BT-Drucksache 18/9621

zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung - im Namen der Europäischen Union - des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16 und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ablehnen

Vom 13. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9621
18. Wahlperiode 13.09.2016
Antrag
der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
Renate Künast, Bärbel Höhn, Nicole Maisch, Harald Ebner, Dr. Thomas
Gambke, Dr. Julia Verlinden, Katja Dörner, Dr. Frithjof Schmidt, Ekin
Deligöz, Matthias Gastel, Kai Gehring, Anja Hajduk, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Tobias
Lindner, Irene Mihalic, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz,
Lisa Paus, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Gerhard Schick,
Kordula Schulz-Asche, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe,
Markus Tressel, Jürgen Trittin, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeichnung – im
Namen der Europäischen Union – des umfassenden Wirtschafts- und
Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada einerseits und der Europäischen
Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM(2016) 444 endg.; Ratsdok. 10968/16
und
zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die vorläufige Anwendung
des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens (CETA) zwischen Kanada
einerseits und der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten andererseits
KOM(2016) 470 endg.; Ratsdok. 10969/16

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung
gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes

Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ablehnen

Der Bundestag wolle gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 2009 wurde zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada das Comprehen-
sive Economic and Trade Agreement (CETA) verhandelt. Am 5. Juli 2016 hat die EU-

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Kommission dem Rat der Europäischen Union das CETA-Abkommen als sogenanntes
„gemischtes Abkommen“ übermittelt (KOM(2016)444 endg.). Demnach müssen die
Mitgliedstaaten das Abkommen ratifizieren, bevor das Abkommen in Kraft treten
kann.
Bevor der nationale Ratifizierungsprozess beginnt, muss vorab im Oktober 2016 der
Rat der Europäischen Union sowie im Frühjahr 2017 das Europaparlament über das
Abkommen sowie über die vorläufige Anwendung einiger Vertragsteile des Abkom-
mens entscheiden. Der Bundestag spricht sich für eine Ablehnung des CETA-Ver-
tragstextes sowie der vorläufigen Anwendung des Abkommens durch die Bundesre-
gierung aus.
Eine Vertiefung der Handelsbeziehungen mit Kanada ist wünschenswert. Allerdings
müssen Handelsabkommen transparent verhandelt und nach sozialen, ökologischen
und menschrechtliche Kriterien fair ausgerichtet sein. Etablierte demokratische und
rechtsstaatliche Institutionen und die Handlungsspielräume in der kommunalen Da-
seinsvorsorge dürfen nicht in Frage gestellt werden.
CETA genügt diesen Maßstäben nicht. Zahlreiche Sachverständige haben den Ver-
tragsentwurf auf verschiedene mögliche Schwachstellen und Gefahren hin überprüft.*
Dabei haben sich entscheidende Kritikpunkte, die bereits während des Verhandlungs-
prozesses immer wieder formuliert wurden, bestätigt.

Etablierung von Schiedsgerichten
Mit der Einführung so genannter Investor-Staat-Schiedsgerichte im Rahmen von
CETA, wird ein System unnötiger und gefährlicher Klageprivilegien für Investoren
weiter fortgeschrieben. Jegliche Form von Schiedsgerichten in diesem Abkommen ist
unnötig und birgt enorme Risiken für öffentliche Haushalte sowie für den Erhalt und
die Fortentwicklung wichtiger Schutzstandards. CETA würde das Instrument investo-
renfreundlicher Klageprivilegien massiv ausweiten und auf Jahrzehnte hinweg fest-
schreiben.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das System der Investor-Staat-Schiedsge-
richte im Rahmen des CETA-Vertragstextes einen neuen Namen bekommen hat (In-
vestment Court System, kurz ICS). Das von der EU-Kommission entwickelte Invest-
ment Court System, das in CETA umgesetzt wurde, beinhaltet neben einigen proze-
duralen Verbesserungen im Kern den alten Mechanismus von Klageprivilegien für
Konzerne. Es widerspricht in wesentlichen Punkten den Kriterien, die das Europapar-
lament in Bezug auf das Handelsabkommen mit den USA (TTIP) verabschiedet hat
(www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-
2015-0252+0+DOC+PDF+V0//DE).
Die zugrunde liegenden Investitionsschutzbestimmungen sind einseitig auf den Schutz
von Investitionen ausgerichtet. Eine ausreichende Abwägung mit anderen Rechtsgü-
tern wie etwa Umweltschutz oder Sozialstandards erfolgt nicht. Das Investitions-
schutzkapitel in CETA garantiert Rechte für ausländische Investoren, trifft aber keine
Regelungen zu ihren Pflichten. Hoch problematische Bestimmungen wie die zur „fai-
ren und billigen Behandlung“, „indirekter Enteignung“ und „legitimen Erwarten“, die
eine Vielzahl der in den letzten Jahren eingereichten Klagen begründen, sind weiterhin
enthalten. Der Versuch diese einzugrenzen genügt nicht. Es kann deshalb nicht ausge-
schlossen werden, dass „regulative Maßnahmen, die im öffentlichen Interesse getrof-
* Vgl. unter anderem: Prof. Markus Krajewski et al (2016) Der Vorschlag der EU-Kommission zum Investitionsschutz in TTIP, im Auftrag der Fried-

