Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.01.2016, Az. 2 BvR 1860/15

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 17630

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Auslieferung eines Deutschen nach Belgien aufgrund eines Europäischen Haftbefehls - Erfordernis einer Einzelfallabwägung bei teilweise im Inland begangener Straftat - hier: mutmaßliche Anstiftung im Inland zu im Ausland begangenem Mord


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 22. September 2015 - [X.] [X.]/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes, soweit er die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig erklärt; er wird insoweit aufgehoben. Das Verfahren wird an das [X.] zurückverwiesen.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft durch den Beschluss des [X.] vom 22. September 2015 - [X.] [X.]/15 - und den Bewilligungsbescheid der [X.] vom 25. September 2015 - 4 [X.]/15 - richtet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung eines [X.] Staatsangehörigen an das [X.] auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls zum Zwecke der Strafverfolgung wegen Anstiftung zum Mord.

2

Der Beschwerdeführer ist [X.] Staatsangehöriger. Mit [X.] Haftbefehl vom 8. Januar 2015 ersuchte das Gericht der Ersten Instanz [X.] ([X.]) um die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung wegen Mordes. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, einen gesondert Verfolgten oder sonstige unbekannte Täter dazu angestiftet zu haben, [X.] in [X.] zu ermorden.

3

Mit Beschluss vom 29. Juli 2015 ordnete das [X.] die Auslieferungshaft zum Zwecke der Auslieferung des Beschwerdeführers an. Aufgrund der Straferwartung bestehe die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer im Falle seiner Freilassung dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung durch Flucht entziehen werde.

4

Mit Schreiben vom 18. August 2015 teilte die Generalstaatsanwaltschaft [X.] dem Beschwerdeführer mit, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse gemäß § [X.] [X.] geltend zu machen. Da der Verfolgte [X.] sei, werde seine Auslieferung wegen der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Taten, die auf [X.] Hoheitsgebiet begangen worden seien und deshalb einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat aufwiesen (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]), von hier aus an die Bedingung geknüpft, dass er nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstigen freiheitsentziehenden Sanktion auf seinen Wunsch hin zur Vollstreckung in die [X.] zurücküberstellt werde (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Damit werde auch dem Grundrecht des Verfolgten aus Art. 16 Abs. 2 GG Rechnung getragen.

5

Mit Beschluss vom 22. September 2015 erklärte das [X.] die Auslieferung für zulässig und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an. Die Auslieferung sei zulässig. Insbesondere weise die Tat einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat auf (§ 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 [X.]). Auch wenn der Verfolgte seinen Tatbeitrag in [X.] geleistet haben sollte, sei die Tathandlung im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.], nämlich die Tötung von [X.], in [X.] begangen worden und der [X.] - der Tod - dort eingetreten. Die Auslieferungshaft des Beschwerdeführers dauere aus den weiterbestehenden Gründen des Beschlusses vom 29. Juli 2015 fort.

6

Mit Entscheidung vom 25. September 2015 bewilligte die Generalstaatsanwaltschaft [X.] die Auslieferung.

7

Mit Beschluss vom 7. Oktober 2015 setzte das [X.] die Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden des Königreichs [X.] einstweilen aus. Wenn die Tat nur teilweise in [X.] stattgefunden habe, der Erfolg aber im Ausland eingetreten sei, seien die [X.] Stellen nach Art. 16 Abs. 2 GG, § 80 [X.] verpflichtet, in eine konkrete Einzelfallabwägung der widerstreitenden Rechtspositionen einzutreten. Dafür, dass das [X.] oder die Generalstaatsanwaltschaft [X.] eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen vorgenommen hätten, sei nichts ersichtlich.

8

Mit Beschluss vom 22. Oktober 2015 stellte das [X.] die erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung zurück. Es beabsichtige mit Blick auf die einstweilige Anordnung des [X.]s eine erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach § 33 [X.]. Diese sei derzeit jedoch zurückzustellen. Die in dem Schreiben an den Verfolgten vom 18. August 2015 dokumentierte Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft [X.], keine Bewilligungshindernisse geltend zu machen, erweise sich als lücken- und damit ermessensfehlerhaft. Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] erhalte Gelegenheit zu einer Neufassung.

