BT-Drucksache 18/6198

Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge sicherstellen

Vom 30. September 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/6198
18. Wahlperiode 30.09.2015

Antrag
der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Luise Amtsberg, Özcan Mutlu,
Brigitte Pothmer, Kai Gehring, Volker Beck (Köln), Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Dr. Franziska Brantner, Katja
Dörner, Ulle Schauws, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg, Maria Klein-
Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Doris Wagner, Kerstin
Andreae, Ekin Deligöz, Dr. Thomas Gambke, Anja Hajduk, Britta Haßelmann,
Dieter Janecek, Katja Keul, Markus Kurth, Dr. Tobias Lindner, Irene Mihalic,
Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Gerhard Schick,
Hans-Christian Ströbele, Dr. Julia Verlinden und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zugang zu Bildung und Ausbildung für junge Flüchtlinge
sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Wenn Menschen vor Krieg und Terror fliehen müssen, ist meist nichts mehr wie es
war: Aus Angst vor Verfolgung und Gewalt verlassen sie als Flüchtlinge alles ihnen
Bekannte und damit auch jene Menschen und Orte, die ihnen etwas bedeuten. Wenn
der Weg in das vergangene Leben unwiderruflich versperrt ist, bleibt oft nur noch
die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Den vielen Menschen, die heute in Deutsch-
land diesen Traum von einem besseren Leben, einer beruflichen Perspektive und der
Chance auf Lernen und Weiterentwicklung suchen, gilt es deshalb mehr denn je,
volle Solidarität und Unterstützung entgegenzubringen. Es ist die Aufgabe von
Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft dafür zu sor-
gen, dass Menschen in Not mit offen Armen empfangen werden und die Hilfe erhal-
ten, die sie dringend brauchen. Damit dies gelingt, müssen wir Schulen, Kitas, Be-
rufsschulen und Hochschulen öffnen. Denn das, was Flüchtlinge hier lernen, tragen
sie auch in ihre Zukunft und ihre zukünftige Heimat, wo auch immer diese sein wird.

Über die Hälfte der Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die heute in Deutschland
ankommen, ist unter 25 Jahre alt und ihre Zahl wird in Zukunft weiter zunehmen.
Gerade für Kinder und Jugendliche sind gute Bildung und Ausbildung Anker und
Zukunftshoffnung zugleich: Kita, Schule, Betrieb oder Hochschule schaffen nicht
nur einen neuen Alltag, sondern sichern berufliche Perspektiven und sind der erste
Schritt in ein selbstbestimmtes Leben. Deswegen brauchen junge Flüchtlinge mög-
lichst schnell uneingeschränkten Zugang zum deutschen Bildungssystem. Von ihrer
frühen und umfassenden gesellschaftlichen Teilhabe profitieren sie selbst, aber auch
die deutsche Gesellschaft.

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Seit langem klagen Industrie- und Handelskammern, das Handwerk und Arbeitge-
berverbände über fehlenden Nachwuchs und warnen mit Blick auf bestimmte Bran-
chen und Regionen vor Fachkräfteengpässen, die sich angesichts der demografi-
schen Entwicklung in Zukunft weiter verschärfen werden. Die Wirtschaft hat längst
erkannt, dass junge Flüchtlinge große Potenziale mitbringen. Einige Betriebe neh-
men ihre gesellschaftliche Verantwortung schon heute vorbildlich wahr und bilden
junge Flüchtlinge zu Fachkräften aus. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur
Willkommenskultur, stärken die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und er-
bringen eine integrationspolitisch bedeutende Leistung. Von staatlicher Seite werden
sie bisher nicht ausreichend in ihren Bemühungen unterstützt. In der Praxis scheitert
die Ausbildung von Asylsuchenden und Geduldeten heute noch viel zu oft an der
unsicheren Bleibeperspektive. Bei der Neuregelung des Bleiberechts und der Auf-
enthaltsbeendigung hat die Bundesregierung die Chance ungenutzt gelassen, der
Ausbildung junger Asylsuchender und Geduldeter einen gesetzlichen Rahmen zu
geben, der Sicherheit für Auszubildende und Betriebe schafft. Zu Recht kritisieren
Wirtschaft und Sozialverbände die Möglichkeit einer Duldung für jeweils nur ein
Jahr während der Berufsausbildung als ungenügend. Geduldeten, die das 21. Lebens-
jahr vollendet haben oder aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen
versperrt die Regelung den Weg in Ausbildung gänzlich. Zum Vergleich: Im Jahr
2013 waren fast 30 Prozent der Auszubildenden in Deutschland bei Antritt der Aus-
bildung 21 Jahre oder älter. Die Bundesregierung muss eine rechtssichere Lösung
für Geduldete, Asylsuchende und Betriebe für die gesamte Zeit der Ausbildung und
die anschließende Beschäftigung schaffen.