rich-Ebert-Stiftung, Prof. Markus Krajewski (2016) Model clauses for the exclusion of public services from trade and investment agreements, im
Auftrag der European Public Services Union und der Arbeiterkammer Wien, Prof. Martin Nettesheim (2016) Die Auswirkungen von CETA auf den
politischen Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden, im Auftrag des Landes Baden-Württemberg), Prof. Peter-Tobias Stoll et al (2016)
CETA, TTIP und das Europäische Vorsorgeprinzip, Dr. Christoph Then (2015) Freihandel – Einfallstor für die Agro-Gentechnik, Prof. Silke Las-
kowski (2016) Rechtliches Gutachten zu möglichen Verstößen gegen Investitionsschutzregelungen des Freihandelsabkommens CETA durch Maß-
nahmen der kommunalen Wasserwirtschaft, ISDS Schiedsgerichtsverfahren und Haftungsfragen

http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2015-0252+0+DOC+PDF+V0//DE
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//NONSGML+TA+P8-TA-2015-0252+0+DOC+PDF+V0//DE
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fen werden (z. B. Arbeits-, Sozial- und Umweltschutzgesetze) zu einer Schadenser-
satzpflicht führen“ (Krajewski und Hoffmann 2016). Klagen von Konzernen wie Vat-
tenfall gegen den Atomausstieg Deutschlands oder wie TransCanada gegen den Aus-
bau der Ölpipeline Keystone XL in den USA, wären mit diesem Mechanismus auch in
Zukunft möglich.
Das vorgesehene Investor-Staat-Schiedsgerichtssystem eröffnet einen zusätzlichen
Rechtsweg – den zu internationalen Schiedsgerichten – der anderen Personen oder
auch Staaten nicht zusteht. Die Bestimmungen gehen weit über das Verbot der Nicht-
Diskriminierung hinaus. So privilegieren die Bestimmungen ausländische gegenüber
inländischen Investoren und anderen gesellschaftlichen Gruppen, die keine Klagebe-
rechtigung vor den Schiedsgerichten haben. Das führt zu einer Ungleichbehandlung
bei der Rechtsdurchsetzung. Investor-Staat-Schiedsverfahren schaffen eine Parallel-
struktur zum nationalen Recht, indem sie weder einen Vorrang des nationalen Rechts-
weges vorsehen, noch jemals ein nationales Gericht mit dem Rechtsstreit befasst ge-
wesen sein muss. Nicht nur würden kanadische Konzerne die Chance bekommen, ge-
gen europäische Staaten und die Europäische Union zu klagen. Auch andere ausländi-
sche Konzerne, insbesondere US-amerikanische Firmen mit einem Sitz in Kanada,
hätten mit CETA diese Möglichkeit, was das System massiv ausweitet.
Zudem genügt die Art und Weise der Arbeit und Zusammensetzung grundlegenden
rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht. Die richterliche Unabhängigkeit wird, wie unter
anderem der Deutsche Richterbund festgestellt hat, immer noch nicht garantiert (siehe
Stellungnahme des Deutschen Richterbundes, www.drb.de/fileadmin/docs/Stellung-
nahmen/2016/DRB_160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investitionsgericht.pdf).

