Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.11.2011, Az. 1 StR 287/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 991

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Gegenstand

Strafverfahren: Transparenzgebot bei einer Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung außerhalb der Hauptverhandlung; Anforderungen an die Urteilsfeststellungen beim Freispruch aus tatsächlichen Gründen; Anwesenheit und Schmierestehen am Tatort und als Beihilfe


Tenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 4. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

[X.]ie [X.]visionen von Staatsanwaltschaft und Nebenkläger wenden sich gegen die Freisprüche der Angeklagten von folgenden Anlagevorwürfen:

2

[X.]er Angeklagte [X.], ein in [X.]    (           ) tätiger [X.] Zahnarzt, hatte mit dem Nebenkläger [X.]     geschäftliche Beziehungen gehabt und stritt mit ihm um hohe Beträge. Er wusste, dass er keine Ansprüche mehr hatte, nachdem [X.]     zur Abgeltung aller Ansprüche 700.000 € bezahlt hatte. Er erhob aber immer neue, höher werdende Forderungen. Man erstattete in [X.] gegenseitig Strafanzeigen und prozessierte über eine Villa in [X.]. [X.]nahm schließlich [X.]ntakt mit dem Angeklagten [X.] auf, der [X.]     bei einem seiner Aufenthalte in [X.].    , wo dessen Tochter Gastronomiebetriebe führte, "mit Gewalt unter [X.]ruck setzen" sollte, damit er zu Zahlungen und zur Beendigung des Prozesses im Sinne von [X.]bereit würde. [X.]und [X.]  nahmen [X.]ntakt mit der "[X.]" auf, am Ende wurden der Angeklagte [X.]und ein weiteres Bandenmitglied "beauftragt". "[X.]  plante nun für ... [X.]das weitere Vorgehen". Am 19. August 2009 versuchten [X.]und sein "Team" - in engem [X.]ntakt mit [X.]- in [X.].   vergeblich, ihn mit der Lüge, man habe seinen [X.] angefahren, auf die Straße zu locken, um ihn zu überfallen und Autoschlüssel und Bargeld wegzunehmen. [X.]ie Beute hätten [X.]und sein Mittäter behalten sollen. Als [X.]     zwei Tage später zum Parkplatz seiner Pension kam, eilten [X.]und sein Mittäter aus einer gegenüberliegenden Pension hinzu, beschossen ihn mit [X.]izgas, was ihn am Auge verletzte, schlugen ihn mit einer Schreckschusspistole und versuchten, ihm Autoschlüssel und Brieftasche abzunehmen. Sie flüchteten ohne Beute, als Angehörige [X.]      zu Hilfe eilten.

3

Am 15. September 2009, so wird [X.]und [X.]  weiter vorgeworfen, seien an [X.]      , dessen Frau (nach [X.]) und dessen Tochter (nach [X.].    ) je eine Postkarte mit Motiven aus [X.].   geschickt worden, die [X.] (auf [X.]) mit folgendem Text beschrieben hatte: "Gebt zurück, was ihr gestohlen habt, ihr Betrüger. [X.]ies ist die letzte Warnung. [X.].". [X.] war ein auch als [X.] bekannter [X.] Fürst, der "Pfählung als Hinrichtungsart bevorzugte". [X.]ie darin liegende [X.]rohung hätte letztlich [X.]     dazu veranlassen sollen, doch noch auf die Forderungen einzugehen. Wenige Tage später schickte [X.]an [X.]     den Entwurf eines "Abkommens", mit dem dieser sich zur Übertragung von Geld und Wertgegenständen im Wert von jedenfalls weit über 1 Mio. € an [X.]verpflichten sollte. Er kam dieser Aufforderung nicht nach.

4

[X.]ie Angeklagten wurden freigesprochen, die Täter des Überfalls und auch eine Verbindung von [X.]und [X.]   zu dieser Tat seien nicht feststellbar, die Postkarten hätten keinen strafbaren Inhalt, darüber hinaus sei eine Tatbeteiligung von [X.]  hinsichtlich der Postkarten nicht festzustellen.

5

[X.]ie [X.]visionen haben (schon) mit der Sachrüge Erfolg:

6

1. Bezüglich des Überfalls beruht dies darauf, dass das Urteil keine genügende Grundlage einer revisionsgerichtlichen Überprüfung ist.