9

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 unterrichtete die Generalstaatsanwaltschaft [X.] den Beschwerdeführer mit Blick auf den Beschluss des [X.]s [X.] vom 22. Oktober 2015 gemäß § 79 Abs. 2 Satz 3 [X.] erneut, dass sie nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage weiterhin nicht beabsichtige, Bewilligungshindernisse im Sinne des § [X.] Abs. 1 [X.] geltend zu machen.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er macht geltend, die [X.] Strafverfolgungsbehörden hätten den Haftbefehl erlassen, ohne den dafür erforderlichen Tatverdacht mit bestimmten Tatsachen begründen zu können. Außerdem habe zu keiner Zeit ein Haftgrund bestanden.

Dem [X.] haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Das [X.] des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Generalstaatsanwaltschaft [X.] hatten Gelegenheit zur Äußerung.

1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung richtet, ist sie zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Der Verfassungsbeschwerde ist insoweit durch die Kammer stattzugeben, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das [X.] bereits entschieden sind (vgl. [X.] 113, 273 <301 ff.>) und die Verfassungsbeschwerde in diesem Umfang zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 i.V.m. § 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]). Der angegriffene Beschluss des [X.]s [X.] verletzt, soweit die Auslieferung für zulässig erklärt wurde, den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 16 Abs. 2 GG.

a) [X.] Staatsangehörige sind durch das Grundgesetz aus Art. 16 Abs. 2 GG vor Auslieferung geschützt. Zwar erlaubt der Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG eine Auslieferung [X.]. Dies gilt allerdings nur, "soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind". Auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG und unter Rückgriff auf die in Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates der [X.] über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ([X.] vom 18. Juli 2002) eröffneten Spielräume hat der Gesetzgeber § 80 Abs. 1 und 2 [X.] erlassen.

aa) Zwar sind die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den konkreten Fall grundsätzlich Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das [X.] entzogen (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>; stRspr). Die Fachgerichte haben jedoch die Bindung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der [X.] gewahrt bleibt (vgl. [X.] 7, 198 <205 ff.>; 115, 320 <367>; stRspr).

bb) Mit dem Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen unter anderem die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen [X.]n gewahrt werden. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche Voraussetzung der Freiheit, das heißt der Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seine Umsetzung. In dieser Hinsicht verlangt bereits das Rechtsstaatsprinzip, dass der Grundrechtsberechtigte sich darauf verlassen können muss, dass sein dem jeweils geltenden Recht entsprechendes Verhalten nicht nachträglich als rechtswidrig qualifiziert wird (vgl. [X.] 113, 273 <301 f.>).

Das Vertrauen des Verfolgten in die eigene Rechtsordnung ist von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung ganz oder teilweise auf [X.] Staatsgebiet, auf [X.] Schiffen und Luftfahrzeugen oder an Orten unter [X.] Hoheitsgewalt begangen wurde. Straftatvorwürfe mit einem insofern maßgeblichen Inlandsbezug sind bei tatverdächtigen [X.] Staatsangehörigen prinzipiell im Inland durch [X.] Strafermittlungsbehörden aufzuklären ([X.] 113, 273 <302>).

