Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.03.2018, Az. 2 BvR 108/18

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2018, 11902

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Gewährung subsidiären Schutzes in anderem EU-Mitgliedsstaat stellt gewichtiges Indiz für Vorliegen eines Auslieferungshindernisses dar - hier: Auslieferung eines in Belgien als schutzberechtigt anerkannten Weißrussen an Weißrussland zur Strafverfolgung - mangelnde Substantiierung wegen Nichtvorlage entscheidungserheblicher Unterlagen - zudem Entkräftung der Gefahr einer Verhängung der Todesstrafe bzw menschenunwürdiger Haftbedingungen durch verbindliche Zusicherungen Weißrusslands


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auswirkung der Gewährung subsidiären Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat der [X.] auf ein nachfolgendes Auslieferungsverfahren in [X.].

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Seinen Angaben zufolge floh er im Jahr 2014 nach [X.] und beantragte dort die Gewährung von Asyl. Die [X.] Behörden lehnten zwar den Asylantrag mit der Begründung ab, dass die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Flüchtling nicht vorlägen, billigten dem Beschwerdeführer jedoch den Status subsidiären Schutzes nach dem [X.] Ausländergesetz zu.

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2. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik [X.] wurde der Beschwerdeführer am 11. Juni 2017 auf der Grundlage einer INPOL-Ausschreibung der weißrussischen Behörden vorläufig festgenommen. Der Ausschreibung lag ein Haftbefehl der Staatsanwaltschaft des Bezirks [X.] ([X.]) vom 17. Juli 2014 wegen des Verdachts des Mordes zugrunde.

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3. Mit [X.] vom 19. Juli 2017 ordnete das [X.] die vorläufige Auslieferungshaft zur Sicherung der Auslieferung gegen den Beschwerdeführer an.

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4. Dem trat der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer unter Verweis auf den durch die [X.] Behörden ausgestellten Anerkennungsbescheid entgegen. Unter dem 4. Dezember 2017 stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag in [X.] und führte zur Begründung aus, er sei nach [X.] geflüchtet, weil Mord in [X.] mit der Todesstrafe geahndet und diese auch vollstreckt werde. Zudem sei in [X.] ein rechtsstaatliches Verfahren nicht gewährleistet. In einem weiteren Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 beantragte der Beschwerdeführer beim [X.], das Auslieferungsverfahren bis zur Entscheidung über den Asylantrag auszusetzen. Hilfsweise stellte er den Antrag, dem [X.] die Frage vorzulegen, ob ein Mitgliedstaat der [X.] ([X.]) die Auslieferung wegen eines Sachverhalts anordnen dürfe, dessentwegen der Betroffene in einem anderen Mitgliedstaat der [X.] den Status subsidiären Schutzes genieße. An die Entscheidung der [X.] Behörden, dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zu gewähren, sei jedes andere Mitglied der [X.] gebunden.

6

5. Mit angegriffenem Beschluss vom 11. Dezember 2017 erklärte das [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Republik [X.] für zulässig. Das dem Senat vorliegende förmliche Auslieferungsersuchen enthalte neben den Unterlagen im Sinne des § 10 Abs. 1 [X.] eine Erklärung des in [X.] zuständigen Generalstaatsanwalts, mit der der ersuchende Staat unter anderem die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes, die Nichtverhängung der Todesstrafe, die Nichtanwendung von Folter oder anderer menschenunwürdiger Behandlungen sowie die durchgehende Beachtung der [X.] in Untersuchungs- und Strafhaft völkerrechtlich verbindlich zugesichert habe. [X.] Konsularbeamte hätten das Recht, den Beschwerdeführer nach der Auslieferung zu besuchen und die Einhaltung der Zusagen zu überprüfen. Nach Auskunft des [X.] habe es insoweit in der Vergangenheit keine Probleme gegeben. Mitarbeiter der [X.] Botschaft in [X.] würden regelmäßig auch die Haftbedingungen der aus [X.] ausgelieferten Personen prüfen; Verstöße gegen Zusicherungen seien bisher nicht festgestellt worden.

