BT-Drucksache 18/4464

Nationales Reformprogramm 2015 - Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen stärken

Vom 26. März 2015


Deutscher Bundestag Drucksache 18/4464
18. Wahlperiode 26.03.2015
Antrag
der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Manuel Sarrazin,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sven-Christian Kindler, Dr. Gerhard Schick,
Annalena Baerbock, Dr. Thomas Gambke, Dr. Julia Verlinden, Dr. Konstantin von
Notz, Tabea Rößner, Beate Müller-Gemmeke, Kai Gehring, Dr. Franziska
Brantner, Ekin Deligöz, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Markus Kurth,
Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Lisa Paus, Brigitte Pothmer, Corinna
Rüffer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Frithjof Schmidt, Doris Wagner und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nationales Reformprogramm 2015 – Wirtschaftspolitische Steuerung in der EU
ernst nehmen und Investitionen stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Europäische Semester und der reformierte Stabilitäts- und Wachstumspakt sind
wichtige Instrumente für die dringend notwendige wirtschaftspolitische Steuerung
in der EU. Nur wenn sie von allen Mitgliedstaaten ernst genommen werden, können
makroökonomische Ungleichgewichte, die zur aktuellen Wirtschafts- und Finanz-
krise beigetragen haben, auch langfristig abgebaut und die Kernziele der EU-2020-
Strategie erreicht werden. Allerdings erweist sich vor allem die bisherige Umsetzung
des Europäischen Semesters als unzureichend. In bisherigen Semesterzyklen wurden
durchschnittlich nur 11 Prozent der länderspezifischen Reformempfehlungen der
Europäischen Kommission und des Rates substanziell umgesetzt. Auch Deutschland
gehört zu den Schlusslichtern. Zudem sind die Kernziele der EU-2020-Strategie teil-
weise in den Hintergrund getreten. Beispielsweise blenden die EU-Kommission und
der Rat bei den länderspezifischen Empfehlungen die EU-2020-Ziele zu CO2-Emis-
sionen und erneuerbaren Energien aus. Des Weiteren hat die Krise zu erheblichen
sozialen Verwerfungen in vielen der Mitgliedstaaten geführt. Rat und EU-Kommis-
sion haben zu Recht erkannt, dass die Beachtung der sozialen Dimension in der Ver-
gangenheit mangelhaft war und eine Reihe von Maßnahmen zur Stärkung der sozi-
alen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion unterbreitet, die allerdings bis-
her nicht umgesetzt wurden. Die Koalitionsfraktionen verkünden immer wieder, wie
wichtig die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa ist. Eine Plenardebatte im
Bundestag vor Verschickung des Nationalen Reformprogramms nach Brüssel fand
bisher jedoch nur aufgrund einer Initiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN statt. Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass das Europäische Semes-
ter als wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument verbessert und weiterentwickelt

Drucksache 18/4464 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
werden muss: Verfahren und Ziele brauchen mehr inhaltliche Steuerung, mehr Ver-
bindlichkeit, mehr europäische und nationale Parlamentsbeteiligung sowie mehr
Transparenz durch öffentliche Debatte.

Deutschland verzeichnet nun schon seit über vier Jahren einen Leistungsbilanzüber-
schuss von 6 Prozent und mehr und trägt damit maßgeblich zur Vertiefung der Un-
gleichgewichte bei. Die Europäische Kommission hat deshalb in 2014 eine Stabili-
tätswarnung für Deutschland ausgesprochen und spezifische Empfehlungen abgege-
ben, um den Überschuss abzubauen. In ihrem Länderbericht für 2015 bemängelt sie
jedoch, dass hier kein spürbarer Fortschritt erkennbar und die bisherige Antwort der
Politik unzureichend gewesen sei. Die Europäische Kommission bemängelt unter
anderem, dass die öffentlichen Investitionen noch immer deutlich unter dem Durch-
schnitt der Eurozone liegen würden und besonders auf kommunaler Ebene und in
Bezug auf die Verkehrsinfrastruktur weiterhin im Rückstand seien. Auch die Bil-
dungsausgaben seien im internationalen Vergleich immer noch zu niedrig. Hinzu
kämen strukturelle Probleme, die bisher nicht angegangen worden seien. So seien
beispielsweise Verbesserungen der Tragfähigkeit des Rentensystems ausgeblieben,
das Ehegatten-Splitting führt weiterhin zu Fehlanreizen bei der Erwerbstätigkeit, die
hohe Belastung geringer Einkommen mit Steuern und Sozialabgaben sei nicht redu-
ziert worden und es habe keine Fortschritte bei der Umwandlung von Minijobs in
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsformen gegeben. Hinsichtlich der EU-
2020-Ziele hinke Deutschland bei der Energieeffizienz und dem Anteil der Hoch-
schulabsolventen hinterher. Das Gleiche gilt für das Armutsziel, sofern die in der
EU vereinbarten Kriterien zu Grunde gelegt werden. Statt einer Senkung der von
Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen stagnierten die Zahlen in Deutschland.

