Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2013, Az. 4 StR 339/13

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 2226

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Gegenstand

Strafverfahren: Folgen einer irrtümlichen Verfahrenseinstellung durch Gerichtsbeschluss anstelle einer Verfahrensbeschränkung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. April 2013 aufgehoben; das Verfahren wird eingestellt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt; ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den [X.] von einem Jahr der Freiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine Verfahrens- und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Einstellung des Verfahrens, weil das [X.] die Tat nach § 154 Abs. 2 [X.] eingestellt, sie anschließend aber gleichwohl abgeurteilt hat.

2

1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift wird dem Angeklagten Anstiftung zur schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Bedrohung zur Last gelegt. Er soll in der Nacht zum 11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr den gesondert verfolgten D.         , der ihm Geld aus Drogengeschäften schuldete, gedrängt haben, ein Internetcafé in [X.] zu überfallen. "Andernfalls drohte der Angeschuldigte dem gesondert verfolgten D.         , ihn oder seinen Bruder 'kalt zu machen'. … Aufgrund der von dem Angeschuldigten ausgesprochenen Drohungen gegen ihn und seinen Bruder führte der gesondert verfolgte D.         den Überfall aus."

3

In der Hauptverhandlung vom 4. April 2013 beantragte der Staatsanwalt, "das Verfahren, soweit es den Vorwurf der Bedrohung betrifft, gemäß § 154 Abs. 2 [X.] im Hinblick auf den anderen Tatvorwurf einzustellen." Dem kam die [X.] nach; sie beschloss, dass "das Verfahren …, soweit es den Vorwurf der Bedrohung betrifft, gemäß § 154 Abs. 2 [X.] im Hinblick auf den [X.] eingestellt" wird. Anschließend folgten die Schlussvorträge, das letzte Wort und die Urteilsverkündung.

4

In den im Urteil mitgeteilten Feststellungen wird die Drohung des Angeklagten nicht mehr erwähnt. Die [X.] sieht das Bestimmen im Sinn des § 26 StGB darin, dass der Angeklagte den gesondert verfolgten D.           "drängte", das Internetcafé zu überfallen; das dabei erbeutete Geld sollte er dem Angeklagten aushändigen und im Gegenzug Schuldenfreiheit und weitere Drogen erlangen ([X.]). Bei dem Treffen am 11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr habe der Angeklagte dem D.          unter anderem ein Messer, Klebeband und ein [X.] zur Tatbegehung ausgehändigt und ihn aufgefordert, die Gegenstände zur Erzwingung der Herausgabe der [X.] und ggf. zur Fesselung des [X.] zu benutzen; ferner habe er weitere Einzelheiten zu der von ihm geplanten Tatausführung vorgegeben und zugesagt, dass D.          unter anderem die [X.] erlassen werden ([X.]). Hiermit wollte der Angeklagte - so die [X.] - den [X.] im Zeugen D.          hervorrufen, durch Anwendung oder Androhung von Ge- walt mittels der mitgeführten Waffen gegenüber den im Ladenlokal Anwesenden diese zur Herausgabe der im [X.] und in der Kasse befindlichen Gelder zu nötigen ([X.]).

5

2. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Anstiftung zur (besonders) schweren räuberischen Erpressung steht die Einstellung "der Bedrohung" nach § 154 Abs. 2 [X.] entgegen. Hierin liegt ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis.

6

a) Das Absehen von der Verfolgung einer Tat nach § 154 Abs. 1 oder 2 [X.] bezieht sich auf die gesamte prozessuale Tat (vgl. etwa [X.], Urteil vom 24. Oktober 1974 - 4 StR 453/74, [X.]St 25, 388, 390; [X.] in Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl., § 154 Rn. 11 jeweils mwN; [X.], [X.], 56. Aufl., § 154 Rn. 1). Sollen abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen sind, von der Verfolgung ausgenommen werden, findet - nach dessen Absatz 1 Satz 1 - § 154a [X.] Anwendung.