(1) Ein maßgeblicher Inlandsbezug liegt jedenfalls dann vor, wenn wesentliche Teile des Handlungs- und Erfolgsortes auf [X.] Staatsgebiet liegen. In dieser Konstellation treffen die Verantwortung des Staates für die Unversehrtheit seiner Rechtsordnung und die grundrechtlichen Ansprüche des Verfolgten dergestalt zusammen, dass regelmäßig ein Auslieferungshindernis entsteht. Wer als [X.] im eigenen Rechtsraum eine Tat begeht, muss grundsätzlich nicht mit einer Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen. Für den Verfolgten bedeutet die Überstellung in eine andere, auch in eine durch die [X.] Integration näher gerückte, mitgliedstaatliche Rechtsordnung nicht nur eine verfahrensrechtliche Schlechterstellung, die in [X.], kulturellen Unterschieden sowie andersartigem Prozessrecht und Verteidigungsmöglichkeiten liegen kann. Sie bindet ihn auch im Ergebnis an ein materielles Strafrecht, das er demokratisch mitzugestalten nicht in der Lage war, das er - anders als das [X.] Strafrecht - nicht kennen muss und das ihm in vielen Fällen wegen mangelnder Vertrautheit der jeweiligen nationalen öffentlichen Kontexte auch keine hinreichend sichere Parallelwertung in der [X.] erlaubt ([X.] 113, 273 <302 f.).

(2) Anders fällt die Beurteilung aus, wenn die vorgeworfene Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug hat. Wer in einer anderen Rechtsordnung handelt, muss damit rechnen, auch hier zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der [X.] begangen wurde und der Erfolg dort eingetreten ist ([X.] 113, 273 <303>).

(3) Während in den genannten Fallgestaltungen das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung in aller Regel vorgezeichnet ist, bedarf es der konkreten Abwägung im Einzelfall, wenn ganz oder teilweise in [X.] gehandelt worden, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen werden insbesondere das Gewicht des [X.] und die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines [X.] verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen sein ([X.] 113, 273 <303>).

(4) Soweit der Gesetzgeber die ihm durch Art. 4 Nr. 7 Buchstabe a RbEuHb eröffneten Spielräume nicht durch tatbestandliche Konkretisierung nutzt, hat er mit seinem gesetzlichen Prüfungsprogramm dafür Sorge zu tragen, dass die das Gesetz ausführenden Stellen in einem Auslieferungsfall in eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen eintreten ([X.] 113, 273 <303>). Das Grundgesetz fordert bei der Auslieferung von Personen, insbesondere von eigenen Staatsangehörigen, zusätzlich die konkrete Prüfung in jedem Einzelfall, ob die entsprechenden Rechte des Verfolgten gewahrt sind. Diese Prüfung ist gerade auch deshalb notwendig, weil die souveräne Strafgewalt anderer [X.] prinzipiell nicht an das Territorialitätsprinzip gebunden ist und nach klassischer völkerrechtlicher Vorstellung neben dem Erfordernis eines geringfügigen Bezuges der inkriminierten Handlung zum strafenden Staat dadurch begrenzt wird, dass es die freie Entscheidung aller anderen [X.] ist, ob sie Rechtshilfe in Strafsachen leisten. Insofern hat der Rahmenbeschluss lediglich das Muster einer gerichtlich nicht kontrollierbaren politischen Entscheidung hin zu einer juristischen Abwägung verschoben, bei der die Vereinfachungsziele des Rahmenbeschlusses angemessen zu würdigen sind ([X.] 113, 273 <304>).

b) Nach diesen Maßstäben ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet. Das [X.] hat bei der Anwendung von § 80 Abs. 1 [X.] die Bedeutung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 16 Abs. 2 GG verkannt.

(1) Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das [X.] den durch den besonderen Gesetzesvorbehalt des Art. 16 Abs. 2 GG erteilten Abwägungsauftrag gesehen hat. Es ist im angegriffenen Beschluss nicht in eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen eingetreten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das [X.] das nach Art. 16 Abs. 2 GG geschützte Vertrauen des Beschwerdeführers in die [X.] Rechtsordnung im Einzelfall gewichtet hätte.

