Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.04.2011, Az. 8 B 86/10

8. Senat | REWIS RS 2011, 7185

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Gegenstand

Empfangsbereitschaft als Zustellungsvoraussetzung für Urteilszustellung gegen Empfangsbekenntnis


Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

2

1. Die am 1. September 2010 erhobene und am 28. Oktober 2010 begründete Beschwerde ist nicht wegen Versäumens der Beschwerdefrist von einem Monat nach Zustellung des vollständigen Urteils gemäß § 133 Abs. 2 [X.] oder wegen Versäumens der [X.] von zwei Monaten nach dessen Zustellung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 [X.] unzulässig. Zwar ist das am 4. März 2010 verkündete Urteil entgegen der Auffassung des [X.] wirksam (a). Mangels ordnungsgemäßer Zustellung oder Heilung des Zustellungsmangels begannen die Beschwerdefrist und die [X.] jedoch nicht zu laufen (b). Vorschriften, nach denen die Rechtsmittelfrist und die Begründungsfrist unabhängig von einer wirksamen Zustellung in Lauf gesetzt wird, greifen entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner nicht ein (c).

3

a) Für die Wirksamkeit des Urteils ist unerheblich, ob der Rechtsnachfolger der ursprünglichen Klägerin ordnungsgemäß zum Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht geladen wurde. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen [X.] lässt die Wirksamkeit des im Termin verkündeten Urteils unberührt. Es kann wegen des [X.] nur mit Rechtsmitteln angegriffen werden ([X.], in: [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. 2010, § 116 Rn. 8 und 25).

4

b) Es fehlt aber an einer wirksamen Zustellung des vollständigen Urteils i.S.d. § 133 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 [X.] an die frühere Klägerin oder den Kläger als deren Rechtsnachfolger.

5

Die am 30. Juli 2010 verfügte Zustellung gegen [X.] konnte mangels [X.]s und Empfangsbereitschaft des Prozessbevollmächtigten nicht wirksam werden und keine Frist in Lauf setzen. Allerdings durfte das Verwaltungsgericht aufgrund der anwaltlichen Bestellung und Klageerhebung "im Namen und mit Vollmacht" der ursprünglichen Klägerin nach § 67 Abs. 6 Satz 4 [X.] auch ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde vom Vorliegen einer Prozessvollmacht ausgehen und dem Prozessbevollmächtigten, der nach dem Tod der Klägerin ankündigte, nunmehr deren Rechtsnachfolger zu vertreten, auch die [X.] vom 27. Januar 2010 für den 4. März 2010 zustellen. Die Mitteilung der Beendigung des Mandatsverhältnisses mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 1. Februar 2010 führte dem Gericht gegenüber noch nicht zum Erlöschen der Prozessvollmacht und der damit verbundenen Empfangszuständigkeit des Bevollmächtigten (vgl. § 67 Abs. 6 Satz 5 [X.]). Nach § 87 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 [X.] erlischt in Prozessen ohne Vertretungszwang wie dem vorinstanzlichen Verfahren die Prozessvollmacht gegenüber dem Gericht bei einer Kündigung des [X.] zwar mit der Anzeige des Erlöschens der Vollmacht. Die Vorschrift setzt neben der Anzeige aber auch eine wirksame Beendigung des Mandatsverhältnisses voraus, die dem Gericht gegenüber nachzuweisen ist (vgl. Beschluss vom 4. Juli 1983 - BVerwG 9 B 10275.83 - [X.] 340 § 3 [X.] Nr. 9). Ein solcher Nachweis wurde hier trotz gerichtlicher Aufforderung nicht vorgelegt.

