Bundessozialgericht, Urteil vom 24.06.2021, Az. B 7 AY 5/20 R

7. Senat | REWIS RS 2021, 4649

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Gegenstand

(Asylbewerberleistungen - Analogleistungen - Hilfe in sonstigen Lebenslagen - Reisekosten für die Wahrnehmung eines Anhörungstermins im Asylverfahren - atypischer Bedarf - analoge Anwendung - Hilfe zum Lebensunterhalt - abweichende Festlegung des individuellen Bedarfs - einmaliger Bedarf - sonstige Leistung nach § 6 AsylbLG - Anwendbarkeit auf Analogleistungsberechtigte)


Leitsatz

Reisekosten, die analogleistungsberechtigten Ausländern anlässlich der Wahrnehmung eines Behördentermins im Asylverfahren entstehen, lösen keinen Anspruch auf Hilfe in sonstigen Lebenslagen aus.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2020 aufgehoben. Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 13. Juli 2017 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Übernahme von Fahrt- und Übernachtungskosten für die Wahrnehmung eines [X.] im Asylverfahren in [X.]öhe von 191,25 Euro.

2

Die Kläger sind [X.] Staatsangehörige, verheiratet und die Eltern eines 2013 geborenen [X.]. Sie reisten 2014 jeweils mit einem [X.]esuchsvisum nach [X.] ein, hielten sich zunächst bei der Mutter des [X.] im Kreisgebiet des [X.]eklagten auf und suchten im Oktober 2014 um Asyl nach. Die Antragstellung beim [X.] ([X.]) erfolgte wegen übermäßiger Arbeitsbelastung des [X.] erst Anfang Juni 2015, als die Kläger einer Gemeinschaftsunterkunft in [X.] zugewiesen waren und dort ihren Aufenthalt hatten. Im Juli 2015 wurden die Kläger, die während des Asylverfahrens über Aufenthaltsgestattungen verfügten, auf eigenes [X.]etreiben nach [X.] umverteilt ([X.]escheid der Landesaufnahmebehörde [X.] - Standort [X.]raunschweig - vom [X.]). Ihre Asylanträge wurden vom [X.] abgelehnt ([X.]escheide vom 22.5.2017).

3

Vom [X.]eklagten erhielten sie zunächst Grundleistungen nach dem [X.] ([X.]), seit November 2015 sog [X.] nach § 2 [X.], (ua bewilligt für Juli 2016 durch die insoweit herangezogene Stadt [X.] mit [X.]escheid vom [X.]). Ende Juni 2016 legten die Kläger beim Sozialamt der Stadt [X.] die Ladung des [X.] vom [X.] zur Anhörung am 5.7.2016, 8.00 Uhr, in [X.] vor und erkundigten sich wegen der Übernahme von Fahrt- und [X.]otelkosten. Nachdem sie Ende Juni 2016 erfolglos die Verlegung der Anhörung zu der Außenstelle des [X.] in [X.]raunschweig beantragt hatten, fuhren sie mit ihrem [X.] und der Mutter des [X.] in deren Pkw am Vorabend der Anhörung nach [X.] und übernachteten dort in einem [X.]otel. Die Kosten für die Fahrt und das Familienzimmer wurden - nach dem Vortrag der Kläger darlehensweise - von der Mutter des [X.] getragen. Der Antrag der Kläger auf Kostenübernahme der [X.]otelkosten in [X.]öhe von 84 Euro und der [X.]enzinkosten in [X.]öhe von (geschätzt) 107,25 Euro wurde abgelehnt ([X.]escheid der Stadt [X.] vom 15.7.2016; Widerspruchsbescheid des [X.]eklagten vom 19.12.2016). Das Sozialgericht ([X.]) [X.]ildesheim hat die hiergegen erhobenen Klagen abgewiesen (Urteil vom 13.7.2017). Auf die [X.]erufungen der Kläger hat das [X.] ([X.]) [X.]-[X.]remen das Urteil des [X.] und die angefochtenen [X.]escheide aufgehoben und den [X.]eklagten verurteilt, den Klägern 191,25 Euro zu zahlen (Urteil vom 22.10.2020). Zur [X.]egründung hat das [X.] ausgeführt, der Anspruch auf Übernahme der für die Wahrnehmung des [X.] im Asylverfahren geltend gemachten Kosten ergebe sich aus § 2 Abs 1 [X.] iVm § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes [X.]uch - Sozialhilfe - ([X.][X.] XII); es handle sich um einen atypischen [X.]edarf; die Geldleistungen nach § 73 Abs 1 Satz 2 [X.][X.] XII seien als [X.]eihilfe zu erbringen (Ermessensreduzierung auf Null).