7

Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind regelmäßig in einer geschlossenen [X.]arstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen, ehe in der Beweiswürdigung darzulegen ist, warum die für einen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend nur [X.], Urteil vom 24. Juli 2008 - 3 [X.], [X.]/Zimmermann NStZ-RR 2011, 225, 232). [X.]ie [X.] teilt dagegen nach dem Anklageinhalt protokollartig das (wohl) gesamte Beweisergebnis in allen [X.]etails mit, auch soweit sie offenbar für die Entscheidung über Verurteilung oder Freispruch keine Bedeutung haben können, wie etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - Hinweise eines Sanitäters an einen Arzt zu einem möglichen Sonnenbrand [X.]     s. Eingefügt in diese [X.]arlegungen sind immer wieder beweiswürdigende Überlegungen, die meist jeweils streng auf die zuvor geschilderten Teile der Beweisergebnisse begrenzt sind. [X.]ie Staatsanwaltschaft und der [X.] haben zutreffend insgesamt (nur) etwa zehn, auf mehr als fünfzig Urteilsseiten verstreute Passagen aufgezählt - meist nicht mehr als ein Absatz, manchmal nur einzelne Sätze -, die als Sachverhaltsfeststellungen zu bewerten sind. Abgesehen von der Notwendigkeit, diese Bruchstücke aus den umfangreichen Ausführungen herauszufiltern, ist es insgesamt kaum möglich, sie zu einer in sich geschlossenen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Sachverhaltsfeststellung zusammenzufassen.

8

2. Ein weiterer [X.]chtsfehler liegt darin, dass die [X.] die erforderliche Gesamtwürdigung aller für und gegen eine [X.]chaft der Angeklagten sprechenden Indizien (vgl. [X.] aaO [X.]) unterlassen hat, die - in ihrer Vielzahl vom [X.] zutreffend hinsichtlich sämtlicher Angeklagter umfangreich und im [X.]etail dargelegt - weitgehend allenfalls isoliert bewertet sind. Bei einer Gesamtschau könnte eine Vielzahl einzelner Gesichtspunkte auf Grund ihrer Häufung und gegenseitigen [X.]urchdringung möglicherweise die Überzeugung von der Richtigkeit des Anklagevorwurfs vermitteln ([X.] aaO).

9

3. [X.]er Angeklagte [X.]hat "im Laufe der Hauptverhandlung" zunächst mündlich und am zehnten Verhandlungstag schriftlich über seinen Verteidiger folgendes erklärt:

Er sei von einem Mitglied der "[X.]" beauftragt worden, in [X.].   bei einer "Abreibung … Schmiere zu stehen" und erforderlichenfalls einzugreifen. [X.]er [X.] sei ihm genannt worden, sonst nichts. [X.]ie Täter der Abreibung seien ihm ebenso unbekannt gewesen wie [X.]und [X.]  . Er habe aus der Ferne beobachtet, wie zwei Männer [X.]     angriffen. Als diesem eine Frau zu Hilfe kam, seien die Männer geflüchtet, worauf auch er (der Angeklagte) geflüchtet sei. Sonst wisse er nichts.

a) [X.]ie [X.] hält für möglich, dass der Angeklagte mit der Tat nichts zu tun hatte und er sich mit diesen Angaben zu Unrecht belastet habe. [X.]er Verteidiger habe vor Abgabe der Erklärung auf Gespräche mit der Staatsanwaltschaft verwiesen, "in die das Gericht bewusst nicht einbezogen … und über deren Inhalt … Stillschweigen vereinbart worden sei". [X.]er Angeklagte wolle bald aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Zumal, da der Staatsanwalt (in der Hauptverhandlung) erklärt habe, nach der bisherigen Beweisaufnahme komme nur eine Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung in Betracht, sei, so folgert die [X.], insgesamt eindeutig, dass die Staatsanwaltschaft "eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt" habe. Es liege daher nicht fern, dass der Angeklagte, um das Verfahren gegen sich entsprechend zu beenden, wahrheitswidrig die genannten Angaben gemacht habe.

b) Hierzu bemerkt der [X.]:

(1) Verständigungen können außerhalb der Hauptverhandlung vorbereitet werden, jedoch ist dann hierüber Transparenz in der Hauptverhandlung herzustellen. [X.]as Transparenzgebot kennzeichnet das Verfahren über eine Verständigung im Strafverfahren insgesamt (vgl. zusammenfassend auch [X.]/Schlothauer/Weider, Verständigung im Strafverfahren [X.] Rn. 49 ff. [X.], auch aus den Gesetzgebungsmaterialien), wie sich aus einer [X.]ihe von Bestimmungen über hieraus erwachsende Pflichten des Gerichts ergibt (vgl. § 202a Satz 2 [X.], § 212 [X.], § 243 Abs. 4 [X.], § 257c Abs. 3 [X.], § 267 Abs. 3 Satz 5 [X.], § 273 Abs. 1a [X.]).

