Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.01.2019, Az. B 7 AY 2/17 R

7. Senat | REWIS RS 2019, 11454

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Gegenstand

(Asylbewerberleistung - Kostenfestsetzung nach Widerspruchsverfahren - Anwendbarkeit des § 64 Abs 1 S 1 SGB 10)


Tenor

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zur Hälfte zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit war die Berechtigung des [X.]n, für eine Entscheidung über einen Widerspruch Kosten nach dem [X.] Verwaltungskostengesetz (NVwKostG) zu erheben, die gesondert festgesetzt werden sollten (Widerspruchsbescheid vom [X.]).

2

Das Sozialgericht ([X.]) [X.] hat die allein angefochtene Kostenentscheidung aufgehoben, weil das Verfahren nach dem [X.] ([X.]) in analoger Anwendung des § 64 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ([X.]) kostenfrei sei (Urteil vom [X.]). Das [X.] ([X.]) [X.] hat die Berufung des [X.]n verworfen; ihr fehle mangels materieller Beschwer das Rechtsschutzinteresse, weil ein etwaiger [X.] nach § 8 NVwKostG wegen Verjährung erloschen sei (Urteil vom [X.]). Dagegen wandte sich der [X.] mit seiner Revision. Der Kläger hat im Revisionsverfahren seine Klage auf die Feststellung beschränkt, dass der Widerspruchsbescheid vom [X.] rechtswidrig war, hilfsweise sich erledigt hat. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der allein erschienene [X.] das Verfahren für erledigt erklärt und eine Kostenentscheidung beantragt.

3

II. Der [X.] hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zur Hälfte zu erstatten. Die einseitige Erledigungserklärung des [X.]n ist als Rücknahme der Revision (§ 165 Satz 1 iVm § 156 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgerichtsgesetz <[X.]>; zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 156 Abs 1 [X.] vgl zB [X.], [X.] 2015, 549) anzusehen, da sie in einem wie hier nach § 183 [X.] kostenfreien Verfahren keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung hat (zur Klagerücknahme vgl [X.] Beschluss vom 29.12.2005 - [X.] [X.] 192/05 B - juris RdNr 6 f mwN). Der Einwilligung des [X.] bedurfte es hierfür nicht (§ 156 Abs 1 Satz 2 [X.]).

4

Auf Antrag des [X.]n ist durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (§ 165 Satz 1 iVm § 156 Abs 3 Satz 2, § 193 Abs 1 Satz 3 iVm Satz 1 [X.]), wobei die Aufwendungen des [X.]n nicht erstattungsfähig sind (§ 193 Abs 4 [X.]). Die Entscheidung erfolgt nach sachgemäßem bzw billigem Ermessen, bei der grundsätzlich der nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits zu beurteilende Verfahrenserfolg im Vordergrund steht, bei ungewissem Ausgang die hälftige Kostenerstattung in Betracht kommt, aber auch die Gründe für die Einlegung des Rechtsmittels und die Erledigung des Rechtsstreits berücksichtigt werden können (vgl zB B[X.] Beschluss vom 13.12.2016 - [X.] [X.]/15 R - juris RdNr 7 mwN und [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 193 RdNr 13 mwN; zur übereinstimmenden Erledigungserklärung in der Hauptsache, die anders als hier die Kosten aller Rechtszüge erfasst, vgl nur B[X.] Beschlüsse vom [X.] - [X.] [X.] 44/17 B und [X.] [X.] 45/17 B - jeweils juris Rd[X.] f mwN). Danach entspricht es billigem Ermessen, dem [X.]n die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des [X.] für das Revisionsverfahren aufzuerlegen, da zwar Anlass für die Einlegung der Revision bestand, indes deren Erfolg in der Sache mangels hinreichender Feststellungen zum Landesrecht ungewiss war.

5

Die Berufung des [X.]n war zulässig. Sie scheiterte nicht an der fehlenden Beschwer. Der [X.] war durch das [X.] schon dadurch beschwert, dass er erstinstanzlich mit seinem Begehren auf Klageabweisung unterlegen gewesen ist (sog formelle Beschwer, vgl zB [X.] 36, 62, 63 = [X.] zu § 562 Reichsversicherungsordnung ; [X.] 69, 25, 29 = [X.]-4100 § 116 [X.]; [X.]-2700 § 136 [X.] RdNr 13; [X.] 111, 234 = [X.]-1500 § 54 [X.], RdNr 10). Da das [X.] den Widerspruchsbescheid vom [X.] aufgehoben hat, war er - ohne dass es hierauf ankäme (auf die materielle Beschwer kommt es bei Beteiligten an, die nicht durch einen Antrag auf die Entscheidung Einfluss nehmen können oder müssen, vgl [X.]-1500 § 96 [X.] RdNr 14; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, Vor § 143 RdNr 7 mwN) - auch materiell beschwert, weil damit die Festsetzung von Kosten ausscheidet. Die materielle Beschwer des [X.]n ist im Berufungsverfahren auch nicht etwa entfallen; die Frage, ob der [X.] durch Verjährung erloschen ist, ist eine Frage der Begründetheit des Rechtsmittels, nicht seiner Zulässigkeit, zumal sich der [X.] im Berufungsverfahren gegen das vom [X.] angenommene Erlöschen des [X.]s gewandt hat.

