Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.04.2017, Az. 1 BvR 610/17

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2017, 12421

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

BEFANGENHEIT ÖFFENTLICHES RECHT BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) RICHTER

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Kein Mitwirkungsausschluss wegen richterlicher Vorbefassung, wenn (unstatthafte) Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren erhoben wird - richterliche Mitwirkung in anderen Verfahren zu vergleichbaren Rechtsfragen vermag Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen - Absehen von einer Begründung in der Sache gem § 93d Abs 1 S 3 BVerfGG


Tenor

Der Ablehnungsantrag wird als unzulässig verworfen.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

Die Kammer entscheidet unter Mitwirkung von Vizepräsident [X.] und [X.] des [X.]; diese wie auch die übrigen Mitglieder des [X.] sind weder von Gesetzes wegen noch auf Grund des vom Beschwerdeführer formulierten [X.] von der Mitwirkung ausgeschlossen.

2

a) Der Beschwerdeführer greift mit seiner Verfassungsbeschwerde auch Entscheidungen des [X.] an, an denen Vizepräsident [X.] und [X.] des [X.] beteiligt waren. Dennoch sind beide nicht von der Ausübung des [X.]amtes im hiesigen Verfahren ausgeschlossen. Die Mitwirkung an unanfechtbaren Entscheidungen des [X.] (hier: Beschlüsse in [X.] Dritter mit ähnlicher rechtlicher Problematik, die der Beschwerdeführer - offensichtlich unstatthaft - zum Gegenstand seiner Verfassungsbeschwerde macht) führt nicht zu einem gesetzlichen Mitwirkungsausschluss wegen richterlicher Vorbefassung. Dieser Grundsatz, den das [X.] in einem Beschluss vom 19. März 2013 (vgl. - auch zum Folgenden - [X.] 133, 163 <165 ff. Rn. 6 ff.>) für den Fall formuliert hat, dass eine Entscheidung des [X.] zunächst unzulässig vor einem Fachgericht angefochten und gegen dessen Prozessentscheidung anschließend das [X.] erneut angerufen wird, gilt in gleicher Weise, wenn unmittelbar gegen eine Entscheidung in einem [X.] erneut Verfassungsbeschwerde erhoben wird.

3

Die Ausschlussregelung wegen der Beteiligung eines [X.]s an der Sache (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) oder einer vorangegangenen Tätigkeit in derselben Sache (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) ist als Ausnahmetatbestand gefasst und deshalb eng auszulegen. Zu einem Ausschluss kann deshalb regelmäßig nur eine Tätigkeit in dem jeweiligen Verfahren selbst oder einem diesem unmittelbar vorausgegangenen und ihm sachlich zugeordneten Verfahren führen (vgl. [X.] 47, 105 <108>; 72, 278 <288>; 109, 130 <131>). Zumindest im verfassungsgerichtlichen Verfahren kann darüber hinaus auch die Mitwirkung an verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, die endgültig ein Verfahren abschließen und gegen die unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt Rechtsmittel gegeben sind, nicht als Tätigkeit in derselben Sache im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gelten, wenn diese - offensichtlich unstatthaft - nunmehr selbst zum Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde werden sollen (vgl. [X.] 133, 163 <166 Rn. 8>). Wird eine derartige Verfassungsbeschwerde dennoch erhoben, gilt für die hierüber zu treffenden Entscheidungen und das hierbei durchzuführende Verfahren auch kein Mitwirkungsausschluss. Aus den angeführten Gründen scheidet auch die Annahme eines [X.] unter dem Gesichtspunkt einer Beteiligung an der Sache im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aus.