Einschränkung der Gestaltungsfreiheit in der kommunalen Daseinsvorsorge und ande-
ren sensiblen Bereichen
Insgesamt würde CETA den Gestaltungsspielraum der Länder und Gemeinden, unter
anderem in Bezug auf die Erbringung der Daseinsvorsorge, einschränken (Nettesheim
2016). Öffentliche Verantwortung für öffentliche Dienstleistungen darf aber nicht
durch Handelsabkommen unterlaufen werden. Deshalb wollen wir sensible Bereiche
wie die kommunale Daseinsvorsorge, öffentliche und soziale Dienstleistungen sowie
öffentliche Infrastruktur durch klare und umfassende Ausnahmen schützen.
Dies wird in CETA versäumt. Das Abkommen sieht Negativlisten für den Dienstleis-
tungsbereich vor. Das heißt nichts anderes, als dass alle Dienstleistungen, die nicht
privatisiert werden sollen, ausdrücklich gelistet werden müssen. Nicht explizit ge-
nannte Dienstleistungen fallen automatisch in den Bereich der Liberalisierung. Still-
standsklauseln, die das Liberalisierungsniveau auch in eigentlich nicht explizit libera-
lisierten Bereichen auf derzeitigem Stand „einfrieren“, sowie Sperrklinkenklauseln,
durch die auch zukünftige Liberalisierungen nicht mehr rückgängig gemacht werden
können, sind in CETA verankert. Die in CETA benutzten Instrumente zum Schutz des
Handlungsspielraums stützen sich auf keine hinreichend eindeutige Definition öffent-
licher Dienstleistungen, garantieren keinen ausreichenden Schutz und erzeugen keine
ausreichende Rechtsbindung (Krajewski 2016). Die spezifischen Vorbehalte zuguns-
ten der nationalen Sozialversicherungssysteme beinhalten erhebliche Definitionsunsi-
cherheiten (Nettesheim 2016) und ermöglichen so, dass zukünftige Reformen durch
auf CETA gestützte Klagen angegriffen werden können. Das in CETA erwähnte „right
to regulate“ kann nur innerhalb der Liberalisierungsstrukturen von CETA wahrgenom-
men werden. Die Tragweite von Verpflichtungen, zum Beispiel in Bezug auf Zulas-
sungsregeln und Tätigkeitsanforderungen im Dienstleistungssektor, ist bislang kaum
abzuschätzen, wobei die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge miterfasst
wird (Nettesheim 2016).
Insbesondere gelten die in CETA formulierten Vorbehalte nicht für den so kritischen
Bereich des Investorenschutzes (Laskowski 2016). Kanadische Investoren können

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dadurch Entscheidungen der Kommunen, Länder und des Bundes im Bereich der kom-
munalen Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung, Abfall, Verkehr, Krankenhäuser
etc. vor Sondergerichten angreifen.
Dies betrifft beispielsweise den sensiblen Bereich der Wasserwirtschaft. Entgangene
Gewinne von Investoren sind zwar vor dem Schiedstribunal nur durchzusetzen, wenn
sie offensichtlich unverhältnismäßig sind. Doch welche Entscheidung, wie zum Bei-
spiel die Ausweisung eines Wasserschutzgebietes, offensichtlich unverhältnismäßig
ist, entscheidet das Schiedstribunal, dessen richterliche Unabhängigkeit nicht garan-
tiert ist.
Geht die Klage auf eine kommunale Entscheidung zurück, so wird der Bund Länder
und Kommunen in Regress nehmen. Für die kommunale Demokratie, die im Wesent-
lichen vom Ehrenamt getragen ist, ist das Risiko einer millionenschweren Sonderklage
von Investoren ausgesetzt zu sein, unzumutbar.
Der Verband „Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft“ warnt, dass eine Rekommu-
nalisierung unmöglich werden könnte, falls die Wasserwirtschaft künftig neue Aufga-
ben übernimmt – etwa das Recycling von Rohstoffen aus Abwässern. Dieser Bereich
wird nämlich gar nicht von den Verpflichtungen in CETA ausgenommen.
CETA konfrontiert die kommunale Ebene mit großen Rechtsunsicherheiten. Die kom-
munale Daseinsvorsorge unterliegt je nach Sektor – Bildung, Soziales, Gesundheit,
Kultur, Abfall, Wasser oder Verkehr – ganz eigenen Regulierungssystemen. Die not-
wendiger Weise sehr allgemein und unbestimmt gehaltenen völkerrechtlichen Verein-
barungen in CETA können diese Komplexität nicht eins zu eins widerspiegeln. Durch
die Klageprivilegien von Investoren in CETA besteht für die kommunale Daseinsvor-
sorge immer ein Risiko. Im Wassersektor hat die europäische Initiative Right-to-Water
vor drei Jahren deutlich gemacht, dass die Bürger hier 100 Prozent kommunale Auto-
nomie und eben keine Einfallstore für private Investoren wollen. Das geht nur mit einer
hinreichend präzisen und rechtsverbindlichen Generalausnahme für öffentliche
Dienstleistungen, die sich über sämtliche Teile des Abkommens erstreckt. Eine solche
Ausnahme fehlt in CETA.