Vergleichbar unverständliche Einschränkungen gelten auch bei der Ausbildungsför-
derung von Asylsuchenden und Geduldeten. Es ist zu begrüßen, dass durch den er-
leichterten Arbeitsmarktzugang seit November 2014 auch Personen, deren Asylver-
fahren noch nicht abgeschlossen sind, die Möglichkeit haben, bereits drei Monate
nach ihrer Ankunft eine betriebliche Ausbildung aufzunehmen. Umso unverständli-
cher ist allerdings, dass die Bundesregierung offenbar nur sehr zögerlich bereit ist,
die erleichterte Aufnahme und den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung
durch den Zugang zu ausbildungsvorbereitenden und -begleitenden Unterstützungs-
maßnahmen angemessen zu fördern. Die Bundesregierung hat mit der Öffnung aus-
bildungsbegleitender Hilfen, der Assistierten Ausbildung und des Zugangs zur fi-
nanziellen Unterstützung durch die Berufsausbildungsbeihilfe für Geduldete zwar
grundsätzlich den richtigen Weg eingeschlagen. Die vorgesehenen Änderungen rei-
chen jedoch nicht aus, um das „Ausbildungsförderungsloch“ für bestimmte Gruppen
ausländischer Staatsangehöriger vollständig zu schließen. Es ist nicht ersichtlich,
warum Geduldete erst nach 15 Monaten Voraufenthalt in Deutschland Zugang zu
Unterstützungsangeboten erhalten, obwohl sie bereits nach drei Monaten eine Arbeit
oder eine Berufsausbildung aufnehmen können. Zudem bleiben junge Menschen,
deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind, weiterhin vollständig von die-
sen integrationspolitisch wichtigen Angeboten ausgeschlossen. Die Lösung kann je-
doch nicht sein, wahllos mehr Geld in die ineffizienten und teuren Warteschleifen
des so genannten Übergangssystems zu stecken, wie es Bundesbildungsministerin
Johanna Wanka in ihrer Haushaltsrede andeutete. Stattdessen müssen jene Unter-
stützungsangebote geöffnet und ausgebaut werden, die junge Flüchtlinge dem Ziel
eines anerkannten Berufsabschlusses auch tatsächlich näherbringen. In den derzeit
bestehenden Beschränkungen offenbart sich ein grundlegender Widerspruch, der
den erleichterten Arbeits- und Ausbildungsmarktzugang letztlich ins Leere laufen
lassen könnte. Die Ausbildung von jungen Menschen darf in Zukunft nicht mehr an
aufenthalts- und sozialrechtlichen Hürden scheitern.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. die Länder und Kommunen dabei zu unterstützen, allen Kindern und Jugendli-
chen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, schnellstmöglich einen gu-
ten Kita- bzw. Schulplatz mit der notwendigen sprachlichen wie auch psycholo-
gischen Unterstützung zur Verfügung zu stellen und damit sicherzustellen, dass
der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention, insbesondere dem in Artikel
28 postulierten Recht auf Bildung, in Deutschland Rechnung getragen wird;

