BT-Drucksache 18/12966

zur Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 22. und 23. Juni 2017 in Brüssel und zum G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg

Vom 28. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12966
18. Wahlperiode 28.06.2017
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Katharina Dröge, Annalena Baerbock,
Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, Anja Hajduk, Dr. Gerhard Schick,
Lisa Paus, Dr. Frithjof Schmidt, Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Bärbel
Höhn, Marieluise Beck (Bremen), Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger,
Tom Koenigs, Dr. Tobias Lindner, Omid Nouripour, Cem Özdemir, Manuel
Sarrazin, Doris Wagner, Ekin Deligöz, Dr. Thomas Gambke, Matthias Gastel,
Harald Ebner, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Stephan Kühn
(Dresden), Christian Kühn (Tübingen), Markus Kurth, Steffi Lemke, Peter
Meiwald, Beate Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zur Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 22. und 23. Juni 2017 in Brüssel und
zum G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Welt steht vor zahlreichen Herausforderungen. Die wachsende soziale Ungleich-
heit, die fortschreitende Klimakrise, bewaffnete Konflikte, dramatische Hungersnöte,
die zunehmende Zahl an Geflüchteten, massives Artensterben, endemische Korruption
und die Schwäche der Weltwirtschaft machen deutlich: Wir brauchen mehr globale
Handlungsfähigkeit.
Die Gruppe der Zwanzig (G20) könnte ein Teil der Lösung sein. Doch zuletzt haben
manche ihrer Mitglieder die Probleme eher verschärft. Eines der drängendsten Prob-
leme ist die fortschreitende Klimakrise. Mit dem Ausstieg aus dem Pariser Klima-
schutzabkommen torpediert US-Präsident Donald Trump den internationalen Klima-
schutz. Die Entrüstung der Bundesregierung ist heuchlerisch, denn zu Hause steht die
Bundeskanzlerin selbst auf der Bremse. Die anhaltend hohen Treibhausgasemissionen
sind Ausdruck einer klimapolitischen Doppelmoral der schwarz-roten Bundesregie-
rung, die zwar Trumps klimapolitische Isolation kritisiert, selbst aber die Klimaschutz-
ziele für 2020 krachend verfehlen wird.