Eine spezielle gesetzliche [X.]gelung für nur zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung im Rahmen des (Zwischen- oder) Hauptverfahrens außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche, die letztlich das Ziel haben, die Hauptverhandlung abzukürzen, gibt es nicht. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zur Verfahrensförderung mit anderen Verfahrensbeteiligten (naheliegend häufig der Verteidigung) geführte Gespräche aktenkundig zu machen (§ 160b Satz 2 [X.]), besonders sorgfältig, wenn eine Verständigung i.S.d. § 257c angestrebt wird (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., § 160b Rn. 8).

All dies spricht dafür, dass auch derartige Gespräche offen zu legen sind, zumal das Gericht sonst nach solchen Gesprächen abgegebene Erklärungen des Angeklagten nicht auf umfassender Grundlage würdigen könnte. [X.]ies würde im Übrigen in besonderem Maße gelten, wenn solche Gespräche bei einer gegen mehrere Angeklagte geführten Hauptverhandlung nur mit der Verteidigung eines Angeklagten geführt würden, dessen anschließende Aussagen dann die übrigen Angeklagten belasten (vgl. [X.]St 52, 78, 83; 48, 161, 168).

[X.]ies ist hier aber nicht einschlägig, da [X.]erklärt hat, [X.]und [X.] nicht zu kennen. Im Übrigen ist hier im Ergebnis durch die genannte Erklärung des Verteidigers die gebotene Klarstellung jedenfalls ansatzweise, wenn auch im Hinblick auf das vereinbarte Stillschweigen über den näheren Inhalt des Gesprächs nicht in vollem Umfang (vgl. § 273 Abs. 1a [X.]) erfolgt. [X.]er [X.] braucht alledem aber nicht näher nachzugehen, weil in diesem Zusammenhang insgesamt die Möglichkeit eines den Angeklagten begünstigenden [X.]chtsfehlers nicht zu erkennen ist.

(2) Unabhängig von alledem wäre bei der Einbeziehung der Aussagegenese in die Würdigung der - etwas lebensfremd erscheinenden - Erklärung des Angeklagten nicht nur die Möglichkeit einer selbstbelastenden Erfindung eines Unschuldigen zu prüfen gewesen. Jedenfalls nicht weniger naheliegend und daher erörterungsbedürftig erscheint auch die Möglichkeit, dass zur Erreichung einer milden Strafe zwar eine Tatbeteiligung grundsätzlich eingeräumt sein soll, die nach Art und Maß mit Entlastungstendenz aber (zu) gering geschildert sein kann.

c) Zudem, so führt die [X.] aus, sei der Angeklagte selbst bei Zugrundelegung seiner Angaben straflos. Sie ergäben nämlich nicht zwingend, dass den Haupttätern die Anwesenheit des Angeklagten am [X.] bekannt gewesen sei. [X.]er rechtliche Ansatz dieser Ausführungen ist zutreffend, (auch) sie beruhen aber auf einer nicht rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

(1) Von Beihilfe, die objektiv die Tat fördert, braucht der Haupttäter nichts zu wissen ([X.], Urteil vom 8. Juli 1954 - 4 StR 350/54, [X.]St 6, 248, 249 f.). [X.]ie bloße, objektiv die Tat nicht fördernde Anwesenheit am [X.] kann "psychische" Beihilfe sein ([X.], Beschluss vom 17. März 1995 - 2 StR 84/95, [X.], 490, 491; zusammenfassend zur [X.]chtsprechung [X.] in v. [X.], StGB, § 27 Rn. 9.4 [X.]), aber nur, wenn sie dem Haupttäter bekannt ist.

[X.]ies war hier nicht der Fall. Andererseits war der Angeklagte nicht nur anwesend, sondern er stand "Schmiere" und war bereit, wenn nötig, zu helfen. Ob dies auch dann zu strafbarer Beihilfe führt, wenn der Haupttäter von der Anwesenheit und der nicht realisierten Bereitschaft zur Hilfe nichts weiß, wird unterschiedlich beurteilt (dafür z.B. [X.] in [X.], § 27 Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 7. Aufl. § 52 Rn. 8; dagegen z.B. [X.] in [X.], 511 f.; [X.]reher M[X.]R 1972, 553, 557).