Die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind ein Indikator für Fehlent-
wicklungen im Inland und Gegenmaßnahmen sind daher im originären Interesse für
Deutschland, auch als Wirtschaftsstandort. Die starken deutschen Exporte sind nicht
das Problem, sondern Ausdruck der hohen deutschen Wettbewerbsfähigkeit und ex-
terner Faktoren wie dem billigen Euro. Ausländische Direktinvestitionen können zu-
dem zur Schaffung von Arbeitsplätzen im Ausland beitragen. Das Problem sind die
zu geringen Importe aufgrund der verhältnismäßig zu niedrigen öffentlichen und pri-
vaten Investitionen im Inland. Wenn ein Großteil der Ersparnisse ins Ausland flie-
ßen, bedeutet das Risiken für Abschreibungen und Verluste- Die langfristig hohen
Leistungsbilanzüberschüsse deuten zudem daraufhin, dass der von den Unternehmen
erwirtschaftete Wohlstand bei vielen Menschen in der Bevölkerung nicht in ange-
messenem Maße ankommt.

Die Bundesregierung muss im eigenen sowie im europäischen Interesse die von der
Europäischen Kommission identifizierten Probleme angehen. Die wirtschaftspoliti-
sche Koordinierung in Europa braucht mehr parlamentarische Beteiligung und mehr
Öffentlichkeit. Das Nationale Reformprogramm darf keine Aufzählung von ohnehin
schon geplanten Maßnahmen aus dem Regierungsprogramm sein. Das Regierungs-
handeln muss stattdessen mit dem Nationalen Reformprogramm an die länderspezi-
fischen Empfehlungen der Kommission angepasst werden. Spar-, Reformmaßnah-
men und Defizitabbau, aber auch die Einhaltung von EU-2020-Zielen können von
den Krisenländern und den EU-Mitgliedstaaten insgesamt nur dann glaubwürdig
eingefordert werden, wenn Deutschland keine Sonderrolle einnimmt, sondern mit
gutem Beispiel vorangeht und die Empfehlungen der EU-Kommission ernst nimmt.

Im Sinne eines Green New Deal in Deutschland und Europa müssen insbesondere
im Klimaschutz- und Energiebereich deutliche Kurskorrekturen unternommen wer-
den. Hierzu gehört die Aufstockung von Mitteln des Investitionsprogramms Ener-
gieeffizienz und Gründung eines neuen Energiesparfonds zur Förderung des Ener-
giesparens genauso wie eine Offensive für einen umweltfreundlichen, öffentlichen
Personennahverkehr, einen konsequenten Ausbau der Schieneninfrastruktur und die
Förderung von Elektromobilität.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/4464
II. Der Deutsche Bundestag ist entschlossen, zur Verbesserung des Europäischen

Semesters beizutragen und sich für mehr Parlamentsbeteiligung und Transpa-
renz durch öffentliche Debatte einzusetzen:

Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament intensivieren

Die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament bei der Erarbeitung
der Nationalen Reformprogramme muss gestärkt werden. Das Nationale Re-
formprogramm sollte daher im Deutschen Bundestag beschlossen werden, nach-
dem eine öffentliche Debatte in den entsprechenden Ausschüssen und im Ple-
num stattgefunden hat.