4

Dies entspricht auch dem Zweck der Ausschlussregelungen: § 18 Abs. 1 [X.] will verhindern, dass ein [X.] eine in einem früheren Verfahrensstadium von ihm selbst verantwortete Entscheidung zu überprüfen hat, um so eine unparteiische und unbefangene inhaltliche Prüfung zu gewährleisten. Besteht aber von vornherein kein Raum für eine inhaltliche Prüfung der früheren Entscheidung, weil eine Verfassungsbeschwerde gegen eine Verfassungsbeschwerdeentscheidung ersichtlich unstatthaft ist (vgl. [X.] 1, 89 <90>), besteht auch kein Anlass, die [X.], die an der ersten Entscheidung mitgewirkt haben, von der Ausübung des [X.]amtes auszuschließen.

5

Vizepräsident [X.] und [X.] des [X.] sind damit an der Mitwirkung an der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht gehindert. Sie können darüber hinaus aus den genannten Gründen auch an der Entscheidung über die Frage des [X.] selbst mitwirken, da die Tätigkeit in den früheren [X.] von vornherein nicht geeignet ist, einen Mitwirkungsausschluss zu begründen (vgl. [X.] 133, 163 <167 f. Rn. 12>).

6

b) Der Befangenheitsantrag gegen die Mitglieder des [X.] im Allgemeinen und Vizepräsident [X.] und [X.] des [X.] im Besonderen ist offensichtlich unzulässig.

7

Das Vorbringen enthält lediglich Ausführungen, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind. Das ergibt sich, soweit insgesamt der [X.] als befangen bezeichnet wird, schon aus diesem Umstand selbst. Auch hinsichtlich der namentlich abgelehnten Mitglieder des Senats aber ist der Verweis auf ihre Mitwirkung in anderen Verfahren, in denen sich vergleichbare Rechtsfragen gestellt haben, von vornherein ungeeignet, um die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. hierzu und zum Folgenden [X.] 133, 377 <406 Rn. 71>). § 18 Abs. 1 Nr. 2 [X.], der vorliegend nicht eingreift, bestimmt insofern abschließend, dass die richterliche Vorbefassung mit einer Sache nur dann zum Ausschluss führt, wenn sie in einem früheren Rechtszug erfolgt ist und eine Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hatte. Nicht ausgeschlossen ist dagegen ein [X.], der sich bereits früher in anderen Verfahren zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage in bestimmter Weise geäußert hat. Selbst wenn er eine bestimmte Rechtsauffassung ständig vertritt, ist er in einem Verfahren nicht ausgeschlossen, das auf die Änderung dieser Rechtsauffassung abzielt.

8

Da das Gesuch offensichtlich unzulässig ist, bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten [X.]. Eine Verwerfung des Gesuchs in der abschließenden Entscheidung und unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] (vgl. hierzu [X.] 131, 239 <252 f.>) ist ausreichend.

9

c) In der Sache wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] von einer Begründung abgesehen, nachdem zur Frage der Beitragserhebung auf Kapitalleistungen der betrieblichen Altersversorgung schon verfassungsgerichtliche Rechtsprechung vorliegt (vgl. namentlich [X.], 431 und BVerfGK 18, 4) und der Beschwerdeführer zudem den Rechtsweg nicht erschöpft hat, soweit er sich gegen die Beitragserhebung in seinem konkreten Falle wendet.

Allerdings wird der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass er mit der Auferlegung einer Gebühr nach § 34 Abs. 2 [X.] rechnen muss, wenn er zukünftig erneut eine Verfassungsbeschwerdeschrift vorlegen sollte, die beleidigenden oder verletzenden Charakter aufweist und jegliche Sachlichkeit vermissen lässt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 610/17

13.04.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 23. Juni 2016, Az: L 4 KR 126/16 B, Beschluss

§ 18 Abs 1 Nr 1 BVerfGG, § 18 Abs 1 Nr 2 BVerfGG, § 19 Abs 1 BVerfGG, § 93d Abs 1 S 3 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 13.04.2017, Az. 1 BvR 610/17 (REWIS RS 2017, 12421)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 2098 REWIS RS 2017, 12421

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvC 1/18

10 K 335/18

1 BvR 2428/16

1 BvR 1574/17

1 BvR 635/20

L 20 KR 151/20

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