Nach Auffassung des [X.]s liegt keine strafbare Beihilfe vor. [X.]ie Tat ist in einem solchen Fall nicht objektiv gefördert, sondern eine solche Förderung ist nur vorbereitet. [X.]ass dadurch der Bereich strafbaren Verhaltens (noch) nicht erreicht ist, folgt aus der Straflosigkeit der gegenüber einer Vorbereitung sogar weiter gehenden versuchten Beihilfe ([X.] aaO 512).

(2) [X.]ie Annahme fehlender Kenntnis der Haupttäter ist allerdings nicht rechtsfehlerfrei begründet. Richterliche Überzeugung erfordert nicht, dass das gefundene Ergebnis "zwingend", ein anderes Ergebnis also denknotwendig ausgeschlossen ist. [X.]ies wäre ein überspannter und daher rechtlich unzutreffender Maßstab (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 20. September 2011 - 1 [X.] [X.]). [X.]arüber hinaus beschränkt sich die [X.] allein auf die Bewertung der Erklärung des Angeklagten, was auch hier eine nur isolierte Würdigung der einzelnen Beweismittel besorgen lässt.

4. [X.]ie Annahme, der Inhalt der von [X.]versandten Postkarten sei strafrechtlich irrelevant, ist vor allem darauf gestützt, dass der historische [X.] "einerseits als grausamer Tyrann, der seine Feinde pfählen ließ, und andererseits als fanatischer Kämpfer für die Gerechtigkeit" gelte. [X.]aher sei nicht "zwingend", dass [X.]die Familie [X.]     bedrohen wollte, möglicherweise habe er nur ankündigen wollen, "dass er mit Nachdruck für Gerechtigkeit kämpfen werde". Hierfür spreche auch, dass er sie "Betrüger" genannt habe. Gegen die Annahme, dass er sein Verhalten selbst als strafbar werte, spreche, dass er als Akademiker dann kaum offene Postkarten verschicken würde, da er auf diese Weise leicht überführt werden könne. [X.]ass die Empfänger sich nach ihren Aussagen bedroht gefühlt hätten - ohne dass dies die [X.] als unzutreffend bewertet hätte, bedeute, so ein Zeuge, "[X.]" in [X.] "Tod" - sei irrelevant. Ob eine [X.]rohung i.S.d. §§ 240, 241, 255 StGB vorliege, richte sich nicht danach, ob der Bedrohte die Ankündigung des Übels ernst nehme, abzustellen sei allein auf den [X.]rohenden. Auch sei nicht klar genug, was überhaupt angedroht sei.

[X.]iese Ausführungen halten weder zur objektiven noch zur subjektiven Seite rechtlicher Überprüfung stand.

a) Eine [X.]rohung im Sinne der genannten Vorschriften ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Täter Einfluss hat oder jedenfalls zu haben vorgibt [X.], StGB, 59. Aufl., § 240 Rn. 31 [X.]). An der Ankündigung eigenen künftigen Verhaltens hat die [X.] zu [X.]cht keinen Zweifel. Ob ein empfindliches Übel angekündigt ist, richtet sich nach dem Inhalt der Erklärung, der nach dem [X.] zu bestimmen ist (Vogel in [X.], 12. Aufl., § 253 Rn. 7).

Hier haben die Empfänger der Postkarten, so die [X.], deren Inhalt in dem für sie landläufigen Sinn als Bedrohung mit dem Tod oder jedenfalls mit schwerer körperlicher Misshandlung verstanden und ernst genommen.

Nicht tragfähig ist die in diesem Zusammenhang - hilfsweise - angestellte Erwägung der [X.], wenn eine [X.]rohung vorläge, sei sie zu unpräzise. [X.]ass hier eine (etwaige) [X.]rohung auf etwas anderes gerichtet sein könnte als Tod oder jedenfalls schwere körperliche Misshandlung, ist nicht erkennbar. Eine solche [X.]rohung bedarf aber keiner präzisierenden Erläuterung.

b) [X.]er Vorsatz des [X.] muss darauf gerichtet sein, dass der Empfänger die Äußerungen als [X.]rohung versteht und ernst nimmt. Anhaltspunkte für die - eher fern liegend erscheinende - Annahme, [X.] hätte geglaubt, der Karteninhalt würde von den Empfängern entgegen seinem für sie landläufigen Sinn wegen uneindeutiger historischer Überlieferungen nur als Streben nach Gerechtigkeit bewertet, sind weder genannt noch erkennbar. Offenbar kommt die [X.] deshalb zu dieser Annahme, weil anderes nicht "zwingend" sei; wie dargelegt, ist dies jedoch ein rechtsfehlerhafter Maßstab.