Drucksache 18/12966 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Auch bei der Handelspolitik reicht es nicht, dass Dr. Angela Merkel sich als „Anfüh-
rerin der freien Welt“ feiern lässt. Sie hat aus den Protesten gegen TTIP und CETA,
nach Brexit und Trump nichts gelernt, wenn sie Bereitschaft für eine Neuauflage von
TTIP signalisiert. Es darf in der Handelspolitik kein „Weiter so“ geben. Wenn unter
ihrer Präsidentschaft die G20 zur gerechteren Globalisierung beitragen sollen, muss
Merkel sich für eine faire Welt einsetzen. Denn freier Handel alleine reicht nicht. Eine
deregulierte Globalisierung schafft zu viele Verlierer. Sie befördert eine Abwärtsspi-
rale von Löhnen und Standards. Es braucht fairen Handel, der den Schutz von Klima
und Umwelt, von Verbraucherinnen und Verbrauchern und Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern und den Kampf gegen Steuerflucht in den Mittelpunkt stellt. Wir wol-
len kein neues Handelsabkommen zwischen der EU und den USA oder anderen Staa-
ten, ohne dass von allen zukünftigen Vertragsparteien das Pariser Klimaabkommen
unterzeichnet wurde und das Handelsabkommen die Einhaltung der Pariser Ziele ga-
rantiert. Was wir brauchen, ist eine Kurswende in der Handelspolitik: Denn es ist nur
dann realistisch, die Klimaziele zu erfüllen, wenn wir unsere Handelspolitik so ausge-
stalten, dass sie Ressourceneffizienz, hohe Umweltstandards und klimaverträgliche
Mobilität, Energieerzeugung und eine nachhaltige Entwicklung weltweit fördert und
nicht behindert. Mit einer Absage an Protektionismus im Abschluss-Communiqué dür-
fen sich die G20 deshalb nicht zufrieden geben. Sie müssen sich endlich zu einer fai-
reren Welthandelsordnung bekennen und den multilateralen Prozess über die WTO
wiederbeleben und grundsätzlich reformieren im Sinne einer nachhaltigen Entwick-
lung weltweit. Gleichzeitig müssen sie dem US-Präsidenten klar machen, dass die Er-
hebung von Strafzöllen oder nationalistisch motivierter Protektionismus nicht folgen-
los bleiben wird.
Die G20 muss endlich ihrer Verantwortung gerecht werden. Ihre Mitglieder repräsen-
tieren gemeinsam zwei Drittel der Weltbevölkerung und verursachen mindestens drei
Viertel der globalen Treibhausgasemissionen. Sie erwirtschaften mehr als vier Fünftel
des globalen Bruttoinlandsprodukts. Ohne die G20-Staaten wird kein Problem der Glo-
balisierung zu lösen sein. Darin liegt eine große Verantwortung, aber eine mindestens
ebenso große Chance.
Doch die bisherige Chancenverwertung der G20 ist schlecht: Seit 2009 nehmen sich
die G20 den Abbau umweltschädlicher Subventionen vor und scheitern, weil Mitglie-
der wie Deutschland fossile Energieträger weiterhin hoch subventionieren.
Gleichzeitig sind zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise deren Folgen immer noch
nicht überwunden. Die Bundesregierung inszeniert sich öffentlich gern als ambitio-
nierte Finanzmarktreguliererin. Die Schuld für Blockaden wird auf andere geschoben.
Dabei haben Dr. Angela Merkel und Dr. Wolfgang Schäuble verhindert, dass die in-
ternen Modelle der Banken zum Kleinrechnen von Risiken durch straffe internationale
Standards ersetzt werden.
Seit 2009 sagen die G20 Steuerbetrug und Steuervermeidung den Kampf an – ohne
nennenswerten Erfolg. Die soziale Ungleichheit wächst weiter, solange G20-Mitglie-
der Steuersümpfe für Konzerngewinne, Erbschaften und Vermögen von Superreichen
bleiben. Globalisierungsgewinne müssen gerechter verteilt werden, sowohl zwischen
den Staaten als auch innerhalb. Dazu braucht es nachhaltige Investitionen.
Eine Reihe von G20-Staaten will weiter aufrüsten, hält aber ihre Versprechungen zur
Entwicklungszusammenarbeit nicht dauerhaft ein, will diese sogar kürzen.
Die G20 müssen bei ihrem Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg umsteuern. Mit
der G20-Präsidentschaft 2017 kommt Deutschland dabei eine besondere Verantwor-
tung zu. Die Bundesregierung hat es in der Vergangenheit zu oft verpasst, bestehende
Chancen z. B. während der Administration von US-Präsident Barack Obama für ein
gemeinsames globales Handeln zu nutzen und mit starken Partnern der G20 voranzu-
bringen. Die heutige Konstellation der G20-Mitglieder macht globales Regieren nicht
einfacher. Aber es ist noch nicht zu spät.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12966
Anstatt zuzusehen, wie einzelne Mitglieder die Finanzmärkte wieder entfesseln, die
soziale Ungleichheit weiter verschärfen, globale Deregulierung vorantreiben und sich
hinter dem Rückzug der USA aus dem Klima-Vertrag verstecken, müssen die G20 eine
globale sozial-ökologische Transformation anstoßen. Es ist höchste Zeit, im Sinne der
globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) und des Pariser
Klimaabkommens zu handeln, statt leere Versprechen zu machen. Die Nachhaltig-
keitsziele nehmen uns alle in die Pflicht – keineswegs nur die vermeintlichen Entwick-
lungsländer. Die SDGs binden gerade die stärksten und handlungsfähigsten Staaten.
Das sind die G20.
Die Bundeskanzlerin darf als G20-Präsidentin nicht nur Gipfel-Show machen. Wir
brauchen Verfechterinnen und Verfechter einer fairen Welt. Die Bundesregierung
muss sich beim G20-Gipfel auf vier Schwerpunkte konzentrieren: nachhaltige Inves-
titionen statt klimaschädliche Subventionen, Einsatz für fairen Handel statt Protektio-
nismus, die Finanzwende und die Bekämpfung von globaler Ungleichheit. Nachhaltige
Entwicklung fängt auch bei uns an. Dafür muss die Bundesregierung ihr Gewicht in-
nerhalb der G20 geltend machen und endlich die notwendigen Reformen einleiten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle Beschlüsse des G20-Gipfels konsequent an den Nachhaltigkeitszielen der
Vereinten Nationen und dem Pariser Klimaabkommen auszurichten;