(2) Das [X.] war nicht deshalb davon befreit, auf die widerstreitenden Rechtspositionen näher einzugehen, weil das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund des [X.] der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tat vorgezeichnet gewesen wäre. Das [X.] ging davon aus, die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tat weise einen maßgeblichen Bezug zum ersuchenden Mitgliedstaat im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] auf. Dabei stützte es sich darauf, dass - auch wenn der Beschwerdeführer seinen Tatbeitrag in [X.] geleistet haben sollte - die Tathandlung im Sinne des § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.], nämlich die Tötung von [X.], in [X.] begangen worden und der [X.] - der Tod - dort eingetreten sei. Gleichwohl bleibt der Auslandsbezug der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tat beschränkt. Die [X.] Behörden werfen dem Beschwerdeführer nicht vor, dass die mit Blick auf die Strafbarkeit des Beschwerdeführers maßgebliche Anstiftungshandlung auf [X.] Territorium stattfand. Ein wesentlicher Teil des Handlungsortes (vgl. § 9 Abs. 2 StGB) liegt daher womöglich auf [X.] Staatsgebiet. Wenn die Tat aber auch nur teilweise in [X.] stattgefunden hat, sind die [X.] Stellen nach Art. 16 Abs. 2 GG, § 80 [X.] verpflichtet, in eine konkrete Einzelfallabwägung der widerstreitenden Rechtspositionen einzutreten.

(3) Hieraus folgt allerdings nicht, dass eine Auslieferung des Beschwerdeführers an das [X.] stets unzulässig wäre. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass eine Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen - das Vertrauen des Beschwerdeführers in die eigene Rechtsordnung aufgrund des Inlandsbezugs der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftat und etwaige familiäre und [X.] Belange einerseits, das erhebliche Gewicht des [X.] "Mord", die praktischen Möglichkeiten der effektiven Strafverfolgung (wie z.B. die Verfügbarkeit der maßgeblichen Beweismittel) und die mit der Schaffung eines [X.] verbundenen Ziele, insbesondere das mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verfolgte Ziel der Vereinfachung der Auslieferungsverfahren (vgl. Erwägungsgrund 5 Präambel RbEuHb) andererseits - zu dem Ergebnis führt, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers verhältnismäßig ist.

2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft richtet, kommt ihr weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 [X.]); insoweit wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93b Satz 1 [X.]). Die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft verstößt angesichts der Schwere des [X.] und der bisherigen Dauer des [X.] derzeit nicht gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Der Art. 16 Abs. 2 GG verletzende [X.] bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung führt nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit der Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft. Der Zweck der Auslieferungshaft, die Sicherung des [X.] und die Ermöglichung der Durchführung der Auslieferung, erfordert es, die Auslieferungshaft grundsätzlich bereits dann anordnen und fortdauern lassen zu können, wenn festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen für eine Auslieferung gegeben sein können, auch wenn dies noch nicht abschließend geklärt ist und die abschließende Klärung erst im weiteren Auslieferungsverfahren erfolgen kann und soll. Dies ergibt sich einfachrechtlich aus § 15 Abs. 2 [X.], der verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. [X.] 61, 28 <32 f.>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 9. April 2015 - 2 BvR 221/15 -, NVwZ 2015, S. 1204 <1205 f. Rn. 19>).

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft [X.] vom 25. September 2015 richtet, kommt ihr ebenfalls weder grundsätzliche Bedeutung zu noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 [X.]); auch insoweit wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93b Satz 1 [X.]). Die Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft [X.] vom 25. September 2015 ist im Hinblick auf die Neufassung der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft [X.] vom 29. Oktober 2015, keine Bewilligungshindernisse nach § [X.] [X.] geltend zu machen (§ 79 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.]), prozessual überholt.

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 [X.]).

5. Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten (§ 34a Abs. 2 und 3 [X.]). Das Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers war nur zum Teil erfolgreich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 1860/15

15.01.2016

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Düsseldorf, 22. September 2015, Az: III- 3 AR 153/15, Beschluss

Art 16 Abs 2 S 2 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, Art 4 Nr 7 Buchst a EGRaBes 584/2002, § 15 Abs 2 IRG, § 33 IRG, § 80 Abs 1 S 1 Nr 2 IRG, § 83b Abs 1 IRG, § 9 Abs 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.01.2016, Az. 2 BvR 1860/15 (REWIS RS 2016, 17630)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1714 REWIS RS 2016, 17630

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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