Dialog mit EU-Kommission stärken

Während die EU-Kommission die länderspezifischen Empfehlungen erarbeitet,
sollten die zuständigen Ausschüsse des Bundestages rechtzeitig den Dialog mit
Vertreterinnen und Vertretern der EU-Kommission suchen und diese beispiels-
weise zu Vorabberatungen einladen. Nachdem die EU-Kommission die länder-
spezifischen Empfehlungen vorgeschlagen hat, sollte im Plenum in Anwesen-
heit und mit Rederecht eines EU-Kommissionsvertreters bzw. einer EU-Kom-
missionsvertreterin über die Ausgestaltung der länderspezifischen Empfehlun-
gen für Deutschland debattiert werden.

Prinzip von Mittragen oder Begründen (comply-or-explain-Prinzip)

Die Ausschüsse und das Plenum sollten darauf hinwirken, dass sich die Bundes-
regierung für Änderungen des Rates an den länderspezifischen Empfehlungen
der EU-Kommission rechtfertigen muss. Zudem sollte die Regierung im Rah-
men des Beratungsprozesses zum Nationalen Reformprogramm des Folgejahres
die gegebenenfalls mangelnde Umsetzung länderspezifischer Empfehlungen so-
wie der Fortschritte bei den Kernzielen der EU-2020-Strategie in Ausschusssit-
zungen und im Plenum begründen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

das Verfahren des Europäischen Semesters ernst zu nehmen und in ihren Entwurf
für ein Nationales Reformprogramm 2015 folgende Maßnahmen mit aufzunehmen:

Investitionen in die Zukunft

Für den Finanzplanungszeitraum 2015-2019 müssen Investitionen in Höhe von
insgesamt 45 Milliarden Euro, davon 12 Milliarden für Europa, in Klimaschutz,
Bildung, Forschung, schnelles Internet und für den Erhalt unserer Infrastruktur
eingesetzt werden. Hierzu gehört: CO2 einsparen, erneuerbare Energien fördern,
Energieeffizienz erhöhen, Gebäude sanieren, mehr ÖPNV, Fahrradverkehr und
E-Mobilität, die Qualität unserer Kitas verbessern, der Ausbau von Ganztags-
schulen, Förderung von Gesundheit und Barrierefreiheit, investitionsfreundliche
Rahmenbedingungen für KMU, eine Offensive für den wissenschaftlichen
Nachwuchs, Start-ups, Open Source und Open Data fördern, den Breitbandaus-
bau vorantreiben sowie Investitionen in Kommunen für Barrierefreiheit, Bil-
dung, Verkehr, die Unterstützung bei der Unterbringung von Flüchtlingen und
die Übernahme der Gesundheitskosten. Diese Investitionen sind notwendig, um
unsere Gesellschaft fit für die Zukunft machen und Ungleichgewichte in Europa
abzubauen. Sie können durch die richtige Schwerpunktsetzung und die Aus-
schöpfung der finanziellen Spielräume finanziert werden. Die Bundesregierung
versenkt ihre Milliardenspielräume stattdessen in teuren Wahlversprechen und
falschen Prioritäten. Sie tut damit viel zu wenig zum Abbau des Leistungsbilan-
züberschusses und vergibt die Chance für Wachstumsimpulse für Deutschland
und Europa.

Drucksache 18/4464 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Investitionen in ein zusammenwachsendes Europa

Mit den 12 Milliarden Euro soll sich Deutschland am geplanten EU-Investiti-
onsfonds beteiligen, um europäische Zukunftsinvestitionen im Sinne eines
Green New Deal sowie kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Neben
Anreizen für private Investitionen müssen auch öffentliche Projekte im Rahmen
des EFSI finanziert werden, um wichtige Probleme wie die Nachfrageschwäche
oder die mancherorts massiv eingebrochenen Investitionen der öffentlichen
Hand zu lösen. Eine Aufgabe des EFSI sollte es auch sein, Kredite für rein öf-
fentliche Vorhaben bereitzustellen, die ebenso direkt durch Kommunen, Regio-
nen und Nationalstaaten beantragt werden können. Trotzdem wird der EU-In-
vestitionsfonds nur ein Baustein einer europäischen Antwort auf die Krise sein.