7

Die Tat im prozessualen Sinn ist der geschichtliche - und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte - Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen, und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie beschränkt sich nicht auf eine konkrete Handlung, sondern erfasst den gesamten Lebenssachverhalt einschließlich aller damit zusammenhängenden Vorgänge, die für die strafrechtliche Beurteilung von Bedeutung sein können, somit das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen, inhaltlich zusammenhängenden Lebensvorgang darstellt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. März 2006 - 2 [X.]/06 [Rn. 7]; vom 16. März 2001 - 2 BvR 65/01 [Rn. 3]; [X.], Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12 [Rn. 36], jeweils mwN).

8

b) Die Drohung des Angeklagten, den gesondert verfolgten D.           oder dessen Bruder "kalt zu machen", war Teil des geschichtlichen Vorgangs, innerhalb dessen der Angeklagte den Straftatbestand der Anstiftung zur (besonders) schweren räuberischen Erpressung verwirklicht haben soll und nach den Feststellungen der [X.] - sollte er die Drohung ausgesprochen haben - verwirklicht hat.

9

Dies zeigt sich schon darin, dass Anklageschrift und Urteilsfeststellungen das Bestimmen im Sinn des § 26 StGB allein oder zumindest maßgeblich aus dem Inhalt des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und D.          am 11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr herleiten, innerhalb dessen der Angeklagte laut Anklage auch die Drohung ausgesprochen haben soll, um D.          hier- durch zur Tatbegehung zu veranlassen. Sämtliche Vorgänge innerhalb dieses Treffens stehen in einem sachlichen und motivatorischen, aber auch in einem engen zeitlichen Zusammenhang; sie waren allesamt auf den - kurz darauf stattfindenden - Überfall auf das Internetcafé gerichtet. Sprechen aber die für die Bestimmung der Reichweite des [X.] maßgeblichen tatsächlichen Momente des [X.], wie die hier vorliegenden, für die Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat, kann die Heranziehung normativer Gesichtspunkte allein nicht dazu führen, entgegen dem sich durch die faktischen Verhältnisse ergebenden Bild eine einheitliche Tat im Sinn des § 264 [X.] zu verneinen (vgl. [X.], Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12 [Rn. 38]).

c) Die Einstellung nach § 154 Abs. 2 [X.] durch die [X.] führt auch hier zu einem Verfahrenshindernis, das nur durch eine Wiederaufnahme durch das Tatgericht beseitigt werden kann.

aa) Mit der Einstellung durch einen Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 [X.] entsteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis; denn das Verfahren ist - soweit es diese Tat betrifft - nach einer solchen Einstellung nicht mehr anhängig ([X.], Urteil vom 21. Dezember 1956 - 1 StR 337/56, [X.]St 10, 88, 89; Beschluss vom 9. September 1981 - 3 StR 290/81, [X.]St 30, 197, 198). Zur Beseitigung dieses Verfahrenshindernisses ist ein [X.] gemäß § 154 Abs. 5 [X.] erforderlich ([X.], Beschlüsse vom 9. September 1981 - 3 StR 290/81, [X.]St 30, 197, 198; vom 9. November 2011 - 4 StR 300/11). Ist ein solcher Beschluss nicht ergangen, ist das weitere, also das nach der Einstellung fortgeführte Verfahren einzustellen ([X.], Beschlüsse vom 30. April 1980 - 2 [X.], [X.] 1981, 36 m. Anm. [X.]; vom 27. April 2000 - 4 StR 85/00; vom 4. Juni 2013 - 4 StR 192/13).

bb) Dies gilt auch, wenn das Gericht - wie naheliegend hier - irrtümlich nach § 154 Abs. 2 [X.] anstatt nach § 154a Abs. 2 [X.] verfahren ist.