2. ein klares Signal für den Klimaschutz zu senden und beim G20-Gipfel den Aus-
stieg aus der klimaschädlichen Kohleverstromung in Deutschland zu verkünden;

3. einen Klimaschutzhaushalt für nachhaltige Investitionen aufzustellen und sich für
den Abbau von umweltschädlichen Subventionen einzusetzen, insbesondere sol-
cher für fossile Energieträger bis 2020. Dabei soll Deutschland mit gutem Bei-
spiel vorangehen und von den umweltschädlichen Subventionen, die laut Um-
weltbundesamt derzeit über 50 Mrd. Euro betragen, in einem ersten Schritt rund
12 Mrd. Euro abbauen;

4. Investitionen sowie Investitionsgarantien im Energiesektor auf nachhaltige Ener-
gieformen auszurichten, Klimarisiken in ihrer eigenen Kapitalanlage offenzule-
gen und sukzessive abzubauen, sich dem Prinzip des „Divestments“ zu verpflich-
ten und sich für die Einführung von CO2-Mindestpreisen, Steuern oder Abgaben
für fossile Energieträger einzusetzen, damit CO2 endlich einen angemessenen
Preis erhält;

5. sich gegenüber den G20-Partnern für eine Verpflichtung zu fairen Handelsab-
kommen einzusetzen, die soziale und ökologische Mindestanforderungen und das
Vorsorgeprinzip beachten, sensible Bereiche wie öffentliche Infrastruktur und die
kommunale Daseinsvorsorge aussparen, keine Investor-Staat-Schiedsgerichte be-
inhalten, nachhaltige regionale Wertschöpfungsketten fördern und bei bilateralen
Abkommen eine Multilateralisierung erlauben;

6. sich dafür einzusetzen, dass die G20 die Doha-Runde und die Reform der Welt-
handelsorganisation (WTO) voranbringen und Unternehmen auf die Einhaltung
internationaler Menschenrechtsabkommen, die ILO-Kernarbeitsnormen sowie
internationale Umweltabkommen in der Liefer- und Produktionskette verpflich-
tet;

7. dem schädlichen, internationalen Steuerwettbewerb entschieden entgegenzuwir-
ken durch die Entwicklung von schwarzen Listen für Steueroasen und eine Har-
monisierung der Steuersysteme der einzelnen Staaten sowie die Einführung einer
gemeinsamen, konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage und eines
effektiven Mindeststeuersatzes;

Drucksache 18/12966 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
8. aggressive Steuergestaltung und Steuervermeidung von international tätigen Un-

ternehmen zu bekämpfen durch eine grundlegende Reform der Besteuerung (im
Sinne der „unitary taxation“) sowie durch eine Stärkung des Steuervollzugs und
die Einführung substantieller Transparenzmaßnahmen, insbesondere ein öffent-
lich einsehbares Transparenzregister für wirtschaftlich Berechtigte, länderbezo-
gene Offenlegungspflichten und Anzeigepflichten für Steuersparmodelle;

9. sich für eine einfache, aber harte Schuldenbremse für Banken einzusetzen, die
einen realistischen Anpassungspfad zu maximal 90 % Verschuldung bezogen auf
das gesamte Geschäftsvolumen vorzeichnet, sowie für die Einführung einer strik-
ten Trennung von Handelsgeschäft und Einlagengeschäft, um große und kom-
plexe Banken in der Krise leichter abwickeln zu können;

10. sich für die Schaffung eines geordneten internationalen Staateninsolvenzverfah-
rens im Sinne zukünftiger Entwicklungschancen und des Selbstbestimmungs-
rechtes aller Länder einzusetzen und dabei auch die Problematik so genannter
Geier-Fonds in den Blick zu nehmen.

Berlin, den 27. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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