6

Die Zustellung des Urteils gegen [X.] ist jedoch nicht wirksam geworden, weil § 56 Abs. 2 [X.] i.V.m. § 174 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 ZPO nicht nur den Zugang der Sendung beim Empfänger oder dessen Kenntnisnahme voraussetzt, sondern darüber hinaus auch dessen [X.] oder Empfangsbereitschaft. Erforderlich ist die mindestens konkludente Äußerung, die Sendung als zugestellt annehmen zu wollen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Oktober 1984 - BVerwG 1 [X.] - [X.] 340 § 5 [X.] Nr. 10, vom 30. November 1993 - BVerwG 7 [X.] - [X.] § 5 [X.] Nr. 15 und vom 17. Mai 2006 - BVerwG 2 [X.] - [X.] 303 § 174 ZPO Nr. 2; [X.], Urteil vom 22. November 1988 - [X.] - NJW 1989, 1154; [X.], Urteil vom 12. Januar 2010 - 4 U 193/09 - NJW 2010, 3380 <3381>; Häublein, in: [X.] Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2008, § 174 Rn. 6; [X.], in: [X.], ZPO, 28. Aufl. 2010, § 174 Rn. 6 und § 195 Rn. 7). Daran fehlt es hier, weil der Prozessbevollmächtigte die Annahme der Sendung jeweils unter Hinweis auf die von ihm behauptete Beendigung des Mandatsverhältnisses verweigerte und die [X.] mit dem unausgefüllten [X.] an das Verwaltungsgericht zurücksandte.

7

Ein Mangel des Empfangswillens kann nicht nach § 189 ZPO i.V.m. § 173 [X.] geheilt werden (Häublein, a.a.[X.] § 189 Rn. 6; [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl. 2009, § 56 Rn. 8 a.E. und 17 je m.w.[X.]). In der Einlegung der Beschwerde gegen das angegriffene Urteil liegt auch keine nachträgliche konkludente Erklärung des Empfangswillens (dazu vgl. Beschluss vom 17. Mai 2006 a.a.[X.]), weil die Beschwerde ausdrücklich den Mangel der Zustellung des Urteils im Hinblick auf die fehlende Empfangsbereitschaft rügt.

8

§ 179 ZPO, der eine wirksame Zustellung bei unberechtigter Annahmeverweigerung ermöglicht, ist auf die Zustellung gegen [X.] nach § 174 ZPO nicht anzuwenden (Häublein, a.a.[X.] § 174 Rn. 6); damit scheidet auch eine entsprechende Anwendung nach § 173 [X.] aus.

9

Eine Zustellung des Urteils mittels Postzustellungsurkunde, die im Wege der [X.] gegebenenfalls ohne [X.] des Prozessbevollmächtigten hätte wirksam werden können, hat das Verwaltungsgericht nicht vorgenommen.

Die Fristen nach § 133 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 [X.] wurden auch nicht durch eine wirksame Zustellung des Urteils an den Rechtsnachfolger der Klägerin in Lauf gesetzt. Dabei kann offen bleiben, ob eine unmittelbare Zustellung an diesen per Einschreiben mit Rückschein nach § 67 Abs. 6 Satz 5, § 56 Abs. 2 [X.] i.V.m. § 183 Abs. 1 ZPO trotz fehlenden Nachweises der Mandatskündigung zulässig war. Jedenfalls kann nicht von einer solchen Zustellung ausgegangen werden, da der Rückschein nicht wieder zu den Akten gelangt ist.

c) Eine Verfristung der Beschwerde oder der Beschwerdebegründung ergibt sich schließlich nicht aus Vorschriften, die einen Fristlauf unabhängig von einer wirksamen Zustellung der anzugreifenden Entscheidung vorsehen.

Entgegen der Auffassung der Beigeladenen ist § 517 ZPO, wonach die Berufungsfrist in Zivilsachen spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Urteils beginnt, nach § 173 [X.] nicht entsprechend auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Verwaltungsstreitverfahren nach §§ 132 ff. [X.] anzuwenden. Gleiches gilt für § 520 Abs. 2 ZPO, der die Frist zur Berufungsbegründung in Zivilsachen parallel zu § 517 ZPO regelt, und für § 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach die Frist für die Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen spätestens sechs Monate nach der Urteilsverkündung beginnt. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften scheidet aus, weil die [X.]ordnung sowohl die Frist für die Berufung in § 124a Abs. 2 [X.] als auch die für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde in § 133 Abs. 2 Satz 1 [X.] speziell und abschließend geregelt hat, ohne einen von der Wirksamkeit der Zustellung unabhängigen Fristlauf vorzusehen (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 173, Stand März 2008, Rn. 253 f., 262 f., 274, 276, 280).