7

Auslieferungshindernisse seien nicht ersichtlich: Dass dem Beschwerdeführer in [X.] subsidiärer Schutz gewährt worden sei, begründe für sich allein gesehen kein Auslieferungshindernis. Entgegen der Auffassung des [X.] des Beschwerdeführers sei die Bundesrepublik [X.] nicht an die [X.] Entscheidung gebunden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Richtlinie 2011/95/[X.]. Sinn und Zweck dieses Regelungswerks sei allein die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften zum subsidiären Schutz in den Mitgliedstaaten. Über die Gewährung dieses Schutzes innerhalb seines Staatsgebiets entscheide jeder Staat selbst. Eine gegenseitige Bindung an gerichtliche oder behördliche Entscheidungen sehe die Richtlinie nicht vor. Für die von dem Beschwerdeführer beantragte Anrufung des [X.]s gemäß Art. 267 A[X.]V bestehe keine Veranlassung.

8

Allerdings liege regelmäßig ein Auslieferungshindernis nach § 8 [X.] und/oder § 73 [X.] vor, wenn Tatsachen feststellbar seien, die auch zur Anwendung des § 4 [X.] führen könnten. Die Gründe, die die zuständige [X.] Behörde bewogen haben dürften, dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zu gewähren, seien jedoch ausgeräumt: Der ersuchende Staat habe völkerrechtlich verbindlich zugesichert, dass der Beschwerdeführer nicht der Todesstrafe ausgesetzt sein werde. Ebenfalls verbindlich sei die Zusicherung von Haftbedingungen, die im Einklang mit den aus der [X.] abgeleiteten Mindestanforderungen stünden, sowie der Nichtanwendung geächteter Handlungen wie Folter. Diese Zusicherungen seien grundsätzlich geeignet, etwaige auf § 8, § 73 Satz 1 [X.] gestützte Bedenken gegen die Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen. Konkrete Anhaltspunkte für die Befürchtung, sie würden von [X.], anders als in der Vergangenheit, im vorliegenden Fall nicht eingehalten werden, gebe es nicht.

9

6. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 33 [X.] und verwies zur Begründung insbesondere auf die Bindungswirkung der Entscheidung der [X.] Behörden. Es stehe dem [X.] nicht zu, dem Beschwerdeführer den gewährten Schutzstatus abzuerkennen.

7. Mit angegriffenem Beschluss vom 31. Januar 2018 erklärte das [X.] die im Schriftsatz vom 10. Januar 2018 erhobenen Einwände des Beschwerdeführers gegen seine Auslieferung an die Republik [X.] für unbegründet. Es handele sich bei der Richtlinie 2011/95/[X.] nicht um unmittelbar geltendes Recht, sondern um ein Instrument zur Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten. Weder im [X.] [X.] noch in einem anderen [X.] Regelungswerk gebe es eine Norm, in der stehe oder aus der abgeleitet werden könne, die Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen [X.]-Mitgliedstaat stünde der Auslieferung der betroffenen Person durch die Bundesrepublik [X.] entgegen. Auch das [X.] sehe allein in der Gewährung subsidiären Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat kein Auslieferungshindernis ([X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 2. Februar 2016 - 2 BvR 2486/15 -).

II.

1. Mit seiner am 19. Januar 2018 fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die ihm am 19. Dezember 2017 bekannt gemachte Zulässigkeitsentscheidung des [X.]s und rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 3 Abs. 1 in seiner Ausgestaltung als Willkürverbot sowie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Zur Begründung führt er aus, ihm sei in [X.] wegen des Sachverhalts, dessentwegen er nun ausgeliefert werden solle, der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden. Dem [X.] habe zum Zeitpunkt des Erlasses der Zulässigkeitsentscheidung lediglich der Asylbescheid der [X.] Behörden, nicht aber die gesamte Asylakte, vorgelegen. Der Sachverhalt in dem Verfahren, das der Entscheidung der [X.] des Zweiten Senats vom 2. Februar 2016 in dem Verfahren 2 BvR 2486/15 zugrunde gelegen habe, sei mit dem vorliegenden nicht zu vergleichen, denn dort sei dem Beschwerdeführer wegen eines anderen Strafverfahrens als dem dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Verfahren subsidiärer Schutz gewährt worden, sodass die [X.] dort keine Tatverdachtsprüfung durchgeführt hätten.

Das Grundrecht auf Freiheit der Person sei verletzt, weil das [X.] keine Tatverdachtsprüfung durchgeführt habe, obwohl der Sachverhalt dazu Anlass gegeben habe. Im Asylverfahren in [X.] habe er ausführlich vorgetragen, warum das in [X.] gegen ihn angestrengte Verfahren konstruiert sei; er rege insoweit an, die [X.] beizuziehen.