2. gemeinsam mit Ländern und Kommunen dafür Sorge zu tragen, dass ausrei-
chend begleitende Sprachbildungsangebote geschaffen werden, damit junge
Flüchtlinge vor und während der Berufs- und Hochschulausbildung vertiefte
Deutschkenntnisse erwerben können und so neue Bildungswege erfolgreich be-
ginnen oder begonnene Bildungswege fortsetzen können. Dafür müssen

a) die Integrationskurse des Bundes ausgebaut und auch für Asylsuchende
und Geduldete zugänglich werden,

b) die finanziellen Mittel für die berufsbezogene Deutschförderung bedarfs-
gerecht aufgestockt werden. In diesem Zusammenhang ist zu gewährleis-
ten, dass alle Flüchtlinge zuvor die nötige Unterstützung bekommen, damit
sie das für die Teilnahme erforderliche Sprachniveau schnellstmöglich er-
reichen;

c) die Länder dabei unterstützt werden, ein flächendeckendes Angebot für
eine Berufsvorbereitungsphase für junge Flüchtlinge sowie vergleichbare
berufs- und schulvorbereitende Bildungsangebote an allgemeinbildenden
Schulen und Berufsschulen zu schaffen, damit junge Flüchtlinge bestmög-
lich auf das Lernen in Regelunterricht, Betrieb und Berufsschule vorberei-
tet werden;

3. der Forderung des Bundesrates und der Wirtschaft nach Rechtssicherheit für
Auszubildende und Betriebe während der Berufsausbildung und anschließender
Weiterbeschäftigung unverzüglich Rechnung zu tragen. Dazu müssen alle Asyl-
suchenden und Geduldeten in Ausbildung, auch die, die das 21. Lebensjahr be-
reits vollendet haben oder aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kom-
men, von Beginn an einen gesicherten Aufenthaltsstatus für die gesamte Dauer
der Berufsausbildung und einer anschließenden Beschäftigung erhalten;

4. sicherzustellen, dass ein gesichertes Bleiberecht während des Studiums und der
Berufsausbildung und der erleichterte Ausbildungsmarktzugang auch vom Zu-
gang zu entsprechenden Unterstützungsangeboten begleitet wird. Um dies zu
gewährleisten, müssen

a) der Zugang zur Ausbildungsförderung durch die Berufsausbildungsbeihilfe
(BAB) für alle Flüchtlinge unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus geöff-
net werden. Damit asylsuchende und geduldete Auszubildende ihren Weg
zur Fachkraft nicht wegen finanzieller Schwierigkeiten vorzeitig abbre-
chen müssen, ist die notwendige Voraufenthaltszeit sowohl für betriebliche
und vollzeitschulische als auch für außer- bzw. überbetriebliche Ausbil-
dungen auf drei Monate zu reduzieren;

b) Ausbildungsbegleitende Hilfen (ABH) und die Assistierte Ausbildung
(AsA) für alle Flüchtlinge unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus eben-
falls bereits nach drei Monaten Voraufenthalt in Deutschland zugänglich
sein. Indem Auszubildende in Betrieb und Berufsschule gezielt gefördert
werden, können Betriebe entlastet und der Ausbildungserfolg von Flücht-
lingen gesichert werden;

c) analog zur betrieblichen Ausbildung auch vollzeitschulische und im Aus-
nahmefall auch Berufsvorbereitungsangebote sowie außer- und überbe-
triebliche Ausbildungen gefördert werden können. Die Voraufenthaltsfrist

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ist für alle Flüchtlinge unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus auf eben-
falls drei Monate zu reduzieren;

d) der Zugang zur Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
(BAföG) für alle Flüchtlinge unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ge-
öffnet werden. Damit asylsuchende Studienberechtigte nicht 15 Monate
lang auf den Zugang zum Studium warten müssen, muss auch im BAföG
die verpflichtende Voraufenthaltsdauer sofort auf drei Monate verkürzt
werden;

5. Betriebe und Auszubildende durch Beratung und ausbildungsbegleitende Ange-
bote und Strukturen so zu unterstützen, dass junge Menschen unabhängig von
ihrem Aufenthaltsstatus eine echte Zugangschance zur dualen Ausbildung im
Betrieb erhalten.

Berlin, den 29. September 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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