Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2021, Az. XI ZB 35/18

11. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 6466

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Gegenstand

Anlass für eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen: Vorrang spezialgesetzlicher Prospekthaftung vor bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im Kapitalanleger-Musterverfahren


Tenor

Die Gehörsrüge des [X.] gegen den Beschluss des Senats vom 19. Januar 2021 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

1

Die innerhalb der Frist des § 321a Abs. 2 Satz 1 ZPO formgerecht eingelegte Gehörsrüge des [X.] hat in der Sache keinen Erfolg, weil der Senat den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 321a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 3 ZPO).

2

1. Indem der Senat in seinem die Rechtsbeschwerde zurückweisenden Beschluss auf den Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung vor einer Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB erkannt hat, ohne darauf im Rechtsbeschwerdeverfahren vorab hinzuweisen, hat er nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen.

3

Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist freilich verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (Senatsbeschluss vom 20. November 2018 - [X.], juris Rn. 7; [X.], NJW 2003, 3687 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier indessen nicht erfüllt:

4

Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 23. Oktober 2018 ([X.], [X.], 100 Rn. 54 ff.) eingehend dargelegt und begründet, dass und warum die spezialgesetzliche Prospekthaftung - dort: nach § 127 Abs. 1 [X.] in der Fassung vom 21. Dezember 2007 - in ihrem Anwendungsbereich nicht nur die allgemeine bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im engeren Sinne, sondern auch einen Schadensersatzanspruch - dort: gegen die Kapitalanlagegesellschaft - wegen [X.] durch Verwenden eines fehlerhaften Verkaufsprospekts bei Anbahnung des Vertragsverhältnisses - dort: des [X.] - gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB ausschließt. In seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 in dieser Sache ([X.], [X.], 726 Rn. 22 ff.) hat der Senat keine davon abweichenden neuen Grundsätze entwickelt, sondern - wie im Übrigen schon in seinem Beschluss vom 6. Oktober 2020 ([X.], [X.], 2411 Rn. 50) - lediglich die allgemeine Geltung der in seinem Beschluss vom 23. Oktober 2018 dargelegten Grundsätze für einen weiteren Anwendungsfall - Ausschluss der Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektverantwortliche gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB neben ihrer Haftung aus spezialgesetzlicher Prospekthaftung - bestätigt.

5

Dass die in der Literatur (vgl. nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], WpÜG, 3. Aufl., § 12 Rn. 68; [X.] in [X.]/Boujong/[X.]/Strohn, HGB, 4. Aufl., § 16 WpHG Rn. 4 mit [X.]. 17; [X.]., [X.], 7. Aufl., § 16 WpPG Rn. 3a mit [X.]. 17; [X.], [X.], Sonderbeil. [X.], [X.], 13; [X.]/[X.], EWiR 2019, 265, 266) rezipierten Erwägungen zur ausschließlichen Anwendung der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nicht nur für § 127 Abs. 1 [X.] aF gelten, sondern für sämtliche spezialgesetzlichen Haftungstatbestände Geltung beanspruchen, wurde in der Literatur vor Erlass des Beschlusses vom 19. Januar 2021 eingehend (und zustimmend) diskutiert ([X.]/[X.], [X.] 184 [2020], 646, 679 ff./681 [X.] ff.; [X.], [X.], 102, 104; [X.], [X.], 559, 560; vgl. im Sinne einer Verallgemeinerung auch die Antwort der Bundesregierung im Juni 2019 auf eine Kleine Anfrage BT-Drucks. 19/10920, [X.]). Die Kenntnisnahme der einschlägigen Senatsrechtsprechung und der an sie anknüpfenden Literatur ist von den beim [X.] zugelassenen Rechtsanwälten auch ohne besonderen Hinweis zu erwarten (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2020 - [X.], juris Rn. 2 mwN). Zu dem Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 und der in seinem [X.] in der Literatur geführten Debatte hätte der [X.] entgegen seiner Behauptung auch nach Ablauf der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde vortragen können. Rechtsausführungen einer Partei sind an [X.] nicht gebunden (vgl. nur [X.], Urteil vom 16. September 2016 - [X.], juris Rn. 13).

6

2. Im Übrigen gaben die vom [X.] zitierten Entscheidungen des II. und I[X.] des [X.]s dem Senat keine Veranlassung zu einer Anfrage bzw. Vorlage nach § 132 Abs. 2 und 3 [X.] betreffend die Frage des [X.] gemäß den § 13 [X.], §§ 44 ff. [X.] in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung und Haftung der Gründungsgesellschafter gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung. Auf dem Unterbleiben eines Hinweises, auf den der [X.] wie in seiner Anhörungsrüge vorgetragen reagiert hätte, kann der Beschluss des Senats vom 19. Januar 2021 nicht beruhen.