4

Mit seiner Revision rügt der [X.]eklagte eine Verletzung von § 73 [X.][X.] XII. Weder der vorliegende Mobilitätsbedarf noch die Übernachtungskosten der Kläger unterfielen dieser Norm. Eine abweichende Festlegung des Regelsatzes zugunsten der Kläger nach § 2 Abs 1 [X.] iVm § 27a Abs 4 Satz 1 [X.][X.] XII komme wegen des nur einmaligen [X.]edarfs nicht in [X.]etracht. [X.] seien im Regelsatz berücksichtigt. Die bewusste [X.]erausnahme von Übernachtungskosten aus der Regelsatzberechnung schließe auch bei § 73 [X.][X.] XII die Anerkennung einer besonderen Lebenslage aus. Auch eine Anwendung des § 6 [X.] komme nicht in [X.]etracht. Soweit das [X.] eine Ermessensreduzierung auf Null angenommen habe, sei eher an die Notwendigkeit einer Kostenregelung durch das [X.] zu denken, als den Sozialhilfeträger in die Pflicht zu nehmen.

5

Der [X.]eklagte beantragt,
das Urteil des [X.]s [X.]-[X.]remen vom 22. Oktober 2020 aufzuheben und die [X.]erufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.]ildesheim vom 13. Juli 2017 zurückzuweisen.

6

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie halten das Urteil des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme der für die Wahrnehmung des [X.] im Asylverfahren geltend gemachten Kosten, weder nach § 2 Abs 1 [X.] iVm § 73 [X.] noch nach § 6 Abs 1 Satz 1 [X.] noch nach § 2 Abs 1 [X.] iVm § 27a Abs 4 Satz 1 Alt 2 [X.] (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung ).

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der [X.] vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Beklagten vom 19.12.2016 (§ 95 [X.]), mit dem der Antrag der Kläger auf Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung des [X.] im Asylverfahren am 5.7.2016 in [X.] abgelehnt worden ist. [X.]iergegen wenden sich die Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.], § 56 [X.]), soweit sie den Anspruch auf § 2 Abs 1 [X.] iVm § 73 [X.] stützen; denn sie gehen wegen einer Ermessensreduzierung auf Null von einem gebundenen Anspruch aus. Soweit die Kostenerstattung als (einmalige) Erhöhung des Regelsatzes (vgl § 2 Abs 1 [X.] iVm § 27a Abs 4 Satz 1 [X.] aF) geltend gemacht wird, ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage statthafte Klageart; der Bescheid vom [X.], mit dem die Leistungen für Juli 2016 bewilligt wurden und der in diesem Fall vom Beklagten auf Grundlage von § 48 Zehntes [X.] - ([X.]) zu ändern wäre, ist insoweit in das laufende Widerspruchsverfahren einzubeziehen (§ 86 [X.]; zum Ganzen bereits [X.] <[X.]> vom 20.4.2016 - B 8 [X.] 5/15 R - [X.], 139 = [X.]-3500 § 18 [X.], Rd[X.] 9). Nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist nach entsprechender Klarstellung im Revisionsverfahren eine darlehensweise Leistungsgewährung (vgl § 2 Abs 1 [X.] iVm § 37 Abs 1 [X.]), weil das Begehren der Kläger (§ 123 [X.]) sich ausschließlich auf eine zuschussweise Übernahme der Kosten richtet.

Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] zum Landesrecht (§ 163 [X.]) ist der Beklagte seit der Umverteilung der Kläger nach [X.] 2015 für die Durchführung des [X.] sachlich und örtlich zuständig (§ 2 Abs 1 Satz 1 des [X.] und zur Durchführung des [X.] vom 11.3.2004, [X.]; geändert mWv 1.1.2007 durch Gesetz vom 13.12.2007, [X.]; § 10a Abs 1 Satz 1, § 10 Satz 1 [X.]) und hat die [X.] zur Durchführung der Aufgaben nach dem [X.] im Namen des Beklagten herangezogen (§ 2 Abs 3 Satz 1 Nds AufnG); über Widersprüche entscheidet der Beklagte (§ 1 Abs 1 und 2, § 2 Abs 1 Satz 1 der [X.]eranziehungsvereinbarung vom 16.2.2016).

In der Sache besteht ein Anspruch aus § 2 Abs 1 [X.] (hier in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10.12.2014 ) iVm § 73 [X.] (in der ab 1.1.2005 unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.] ) entgegen der Auffassung des [X.] nicht. Die Kläger sind zwar [X.], die Voraussetzungen einer "[X.]ilfe in sonstigen Lebenslagen" nach § 73 [X.] liegen aber nicht vor.

Nach § 2 Abs 1 [X.] ist abweichend von den §§ 3 bis 7 [X.] das [X.] auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im [X.] aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Kläger waren im Juli 2016 als Inhaber von [X.] (§ 55 Abs 1 Asylgesetz <[X.]>; hier in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/[X.] vom [X.] ) gemäß § 1 Abs 1 [X.] [X.] dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem [X.] und haben seit November 2015 die zum damaligen Zeitpunkt geltende, an die Dauer eines Asylverfahrens typisierend angelehnte Wartefrist von 15 Monaten erfüllt. Die Dauer ihres Aufenthalts in [X.] haben sie weder durch die bloße direkte - ohne Umweg über einen sicheren Drittstaat - Einreise in das [X.] noch durch das Betreiben des im Juli 2016 noch nicht abgeschlossenen Asylverfahrens (vgl dazu [X.] vom [X.] AY 13/07 R - juris Rd[X.]4) rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst (vgl zum Rechtsmissbrauch im Einzelnen [X.] vom [X.]/9b [X.] - [X.], 49 = [X.]-3520 § 2 [X.], Rd[X.]2 ff und [X.] vom [X.] - B 7 AY 4/20 R - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen). Ein solches Verhalten lag nach den Feststellungen des [X.], das keine Anhaltspunkte für ein vorwerfbar verspätetes Asylgesuch oder fehlerhafte Angaben zur Identität erkennen konnte, nicht vor.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist nach § 2 Abs 1 [X.] abweichend von den §§ 3 bis 7 das [X.] auf die Kläger entsprechend anzuwenden; diese entsprechende Anwendung erfasst auch die Vorschriften des [X.] über die "[X.]ilfe in anderen Lebenslagen" (vgl zur Blindenhilfe nach § 72 [X.] [X.] vom [X.] - B 7 [X.] - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Die Voraussetzungen des § 73 [X.] liegen jedoch nicht vor. Nach Satz 1 dieser Norm können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Eine sonstige Lebenslage iS des § 73 Satz 1 [X.] zeichnet sich dadurch aus, dass sie von keinem anderen Leistungsbereich des [X.] erfasst ist und damit eine atypische Bedarfslage darstellt (vgl [X.] vom [X.] [X.] 8/17 R - [X.]-4200 § 24 [X.] Rd[X.]4 und [X.] vom [X.] [X.] 14/17 R - F[X.] 71, 221 = juris Rd[X.]1, jeweils mwN).