Schwächung des Vorsorgeprinzips, Gefährdung der bäuerlichen Landwirtschaft
Mehrere Studien kommen zu dem Schluss, dass CETA das in der EU etablierte Vor-
sorgeprinzip schwächt (Stoll et al 2016, Then 2015). Das Vorsorgeprinzip ist ein
Grundpfeiler des europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzes. Es ermöglicht vor-
sorgliches politisches Handeln insbesondere dann, wenn es deutliche Anhaltspunkte
gibt, dass ein Produkt schädlich ist – selbst wenn noch nicht alle Risiken nachgewiesen
sind.
CETA orientiert sich in weiten Teilen am risikobasierten Ansatz (im englischen als
„science based“ bezeichnet) anstatt am Vorsorgeprinzip, der dazu im Gegensatz steht.
Er lässt zu, dass Mensch und Umwelt Schaden nehmen, weil erst eingegriffen wird,
wenn der letzte Nachweis über die Schädlichkeit erbracht ist, was de facto meist un-
möglich ist. Wichtige Teile wie das Kapitel zur regulatorischen Kooperation, das Ka-
pitel für sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS) sowie das Kapitel zu techni-
schen Handelsbarrieren (TBT) orientieren sich an diesem Ansatz, der Begriff der Vor-
sorge kommt nicht vor. Das Vorsorgeprinzip hingegen findet sich nur mit sehr be-
schränktem Anwendungsbereich in den Kapiteln zu Arbeit und Umwelt und bezieht
sich nicht auf besonders wichtige Teile des Abkommens wie die zur regulatorischen
Zusammenarbeit (Stoll et al 2016). Schon heute ist der Vorsorgeansatz de facto
schwierig umzusetzen, weil die Studien, die zur Abschätzung eines Risikos erstellt
werden, zu einem überwiegenden Teil von den Herstellern finanziert und durchgeführt
werden. In Kombination mit industrienahen Zulassungsbehörden führt der risikoba-
sierte Ansatz somit regelmäßig zu einer Missachtung des Vorsorgeprinzips. In CETA
wird eine weitere Entfernung vom Vorsorgeansatz festgeschrieben. Auch der Verbrau-

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cherzentrale Bundesverband kommt zu dem Schluss, dass das Vorsorgeprinzip unzu-
reichend verankert und CETA insgesamt aus Verbrauchersicht „nicht zustimmungsfä-
hig“ ist (www.vzbv.de/pressemitteilung/ceta-verbessert-aber-nicht-zustimmungsfa-
ehig).
Juristische Studien warnen davor, dass dadurch bestehende und zukünftige Regelun-
gen durch CETA in Frage gestellt und erschwert werden, denn „auf Vorsorge gestützte
bestehende und zukünftige Regelungen [könnten] einem erhöhten Rechtfertigungs-
druck ausgesetzt, in Frage gestellt und in der Folge verzögert werden oder sogar un-
terbleiben“ (Stoll et al 2016). Ein Beispiel ist der Bereich gentechnisch veränderter
Organismen (GVOs). Der risikobasierte Ansatz wird explizit als Leitprinzip für die
künftige Zusammenarbeit zur Zulassung gentechnisch veränderter Organismen zwi-
schen der EU und Kanada benannt. Zusammen mit der Vereinbarung zur Regulie-
rungszusammenarbeit, die die Minimierung von Handelshemmnissen im Bereich der
Biotechnologie zum Ziel hat, könnte das nach Einschätzung von Experten zur mittel-
fristigen Aufgabe des europäischen Schutzstandards der Nulltoleranz führen (Then
2015). Das heißt, Verunreinigungen von Lebensmitteln und Saatgut mit nicht zugelas-
senen und in Europa nicht risikogeprüften GVOs würden bis zu einem Schwellenwert
hingenommen. Behörden hätten keine Handhabe, diese Produkte, die noch nicht ein-
mal gekennzeichnet sein müssten, aus dem Verkehr zu ziehen. Auch das Ziel, „wis-
senschaftsbasierte Zulassungsprozesse“ für GVOs voranzubringen, stellt aus Sicht kri-
tischer Wissenschaftler einen Angriff auf das europäische Vorsorgeprinzip dar.
Insbesondere gepaart mit den unter CETA eingeräumten Klagemöglichkeiten für In-
vestoren besteht die Gefahr, dass Anbauverbote, die auf Grundlage der neuen Opt-out-
Regeln erlassenen werden, auf dem Klageweg gekippt würden. Grundsätzlich können
Investoren gegen die EU klagen, wenn ihre „legitimen“ Gewinnerwartungen geschmä-
lert werden – zum Beispiel durch Umwelt- oder Verbraucherschutzregelungen. Es ist
anzunehmen, dass sie sich dabei auch auf Regelungen außerhalb des Investitions-
schutzkapitels wie die im Kapitel zu sanitären und phytosanitären Maßnahmen bezie-
hen können. Dass versäumt wurde das Vorsorgeprinzip in CETA in diesen Kapiteln
deutlich zu verankert, wird dadurch besonders gefährlich.
Auch jenseits der Risiken, die für die gentechnikfreie Land- und Lebensmittelwirt-
schaft durch CETA neu entstehen oder verstärkt werden, enthält das Abkommen Re-
gelungen, die zusätzlichen Druck auf die gegenwärtig durch die Preiskrisen bei Milch
und Fleisch schon existenzgefährdeten bäuerlichen Familienbetriebe entfalten. Denn
mit Inkrafttreten von CETA öffnet die EU ihren Markt unter anderem für zusätzlich
50.000 Tonnen Rind- und 75.000 Tonnen zollfreie Schweinefleischimporte, Kanada
gesteht der EU im Gegenzug großzügige zollfreie Importkontingente für Milch und
Käse zu. Das steht der dringend notwendigen Regionalisierung der Lebensmittelkreis-
läufe und nachhaltigen, bäuerlich-ökologischen Erzeugerstrukturen auf beiden Seiten
entgegen. Beim Handel mit Agrargütern muss auch die gemeinsame Weiterentwick-
lung von Standards im Hinblick auf Tier- und Umweltschutz möglich sein. So kann
vermieden werden, dass Importquoten Druck auf Erzeugerstandards ausüben.