Förderung von Forschung und Innovation

Die aktuellen Pläne, im Rahmen der Finanzierung des Europäischen Investiti-
onsfonds Kürzungen am europäischen Forschungsrahmenprogramms „Horizont
2020“ vorzunehmen, lehnen wir ab. Sie gefährden vor allem die Grundlagenfor-
schung. Investitionen in Forschung und Wissenschaft sind Zukunftsvorsorge
und Basis für sozial-ökologische Innovationen. Deshalb müssen sie Schwer-
punkt einer europäischen Strategie sein. Auch die Bundesregierung muss sich
hierzu bekennen. Bis 2020 müssen daher mindestens 3,5 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts (BIP) in Forschung und Entwicklung investiert werden. Dazu
muss sie einen Fahrplan vorlegen, mit welchen Maßnahmen sie, gemeinsam mit
Ländern und Wirtschaft, das Ziel erreichen will.

Moderne Einwanderungsbedingungen für einen weltoffenen und innovativen
Standort Deutschland

Angesichts des demografischen Wandels und des sich für die Zukunft abzeich-
nenden breiten Fachkräftemangels braucht es ein Einwanderungsgesetz, das die
Vorschriften der Arbeitsmigration systematisiert, liberalisiert und durch ein Sys-
tem der kriteriengesteuerten Arbeitsmigration ergänzt, das nach Auswertung
vergleichbarer Arbeitsmigrationsmodelle in anderen Staaten entwickelt wird.
Die internationale Mobilität von Migrantinnen und Migranten muss gefördert
werden, indem ihnen auch nach längeren Aufenthalten im Ausland eine Wieder-
kehr nach Deutschland ohne Verlust erworbener Rechtspositionen ermöglicht
wird („zirkuläre Migration“). Im Einwanderungsrecht müssen grund- und men-
schenrechtliche Schutzpositionen verwirklicht, Integration gefördert und gesell-
schaftliche, wirtschaftliche und politische Teilhabe ermöglicht werden.

Ein ambitionierter Beitrag zur Verringerung der Anzahl der von Armut und so-
zialer Ausgrenzung bedrohter Menschen in der EU

Deutschland erklärt sich bereit dieselben Indikatoren anzuerkennen wie auf eu-
ropäischer Ebene und legt für das nationale Ziel fest, wie groß der deutsche An-
teil an dem europäischen Ziel der Reduzierung der Zahl von Armut und sozialer
Ausgrenzung bedrohten Menschen um 20 Millionen Personen beträgt. Um Ar-
mut in Deutschland ernsthaft zu bekämpfen und damit einen Beitrag für das eu-
ropäische Ziel zu leisten, muss eine ernsthafte Strategie vorgelegt werden, wie
die Zahl der Armen in Deutschland reduziert werden kann, insbesondere gegen
Kinderarmut, Armut trotz Erwerbstätigkeit und Altersarmut. Dazu gehören ne-
ben einer Verbesserung der Grundsicherung, vor allem durch eine Erhöhung des
Regelsatzes der Grundsicherung, auch Maßnahmen in vorgelagerten Siche-
rungssystemen, um Grundsicherungsbezug zu vermeiden. Darüber hinaus sind
Maßnahmen zur Eindämmung prekärer Arbeitsverhältnisse wie Scheinwerkver-
träge, Leiharbeit und Minijobs zu entwickeln und zeitnah umsetzen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/4464
Erwerbsbeteiligung von Frauen erleichtern

Die Erwerbstätigenquote von Frauen ist zwar gestiegen, das Arbeitsvolumen
aber nahezu gleich geblieben. Frauen arbeiten häufig in nicht existenzsichernden
Teilzeitbeschäftigungen und in Minijobs. Die Europäische Kommission mahnt
seit Jahren den Abbau steuerlicher Fehlanreize „aus der gemeinsamen einkom-
mensteuerlichen Veranlagung verheirateter Paare (Ehegattensplitting)“ an. Er-
forderlich ist eine Neujustierung der institutionellen Anreize (Kinderbetreuung,
Splitting, Mitversicherung, Minijobs). Dazu gehörten auch ein Rückkehrrecht
auf Vollzeit und ein Entgeltgleichheitsgesetz mit einem Verbandsklagerecht.