Leistungen nach § 73 [X.], die zu den "[X.]ilfen in anderen Lebenslagen" nach dem [X.] des [X.] gehören, erfordern eine besondere, atypische Situation, die vorliegend mit der Wahrnehmung eines Termins bei einer Behörde und den dabei entstandenen Kosten nicht verbunden ist. Die am 5.7.2016 anlässlich der Wahrnehmung des [X.] in [X.] entstandenen Fahrt- und Übernachtungskosten stellen keinen atypischen Bedarf iS des § 73 [X.] dar (vgl zu [X.]n beim Umgangsrecht als "Mehrbedarf zum Regelbedarf" etwa [X.] vom 11.2.2015 - B 4 AS 27/14 R - [X.] 118, 82 = [X.]-4200 § 21 [X.]1, Rd[X.]7 f; [X.] vom 28.11.2018 - [X.] [X.]/17 R - [X.] 127, 78 = [X.]-4200 § 21 [X.]0, Rd[X.]0 f). Sowohl "sonstige Verwaltungsgebühren" als auch [X.] bzw Verkehrsdienstleistungen und auch Gaststätten- und Beherbergungsdienstleitungen sind als typischerweise anfallende Bedarfe bei der Bemessung des Regelbedarfs (§ 27a Abs 2 Satz 1 iVm § 28 [X.], in der Fassung vom [X.], [X.]) beachtet und entweder als regelbedarfsrelevant anerkannt oder in der Weise berücksichtigt worden, dass sie nicht zu einer Erhöhung der Leistungen geführt haben. Es sind dies keine "unbenannten" Bedarfe; für § 73 Satz 1 [X.] ist damit kein Raum.

Die dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 [X.] ([X.] vom [X.], [X.] 2011 <[X.]>) zugrundeliegende Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ([X.]) 2008 erfasste in Abteilung 12 unter der Rubrik S "Sonstige Waren und Dienstleistungen" in der Rubrik [X.] ua auch Bedarfe, die im Zusammenhang mit verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorgängen entstehen, "sonstige Verwaltungsgebühren", die bei der Ermittlung des Regelbedarfs unter dem Code 1270 900 "Sonstige Dienstleistungen, nicht genannte" berücksichtigt wurden (BT-Drucks 17/3404 [X.] f, vgl [X.], Fachserie 15, [X.]eft 7, 2013, [X.], 52). Die [X.] 2008 erfasste in Abteilung 7 die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Referenzhaushalte für "fremde Verkehrsdienstleistungen (ohne im Luftverkehr/ohne auf Reisen)" (vgl BT-Drucks 17/3404, [X.]) ua Personenbeförderung im Öffentlichen Personennahverkehr und Schienenverkehr (Eisenbahn, [X.], [X.], Straßenbahn) und hat diese in ungekürzter [X.]öhe als regelbedarfsrelevante Verbrauchsausgaben für Erwachsene anerkannt (vgl [X.] vom [X.] [X.] 14/17 R - F[X.] 71, 221 = juris Rd[X.]4 mwN). Die Verbrauchsausgaben für einen (eigenen) Pkw wurden nicht als existenzsichernd angesehen (vgl BT-Drucks 17/3404 [X.]), ebenso nicht auswärtige Übernachtungskosten, weil diese Ausgaben regelmäßig nicht der Existenzsicherung dienten (vgl Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen in Abteilung 11 der [X.] 2008, BT-Drucks 17/3404 [X.] f); von den Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen wurden bewusst nur 28,5 Prozent der durchschnittlichen Ausgaben als regelbedarfsrelevant eingestuft (Speisen und Getränke in Restaurants, Cafés und an Imbissständen sowie in Kantinen und Mensen). Damit sind die bei den Klägern angefallenen Bedarfe dem Grunde nach bei der Regelsatzbemessung beachtet und berücksichtigt worden.