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Recht rügt sie eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 [X.], weil das Verwaltungsgericht aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden hat, zu der der Rechtsnachfolger der Klägerin nicht ordnungsgemäß geladen war. Damit liegt auch der sinngemäß gerügte Verfahrensfehler einer nicht ordnungsgemäßen Vertretung des [X.] im Termin vor (§ 138 Nr. 4 [X.]). Die Zustellung der [X.] gegen [X.] konnte nicht wirksam werden, weil der Prozessbevollmächtigte die Annahme der Ladung ebenso verweigert hatte wie später die der [X.]. Auf die Berechtigung der Annahmeverweigerung kommt es für die Wirksamkeit der Zustellung aus den oben dargelegten Gründen nicht an. Mit der Beschwerdebegründung hat der Prozessbevollmächtigte auch nicht nachträglich konkludent und mit heilender Wirkung den [X.] bezüglich der [X.] erklärt. Er räumt nur ein, sie habe seinerzeit - mangels vorheriger Anzeige der Mandatsbeendigung - noch an ihn adressiert werden dürfen. Nach wie vor beharrt er aber darauf, er sei wegen der Beendigung des Mandats nicht zur Annahme verpflichtet und willens gewesen. Der Kläger hat die Prozessführung nicht nachträglich i.S.d. § 138 Nr. 4 [X.] genehmigt. Vielmehr macht er geltend, die mündliche Verhandlung habe mangels ordnungsgemäßer Ladung und Vertretung nicht durchgeführt werden dürfen.

Nach § 138 Nr. 4 [X.] beruht das angegriffene Urteil auf dem Verfahrensfehler mangelnder ordnungsgemäßer Vertretung des [X.] im Termin.

2. Die Grundsatz- und Divergenzrügen des [X.] legen keine weiteren Revisionszulassungsgründe dar.

a) Die Grundsatzrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist nicht ordnungsgemäß erhoben. Die pauschale Bezugnahme auf die erhobenen Verfahrens- und Divergenzrügen und der Hinweis, insoweit komme den aufgeworfenen Fragen öffentliches Interesse zu, genügen nicht, die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer bestimmten höchstrichterlich noch ungeklärten abstrakten Rechtsfrage des revisiblen Rechts gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 [X.] substantiiert darzutun.

b) Auch eine Divergenz i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 2 [X.] ist nicht ordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 [X.] dargelegt. Die Beschwerde beanstandet lediglich die fehlerhafte Anwendung der Rechtsprechung zur Vermutung der Verfolgungsbedingtheit des Vermögensverlusts nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 [X.] und zur Amtsaufklärungspflicht (vgl. Zitate Bl. 308 ff., 311, 313 ff. [X.]), ohne einen von den dort aufgestellten Rechtssätzen abweichenden, im angegriffenen Urteil des [X.] aufgestellten abstrakten Rechtssatz herauszuarbeiten.

3. Im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat nach § 133 Abs. 6 [X.] von der Möglichkeit Gebrauch, die Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Meta

8 B 86/10

29.04.2011

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend VG Potsdam, 4. März 2010, Az: 1 K 2456/03, Urteil

§ 56 Abs 2 VwGO, § 174 Abs 1 ZPO, § 174 Abs 4 S 1 ZPO, § 189 ZPO, § 173 VwGO, § 179 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.04.2011, Az. 8 B 86/10 (REWIS RS 2011, 7185)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7185

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Empfangsbekenntnis in der Berufungsschrift


Referenzen
Wird zitiert von

VIII ZB 55/14

VIII ZB 55/14

Au 1 K 17.473

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