Ausbildung und Weiterbildung stärken – Gute Arbeit in Deutschland fördern

Gute Arbeitsbedingungen und gute Qualifikation sind zentral für unseren Wirt-
schaftsstandort. Beides ist Grundlage für gerechte Teilhabe für alle, aber auch
für eine offene, kreative und innovationsfreundliche Gesellschaft. Um gute, um-
fassende und lebenslange Weiterbildung zu fördern, muss in Deutschland end-
lich ein Weiterbildungs-BAföG geschaffen werden. Zur Verbesserung der Ar-
beitsbedingungen, aber auch zur Stärkung der Binnennachfrage muss die sach-
grundlose Befristung abgeschafft und der Missbrauch von Werkverträgen unter-
bunden werden und die Arbeitnehmerüberlassung reformiert werden. Gleichzei-
tig muss die Bundesregierung das Tarifsystem weiter stabilisieren. Dazu sind
die Gewerkschaften zu stärken, indem Anreize zum Aufbau von Stammbeleg-
schaften und zum Abbau der Randbelegschaften gesetzt werden, sich auf euro-
päischer Ebene für die Verbesserung des EU-Semesters einzusetzen.

Stärkung des Europäischen Parlaments

Das EU-Parlament sollte perspektivisch über den Jahreswachstumsbericht und
die länderspezifischen Empfehlungen mitentscheiden, um für mehr Transparenz
durch öffentliche Debatte und einen zusätzlichen europäischen Interessensaus-
gleich zu sorgen. In der Zwischenzeit sollte der Rat bei seiner Entscheidungs-
findung die Position des EU-Parlaments berücksichtigen und seine Änderungen
gegenüber Vorschlägen der EU-Kommission öffentlich in den entsprechenden
Ausschüssen und im Plenum des EU-Parlaments erklären (comply-or-explain).

EU-2020-Strategie umsetzen

Der Jahreswachstumsbericht, die Nationalen Reformprogramme und die länder-
spezifischen Empfehlungen sollten stärker auf die Kernziele und Integrierten
Leitlinien der EU-2020- Strategie ausgerichtet werden. Nur so können alle Ziele,
auch zur Armutsbekämpfung, Klimaschutz und Bildungsqualität, stärker in den
Fokus einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik rücken und ihren gleichberechtig-
ten Stellenwert erhalten.

Verbindliche Ziele und Empfehlungen

Bei der Umsetzung der EU-2020-Strategie sollte vereinbart und transparent ge-
macht werden, welcher EU-Mitgliedstaat welchen verbindlichen Beitrag zur Er-
reichung der gemeinsam festgelegten Kernziele leisten muss. Dazu ist es not-
wendig, dass sich alle Mitgliedstaaten auf ein einheitliches System von Indika-
toren einigen. Zudem muss die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlun-
gen verbindlich werden. Gleichzeitig soll die Kommission gewährleisten, dass
vor der Festlegung weitreichender Empfehlungen auch „Social Impact Assess-
ments“ durchgeführt werden, um sozial- und beschäftigungspolitischen Verwer-
fungen vorzubeugen. Mit der Verabschiedung der länderspezifischen Empfeh-
lungen durch den Rat der EU (und perspektivisch dem Europäischen Parlament)
wird auf Vorschlag der EU-Kommission ein konkreter Zeitplan zur Umsetzung
der Maßnahmen und Reformen vereinbart. Abweichungen müssen vom jeweili-
gen EU-Mitgliedstaat eingehend begründet werden, so dass unter bestimmten

Drucksache 18/4464 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Umständen der vereinbarte Umsetzungspfad geändert werden kann. Als Be-
gründung gelten insbesondere kurzfristige negative Effekte bestimmter Reform-
maßnahmen für soziale Ungleichheit und Armut, die Beschäftigungslage, die
Inflationsentwicklung und das Wirtschaftswachstum. Falls die Begründung je-
doch als unzureichend erachtet wird, könnte gegebenenfalls geprüft werden, ob
als letztendlicher Durchsetzungsmechanismus Strafzahlungen vorgesehen oder
Fördermittel aus dem EU-Haushalt zeitweise eingefroren werden. Das Einfrie-
ren von Fördermitteln sollte dort geschehen, wo sie den größten Effekt auf die
jeweilige Regierung und den geringsten auf die Bevölkerung haben.

Berlin, den 24. März 2015

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

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