Mangels Regelungslücke scheidet eine "analoge" Anwendung von § 73 Satz 1 [X.] bei einmaligen oder laufenden Bedarfslagen, die vom [X.] oder [X.] des [X.] erfasst sind, aus. Die vom [X.] zur Begründung seiner Entscheidung in Bezug genommene frühere Rechtsprechung des [X.] zu Fahrtkosten in Ausübung des Umgangsrechts (vgl [X.] vom 7.11.2006 - B 7b [X.] - [X.] 97, 242 = [X.]-4200 § 20 [X.], Rd[X.]1 ff), die insoweit für Leistungsberechtigte nach dem [X.] ([X.]) noch auf § 73 [X.] rekurriert hatte, ist in der Folge der Entscheidung des [X.] ([X.]) vom [X.] (1 BvL 1/09 ua - [X.]E 125, 175 = [X.]-4200 § 20 [X.]2) und der Einführung von Mehrbedarfen für einen atypischen laufenden Mehrbedarf (vgl § 21 Abs 6 [X.]) nicht fortgeführt worden (vgl zuletzt [X.] vom [X.] [X.] 8/17 R - [X.]-4200 § 24 [X.] Rd[X.]5). Für Bedarfe, die der Sache nach vom Regelbedarf umfasst sind, kommt auch für Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 [X.] neben den Fällen der abweichenden Bemessung nach § 27a Abs 4 [X.] (dazu später) nur die darlehensweise Gewährung von Leistungen in Betracht (§ 37 Abs 1 [X.]).

Soweit das [X.] darauf hinweist, dass die formale Anhörung des Ausländers nach § 25 [X.] ein Kernstück des Asylverfahrens ist und auf unionsrechtlichen Verfahrensgarantien beruht, ist das zwar zutreffend, führt aber nicht zu einer anderen Beurteilung der Bedarfslage. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass die Wahrnehmung dieses Termins nicht an nicht vorhandenen Mitteln scheitert. Dies wird jedoch mit einer darlehensweisen Leistungsgewährung auf Grundlage nach § 37 Abs 1 [X.] erreicht. Danach sollen auf Antrag notwendige Leistungen als Darlehen erbracht werden, wenn im Einzelfall ein von den [X.] umfasster und nach den Umständen unabweisbar gebotener Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden kann. Um einen solchen Bedarf handelt es sich der Sache nach, ohne dass eine abschließende Entscheidung zu den hier vorliegenden Umständen des Einzelfalls erforderlich wäre. Die Kläger haben eine darlehensweise Gewährung (zumindest im Revisionsverfahren) ausdrücklich nicht beantragt.

Dass der Gesetzgeber in § 6 Abs 1 Satz 1 Alt 4 [X.], der aber auf die Kläger keine Anwendung findet (dazu sogleich), typisierend für diejenigen Personen, die sich im Asylverfahren befinden und die Wartefrist des § 2 Abs 1 [X.] noch nicht erfüllt haben, einen Anspruch auf bestimmte sonstige Leistungen vorsieht, die zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind, führt nicht zur normativ begründeten Annahme eines in gleicher Weise bestehenden atypischen Bedarfs für [X.], die die Wartefrist erfüllt haben und leistungsberechtigt nach § 2 Abs 1 [X.] iVm § 73 [X.] sind. Eine solche normative Erstreckung eines anerkannten atypischen Bedarfs für Personen, die sich erst kurze Zeit im [X.] aufhalten, auf Personen mit verfestigtem Aufenthalt ist weder geboten noch sachgerecht. Die reduzierten Grundleistungen nach § 3 [X.] sind bei Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 [X.] [X.] (nur) für die Dauer des Asylverfahrens gedacht; die Öffnungsklausel des § 6 [X.] hat [X.]. [X.]ingegen sind [X.] nach Erfüllung der Wartefrist nach § 2 Abs 1 [X.] zwar weiterhin dem [X.] zugeordnet, erhalten aber höhere Leistungen und profitieren auch und gerade von der Regelbedarfsermittlung nach dem [X.] und damit auch von der Anerkennung von bei verfestigtem Aufenthalt typischerweise bestehenden Bedarfen. Soweit das [X.] darauf hinweist, dass die Anerkennung eines existentiellen Bedarfs im Bereich der Grundleistungen im Grundsatz auch für dessen rechtliche Relevanz im Rahmen der [X.] sprechen kann, ist dem in dieser Allgemeinheit zwar nicht zu widersprechen. Was sich bei einem beginnenden oder kurzfristigen Aufenthalt während der Dauer eines Asylverfahrens noch als atypische Bedarfslage zusätzlich zu den (reduzierten) Grundleistungen erweist, stellt sich aber (wie oben ausgeführt) wegen der Kosten für Mitwirkungspflichten bei einem längeren verfestigten Aufenthalt unter dem Regime des § 2 Abs 1 [X.] mit der einhergehenden Berücksichtigung solcher Kosten bei der Regelbedarfsermittlung nach dem [X.] als benannte und damit nicht mehr atypische Bedarfslage dar.