In Fällen einer fehlerhaften Verfahrensweise nach § 154 Abs. 1 [X.] (anstatt nach § 154a Abs. 1 [X.]) durch die Staatsanwaltschaft hat diese durch eine anschließende Anklageerhebung das Verfahren zumindest konkludent wieder aufgenommen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 2006 - 1 [X.], [X.], 20; [X.], aaO, § 154 Rn. 21a). Hat sie nach Anklageerhebung in einem anderen, dieselbe Tat betreffenden Verfahren das bei ihr noch offene Verfahren nach § 154 Abs. 1 [X.] eingestellt, vermag dies jedenfalls nach Eröffnung des anderen Hauptverfahrens dem Gericht die Befugnis und Verpflichtung zur Aburteilung der Tat nicht mehr zu entziehen (vgl. § 156 [X.]; ferner [X.], Urteil vom 24. Oktober 1974 - 4 StR 453/74, [X.]St 25, 388, 390; [X.], aaO, § 154 Rn. 13, sowie [X.], aaO, § 154a Rn. 29; [X.] in SK-[X.], § 154 Rn. 42).

Hat indes das Gericht den Tatbegriff des § 154 [X.] verkannt oder meint es rechtsfehlerhaft, nach dieser Vorschrift könnte innerhalb einer prozessualen Tat auch die Verfolgung einzelner Straftatbestände ausgeschieden werden, so ändert dies nichts daran, dass es eine Einstellung nach § 154 Abs. 2 [X.] beschließen wollte und beschlossen hat. Auch eine nicht etwa nur die Form der Entscheidung, sondern bezüglich ihres Inhalts rechtsfehlerhafte gerichtliche Entscheidung hat aber grundsätzlich bis zu ihrer Korrektur oder Beseitigung in dem dafür vorgesehenen Verfahren die in ihr angeordneten oder mit ihr verbundenen Wirkungen (vgl. [X.], Urteil vom 22. April 1999 - 4 StR 19/99, [X.]St 45, 58, 60 ff.; [X.], aaO, Einl. Rn. 105 ff.). Auch eine rechtsfehlerhafte Einstellung nach § 154 Abs. 2 [X.] lässt daher die Anhängigkeit der Tat entfallen und kann nur durch Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigt werden (vgl. für das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Verfahren auch [X.], aaO, § 154 Rn. 13). Eine solche Wiederaufnahme hat jedoch nicht stattgefunden.

Dass der [X.] bei der Beschlussfassung lediglich eine Falschbezeichnung der angewendeten Vorschrift unterlaufen ist (§ 154 Abs. 2 [X.] statt § 154a Abs. 2 [X.]), schließt der Senat aus. Hiergegen spricht auch der ausdrücklich auf § 154 Abs. 2 [X.] gerichtete - nicht nur die Zustimmung gemäß § 154a Abs. 2 [X.] erklärende - Antrag des [X.] der Staatsanwaltschaft.

d) Der Senat kann das Verfahrenshindernis nicht selbst beseitigen. Denn für die Wiederaufnahme ist das Gericht zuständig, das die Entscheidung ausgesprochen hat ([X.], Beschluss vom 30. April 1980 - 2 [X.], [X.] 1981, 36 m. Anm. [X.]). Für die Wiederaufnahme teilt der Senat - jedenfalls bei Fallgestaltungen wie hier - aus den sich aus obigen Ausführungen ergebenden Gründen nicht die Ansicht, dass insofern die tatsächlich anzuwendenden, nicht die irrig angewendeten Vorschriften maßgeblich seien (so [X.], aaO, § 154a Rn. 29; [X.], aaO, § 154 Rn. 42); daher hat die Wiederaufnahme - ohne dass hierbei die Wiederaufnahmegründe nach § 154 Abs. 3, 4 [X.] Bedeutung erlangen - durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 5 [X.] zu erfolgen.

[X.]                               Roggenbuck                           Cierniak

                         Mutzbauer                                   Bender

Meta

4 StR 339/13

08.10.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 4. April 2013, Az: 52 KLs 39/12

§ 154 Abs 2 StPO, § 154 Abs 5 StPO, § 154a Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.10.2013, Az. 4 StR 339/13 (REWIS RS 2013, 2226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2226

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