 (REWIS RS 2017, 11806)

Papier­fundstellen: WM2017,1868 REWIS RS 2017, 11806

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