Schwächung der Parlamente durch regulatorische Kooperation
Wenn Parlamente und Regierungen Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt er-
lassen wollen, dürfen sie nicht durch in Handelsabkommen geschaffene und unzu-
reichend legitimierte Gremien und Kooperationsverpflichtungen behindert werden.
Doch CETA ist als „lebendiges Abkommen“ geplant, das sich auch nach seiner Rati-
fikation noch fortentwickelt. Hierzu beitragen sollen eine Reihe von Sondergremien in
CETA, deren Zusammensetzung nicht klar geregelt ist und in deren Rahmen umfang-
reiche Abstimmungsrunden zu geplanten Gesetzen vorgeschlagen werden. Der
dadurch aufkommende Rechtfertigungsdruck und die Fokussierung auf Handelsaus-
wirkungen statt der eigentlichen Ziele der Gesetzgebung wie zum Beispiel der Um-

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weltschutz sind ein unnötiger Hemmschuh für demokratische Prozesse. Darüber hin-
aus können viele der Anhänge nachträglich verändert werden ohne dass die nationalen
Parlamente oder das Europaparlament zustimmen müssten. Lediglich die im Rat ver-
einigten Vertreter der Mitgliedstaaten müssen zustimmen, wenn der in CETA geschaf-
fene „Gemischte CETA-Ausschuss“ Änderungen vorschlägt. Bei wichtigen Anhän-
gen, die zum Beispiel Grundsätze und Leitlinien in so sensiblen Bereichen wie der
gegenseitigen Anerkennung von Standards regeln, bietet das keine ausreichende de-
mokratische Legitimation.

CETA: Ein gefährliches Abkommen
Das CETA-Abkommen birgt aus diesen genannten Gründen enorme Gefahren für die
öffentlichen Haushalte, die Handlungsfähigkeit kommunaler Träger öffentlicher
Dienstleistungen, die Systeme der sozialen Sicherung, den Erhalt und die Fortentwick-
lung wichtiger Standards zum Schutz von Menschen und Umwelt, die Rolle der Par-
lamente und übt Druck auf die bäuerliche und ökologische Landwirtschaft in Deutsch-
land und Europa.
Der Bundestag ist daher der Auffassung, dass die Bundesregierung den CETA-Vertrag
im Rat der Europäischen Union ablehnen und seine vorläufige Anwendung nicht ge-
nehmigen sollte.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. CETA im Rat der Europäischen Union abzulehnen, das heißt im Rat der Europä-
ischen Union den Vorschlag für einen Beschluss des Rates über die Unterzeich-
nung des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada anderer-
seits (Ratsdokument 10968/16) abzulehnen;

2. sowie den Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Genehmigung der vorläu-
figen Anwendung einiger Teile des Abkommens (Ratsdokument 10969/16) ab-
zulehnen.

Berlin, den 5. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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