7

Für den vom [X.] zitierten Hinweisbeschluss des [X.] vom 3. Januar 2020 ([X.]/19, juris) und das vom [X.] angeführte Urteil des I[X.] vom 13. August 2020 ([X.], [X.], 1862) gilt dies schon deshalb, weil ihnen kein tragender Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem mit Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 aufgestellten tragenden Rechtssatz abwiche. Der I[X.] verneinte in seinem Urteil vom 13. August 2020 (aaO, Rn. 23) explizit die Anwendbarkeit des Verkaufsprospektgesetzes, so dass er keinen Anlass hatte, zu einem Konkurrenzverhältnis von gesetzlicher Prospekthaftung und einer Haftung wegen einer vorvertraglichen Pflichtverletzung Stellung zu nehmen. Der Hinweisbeschluss des [X.] vom 3. Januar 2020, der als solcher schon nicht geeignet wäre, eine Divergenzvorlage zu rechtfertigen, verneinte im Ergebnis eine Haftung (aaO, Rn. 16 ff.). Anlass für eine die Vorlage an den [X.]en Senat für Zivilsachen vorbereitende Anfrage gemäß § 132 [X.] besteht nicht, sofern eine Frage lediglich die Begründung der Entscheidung betrifft, deren Ergebnis jedoch nicht berührt. Bei der dann fehlenden Entscheidungserheblichkeit ist eine Vorlage an den [X.]en Senat für Zivilsachen im Gegenteil unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 17. Januar 2012 - [X.], [X.], 746 Rn. 11 [dort zu § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO]; [X.], Beschluss vom 27. März 2003 - [X.], [X.]Z 154, 288, 299).

8

Aber auch das Urteil des [X.] vom 19. November 2019 ([X.], [X.], 169) gab und gibt keinen Anlass für ein Verfahren nach § 132 Abs. 2 und 3 [X.]. Der vom [X.] mit der Anhörungsrüge geltend gemachte Gegensatz zwischen der Rechtsprechung des Senats und der des [X.] besteht nicht. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 ([X.], [X.], 726 Rn. 26 im [X.] an Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 - [X.], [X.], 100 Rn. 57) nicht in Frage gestellt, dass Gründungsgesellschafter wie die [X.] Anlegern aus anderen Gründen als durch Verwenden einer Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung - etwa wegen unrichtiger mündlicher Zusicherungen - nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB (und gegebenenfalls § 278 BGB) haften können. Insoweit schließt die spezialgesetzliche Prospekthaftung "eine Haftung aus c.i.c. nicht aus" (grundsätzlich [X.], Urteil vom 2. Juni 2008 - [X.], [X.]Z 177, 25 Rn. 15; vgl. dazu den vor dem Erlass des Beschlusses in dieser Sache veröffentlichten Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2020 - [X.], [X.], 2411 Rn. 50). Der Haftung der Gründungsgesellschafter nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB "aus c.i.c." verbleibt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] damit ein selbständiger Anwendungsbereich.

9

In der Literatur ist angeregt worden, der [X.] möge die Reichweite der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB im [X.] an den Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 ([X.], [X.], 100 Rn. 54 ff.) in diesem Sinne klarstellen ([X.]/[X.], [X.] 184 [2020], 646, 684). Der [X.] hat diese Klarstellung dem Senat überlassen, indem er das hiesige Musterverfahren dem Senat unter Verweis auf dessen Zuständigkeit für die spezialgesetzliche Prospekthaftung zur Übernahme angeboten hat. Ein Verfahren nach § 132 [X.] kam daneben nicht in Betracht.

3. [X.], die nur zulasten des [X.] und nicht auch zulasten der auf seiner Seite beigetretenen Beigeladenen zu treffen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2017 - [X.], juris), beruht mangels einer spezielleren Regelung in § 26 [X.] auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2020 - [X.], juris Rn. 8).

Ellenberger     

        

Grüneberg     

        

Menges

        

Derstadt     

        

Ettl     

        

Meta

XI ZB 35/18

27.04.2021

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend BGH, 19. Januar 2021, Az: XI ZB 35/18, Beschluss

§ 127 InvG vom 21.12.2007, § 278 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 311 Abs 2 BGB, § 132 Abs 2 GVG, § 132 Abs 3 GVG, Art 103 Abs 1 GG, § 13 VerkaufsprospektG vom 22.12.2006, § 44 BörsG vom 16.07.2007

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2021, Az. XI ZB 35/18 (REWIS RS 2021, 6466)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6466 WM 2022, 1169 REWIS RS 2021, 6466

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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