c) In subjektiver Hinsicht kann im Übrigen allein der Hinweis, dass die Empfänger der Karten als "Betrüger" bezeichnet wurden, nicht tragfähig belegen, ob [X.](anders als ihm vorgeworfen) überhaupt glaubte, noch (im Einzelnen wiederholt wechselnde) Ansprüche zu haben. Andernfalls wäre für Überlegungen zu besonderem Einsatz für die Gerechtigkeit ohnehin kein Raum.

d) Es wäre auch zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte kurz nach der Versendung der Postkarten ohne erkennbare weitere Begründung neue hohe Forderungen erhob. [X.]ies könnte dagegen sprechen, dass er nur künftiges Bemühen um Gerechtigkeit ankündigen wollte.

e) Nicht rechtsfehlerfrei begründet ist die Annahme, gegen eine auf strafbares Verhalten gerichtete Vorstellung von [X.]spreche auch, dass er als Zahnarzt (Akademiker) dann schwerlich für "jeden lesbare" offene Karten verschickt und so die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung erhöht hätte. Es fehlt die Erörterung des offensichtlich gegenläufigen Gesichtspunkts, dass er die Karten nicht mit seinem Namen unterschrieben hat. Soweit die Karten in [X.]eutschland gelesen werden konnten, kommt hinzu, dass wohl die wenigsten potentiellen Leser [X.] können.

5. Hinsichtlich des Angeklagten [X.] stützt sich die allein getroffene Feststellung, insoweit hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, nur auf dessen Angabe, er habe zwar den Inhalt der Postkarten gekannt und gewusst, dass sie [X.]abschicken wollte, damit jedoch nichts zu tun gehabt. Nicht erörtert ist jedoch in diesem Zusammenhang die festgestellte Aussage einer Freundin von [X.]  , [X.]     hätte gezwungen werden sollen, anzuerkennen, "dass irgendein Grundstück in [X.] [X.]gehöre"; dies, so die ebenfalls mitgeteilte Aussage [X.]     s, deckt sich mit Forderungen, die bald nach den Postkarten an ihn gestellt wurden. [X.]  und seine Leute, so die Freundin, hätten diese Unterschrift erzwingen wollen. Schon dieses Beweisergebnis ist - unabhängig davon, wie es letztlich tatrichterlich zu werten ist - unvereinbar mit der Annahme, nichts deute auf eine Mitwirkung von [X.]  an der [X.]rohung mit den Postkarten hin.

6. [X.]a die Sachrüge durchgreift, kann der in der Hauptverhandlung hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag eines Verteidigers auf sich beruhen. Zu Grunde liegt, dass ein am 22. Februar 2011 an das Landgericht gerichteter Akteneinsichtsantrag dort unbearbeitet blieb; auch die Staatsanwaltschaft hat bei der Aktenweiterleitung am 22. März 2011 hierauf nicht hingewiesen. Wiederholt wurde der Antrag nicht (vgl. insoweit [X.], Beschluss vom 1. Februar 2000 - 4 StR 635/99, [X.], 326 [X.]). [X.]er Aussetzungsantrag war jedenfalls nur für den Fall gestellt, "dass der [X.] den … Verfahrensrügen Bedeutung beimessen und die dort in Bezug genommenen Verfahrenstatsachen … verwerten will". [X.]ies ist nicht der Fall.

7. [X.]ie sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft ist mit der Aufhebung des Urteils gegenstandslos ([X.], Urteil vom 24. Januar 2006 - 1 StR 357/05 [X.]).

8. Wie auch im Urteil mitgeteilt ist, bewertet die (unverändert zugelassene) Anklage die Versendung der Postkarten als versuchte besonders schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), die in Tateinheit mit den durch den gescheiterten Überfall in [X.].     verwirklichten Tatbeständen stehe. [X.]ies veranlasst folgende vorsorgliche Hinweise:

a) Es bedarf der Klärung, ob die Postkarten an Frau und Tochter nur [X.]ruck auf den Nebenkläger ausüben sollten oder ob auch diese zur Zahlung aufgefordert werden sollten, wofür die Formulierung "gebt zurück ihr Betrüger" sprechen könnte.