2. Mit weiterem Schriftsatz vom 6. März 2018 macht der Beschwerdeführer auch den zwischenzeitlich ergangenen Beschluss des [X.]s Koblenz vom 31. Januar 2018 zum Gegenstand seiner Verfassungsbeschwerde. Er rügt weiterhin die unterbliebene Vorlage des Verfahrens an den [X.] sowie die fehlende Tatverdachtsprüfung, für die seiner Ansicht nach die Beiziehung der [X.] [X.] erforderlich gewesen wäre.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 [X.]G nicht vorliegt. Sie ist unzulässig, wäre aber - auf der Grundlage der der Kammer unvollständig vorliegenden Unterlagen - wohl auch unbegründet.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.]G nicht genügt.

Das [X.] soll durch die Begründung in die Lage versetzt werden, den angegriffenen Hoheitsakt ohne weitere eigene Nachforschungen einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen. Dies setzt bei einer gegen eine gerichtliche Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerde voraus, dass neben der angegriffenen Entscheidung sämtliche zu deren Verständnis notwendige Unterlagen vorgelegt oder zumindest ihrem Inhalt nach in einer Weise wiedergegeben werden, dass auf dieser Grundlage eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung möglich ist (vgl. [X.]E 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>). Der Vortrag des Beschwerdeführers wird diesen Anforderungen nicht gerecht. So hat der Beschwerdeführer es unterlassen, die durch die weißrussischen Behörden erteilten Zusicherungen und sonstigen Auslieferungsunterlagen sowie die durch das Gericht im Beschluss vom 11. Dezember 2017 in Bezug genommene Auskunft des [X.] vorzulegen oder inhaltlich wiederzugeben. Diese Unterlagen wären aber notwendig, um dem [X.] eine abschließende Prüfung der angegriffenen Zulässigkeitsentscheidung zu ermöglichen. Insoweit kann insbesondere nicht abschließend entschieden werden, ob auf der Grundlage der von den weißrussischen Behörden vorgelegten Unterlagen eine Tatverdachtsprüfung angezeigt gewesen wäre.

2. a) Die Ausführungen des [X.]s zu der Bindungswirkung des Anerkennungsbescheids der [X.] Asylbehörde für das Auslieferungsverfahren in [X.] begegnen allerdings Bedenken. Der Umstand, dass dem Beschwerdeführer in einem Mitgliedstaat der [X.] auf Grundlage auch für die Bundesrepublik [X.] verbindlicher unions- und völkerrechtlicher Vorgaben subsidiärer Schutz gewährt worden ist und nach seinem nicht überprüften Vortrag auch gegenwärtig noch gewährt wird, bindet [X.] Stellen zwar nicht unmittelbar. Es stellt jedoch ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass dem Beschwerdeführer eine Behandlung drohen könnte, die seine Auslieferung unzulässig machen würde (vgl. [X.]E 52, 391 <405 f.>, [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 2. Februar 2016 - 2 BvR 2486/15 -, juris, Rn. 21).

b) Dennoch ist die Bewertung des [X.]s, dass die Gründe, auf die der Beschwerdeführer sowohl in [X.] als auch - ausweislich des vorliegenden Anerkennungsbescheids - in [X.] seinen Asylantrag gestützt hat, namentlich die Gefahr der Verhängung der Todesstrafe sowie einer menschenrechtswidrigen Behandlung in [X.], mit den im Auslieferungsverfahren abgegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen entkräftet und im Ergebnis ausgeräumt worden sind, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das gilt auch mit Blick auf die in Art. 2 lit. f) in Verbindung mit Art. 15 der Richtlinie 2011/95/[X.] genannten Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes - die Gefahr eines ernsthaften Schadens in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder einer menschenrechtswidrigen Behandlung.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]G abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 108/18

21.03.2018

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Koblenz, 11. Dezember 2017, Az: 1 AR 65/17 A, Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 25 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 2 Buchst f EURL 95/2011, Art 15 EURL 95/2011, § 8 IRG, § 73 IRG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 21.03.2018, Az. 2 BvR 108/18 (REWIS RS 2018, 11902)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11902

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvR 828/19

2 BvR 1661/19

Zitiert

2 BvR 2486/15

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