Da die Kläger [X.] nach § 2 Abs 1 [X.] beanspruchen können, scheidet die (unmittelbare oder entsprechende) Anwendung des § 6 Abs 1 [X.] als Anspruchsgrundlage aus. Nach dem Wortlaut der Norm und der Bedeutung der Grundleistungen nach §§ 3 ff [X.] als eigenständiges Sicherungssystem zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums in der [X.] des Aufenthalts während des Asylverfahrens können [X.] nach § 2 [X.] aus § 6 [X.] keine Rechte herleiten, weil die Vorschriften des [X.] an die Stelle der Vorschriften über die existenzsichernden Leistungen des [X.] treten.

Auch ein Anspruch nach § 27a Abs 4 Satz 1 Alt 2 [X.] aF unter Abänderung des Bescheids vom [X.], der [X.] für Juli 2016 bewilligt hat, kommt nicht in Betracht. Danach wird im Einzelfall der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf unabweisbar seiner [X.]öhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Ein lediglich einmalig auftretender Bedarf unterfällt nicht dem Anwendungsbereich dieser Norm, sondern es wird ein laufender höherer Bedarf vorausgesetzt ([X.] in Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 27a [X.] Rd[X.]0; [X.] in jurisPK-[X.], 2. Aufl 2014, § 37 Rd[X.]2 < Stand: 23.1.2017>; offengelassen von [X.] vom 20.4.2016 - B 8 [X.] 5/15 R - [X.], 139 = [X.]-3500 § 18 [X.], Rd[X.]3), wie sich auch aus der zum 1.1.2017 klarstellend geänderten Gesetzesfassung ergibt (vgl BT-Drucks 18/9984, 90). Für die Deckung einmaliger Bedarfsspitzen ist damit ein "ergänzendes" Regelsatzdarlehen nach § 37 Abs 1 [X.] zu gewähren.

Ein Anspruch nach § 9 Abs 3 Satz 1 [X.] iVm § 65a Abs 1 Sozialgesetzbuch [X.] - ([X.]) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Danach kann auf Antrag Ersatz notwendiger Auslagen in angemessenem Umfang erhalten, wer einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 [X.] nachkommt. § 65a [X.] ist zwar auch im Bereich des [X.] anwendbar (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.], 5. Aufl 2019, § 65a Rd[X.]), aber auf das Sozialverwaltungsverfahren zugeschnitten und betrifft nur das Rechtsverhältnis zwischen der Sozialbehörde, die [X.] nach §§ 61 f [X.] verlangt, und einer Sozialleistungen beantragenden Person. Vorliegend zielt dieser Kostenerstattungsanspruch also auf Mitwirkungspflichten in Bezug auf die Leistungen nach dem [X.] ab. Eine analoge Anwendung auf Auslagen, die im Asylverfahren im Verhältnis zum [X.] entstehen, scheidet aus. Der Beklagte muss sich ein etwaiges Fehlverhalten des [X.], das den Anhörungstermin nicht in leicht erreichbare Nähe zum Wohnort der Kläger verlegt hatte, auch nicht zurechnen lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.].

Meta

B 7 AY 5/20 R

24.06.2021

Bundessozialgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AY

vorgehend SG Hildesheim, 13. Juli 2017, Az: S 42 AY 2/17, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 1 AsylbLG, § 2 Abs 1 AsylbLG vom 10.12.2014, § 6 Abs 1 S 1 AsylbLG, § 73 S 1 SGB 12, § 27a Abs 4 S 1 SGB 12 vom 24.03.2011, § 37 Abs 1 SGB 12, § 25 AsylVfG 1992

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 24.06.2021, Az. B 7 AY 5/20 R (REWIS RS 2021, 4649)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4649

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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