Sollte nur auf den Nebenkläger [X.]ruck ausgeübt werden - auch [X.]ritten in Aussicht gestellte Übel können genügen (vgl. [X.]/Sinn in [X.] Rn. 82 [X.]) - könnte hier letztlich eine tatbestandliche Handlungseinheit vorliegen (vgl. Vogel aaO Rn. 51).

Sollten dagegen auch Frau und Tochter zur Zahlung aufgefordert werden, wäre (versuchte) Erpressung mehrfach erfüllt, selbst wenn sich die Forderungen, jedenfalls wirtschaftlich, nur gegen ein Vermögen richtete, da § 253 StGB auch das höchstpersönliche [X.]chtsgut Willensfreiheit schützt ([X.], Urteil vom 28. April 1992 - 1 [X.] [X.]). Allein dadurch, dass, wie die [X.] festgestellt hat, die Postkarten - sei es auch gleichzeitig - (von [X.]     etwa 45 km entfernt) im selben Briefpostzentrum in [X.].     aufgegeben wurden, wären diese Taten nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit verbunden ([X.], Urteil vom 24. November 2004 - 5 [X.], [X.], 56, 57).

b) [X.] Erpressung (§ 255 StGB) erfordert eine [X.]rohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Genaue zeitliche Grenzen dafür, wann eine für die Zukunft angedrohte Gefahr noch gegenwärtig ist, lassen sich nicht allgemein festlegen. Gegenwärtigkeit kann grundsätzlich auch dann noch vorliegen, wenn dem Opfer eine - nicht zu lang bemessene - Zahlungsfrist gesetzt ist. Entscheidend sind die nicht zuletzt nach Maßgabe der vom Täter für möglich gehaltenen Opfersicht zu beurteilenden Umstände des Einzelfalls, wobei das [X.]visionsgericht im Wesentlichen nur den vom Tatrichter angelegten Maßstab überprüfen kann (vgl. [X.], Urteil vom 27. August 1998 - 4 StR 332/98, [X.], 266, 267; Beschluss vom 4. September 1997 - 1 StR 489/97, [X.], 135; Urteil vom 28. August 1996 - 3 [X.], [X.]R StGB § 255 [X.]rohung 9 jew. [X.]).

c) Wieso durch die Versendung von Postkarten eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet sein könnte (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), ist nicht ersichtlich.

d) Tateinheit zwischen dem gescheiterten Überfall und der versuchten Erpressung durch die Postkarten läge nicht vor, auch wenn, wie die [X.] erwägt, die Motive von [X.].    auf den Karten auf den dort versuchten Überfall hinweisen und so die neue [X.]rohung unterstreichen sollten. Auch wenn im Rahmen einer (versuchten) Erpressung mehrere Einzelakte auf den Willen des Opfers einwirken sollen und somit nur die ursprüngliche [X.]rohung durchgehalten wird, liegt Tateinheit im Blick auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt nur bei engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang dieser Einzelakte vor ([X.], Urteil vom 30. November 1995 - 5 [X.], [X.]St 41, 368, 369). [X.]ies ist im Verhältnis zwischen einem versuchten Überfall in [X.].    und Wochen später von [X.].     mit der Post nach [X.] und [X.].     geschickten [X.]rohungen nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die erste Tat die Erpressung nur vorbereiten sollte, ohne dass der Erpresser am unmittelbaren Taterfolg wirtschaftliches Interesse hatte. [X.] aber nicht einmal zwei unmittelbare Erpressungsversuche unter den gegebenen Umständen tateinheitlich verbunden, kann für einen Erpressungsversuch und den vorangegangenen Versuch, die Aussichten dieses [X.] durch die einschüchternde Wirkung einer anderen Straftat zu vergrößern, erst recht nichts anderes gelten.

9. [X.]ie Hauptverhandlung, die sich, naheliegend wegen der schwierigen Beweislage, über 21 Verhandlungstage hinzog, fand mit reduzierter Gerichtsbesetzung statt. [X.]ie nach der Zurückverweisung einer Sache mögliche Änderung der Besetzungsentscheidung erscheint hier erwägenswert.

[X.]                               Wahl                             Graf

                  Jäger                             Sander

Meta

1 StR 287/11

29.11.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 4. November 2010, Az: 6 KLs 201 Js 23619/09

§ 27 StGB, § 160b S 2 StPO, § 257c StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.11.2011, Az. 1 StR 287/11 (REWIS RS 2011, 991)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 991

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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