6

Als Rechtsgrundlage für die Kostenerhebung kommt nur § 1 Abs 1 Satz 1 [X.], § 3 Abs 1 Satz 1 und [X.] NVwKostG (idF vom [X.], [X.] [X.]) iVm Tarifnummer 110.6.1.2 der [X.] Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen ([X.] idF vom [X.], [X.]) in Betracht, ohne dass der Senat - wie das [X.] - die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs zu prüfen hatte (§ 202 Satz 1 [X.] iVm § 17a Abs 5 Gerichtsverfassungsgesetz ). Eine Kostenerhebung scheidet nicht etwa deshalb aus, weil das Verfahren in unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 64 Abs 1 Satz 1 oder Abs 2 Satz 1 [X.] kostenfrei wäre.

7

§ 64 Abs 1 Satz 1 [X.] ist nicht unmittelbar anwendbar, weil die Vorschriften des 1. Kapitels des [X.] (§§ 1 bis 66) nur für die "öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach diesem Gesetzbuch" ausgeübt wird, gelten (§ 1 Abs 1 Satz 1 [X.]). Das [X.] ist kein Teil des Sozialgesetzbuchs und gilt auch nicht über die Regelung des § [X.] - ([X.]B I) als dessen besonderer Teil. Es fehlt auch an einem besonderen [X.]. § 9 Abs 3 [X.] (in der bis zum 28.2.2015 geltenden Fassung, seit dem [X.] Abs 4) sieht nur die entsprechende Anwendung von §§ 44 bis 50 sowie §§ 102 bis 114 [X.] und (ab [X.]) des § 99 [X.] vor (zur Anwendung der [X.] der Länder bei fehlendem besonderen [X.] vgl B[X.] Urteil vom [X.] [X.] R - juris RdNr 12).

8

Eine entsprechende Anwendung von § 64 [X.] scheidet mangels (unbewusster) planwidriger Regelungslücke aus. Der Gesetzgeber hat mit dem [X.] bewusst ein eigenständiges Leistungssystem außerhalb des Sozialgesetzbuchs mit nur punktuell angeordneter entsprechender Anwendbarkeit des [X.] geschaffen und an diesem Konzept auch bei späteren Gesetzesänderungen stets festgehalten (zur vergleichbaren Problematik der analogen Anwendung des § 44 [X.]B I vgl die Senatsentscheidung vom 25.10.2018 - [X.] [X.]/18 R - vorgesehen für [X.]).

9

Ob der wirtschaftlichen Situation eines Empfängers von Leistungen nach dem [X.] bereits bei der [X.] bzw -lastentscheidung, der Festsetzung der Gebühren oder erst in einem gesonderten Verfahren dadurch Rechnung getragen werden kann oder (bei einer Ermessensreduzierung auf Null) muss, dass die Kosten gestundet, ermäßigt oder ganz erlassen werden (sog [X.], vgl § 11 Abs 2 NVwKostG) ist eine Frage des - vom [X.] insoweit nicht im Einzelnen festgestellten - Landesrechts (zur Unterscheidung zwischen der Kostenlast- und -festsetzungsentscheidung vgl zB Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss vom 26.3.2007 - 2 LA 13/07 - NVwZ-RR 2007, 507; zur gesonderten Durchsetzung von [X.] vgl zB OVG Lüneburg Urteil vom [X.] - NJW 2012, 1898 mwN), von dessen Auslegung der Senat (zur entsprechenden Befugnis vgl zB B[X.] Urteil vom [X.] - [X.] [X.] 20/16 R - vorgesehen für [X.] und [X.]-3500 § 23 [X.], RdNr 13 mwN) absieht, weil dies im Rahmen einer (Ermessens-)Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens untunlich ist. Sollte nach Landesrecht eine (konkrete) Kostenerhebung nicht ausgeschlossen sein, hätte es weiterhin einer Entscheidung bedurft, ob derartige Kosten einen leistungsrechtlich relevanten Bedarf bilden können (§ 6 Abs 1 [X.], zur Übernahme von Kosten für ein erfolgloses Widerspruchsverfahren vgl zB [X.] in [X.], GK-[X.], § 6 Rd[X.]60, Stand Dezember 2014) und dies mit der Kostenerhebung vereinbar wäre.

Die Begründetheit der vom Kläger im Revisionsverfahren vorrangig nur noch beantragten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kostenerhebung (§ 131 Abs 1 Satz 3 [X.], zur Zulässigkeit der Umstellung des Klageantrags in der Revisionsinstanz, auch als Revisionsbeklagter, vgl zB [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 131 RdNr 8a mwN) hängt von der Beantwortung der vorstehenden, vom Senat nicht zu beantwortenden Fragen ab, nachdem in der durch das [X.] vorgenommenen Auslegung des Landesrechts der [X.] durch Verjährung erloschen ist (§ 8 Abs 1 Satz 1 NVwKostG, der nicht zwischen einer Festsetzungs- und Zahlungsverjährung wie in anderen [X.] unterscheidet, vgl zB Schirmer, [X.] 2014, 47, 55). An diese Auslegung, die der [X.] nicht mit durchgreifenden [X.] angegriffen hat, war der Senat gebunden (§ 162 [X.]). Das Erlöschen des [X.]s hat die Erledigung der Kostengrundentscheidung auf andere Weise (§ 1 Abs 1 [X.] Verwaltungsverfahrensgesetz iVm § 43 Abs 2 Verwaltungsverfahrensgesetz des [X.] ) zur Folge, weil der [X.] hieraus keinerlei Rechte mehr herleiten kann.

Meta

B 7 AY 2/17 R

16.01.2019

Bundessozialgericht 7. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AY

vorgehend SG Hildesheim, 12. April 2013, Az: S 12 AY 184/10, Urteil

§ 64 Abs 1 S 1 SGB 10, § 68 SGB 1, § 9 Abs 4 AsylbLG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.01.2019, Az. B 7 AY 2/17 R (REWIS RS 2019, 11454)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 11454

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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